Fast könnte man sagen: "Natürlich" ist auch der Köln Marathon 2020 abgesagt. Satt dem stimmungsvollen Lauf durch die Karnevals-Hochburg gibt es virtuelle Läufe auf der ganzen Welt und auf Marathon4you Joe's Laufbericht aus 2009:
Es war verdammt dunkel zwischen den Stahlbetondecken. Wir sind da rein, weil wir dachten, dort liegen Skelette herum. Dabei wurde der Luftschutzbunker am Dom gerade zum Museum umgebaut. Damals wieselten wir oft dort unten zwischen dem Dionysos-Mosaik und der römischen Hafenstrasse herum, in der Hoffnung, alte Knochen zu finden.
Heute ist dort das Römisch-Germanische Museum, doch immer noch bin ich gerne in den Kellern rund um den Dom, wenn der Köbes (rheinische Form von Jakob, bezeichnet den Kellner) oder der Zappes (das ist der Zapf-Kellner, der mit dem Traumjob) mir ungefragt das nächste Kölschglas hinstellt.
Seit 1997 sagen die Marathonläufer: „ Ich laufe in Köln, weil hier Karnevalstimmung ist“, und begreifen nicht, daß doch in dieser Stadt alle Masken fallen. Köln ist so natürlich unkomliziert und lebensfroh, wie keine andere Stadt, ein kleines Wunsch-Deutschland eben.
Dat möht wie don. Ja, Köln tut auch machmal weh. Den meisten Köln-Besuchern nur der Kopf, mir meine zwei verletzungsbedingten Marathon-Absagen. Köln ist Schmerz und Freude, schwarz und weiss. Äwer et hätt noch immer jot jegange. Ja, wir leben noch - und das schmerzende Kopfsteinpflaster bei km 41 vor dem Gürzenich gehört zum Kölner Marathon, wie die vielen Läuferparties in der Altstadt. Seit 2004 liegt der Zielbereich in Köln Deutz, zuvor direkt am Kölner Dom. Die Strecke führt auf einem flachen Rundkurs sternförmig durch die Innenstadt.
Der sternförmige Rundkurs hat einen Hintergrund: Die römische Garnisionsstadt mit Brückenkopf im feindlichen Germanien (Deutzer Seite) war der Verwaltungssitz der römischen Provinz Niedergermanien. Das antike Straßennetz hat bis heute Bestand: Aus dem römischen decumanus maximus (der West-Ost-Achse) wurde die Schildergasse (bei km 39 der Marathonstrecke), aus dem cardo maximus (Nord-Süd-Achse) wurde die Hohe Straße (Kilometer 40 ).
Ab dem Jahre 1180 wurde die damals größte Stadtmauer Europas mit 12 Toren und 52 Mauertürmen gebaut. Die 12 Tore sollten an das himmlische Jerusalem erinnern, denn schließlich sollte hier ein unereicht großes, beeindruckendes Gotteshaus errichtet werden, um den Reliquien der heiligen Drei Könige einen angemessenen Rahmen zu geben. Die Grundsteinlegung des Kölner Domes erfolgte 1248.
Wer freitags schon seine Startunterlagen abholt, der merkt vielleicht erst am Sonntagmorgen, dass irgendetwas im Trubel der letzten 48 Stunden abhanden gekommen ist. Egal, es war ne superjeile Zick, manchmal gibt´s halt Verluste. Und während ich den starken Kaffee trinke, singe ich leise: „ ..und dabei hat sich Bolle ganz köstlich amüsiert...“
Mein Platz an der Theke ist noch warm, als ich in Laufshorts wieder vorm Zappes stehe. Die Kneipe tobt und alles gröhlt. Meine Startnummer klebt an der Kneipendecke und jeder hat das große „Joe“ gelesen und kringelt sich jetzt auf dem Boden. Eine Runde Kölsch an die zwanzig, dreißig Finder und an die ersten Halbmarathonis, die um 8:30 Uhr gestartet waren, aber hier nicht einfach vorbei laufen können. Wenige Minuten später schon hechte über die Hohenzollernbrücke Richtung Start. Kölle is jeil!
11:30 Uhr. Dichtgedrängt stehen wir in den Startblöcken. Musik peitscht uns an, es ist nur jeil hier! Und dann nach „...und ich flieg, flieg zu dir rüber“ kommt das jeilste Lied von Kölle: „Nä, wat wor dat dann fröher en superjeile Zick.“
Diesmal werden die Startblöcke im Reißverschlußverfahren auf die Strecke geschickt, das klappt super. Direkt hinter der Startlinie ist das Feld frei und ich kann mir meinen Kopf wunderbar frei laufen. Ein rotes Banner über der Brücke: „Ne superjeile Zick, 42,195 kölsche Kilometer“, na das passt ja.
Irgendwann nach dem janzen Startjedöns bin ich schon auf der Deutzer Brücke, der erste Kilometer. Wie jedes Jahr, wenn ich den Kölner Dom auf der rechten Seite sehe, lobe ich ein hohes Preisgeld für den Fotografen aus, der mich mit dem Kölner Dom im Hintergrund fotografiert. Wieder nix, macht nix, ich bin ja in 4 Stunden wieder hier, gegenüber watscheln die letzten Halbmarathonläufer ins Ziel.
Kilometer 3: Rudolfplatz, noch zweimal werde ich hier vorbeikommen. Jetzt geht es rääts eröm auf den Hohenstaufenring, an der Hardrockkneipe Bönsch vorbei, wo sie damals alle in Deckung gingen und noch heute von meiner legendären Windmühle schwärmen.
Barbarossaplatz, Salierring und Karolingerring bei km 5, wo wir aus dem 6. Stock mit den Kirschkernen aus Omas Rumtopf auf die Leute unten zielten. Nä, wat wor dat dann fröher en superjeile Zick.
Bei km 13 suche ich Hans Süper, die Karnelevalslegende. Das Colonia Duett war der Brüller schlechthin. Wenn Hans Süpers Augen anfingen zu funkeln, die Mandoline unterm Arm und er listig zu seinem Partner Hans Zimmermann aufblickte und mit Wonne „Zimmermäääään“ deklamierte, dann herrschte unter den Jecken regelmäßig Hochstimmung. Nicht nur in den Sälen, sondern auch vor den Fernsehgeräten zwischen Flensburg und Oberammergau wussten die Zuschauer, was nun folgen würde: „ Du Ei!“
Ich frage einen Polizisten nach Hans. „Der steht immer dort drüber vor der Bäckerei!“ Ich wiesel zurück durch die Zuschauermassen, hinab und zurück, frage einen Zeitungsverkäufer, aber der hat ihn leider auch noch nicht gesehen. Ungläubig schauen mich die Leute an: „Wat will denn der Joe he?“
Schnell weiter zur Aachener Strasse, km 18, das Millowitsch Theater, wo ich 1989, als die Bläck Fööss & Fründe auftraten bei „ En Minger Bud“ vom Tisch fiel. Au, tat das weh! Und dann hammse jesungen: „Und dabei hat sich Bolle ganz köstlich amüsiert.“
Aber ich muss weiter, meine Marathonzick is noch superjeil, da überholt mich doch glatt der Henning Krautmacher, der Frontmann der Höhner mit seinem typisch-kölschen, gezwirbelten Schnauzbart. Die Höhner, dat is die Gruppe mit dem super-jeilen Song:
"Da simmer dabei! Dat is prima! Viva Colonia!"
Startnummer 222, das ist die Promistaffel, ich versuche dranzubleiben, denn wo der is, is Kölle, doch er ist zu schnell. „Mensch Henning waat of misch!“
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Bei km 20 beginnt der Friesenplatz. Hier ist die Hölle los. Wir werden durch das Spalier der Zuschauer gepeitscht, es geht drunter und drüber. Die Arme recken sich uns über die Absperrgitter entgegen, Musik und tausend Kehlen feuern uns im Wahnsinnstempo über die Halbmarathonlinie. Ich mache Fotos und renne und renne, es is einfach nur jeil.
Irgendwann sehe ich diese verrückte Truppe auf der Gegenseite, weit hinter mir: Verkleidet in Mädchenwäsche, in rosa und weiß und angekettet watscheln 20, 30 Läufer in zwei Reihen den Marathon ab, um ins Guinnesbuch zu kommen. Dat is wie e Kotlett: total beklopp, aber eben Kölle.
Bei km 37, beim Mediapark, da steht der Jupp vor der Kneipe „Weißer Hollunder“. Er will uns ärgern: „ Hier jibbet lecker kaltes Kölsch!“ – Als ich vorbei bin, hält der nur noch sein Mikrofon in der Hand, - ja, ja, Jupp, da gugste, wa ?! – Bei der Getränkeaufnahme bin ich nach 80 Marathons perfekt.
Da sehe ich in einem Fahnenmeer Wolle und Ralle am Straßenrand, die Rastafaris, beide männlich und 100 Jahre alt: „Joe, du Sau Du“ brüllen sie mir entgegen. Die beiden Chaoten vom „Infostand-Süd“ sind bei allen Rastafaries der Welt bekannt. Bei „Dreadlock Holiday“ trinken wir Kölsch, liegen uns in den Armen, schießen Fotos für unsere Websites, gröhlen „Hang Loose, Du Sau, Du !“, lästern über die komischen Gestalten auf der Laufstrecke und unterhalten uns über die alten Zeiten. Als dann meine Zielzeit nicht mehr „jeil“ sein wird, laufe ich weiter und höre wie Wolle und Ralle aus vollem Halse gröhlen: „I heard a dark voice beside me say: Would you like something harder…”
Dann geht´s wieder über den Friesenplatz. Oh Mann! Das ist ja die Hölle! Die sind ja alle irre! Wir wollen doch nur hier durch! Es ist nur jeil! Wieder der Rudolfplatz, links die Tribüne, brechend voll, die Menge dort oben kocht! Weiter, weiter, es ist nur jeil! Neumarkt, rechts zwei Penner, die kommen hier nicht rüber. Vorne die Schildergasse, rechts vorbei. Kameras, Menschenmenge, Verpflegungsstation, Fotos schießen, ich bin so schnell, kippe mir das Glibber-Red-Bull übers m4y-Hemd und hechel weiter, schnell, schnell, schneller.
Durch die Hohe Straße, nicht viel los hier, es ist zu eng für Zuschauer. Ich überhole jeden Lahmarsch hier... dann öffnet sich die Gasse, wir kommen zur Domplatte, da isser! Der Kölner Dom, das ist ein Wahnsinnsaugenblick, das ist total jeil. Ich schiesse Fotos, doch dann sind wir schon vorbei .Vor mir, wo ich früher Skelette gesucht habe, rechts wo ich vorhin meine Startnummer gesucht habe...und weiter zum Heumarkt...Mannmannmann, was ich hier all die Jahre an Weiberfastnacht gesucht habe! Das erscheint in keinem Laufbericht, nenenee.
Mit einem Affenzahl geht es weiter, das Kopfsteinpflaster vor dem Gürzenich, dem Karnevalsfesthaus, das tut weh. Vor mir brezelt einer hin, links zwei Krankenwagen mit Blaulicht. Dat möht wie don! Weiter! Nur noch über die Deutzer Brücke! Menschenmassen, Torbögen, enge Gasse, Brückenrampe, tut verdammt weh. Weiter weiter, über die Brücke, links der Dom, grandios. Weiter, weiter, Ziel ist nah!
Da versperrt mir doch so ne blöde Comboband meinen Endspurt. Die latschen mitten auf der Laufstrecke und machen halligalli im Schneckentempo! Egal- der Leser will informiert sein und so mache ich halt um zu recherchieren!
Da erkenne ich links den Henning Krautmacher von der Promistaffel. Doch warum ist der jetzt so lahm??? Ich verdreh mir meinen Rücken beim Rückwärtslaufen, meine Achillessehnen jaulen lauthals auf und mache noch ein Foto, da ertönt aus einem riesigen, wabbelnden knallgrünen Funktions-Zelt ein lautes: „ Joe, Du Sau, Duuuuuu!“
Das gibts doch nicht! Da grinst mich mein Diät- Kumpel Calli an, wie in alten Zeiten wabbelt er sich dem Ziel entgegen! Wir liegen uns in den Armen, ich versuche ihm zu erzählen, was ich in den letzten 72 Stunden alles erlebt habe - hinter uns der finstere Blick vom Bodyguard. Beinahe hätte ihn über die Ziellinie getragen, doch Securityleute trennen uns in ihrer Herzlosigkeit. Ich hechte zur Bühne.
Direkt neben der Ziellinie, da steht der giftig-grün-silberne Hulk, der diesen Kostümball gewonnen hat und nimmt seinen Geldpreis in Empfang. Doch Calli stiehlt ihm die Show, erzählt was von seinem grandiosen „Lauf“, ich lache mich kaputt, gratuliere dem Henning, daß er das Funktionszelt ins Ziel gebracht hat und eile weiter zum Kölschstand, vorher eine handvoll „Kölsche Kaviar“ (Blutwurst) krallen und ab nach hinten, wo sich der Köln-Kenner beim Roisdorfer versammelt.
Am Abend, als wir alte und neue Lauffreunde unseren grandiosen Sieg feiern, da läuft wieder das Lied. Spontan liegen wir uns in den Armen und schunkeln, und hier und da drückt jemand eine Träne raus: „Nä, wat wor dat denn fröher en superjeile Zick, mit Träne in d'r Auge loor ich manchmol zurück“.
Der Zappes stellt mir ungefragt das nächste Kölschglas hin, während ich mit schmerzverzerrtem Gesicht versuche, unter dem Beifall der Menge meine Startnummer an die Kneipendecke zu heften.
Zurück in Frankfurt stehe ich vor meiner Haustür. Kein Geld, kein Schlüssel, kein Ausweis. Alles im Hotel gelassen. Aber dabei hat sich Bolle ganz köstlich amüsiert.
Auf Wiedersehen beim Köln Marathon am 3. Oktober 2021