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Laufberichte

Fidelitas, der kleine Bieler Bruder

27.06.09
Autor: Joe Kelbel

In meinem Pilotensessel liegend, träume ich, ich sei ein Transeuropaläufer. Mal bin ich Klaus Neumann und freue mich über die 8 Kilos, die ich in den zurückliegenden  64 Tagen verloren habe, mal bin ich René Strosny und winke den Zuschauern in seiner fröhlichen Art zu. Später  fühle ich mich als Rainer Koch, der allen davonläuft, und zeige meine eleganteste Laufhaltung.

Nach 6 Stunden wird es dunkel, ich schalte den Scheinwerfer an. Arme, Beine und Füße werde ich in den nächsten Stunden nicht mehr sehen, nur an den Tankstellen mal vielleicht eine Hand. Oben in der Pilotenkanzel halte ich Ausschau nach den Wegmarkierungen, das ist nicht einfach und erfordert hohe Konzentration. Gerade in den kleinen Ortschaften erinnert mich die Suche eher an eine Schnitzeljagd.

Im Wald ist es stockdunkel. Schon seit Stunden laufe ich allein. Falter fliegen im Scheinwerferlicht gegen meine Windschutzscheibe, der Weg ist schwierig, aber eine Sichtverbindung zu den Füßen nicht möglich, die arbeiten aber kontinuierlich und zuverlässig weiter. Der Atem bildet Wolken in der feuchten Waldluft, Pollen der Tannenbäume flitzen wie  Meteroitenhagel durch den Lichtkegel.

Links und rechts, außerhalb des Lichts ist feindliche Welt, ohne Wasser und Nahrung. Ich muss an den Bericht von Monika denken, die beim Laufen von Wildschweinen angegriffen wurde, und meine sogar die Biester riechen zu können, aber dann ist es nur ein Staffelläufer der schnell an meiner Limousine vorbeizieht. Beim Gitarrensolo von Van Halen ruft ein Waldkäutzchen dazwischen und macht die Szenerie perfekt.

Es ist gemütlich in meinem Sessel und ich überlege, ob die Läufer, die meinen Bielbericht gelesen haben, nun wirklich glauben, daß die Kuh sieben Mägen hat.

Stunde um Stunde vergeht. Abwechslung bieten die im 4 km-Abstand eingerichteten, mit Generatorlicht erleuchteten Tankstellen. Es gibt Cola, Wasser, Iso, Malzbier, später auch warmen Tee, Brot, Kuchen Hefezopf, Bananen und Wassermelone.

Anders als in Biel, läuft man hier alleine durch die Dunkelheit, stundenlang, durch endlose Wälder, die man nicht sieht. Aber immer in der Sorge, eine Markierung zu übersehen. Bei km 73 passiert es dann auch: eine falsche Abzweigung genommen und ich muss den Weg bis zur letzten Markierung zurücklaufen. Fast einen Kilometer kostet mich diese Unaufmerksamkeit. Anscheinend bin ich da oben in meiner Pilotenkanzel kaum noch als Mitteleuropäer zu erkennen, oder was?

Die letzten Kilometer ziehen sich. Diskotheken und Kneipen liegen an der Laufstrecke. Die Nachtschwalben schauen mir ungläubig nach.

Die Landebahn ist hell erleuchtet: Es sind die Flutlichter der zwei Rasenplätze. Ewig lang zieht sich  die Runde um die Plätze, dann setze ich um 2:05 Uhr  auf. Die Urlauber in den Reihen hinter mir klatschen Beifall für die gelungene Landung. Ich lobe meine herrliche Maschine und lasse sie zur Betankung langsam auslaufen.

Lange noch sitzen wir zusammen und schwätzen. Um 4 Uhr schließlich krieche ich für ein paar Stunden ins Auto, andere Läufer liegen auf dem Rasen oder auf den Bänken .

Der Fidelitas Nachlauf ist vom Charakter her einmalig. Die meisten Steigungen sind zu flach um sie gehend bewältigen zu dürfen. Der Wald ist stockdunkel. Man ist mutterseelenallein und hat Eigenverantwortlichkeit für die Wegfindung. Ein großartiger Lauf, den man auch zwei Wochen nach Biel mit neuer Bestzeit bewältigen kann.

Bildgalerie von Martin Linek:

 

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Informationen: Fidelitas Nachtlauf
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