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Laufberichte

Blut und Spiele

23.06.12
Autor: Joe Kelbel

Es gibt Bilder, die lassen mich nicht los: Es war 2009, Klaus Neumann mit Karl-Heinz Kobus bei km 15 des Fidelitas  an der Schranke des Bahnüberganges. Karl Heinz, der immer noch auf neue Nieren wartet, aber trotzdem Ultras  läuft, und Keule, der damals, gerade den Transeuropalauf gefinisht hatte.

Seit 34 Jahren  ist der Fidelitas 80 km Nachtlauf bei Ultraläufern  ein Auslaufen in die kurze Sommerruhe, kein Ultra der Extreme, eher ein spielerischer Lauf durch die Dunkelheit der Nacht.  Zwischen den Stadien der zwei ausrichtenden Vereine ist ein ruhiger Weg, ein idealer Platz, um nach dem Zieleinlauf noch einige Stunden im Kofferrraum zu dösen. Ein bekannter Camper steht schon da. Conny drückt mir sofort ein Bier in die Hand und Jörg eine Schmalzstulle. Lasst die Spiele beginnen!

Der Fidelitas Nachlauf ist aus dem IVV-Nachtmarsch geboren worden, deswegen auch das reichliche Zeitlitmit von 16 Stunden. Dazu 16 gute Verpflegungsstellen, das alles für 40 Euro Startgeld. Eine Handvoll Wanderer startet schon um 16 Uhr, die Läufer um 17 Uhr.  Abgabe für persönliche Streckenverpflegung bei km 38, 44 und 54 möglich. Schlecht, wenn die Stirnlampe im Beutel für km 54 liegt.

In der Hitze der ersten Kilometer döse ich so dahin, als laut hupend ein Wagen verbeisaust. Der Fahrer hält aus dem Beifahrerfenster eine Flasche Bier. Wie der Esel mit der Möhre vor der Schnauze lege ich los. Es ist Jochen - mein und Thomas´ Retter in höchster Not.

Ein  Jungvater mit Zwillingskinderwagen und Frau kommt der Läuferschlange entgegen: „Habt Ihr auch schön Sport gemacht?“ brülle ich. Er, stolz auf seinen gestählten Operkörper, entgegnet schlagfähig: „Ja, gleich geht´s weiter!“

Nach zwei Stunden treffe ich auf Dennis, Stevo und Felix. Mir fallen die drei Jungspunte mit freiem Oberkörper auf, weil sie total unbelastet rumhüpfen. Die Drei laufen ihren ersten Ultra. „Wieviel Marathons seid Ihr denn schon gelaufen?“ „Einen!“ lautet die Antwort. Ein bißchen erzieherisch ist es schon, als ich den Newcomern die kommenden Qualen der Nacht aufzähle. Hätte aber nie geglaubt, dass auch nur einer von denen ankommen würde. Nach dem Blick in die Finisherliste empfinde ich ein wenig väterlichen Stolz, dass ich solche Recken kenne.

Der Aufstieg hoch zur Alb durch den uralten Ringelberghohl ist für mich jedesmal ein Traum. Der Kraichgau war immer schon ein wunderbarer Ort, nicht weit von hier fand man den ältesten Europäer, den Homo heidelbergensis. Seine Familien waren die ersten, die diesen Weg vor 600.000 Jahren nahmen. Als man unten in der Talsohle in Grötzingen die Einfamilienhäuser baute, fand man angeschwemmte Reiseutensilien aus Jahrtausenden.

Im Mittelalter war der 15 Meter tiefe Hohlweg zur Räuberabwehr überdacht gewesen. Doch seitdem der Weg befestigt wurde, verflachen allmählich die steilen Wände.

Oben, in der Nähe des Rittnerthofes, schon auf der Albfläche, besticht die wellige Landschaft mit ihrer abwechlungsreichen Schönheit. Faszinierend für mich jedes Jahr das reife Rapsfeld, das von tausenden Kornblumen gekrönt wird.

Es ist der Übergang des Buntsandsteingebietes des Albgaus zum Muschelkalk des Pfinzgau.  Die Ortschaften ducken sich in den Tälern, denn der karstige Untergrund speichert  auf der Höhe kein Grundwasser. Orte mit Endungen „ingen“ stammen aus der Kolonisationszeit Karls des Großen.

Jöhlingen hat Grundwasser und Annettka verteilt dieses mit einem Gartenschlauch. Früher war sie beim Fidelitas ganz vorne mit dabei. Irgendwann wird sie wieder laufen, so wie früher. Aber heute macht sie mich erstmal richtig nass. Das tut gut, wir haben immer noch 27 Grad und die nächste Steigung steht an. Johannisbeersträucher am Wegesrand. Gerade rechtzeitig kann ich mich bremsen, denn dahinter sitzen die finster dreinblickenden Rentner.

Kurz vor Wöschbach gibt es für mich wie jedes Jahr die ersten Sauerkirschen. Geklaute schmecken am besten und extrem köstlich, wenn man Ultra läuft. Dahinter das Bürkleskreuz von 1526, dessen Arme schon längst verwittert sind.  Ein Bauer wurde in diesem Hohlweg von zwei Räubern erschlagen. Vor 200 Jahren wurde der Hohlweg zugeschüttet und diese Strasse gebaut.

Mein Flug hinein nach Singen wird mit Jubel der Bevölkerung begrüsst: „Da kommt der Joe!“  Klar, Carmen und Frank haben mich angekündigt. Gleich grapsche ich in das Glas Oliven mit Chilifüllung. „Nimm nicht die Finger!“ ruft die Omi. „Was dann, wenn nicht die Finger?“ Gabeln gibt es in Singen nicht. Dafür nette Menschen.

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Informationen: Fidelitas Nachtlauf
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