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Laufberichte

Seltsame Lichterscheinung bei km 77,38

25.06.11
Autor: Joe Kelbel

„Außer dem leisen Lachen der beiden Begleiter war kein Geräusch zu hören, so als hielte die Nacht den Atem an. Mittlerweile war der Mond hinter Wolken verschwunden, so dass man im matten Schein der Laterne kaum noch den Pfad erkennen konnte. Und plötzlich schwiegen auch die anderen, denn ein sonderbarer Laut durchdrang das Dunkel, ein unheimliches leises Heulen, das an- und abschwoll. Und zu dem war vor ihnen ein Schein wie von Flammen zu sehen.“

Die Sagen und Legenden rund um den Kraichgau  handeln von seltsamen nächtlichen Erscheinungen, nie gesehenen Lichtern und unendlichen Gefahren. Die Reisen auf den alten Handelswegen waren gefährlich und überall lauerten Räuber den einsamen Wanderern auf.

Wurden die Lichterscheinungen in alter Zeit auf Hexen, Gnome, Zauberer und Gruselmonster zurückgeführt, so müssen in heutiger Zeit Ufos und sogar der Fernsehauftritt von Uri Geller herhalten. Nach etwa fünf Stunden Laufen werde ich dort oben im dunklen Wald sein, was wird mir dort widerfahren?

Für mich ist der 80km Fidelitas Nachlauf ein sehr emotionaler Lauf. Schon vor 2 Jahren berichtete ich von Erscheinungen und Lichtern während meines Fluges durch die Nacht.

Es ist die grausige Dunkelheit dort oben, die während deines einsamen Laufes durch die Finsternis aus den Tiefen deiner Seele seltsame Bilder entstehen lässt und verborgene Teile deiner selbst aufdeckt. Keine Ablenkung, keine Musik, keine gröhlenden Zuschauer, nichts, außer du selbst und deine arbeitenden Beine. Ein Lauf der Besinnung und inneren Ruhe. Selbstfindung.

Als wir um 17 Uhr das Stadion verlassen, bleiben die Zuschauer zurück und warten auf den Wildschweinbraten und das Sonnenwendfeuer. Es wird viel geboten hier auf dem Gelände der PSK, doch wenn wir in den Morgenstunden  aus der Einsamkeit zurückkehren werden, wird keiner reden wollen über das, was er heute nacht dort oben im Kraichgau und Nordschwarzwald erlebt hat. Sollte ich das Schweigen des einsamen Nachtläufers brechen?

Die Anfang der heutigen Geschichte ist vielleicht unspektakulär, ich bin froh gelaunt, laufe leicht, aber es stehen 80 km mit 1600 HM in  dieser Nacht an. Zunächst geht es durch den Stadtwald, das Gewerbegebiet, Stadt, Wiese bis zur bekannten Bahnschranke bei km 15, die sich nach zwei Bechern Wasser wundersamerweise öffnet.

Bei Grötzingen wird die Geschichte interessant. Der Hohlweg  führt steil hinauf zum Kraichgau, es ist ein alter Handels- und Verbindungsweg zwischen den Dörfern. Über 3000 Jahre gruben sich die schweren Karren  in den Lößuntergrund, bis zu 10 cm im Jahr.  Die senkrechten Wände beweisen eine außerordentliche Standfestigkeit, da das Gefüge der Einzelkörnchen durch Kalk verbacken ist. Zum Schutz vor Räubern hatte man solche Wege mit Baumstämmen überdacht. Fiel etwas vom Wagen herunter, so wurde es schnell vom abgespülten Löß bedeckt und irgendwann ins Tal gespült, wo es für unsere Zeit im fruchtbaren Schwemmlöß der Felder bewahrt wurde. Fragmente von Hufeisen, Radnägeln, Beschlagteile, Keramik oder Münzfunde aus 3 Jahrtausenden werden  gefunden.

 „Durch diese hohle Gasse muss er kommen. Es führt kein anderer Weg nach Küssnacht“ So steht es in Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“. Für uns ist es aber keine Küssnacht sondern eine Laufnacht und so kommen wir nach Jöhlingen (km 23). In der Jöhlinger Strasse entdecke ich eine seltene Fränkische Hausanlage, sogenannter Dreiseithof mit Florians-Figur in einer Nische.

Bei Remchigen steht das Sühnekreuz, wo ein Bauer in dem Hohlweg von  Räubern ermordet wurde. Die Witwe errichtete das Kreuz, die Seitenarme sind längst verwittert.

Die geklauten Sauerkirschen hinterlassen blutrote Flecken auf meinem Hemd, bis sie vom Schweiss zerfressen werden.

Hinter dem Ort endecke ich ein kaum lesbares Schild: germanischer Grabhügel. Im fahlen Dämmerlicht kann man die unglaubliche Höhe dieses Hügelgrabes nur erahnen. Überall  entlang dieser alten Handelswege findet man zahllose Funde aus der Stein-und Bronzezeit, sowie aus der Zeit, als die Kelten hier wohnten. Sogenannte Leugensäulen (Entfernungsmarken) und Viergöttersteine hinterließen dann die Römer.

In Mutschelbach war der Start des Nachtmarathons. Hier krame ich ein Bier und meine Strinlampe aus dem Depot. Die Reste eines Startbanners künden vom Blitzstart des m4y-Chefs.

Auf einer Mauer liegt ein toter Drache auf dem Rücken. Jetzt kommt der Drachentöter in mir hoch, und voller Kraft laufe ich den Berg hoch, während die ersten Fledermäuse ihre Jagd beginnen. Halbzeit.

Eine ewiglange Reihe Grablichter lenken meine Schritte nun in den schwarzen Hochwald. Ab und zu beleuchtet meine Stirnlampe große Wegekreuze. Es ist unheimlich. Kröten huschen über den Weg. Eine plattgetretene Leiche lässt mich mit meinem Mageninhalt kämpfen. Häßliche Riesenfalter prallen mir ins Gesicht. Wie Schnee rast ein Pollensturm in meinen Scheinwerfer.

Bei km 51 blenden mich Autolichter. Ich höre seltsames Gekicher. Als ich näher komme erkenne ich die Gruppe Anwohner wieder, die hier seit Jahren die Läufer versorgen und ermuntern. Die Autolichter gehören dem Sponsor und der verteilt nun T-shirts mit Aufdruck „Organisation“ als Dank an diese treuen Menschen. Fidelitas, der Treueorden.

Glühwürmchen fliegen mit kaltem Licht lautlos durch die Luft. Die Weibchen  sind zu dick zum Fliegen, liegen auf dem Boden, ja sogar auf dem Weg und locken mit ihrem leuchtenden Hinterteil.

Tiefste Finsternis hüllt meinen Lauf ein, dann eine hell erleuchtete Verpflegungsstation. Der Generator knattert noch Ewigkeiten hinter mir her, als ich mich wieder durch die Wand der Dunkelheit kämpfe. Es wird deutlich wärmer, der Schweiß wird unerträglich.

Seit 10, 15 Kilometern duelliere ich mich mit Vater (auf dem Rad) und laufendem Sohn. Der Sohn eifert seinem Vater, einem erfahrenen Ultraläufer nach. Klasse, wenn Söhne in die Fußstapfen des Vaters treten, doch bei km 55 tritt der Sohn plötzlich dem Strassenverschönerungsverein bei und legt seine mündliche Prüfung ab. Das war´s dann.

Wunderbar geht es jetzt an dem kleinen Bächlein entlang, aus dem Augenwinkel schaue ich auf die Feuchtwiesen, ob ich Irrlichter entdecke. Einmal habe ich eins gesehen, doch das ist Jahre her, hatte mir ziemlichen Schrecken eingejagt.

Versuchsweise mache ich die Lampe aus und rennte umgehend in das Dickicht. Insekten und andere Ungeheuer kleben mir jetzt an den Beinen und saugen mein kostbares Blut.

Conny, die 10 Minuten hinter mir liegt, sagte später, sie hätte an dieser Stelle glühende Augen im Gebüsch  gesehen.

Und dann geht bei mir wirklich das Licht aus. Biel hat zu viel Energie gekostet und ich hatte keine Ersatzbatterien mehr. Im grünen Licht des Displays vom Fotoaparat kämpfe ich mich zu  Kai-Uwe nach vorne. Der kann nur noch gehen, hat aber noch Energie und ich nutze diese für die nächsten 5 Kilometer. Dann steht Jörg mit seinem Verpflegungsmobil am Strassenrand. Seine Stirnlampe gibt mir die Chance, wieder Fahrt aufzunehmen.

Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus,
Flog durch die stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.

Ab km 70 geht es durch Ettlingen, schöne Kirche, die Kreuze des Friedhofes werfen das gelbe Licht der Strassenlaternen zurück. Bei km 75 fliegen Fledermäuse Scheinangriffe auf den Lichtkegel der Stirnlampe. Ein Igel huscht mir vor die Füße, ein Käuzchen schreit.

Und dann kam der km 77,38. Kennt Ihr das Gefühl, wenn einem das Blut in den Adern gefriert? Wenn es dir eiskalt den Rücken runterläuft und du dir vor Schreck  in die Hose machst? Ich nicht. Ich hatte mich nur verlaufen, sonst war nix besonderes dort.  Aber mir gefiehl die Überschrift so gut.

Ich hatte aber bestimmt ein Licht gesehen, vorher, weit vorher, ein angenehmes Licht, es begleitete mich. Ob es eine Stirnlampe war, oder doch mehr ..... der Kraichgau hat seine Geheimnisse und ich 222 Wochenkilometer.

Siegerliste

80 km

Männer

1 Jeroen Romeijn 6:04:17,5
2 Guido Schwager 6:20:13,1
3 Steffen Bayer 6:39:37,4

Frauen

1 Nicole Benning 7:12:03,1
2 Stefanie Krieg 7:38:23,3
3 Ulrike Steeger 7:54:14,5

149 Finisher

 

Marathon

Männer

1 Dirk Karl 3:12:52,6
2 Klaus Bensching  3:14:09,2
3 Roman Legat  3:19:16,9

Frauen

1 Emmanuelle Vergé  3:27:30,5
2 Marita Rottach  3:51:29,8
3 Verena Henkenhaf  3:52:57,9

62 Finisher

 

Informationen: Fidelitas Nachtlauf
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