Einen Spruch hört man immer wieder: Bist du den Fidelitas gelaufen, dann schaffst du Biel locker. Ich mach das umgekehrt.
Karl-Wilhelm, der Markgarf von Baden-Durlach träumte bei einem Jagdausflug von einem Schloß, welches sonnengleich im Zentrum einer neuen Stadt liegt. Am 17.Juni 1715 begründete er die Stadt Karlsruhe mit dem Bau des Schlosses. Die Sonnenstrahlen sehen wie Fächer auf der Straßenkarte aus.
Wer auf der A 5 nach Karlsruhe anreist, der sieht die braunen Hinweisschilder: Karlsruhe - die Fächerstadt. Mein Autoatlas hat keine eigene Detailkarte für Karlsruhe. Doch ich kenne den Ort aus den Verkehrsnachrichten: Rüppurr. Dort startet am Samstag der „Kleine Bruder von Biel“, der Nachtlauf über 80 km.
Groß steht es auf dem Wappen von Karlsruhe: „ Fidelitas“. Was sich anhört wie der Name einer Lebensversicherung ist aber die Devise des „Hausordens der Treue“, des höchsten und ältesten badischen Ordens, 1715 gestiftet von Karl-Wilhelm.
Fedilitas heißt Treue, Zuverlässigkeit. Zuverlässig, denn seit 31 Jahren findet nun der Nachtlauf statt. Der kleine Bruder ist damit exakt 20 Jahre jünger als das große Biel. Treue, denn 25 % der 800 Läufer sind treue Fans, die jedes Jahr wiederkommen. Zwar sind nur 80 km zu bewältigen, aber die haben es in sich: Von Rüppurr geht es hoch auf die Höhen des Schwarzwaldes. Deswegen ist eine Taschenlampe Pflicht, denn der Schwarzwald ist schwarz! Schwärzer als der Bieler Ho Chi Minh Pfad. Schon so mancher Läufer ist in den Vorjahren im Schwarzwald auf der Suche nach der Laufstrecke verzweifelt. Deswegen werden die Läufer nun an jeder Verpflegungsstation eingescannt, so brauchen die Suchtrupps dann nicht die gesamte Strecke abzusuchen.
Das Startgelände ist schnell gefunden. Der PSK hat Tag der offenen Tür und präsentiert zahlreiche Aktivitäten auf seinem Gelände. Als langssam die Ultracracks eintrudeln, kümmert sich niemand mehr um solche Kleinigkeiten. Das Fußballspiel wird komplett ignoriert. Vor allem Klaus Neumann ist jetzt der Star: Er hatte erst am Montag den 4485 km langen Transeuropalauf gefinisht.
Die „Bürokratie“ ist schnell erledigt. Es steht einem frei, an verschiedenen Verpflegungsstationen Wechselsachen zu deponieren. Die Atmosphäre ist ruhig und entspannt, der Sponsor, die rosen-apotheke läßt Getränke rumreichen.
Der Flug:
Der Start erfolgt pünktlich um 17 Uhr. Nach dem Wald geht es einige Kilometer durch die Stadt. Es ist sehr schwül-warm, der Schweiß rinnt. Viele klagen über den hohen Wasserverlust. Es gibt keine Absperrungen, lediglich weiße Pfeile und rot-weiße Bänder markieren den Weg. Für einen durchschnittlichen Mitteleuropäer kein Problem. Jack, der New Yorker läuft sicherheitshalber mit seiner badischen Laufpartnerin.
Obwohl wir auf dem Gehweg durch die Stadt laufen, gibt es keinerlei Probleme mit Autofahrern. Auch Ampeln und Schranken stören nicht.
Bei km 20 geht es hoch in den Kraichgau und in die Ausläufer des Schwarzwaldes. Mein geologisches Herz lacht, als wir den wunderbaren Hohlweg hochgehen. Es ist ein 3000 Jahre alter Handelspfad, der durch die Ochsenkarren in den durch Muschelkalk verbackenen eiszeitlichen Lößboden gegraben wurde. Durchschnittlich 10 cm tief wurde pro Jahr der Hohlweg gekratzt, erst seitdem er weniger genutzt wurde, verfüllte sich die Talsohle wieder. Fundstücke aus früheren Talsohlen zeugen von frühzeitlichem Handel in der keltischen, römischen, allemannischen und fränkischen Zeit. Die Seitenwände weisen eine enorme Pflanzen- und Tiervielfalt auf.
Auf der Höhe hat man einen herrlichen Rundblick über die Hügellandschaft. Massen von Kornblumen im reifen Rapsfeld runden das schöne Bild ab. Ich freue mich über diese wunderbare Landschaft und meinen problemlosen Lauf, schalte meinen Autopilot an, lege mich in meinen Crusingsessel und drehe die Anlage auf: „Take me home to the Paradise City...“. Stereotypisch arbeiten die Beine und mit Leichtigkeit vergehen die Stunden.