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Laufberichte

Wie Hänsel und Gretel

25.06.16

Bereits seit 1979 gibt es den Fidelitas Nachtlauf in Karlsruhe, der immer Ende Juni ausgetragen wird. Dabei handelte es sich ursprünglich um eine Lauf- und Wanderveranstaltung auf einem Rundkurs von 80 km. Erst seit sieben Jahren gibt es auch den Fidelitas Nacht-Marathon. Der Marathon wird in Mutschelbach, einem Ortsteil der Gemeinde Karlsbad, gestartet. Die Strecke verläuft größtenteils auf dem Kurs  des 80 km Nachtlaufs. Das gemeinsame Ziel liegt auf dem Sportgelände des Post Südstadt Karlsruhe e.V.

Übrigens handelt es sich bei Fidelitas nicht etwa um einen Sponsor des Nachtlaufs. Das Wort Fidelitas findet man auf dem rot-gelben Stadtwappen von Karlsruhe. Der Stadtgründer Karl Wilhelm von Baden hatte das Wappen so vorgeschlagen und empfohlen, den Wahlspruch des am Tag der Stadtgründung gestifteten Hausordens aufzunehmen. Dennoch wurde der Wahlspruch erst ab 1733 im Siegel der Stadt verwendet. Fidelitas bezeichnet die vom Lehnsmann dem Lehnsherrn gegenüber geschuldete Treue.

Relativ kurzfristig habe ich mich für die Teilnahme am Nachtmarathon entschieden, der um 20:00 Uhr gestartet wird. Mit dabei war natürlich wieder mein Freund Charly, mit dem ich mich schon am Nachmittag auf den Weg in Richtung Karlsruhe mache. Unterwegs gabeln wir noch Kati auf, die uns vor der Weiterfahrt natürlich noch mit Kaffee und Kuchen versorgt. Wir treffen gerade noch rechtzeitig am Sportgelände des Post Südstadt Karlsruhe ein, um die Teilnehmer des Nachtlaufs aus dem Stadion laufen zu sehen. Ein paar bekannte Gesichter sind darunter. Da meine Kamera noch im Kofferraum verstaut ist, feuere ich natürlich kräftig mit an. Anschließend holen wir unsere Startnummer ab und stärken uns noch mit einer leckeren Bratwurst.

 

 

Zwei Shuttlebusse fahren von Karlsruhe zum Startplatz in Mutschelbach, wobei wir es uns gleich im ersten bequem machen und somit vor dem Rathaus noch Zeit für das ein oder andere Gespräch ist. Als Pflichtausrüstung sind in der Ausschreibung eine Stirnlampe, sowie ein möglichst reflektierendes Oberteil angegeben. Charly und ich sind allerdings die einzigen, die ich mit einer reflektierenden Weste erkennen kann. Offensichtlich wird es damit nicht ganz so genau genommen. Kati hat Knicklichter mitgebracht, die sie großzügig verteilt. Eine Stirnlampe hat tatsächlich aber jeder. Da es stark bewölkt ist und die Sonne wohl keine Chance mehr haben wird, wird es wohl früh dunkel werden. Weder Mond noch Sternenhimmel sind zu erwarten.

Nur etwa 50 Teilnehmer finden sich vor dem Startbogen direkt vor den Türen des Rathauses ein, man wird wohl meistens alleine auf der Strecke sein. Nur die schnellsten 80-Kilometerläfuer werden uns gelegentlich überholen. Kati und ich haben verabredet, den Marathon gemeinsam zu laufen. Da Kati nachts nicht gerne alleine durch den Wald läuft, ist das für mich natürlich Ehrensache. Wir haben noch keine Ahnung, wie goldrichtig diese Entscheidung für uns ist.

Bis zum Einbruch der Dunkelheit bleiben noch rund zwei Stunden. Pünktlich machen wir uns auf den Weg und verlassen Mutschelbach schon nach rund einem Kilometer, wobei schon die ersten Höhenmeter zu bewältigen sind. Sanft aber stetig geht es bergauf. Am Ortsende von Mutschelbach biegen wir auf einen Feldweg ab. Hier hat das Wetter der vergangenen Tage tiefe Spuren hinterlassen und wir müssen der einen oder anderen Pfütze ausweichen. Das gelingt nicht immer. Das Feld hat sich schnell auseinandergezogen und es sind nur noch wenige Läufer um uns rum. Am Ende des Feldweges wartet ein kurzes Stück durch den Wald auf uns, dann laufen wir leicht bergab in Richtung Langensteinbach. Wir sind rund fünf Kilometer gelaufen und treffen auf die Strecke des 80-Kilometer-Laufes.  Die ersten Läufer holen uns aber erst später ein.

 

 

Am alten Rathaus von Langensteinbach wartet die erste Verpflegungsstelle auf uns. Sie ist wirklich gut ausgestattet und ich greife gleich mal ordentlich zu. Wir schlängeln uns nun durch den Ort, wo es auch den ein oder andere Zuschauer gibt. Wir laufen wieder raus auf‘s Land. Feldwege zwischen Wiesen und kurze Waldstücke wechseln sich ab. Es ist schön hier. Das Laufen macht Spaß. Kati und ich haben uns lange nicht gesehen, da gibt es natürlich viel zu erzählen. Langweilig wird es nicht, die Zeit vergeht schnell und langsam beginnt es zu dämmern. Leichtes Abendrot vermischt sich mit den tiefhängenden Wolken -  ein herrliches Bild. Wir nähern uns Kilometer 20, als ein großes Waldgebiet vor uns liegt. Zuerst verpflegen wir uns aber noch im Schulzentrum von Langenalb, wo gerade eine kleine Feier stattfindet. Kati und ich sind voll im Plan, unserer  geplanten Zielankunft um 1:00 Uhr scheint nichts entgegenzustehen.

Kurz drauf geht`s also rein in den Wald den wir durch das Albtal bis nach Ettlingen bei Kilometer 27 nur gelegentlich verlassen werden, um eine Straße zu überqueren. Es ist an der Zeit, die Stirnlampen einzuschalten. Doch bei meinem Versuch Licht ins Dunkel des Waldes zu bringen, tut sich gar nichts, es bleibt finster. Sämtliche Überprüfungen bleiben ohne Ergebnis. Hat sich das verfluchte Ding in der Sporttasche selbständig eingeschaltet und den Akku entleert?  Prima. Kati bekommt meine Flüche und Verwünschungen mit und kramt ihre Stirnlampe raus. Sie ist nagelneu und natürlich getestet. Ihr Licht sollte locker für uns beide reichen. Das gute Stück bringt aber nur spärliches Licht zustande. Ich kenne das Modell und erkläre Kati, wie man sie heller stellt. Aber die Lampe ist bereits volle auf Leistung eingestellt. Prima! Zwei Stirnlampen, ein Totalausfall und eine Funzel, von der keiner weiß, wie lange sie ihren eingeschränkten Dienst noch leisten wird.  Anfängern würde man die Leviten lesen, aber dass uns beiden das passiert - unglaublich.

Es heißt also haushalten. Solange  wir noch halbwegs sehen können, bleibt das Licht aus und es wird langsam gelaufen.  Etwa eine halbe Stunde wird es bis zur völligen Dunkelheit noch dauern. Und immerhin haben wir noch Katis Knicklichter an den Handgelenken. Zum Ausleuchten der Strecke taugen die aber natürlich nicht. Dazu ist  weit und breit kein Läufer zu erkennen, dem wir uns anschließen können. Da müssen wir also irgendwie durch. Gelegentlich springen wir über scheinbare Pfützen und treten in reale, aber nicht erkennbare. Feuchte Pflanzen berühren unsere Waden, nicht wenige entpuppen sich als aggressive Brennnessel.

Dann geht es ohne Licht überhaupt nicht mehr und Kati schaltet ihre Stirnfunzel ein. Puhh, das Ergebnis ist wirklich dürftig. Der Weg ist zwar erkennbar, Details aber nicht. Gelegentlich überholen uns jetzt 80-Kilometer-Läufer, meist in Fahrradbegleitung.  Weil sich aber wirklich schnell unterwegs sind, ist das nur kurze Zeit hilfreich.

Es dauert auch nicht lange, dann gibt Katis Stirnlampe ein beunruhigendes Zeichen von sich. Sie geht einfach aus. Erneutes Einschalten hilft nur ein paar Minuten, dann geht sie wieder aus. So bringen wir die nächsten Kilometer hinter uns.  Teilweise müssen wir gehen, laufen ist zu gefährlich. Äste, Wurzeln oder andere Stolperstellen sind nicht mehr erkennbar. Die Intervalle mit spärlichem Licht werden immer kürzer. Da fällt mir ein, dass ich ja meine Kamera dabei habe. Ich schalte sie ein und drücke den Auslöser halb durch. Das Fokussierungslicht macht für ein paar Sekunden wirklich ein tolles Licht. Kati und ich wechseln uns ab: Sie funzelt zehn Schritte mir ihrer Stirnlampe, dann blitze ich mit meiner Kamera. Irgendwie schaffen wir es so, aus dem Wald zu kommen. Die verängstigte Kati kann ich außerdem beruhigen, denn der Akku meiner Kamera hat fast noch volle Power, außerdem habe ich noch einen zweiten dabei. Damit würden wir es sicher bis ins Ziel schaffen. Jetzt sind wir sogar wieder zu Scherzen aufgelegt und witzeln, dass wir wie Hänsel und Gretel unterwegs seien. Die geplante Laufzeit haben wir inzwischen um eine Stunde verlängert.

Es wird wohl Kilometer 35 sein,  da überholt uns ein weiterer 80-Kilometer-Läufer, auch er in Begleitung eines Fahrrades. Vermutlich ist  ihnen schon eine Weile das Flackern und Blitzen unserer Lampe und Kamera aufgefallen. Jedenfalls fragt uns der Biker, ob wir Probleme hätten. Und ob. „Braucht ihr ein Licht? Ich habe noch das von einem Kumpel im Rucksack! Ich würde es euch geben.“ – Unglaublich. Natürlich nehmen wir das Angebot dankbar an und vereinbaren noch die Übergabemodalitäten im Ziel, da Kati und ich natürlich erst später ankommen werden. Ich hoffe, er hat die Stirnlampe am Lenker seines Mountainbikes gefunden. Andreas, vielen Dank für deine Hilfe und für dein Vertrauen.

Wir können endlich wieder richtig laufen und erreichen Ettlingen. Wow,  funktionierende Stirnlampe, Straßenlaternen, beleuchtete Fenster. Es ist plötzlich taghell. Gut gelaunt nehmen wir die letzten Kilometer in Angriff. Auf einem Radweg verlassen wir Ettlingen und laufen Richtung Karlsruhe. Bald sehen wir vor uns die Lichter der Stadt. Das folgende Waldstück macht nichts mehr aus. Voller Übermut trete ich in eine Pfütze und hole mir kurz vor Schluss doch noch nasse Füße und saue Kati ein. Beide nehmen wir das mit Humor.

Wir biegen nach links in das PSK-Gelände ein. Es amüsiert uns, dass genau in diesem Moment der Sprecher verkündet, dass er wegen der vorgerückten Stunde nun die Moderation einstelle. Wir drehen eine letzte halbe Runde auf der völlig verschlammten Aschenbahn und sind im Ziel.

 

 

Freudig lassen wir uns unsere Medaille umhängen und treffen auf Charly, der natürlich schon geduscht ist. Er hatte sich schon Sorgen gemacht wegen unserer Verspätung. Das Warum und Wieso können wir ihm auf dem Heimweg berichten. Hinter uns liegt ein ganz besonderes Abenteuer, das Kati und ich so schnell nicht vergessen werden.

 

Günter Kormer mal nicht als laufender, sondern "nur" als fotografierender Reporter. Als Helfer hat er einige Impressionen vom Fidelitas Nachtlauf eingefangen.

 

 

 

 

Informationen: Fidelitas Nachtlauf
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