Auf der Zeche Prosper-Haniel gibt es einen schaurigen, verlassenen Ort: den Schacht 13. Um diesen Schacht windet sich ein wahres Horrorlabyrinth. Wer die Warnung des Steigers „Glück Auf“ missachtet, der gelangt in einen finsteren Alptraum ohne Wiederkehr, denn der Typ ist kein Kumpel- Zutritt ab 16 Jahren. Am Abend vor dem Ultralauf drängen sich die Halloweenfans im Gruselkabinett, ich mittendrin, in einem Finishershirt, mit dem ich die Leute grandios erschrecke.
Das letzte noch aktive Steinkohlebergwerk des Ruhrgebietes wandelt sich, es entstehen übertage Freizeitanlagen, wie dieses Horrorlabyrinth. 2018 wird die Zeche geschlossen. Vielleicht macht man aus der Untertageanlage ein Stromspeicherwerk. Aber der Strompreis, also der Erzeuger-, nicht der Verbraucherpreis, ist zu niedrig, sodaß sich so ein Investment nicht lohnt.
Für den Läufer lohnt sich das „Indoor Skydiving“, man schwebt im freien Fall über einer riesigen Düse, der Luftstrom massiert gestresste Läufermuskeln. Für die längste Indoor-Skipiste der Welt war es mir nach dem Lauf dann doch zu kalt, aber dort ist der höchste Biergarten des Ruhrgebietes mit einem fantastischen Blick über die Region mit ihren renaturierten Halden.
Der Zechenname ist schnell erklärt: Prosper (lat. erwünscht) ist der Vorname des Herzogs, der die Bergbaugenehmigung erteilte, und Haniel ist der Franz, der Kaufmann, der die Genehmigung kaufte. Fährt man auf die Zeche Prosper Haniel zu, sieht man zunächst die 150 Meter hohe Halde Haniel, genannt „die Bergarena“ mit der Installation“ Totems“ eines baskischen Künstlers. Es ist ein Kreuzweg aus bamalten Eisenbahnschwellen. Dann fällt der Blick auf den Förderturn und dann erst auf die zahlreichen Einweiser, die die Läuferautos gekonnt dirigieren.
Die Startnummer erhält man schnell, sodaß man noch ein preiswertes Frühstück zu sich nehmen kann. Zum Umkleiden geht der Läufer in die Kaue (das Gebäude kauert sich unterm Förderturm).Der Weg in dem niedrigen Gebäude ist mit Absperrbändern gesichert, wie der Aufzug bei Sheldon Cooper. Niemand sollte hier vom Weg abweichen, der Boden unter uns ist vielleicht explosionsgefährdet.
Am Ende ist eine dunkle Halle. Dort zieht man seine Klamotten mit einer Kette unter die Hallendecke. Läuferinnen haben hier keinen Zutritt, obwohl die besten Parties immer mit Damenwäsche an der Hallendecke enden. Der Kumpel also sichert seine Klamotten mit einer Kette. Viele Hinweisschilder erläutern dieses Procedere, ein Schild jedoch ist seltsam: „Bolzenschneider befinden sich beim Kauenwart bzw. bei Nichtanwesenheit beim Heildiener“ Es kommt also vor, daß auch Kumpels mal ihren Turnbeutel vergessen, dann hilft Herr Leps (so steht es am Eingang) mit einem Bolzenscheider aus, sodaß man seine Kleidung von der Decke holen kann. Wenn Herrr Leps aber nicht anwesend ist, dann hilft der „Heildiener“, die letzte Bedeutung (außerhalb des Bergbaues stammt aus der Chirugie und bedeutet „der Gehilfe, der bei der Operation hilft“. Es gibt noch viele Ausdrücke und Bezeichnungen, die nur im Bergbau existieren, viele entstanden im 12. Jahrhundert. Nach Gedingenhauer, Gefluder, höffig, Hornstatt usw. könnte mal bei einem Quiz gefragt werden.
Die Läufergestalten, die sich vor 9 Uhr einfinden, könnten glatt aus dem Horrorlabyrint stammen. Mir läuft es wegen des Hinweises in der Ausschreibung, daß Bier auf dem Zechengelände verboten ist, kalt den Rücken runter. Dieses Verbot hat einen tiefen Sinn: Im Falle einer Rettung aus Untertage werden Atemgeräte genutzt, und die haben einen erhöhten Widerstand, den eine Bierlunge nicht mehr schafft. Im sozialen Netzwerk kursieren Berichte, man hätte doch irgendwo Bier bei einem Läufer gesehen. Das war aber sicherlich das Malzbier, das es an den VPs gibt.
Normalerweise berichte ich nicht über das Wetter, aber heute ist der unangenehm kalte Wind zu erwähnen, der den Lauf der Schnellsten im Vergleich zum Vorjahr um mehr auf 30 Minuten verlängert. Wir sind also froh, daß der Oberbürgermeister uns pünktlich auf die Strecke schickt. Zwei 25 km-Runden werden gelaufen.
Zunächst sieht man nicht die Bergarena, an der wir haarscharf dran sind. Dann sieht man nicht, warum der Haldenrundweg teilweise nicht nutzbar ist. Erst von der Fußgängerbrücke aus wird klar: während der Woche muss reger Betrieb herrschen, um die Schöttelhalde aufzustocken. Ein ungewöhnlich fetter Flöz Steinkohle wird noch ausgebeutet. Die neue Stahlverschalung für die Gänge kommt übrigens aus China.
Die Steigung hoch zur Fußgängerbrücke bringt uns erstaunlicherweise ins Schwitzen, Jacken liegen am Wegrand, man kann sie auf dem Rückweg wieder einsammeln. Die Laufstrecke geht auf Feldwegen durch Wald und Heide, man hat viel Zeit sich zu unterhalten. So erzählt mir ein Kamerad bei km 3, daß seine Schwester Konditorin in Luxemburg ist. Überwältigt von dieser Neuigkeit frage ich mich zunächst, ob er mich verkuppeln will. Meine visuelle Erinnerungen an Konditorinnen entspricht nicht gerade meinem Beuteschema, und so frage ich interessiert: „Und?“ – „Ja, die hat mir ne Zeitschrift geschickt.“ „ Einen Porno?“ – „Nee, eine Laufzeitschrift.“
Ich lasse mich zurückfallen, um die nächsten 47 km über diese wichtige Information nachzudenken. Wir queren alsbald den Rotbach, der seinen Namen wegen der natürlichen Eisenvorkommen hat. Er schlängelt sich lieblich und in winzigen Mäandern durch den Niederwald. Bei km 6 sind wir am Schwarzbach, der wegen des modernen Humus so dunkel ist. Die Kirchheller Heide bei km 10 ist schon sehr zugewachsen.
Entlang unseres gesamten Weges sieht man verschiedene unerklärliche Bauwerke. Hier in der Kirchheller Heide gibt es verschüttete Bunker und verfallene Sperrmittelhäuser, dazwischen Bombenkrater. Auf dem Zechengebiet wurde während des Krieges aus Kohle Diesel hergestellt, das erklärt es wohl.
Der Heidhofsee (km 12) entstand, als man Sande abbaute. Die Steine am Wegesrand sind Findlinge, also Steine, die die Gletscher mitbrachten. Hinter dem See ist der Heidhof, Ziel vieler Spaziergänger. Wer kein Kaminholz kaufen muss, oder die Grillakademie besuchen will, der schickt seine Kinder auf den grandiosen Spielplatz, oder läuft, wie wir zum VP und deckt sich mit Gummibärchen ein. Alle 4 Kilometer gibt es Verpflegungsstellen mit warmen Tee, Cola, Wasser, Malzbier und Iso. Dazu Trockenfrüchte, Traubenzucker, Bananen, Tuk, Schoko und noch mehr.
Hinter dem Hermann-Löns-Stein ist ein interessantes Gewässer. Es stinkt nach Fäulnis, wie vor Millionen Jahren. Hier entsteht also wieder Kohle. Das nächste Gewässer ist am Eisbach, hier stehen die Skelette überfluteter Bäume und erinnern an den Murray River in Australien. Wunderbar, wie die blütenweißen Reiher ihre Flügel sortieren, fehlen nur noch Krokodile.
Die ersten 25er überholen mich, dazwischen die ersten Spaziergänger. Dieses Gebiet wird sehr rege von Walkergruppen, Hundebesitzern und Spaziergängern genutzt.
Der Weg zum Heidesee weckt die Freude auf den schönsten VP der Strecke. Der Blick über den ruhigen See mit gesprächigen Wasservögeln erinnert an Alaska. Tatsächlich ist diese alte Kiesgrube extrem nährstoffarm, weswegen die Vögel hier nur pennen, sich aber vorher noch die Neuigkeiten des Tages erzählen.
Mit km 20 ist der Heidsee umrundet, wieder beim Rotbach beginnt die Begegnungsstrecke. Hier kommen mir nun die schnellen 50er entgegen. Nach 4 Kilometern komme ich an der Zeche, dem Start-/Zielgebiet an. Ich erblicke die Zeituhr vor der Silouette des Förderturmes: 2 Std 12 Minuten für 25 Kilometer, ich bin der Held der Grube!
Ordner sortieren die ruhigen 50er von den aufgeregten 25ern. Ich laufe zu meiner Eigenverpflegungstüte, drehe und nehme die zweite Runde in Angriff.
Ich rechne und rechne… 2:12 Std für 25 Kilometer passt gar nicht zu mir! Verlaufen habe ich mich nicht, es muss Sommerzeit oder die Zeit der 25er sein, die 40 Minuten nach uns gestartet sind.
Schade ist, daß viele Bekannte, die ich jetzt auf der Begegnungsstrecke erblicke, nur den 25er laufen. Aber warum eigentlich nicht? Interessant ist doch, wie die 25er Läufer zum Ende hin immer fülliger werden. Aber Hauptsache, sie sind dabei. Bei dem 50er gibt es so einen Gewichtsunterschied bestimmt nicht!
Dies ist ein Ultra für Jedermann, es gibt viele Ultranovizen hier. Mit 25 Euro Startgeld geht man kein Risiko ein. Der Veranstalter Adler Langlauf Bottrop bietet diesen Lauf nicht in kommerzieller Absicht an, er ist gemeinnützig (e.V.). Deswegen beschwere ich mich nicht, daß ich auf dem Kurs friere und eigentlich immer eisigen Gegenwind habe.
In der zweiten Runde habe ich immer Blickkontakt zu Mitläufern. Trotzdem ist es ausgesprochen ruhig. So ruhig wie in Bottrop, einem kleinen Ort zwischen Australien und Alaska.
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