Unser Laufuntergrund hat sich seit letztem Jahr geändert, er wird nun autobahnmäßig. Vom Tal kommen neu geschotterte Wege, wir sind aber noch im Naturschutzgebiet. Jahrelang hat die Organisation für diesen Lauf gegen Naturschutzbehörden gekämpft, jahrelang mussten wir, entgegen unserer Gewohnheit schweigend und nicht laut schreiend, wie wir es sonst bei einem Ultra machen, durch dieses Gebiet gelaufen, um ja keine brütenden Vögel aufzuschrecken.
Jetzt werden hier 10 Windmühlen gebaut, 40.000 Bäume wurden gefällt, 35.000 Tonnen Beton hochgeschleppt. Die Schwertransporter mit dem riesigen Teilen benötigen feste Wege. Die Wut der Bürger ist groß. Aber das Projekt im Naturschutzgebiet dient der Finanzierung einer wunderschönen Burg im Privatbesitz, unten im Tal.
Schon einmal wurden hier neue Wege gebaut: 1907 kam Kaiserin Auguste Victoria zur Besichtigung des Bilsteinturmes. Ihr wurde leicht schlecht, weswegen in Windeseile ein serpentinenfreier Weg gebaut wurde: Hie Halbmarathonläufer freut es heute. Auguste Victoria aber dreht sich in ihrer Gruft (Schloss Sanssouci, Potsdam) um, denn schon nächstes Jahr dominieren Windmühlen den Kaufunger Wald, nicht mehr ihr Bilsteinturm.
Nach km 23 kommen wir zur Quelle der Roten Nieste. Ich bin jetzt soviele Jahre beim Bilstein Ultra. Irgendwann nahmen die sechs Veranstalterjungs dieses Highlight in die Strecke. Und es wird immer schöner. Das Quellgebiet der Nieste wird vom Eisengehalt ihrer Quelle rot gefärbt. Das Eisen stammt aus den Senken, in denen sich das Rotliegende sammelte. Das Eisen im Rotliegenden stammt von Algen eines Meers, in dem es noch kein höheres Leben gab. Die Quelle entspringt zwischen zwei Basaltsteinbrüchen, das Eisen sickert an den Rändern des Vulkankegels hinab.
Zu dem Vulkankegel geht es nun hinauf. Es ist der Steinberg (589 m). Der Basaltkegel hat Schichten von Jahrmillionen hochgedrückt, links und rechts hat sich über abdichtende Tonschichten Braunkohle gebildet, unten an der Quelle läuft das immer noch so.
Seit über 2000 Jahren wurde hier Braunkohle abgebaut und nach Bad Soden gebracht, um Salz zu sieden. Übertagebergbau, aber nicht so groß, wie wir es heute kennen.
Die zwei Fördergruben haben sich mit Wasser gefüllt.Wir laufen nun über steile Abraumhalden, glitschig, matschig, und dann, aaaah mich reisst es von den Füssen. Voll besifft geht es weiter zwischen die alten Grubengebäude. Von hinten Schreie: „ Kann doch nicht sein, wo geht’s lang? Der Weg war doch rechts?“ „ Nein links“ Wie Schlittschuhläufer, so bretzeln die Schreienden in den Matsch. Ich stehe ruhig da, grinse und fotografiere die Reste der Verwaltungsgebäude. Einzig das Pumpenhaus ist erhalten: „1921“ steht im Dachfirst. Sonst bin ich immer noch da hoch gedackelt und habe ein Foto in den tiefen Schacht geschossen. Heute habe ich es eilig, es ist Meisterschaft. Steinberg und Bollsgraben, so hieß die Gewerkschaft, die hier einst förderte.
Ich liebe Bierwurst, krame das dick belegte Brot hervor. Es ist 11 Uhr, als ich den Steinbruch mit den Basaltsäulen erreiche. „Andreas, komm her, schnell, Foto!“ Ich weiss nicht, wer Andreas ist. Jetzt rauschen all die Mittelklasseläufer vorbei, ich nehme die Rechtskurve, fotografiere schnell die Fundamente der Transportbahn. Hier oben war die Bergstation, gefüllt wurden die Behälter unten, wo ich in mein Bierwurstbrot angebissen habe. Ich glaube, das ist eine Erwähnung wert!
Wir sind bei km 25, wir haben nun einen wunderbaren Weg vor uns haben: Abwärts, über Kalksteine, die uns Läufer dazu zwingen, punktgenau zu landen. Kalksteine! Ja, ein unglaubliches Gebiet ist das hier, Geologie am laufenden Meter. Versemmeln will ich diesen Lauf nicht, ich bin schnell, sehr schnell, denke ich.
„Auf der Lust“ hiess hier einst der alte Gasthof von 1449, direkt an der Kohlenstrasse. Heute ist hier ein Ponyhof, Besitzer ist eine Familie mit dem lustigen Namen Truckenbrodt. Gut, dass ich mein Truckenbrot dabei habe, denn letztes Jahr sind hier im Tal der Nieste die Läufer in der Hitze schier verreckt, denn der nächste VP ist weit. Es zischt laut, als ich die Dose öffne.
Es gibt hier zahlreiche Grenzsteine: Königreich Hannover (KH), Kurfürstentum Hessen (KFH). Die Leute hier mussten an beide Landsherren Steuern zahlen, je 10 %. Aber dafür waren sie vom Kriegsdienst befreit, als dürfte nie wieder Krieg zwischen Hermunduren und Chatten ausgetragen werden. Von 1536 bis 1831 (dem Grenzabkommen) war dies Niemansland, gab es keine Militärpflicht, absolut einmalig in der europäischen Geschichte! Sieben Jahre hat man gebraucht, diesen Weg alle 10 Meter mit Grenzsteinen zu spicken. Hätte ich Zeit, ich würde jeden fotografieren. Die Nieste und ihre Auenpflanzen umschlingen viele dieser alten Steine.
Jedes Jahr wird der BisteinUltra länger, heute wird ein neues Filtestückchen angefügt – der Gläsnerweg. Auf der linken Seite des Tales sitzen Förster und Frau im Wagen, zählen, wieviele Läufer dieses Schutzgebiet belaufen. Ultraläufer sind schrecklich, müssen limitiert werden. Windmühlen laufen nicht laut schreiend durch den Wald. Ein wenig Holzhacken und dann den Blick in die Finisherliste hätte dem Tag des vollbärtigen Chatten wesentlich mehr Sinn gegeben. Und seine Frau hätte uns einen schönen Wildschweinbraten servieren können.
Er lässt uns durch und wir gelangen auf die andere Bachseite, überblicken das Tal mit seinen uralten 70 Meter breiten Abraumhalden, den größten in Europa. Etwa von 1450 bis 1700 wurde hier Glas hergestellt. Ausgangsmaterial war das Rotliegende. Am Weg nun vom Eisen rot gefärbte Ablagerungen eines flachen Beckens aus dem Zeitalter des Perm.
Es gab sehr viele dieser Becken. Bei Nierstein (Mainz) haben Säugetiere vor 290 Mio Jahren ihre Spuren hinterlassen. Das Rotliegende ist Sekundärmaterial, angeschwemmter Sand, der sich hervorragend zur Glasherstellung eignete. Zur Einschmelzung wurden sämtliche Wälder gerodet. Um den Schmelzpunkt des Siliciums zu erhöhen, wurde Eichen- und Buchenasche beigemischt, die Salze sorgten für die Grünfärbung der Gläser. Die Asche kam über den Sälzer Weg aus Bad Sooden, dort wo das Salz gesiedet wurde. Um das Glas fest zu machen, wurde Kreide oder Kalk beigemischt, alles, was hier die Vulkankegel hervorbrachten.
Befremdlich: Am Wegesrand, es ist der Sälzer Weg, Steinpyramiden, die jüngsten sind von Wanderern und Geochachern errichtet worden. Der Ursprung liegt aber in den andauernden Fehden zwischen den zwei Ländern um eine Grenze, die es nie gab. Eine einsame Narzisse kennzeichnet ein geschändetes Grab. Erst 1985 wurde das Gebiet hier archäologisch untersucht. Sehr interessant die Funde. Fensterscheiben waren rund und 15 cm groß, sie wurden mit Blei in die Fenster eingelassen. Ein Vermögen wert sind sogenannte Gnittelsteine, handtellergroße, pilzhutförmige, gläserne Steine, vorindustrielle Bügelstein für Leinenstoff.
Wir sind bei km 45. Es gibt politische Botschaften am Rand, eingeritzt in Steine des Rotliegenden. Hier wird noch gekämpft, waffenfrei. Wir alle kämpfen nun, vollkommen entwaffnet. Nach dem Niedergang der Glasindustrie nutzte man die Tonvorkommen und stellte Tonknicker her. Die haben meine Glasklicker und meine Kindheit zerstört und der Kampf auf die Schulhöfe übertragen. Meine Kindheit wurde extrem schwierig, ich fing das Laufen an.
Es beginnt der Aufstieg zum Bilstein, er dauert eine Ewigkeit. Wenn mich jemand überholt, freue ich mich, daß ich nicht alleine unterwegs bin. Gleichzeitig ärgere ich mich aber, dass ich nun Federn lassen muß.
Unterhalb des Bilsteins kommt mir der Musikzug Kleinalmerode mit gepackten Instrumenten entgegen. Das Hallo ist riesengroß, wir kennen uns nun seit Jahren. Ich glaube, Michael war es, der mir zur Entschuldigung ein „Martini“ in die Hand drückt. Die Kasseler Martini Brauerei exestiert seit 1859, dem Geburtsjahr des Kaisers. Die hohe Stammwürze machte sie zum Lieblingsgetränk des Kaisers, der auf der Wilhelmhöhe seine Sommerresidenz hatte.
„ Zeige mir eine Frau, die wirklich Geschmack am Bier findet, und ich erobere die Welt“, sagte der Kaiser. Wir wissen wie es ausging. Schon im Paradies war die Frau schuld am Niedergang.
Über 50 km sind geschafft, nun geht es nur noch abwärts. Nächste Verpflegungsstation ist am vielarmigen Wegweiser, wo der serpentinfreie Weg der Kaiserin ankommt. Sieben bis acht Kilometer geht es über den Forstweg hinab nach Dohrenbach. Das kleine Dorf wurde in 800 Jahren wohl 10mal von den Bewohnern verlassen. Oft dauerte es 50 bis 100 Jahre, bis die verfallenen Häuser wieder besiedelt wurden. Grund mag der karstige Boden sein. Es gab kein Trinkwasser mehr und so leitet sich Dohrenbach von „verdorrtem Bach“ ab.
Mein Durst wird an der vorletzten Station gelöscht, noch sieben Kilometer. Es sind wunderschöne sieben Kilometer, es geht über die Kalkmagerwiesen von Roßbach. Roßbach ist deshalb so interessant, weil Roßbach einfach verschwindet, also der Bach, nicht das Dorf. Karst ist alter Kalkstein, der durch den Regen durchlöchert wird. Der Bach verabschiedet sich einfach im Untergrund.
Unser Trail verschwindet zwischen Wacholderbüschen, die hier auf dem Trockenhang wachsen, Kalkmagerwiese genannt. Zwischen den immergrünen Büschen blühen gelben Schlüsselblumen, doch schon bald kommen die heimischen Orchideenarten (Knabenkraut) hervor. Auch Enzian gibt es, der kreuzblättrige hat hier sein größtes Verbreitungsgebiet. Es sind meine liebsten Kilometerchen. Eine letzte Verpflegungsstation noch, dann ein kleiner Anstieg nach Kleinalmerode.
Es geht ein sehr gelungenes Trailfestival zu Ende und eine sehr gut gelungene Deutsche Meisterschaft, mit grenzenlos guter Organisation. Einzig die Kirschblüte hatte gefehlt. Die gibt es am 07.Mai 2017. Veranschlagt wird der Bima dann mit 57 km und 1500 hm. War das heute also die Grenze? Bestimmt nicht. So wie ich die sechs Jungs kenne, gibt’s wieder ein Häppchen mehr.
Einen weiteren Laufberich mit vielen Bildern
gibt es hier auf Trailrunning.de
Männer
1. Jörg Kreiker 1976 3:29:38
2. Christian Gebicke EquipeRED 3:34:03
3. Roman Staufenbiel SV Diedorf 1921 e.V. 3:37:09
Frauen
1. Christiane Kempkes 4:00:27
2. Anna Riethmüller Eschweger TSV 4:04:02
3. Stephanie Hobmeier 4:14:11
Männer
1. Florian Reichert ASFM Göttingen 4:29:03
2. Alexander Dautel LG Nord Berlin Ultrateam 4:45:37
3. Martin Schedler LAZ Saarbrücken 4:48:59
Frauen
1. Manishe Sina 1982 LG Seligenstadt 5:36:00
2. Pamela Veith 1973 TSV Kusterdingen 5:37:31
3. Silke Pfenningschmidt SV Brackwede 5:44:51
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08.07.20 | Da geht noch mehr - Probelauf am Bilstein |