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Laufberichte

Das Auge läuft mit

09.09.12
Autor: Joe Kelbel

“42,195 Km Partymeile bei bester Stimmung“, so die Eindrücke eines Teilnehmers aus Hessen.” Wer hatte wohl diese Eindrücke? Lassen wir uns überraschen!

Eigentlich ist der Münster Marathon ein Staffellauf in einer lebenswerten Stadt. Es gibt da diesen 6 Std-Lauf am Tag zuvor und für mich traditionell den P-Weg. Wer tags zuvor an einem dieser Läufen teilgenommen hat, der verzieht sich locker grinsend in die hinterste Startschublade.

Zunächst verzieh ich mich ins Cafe Malik, direkt am Startbogen: “Entschuldigen Sie, unser Hilfskellner hat Ihre Bestellung verpennt.” “Kenn ich, bin nicht das erste Mal hier!”

Der Start ist am Schindenburgplatz. Ich nenn den so, weil die Münsteraner nicht nur Marathon, sondern auch Klopperei können und deswegen über die Umbenennung von Hindenburgplatz in Schlossplatz nun nach viel Hin und Her eine Volksabstimmung am nächstes Wochenende machen und mehr Wahl- als Marathon-Warnplakate in der Stadt hängen haben. Tatsächlich entschied der Alliierte Kontrollrat, dass alle alten Straßennamen entfernt werden sollten. Das war aber 1947 und  ich esse lieber  Bismarck- , als Schlossbrötchen.

Friedhelm Busch, wir kennen uns von der Frankfurter Börse, ist Münsteraner und  auf der Suche nach den Zutaten für “Blindhuhn”, einen sonntäglicher Eintopf, in dem jedes blinde Huhn etwas Gutes findet. Dabei ist in Münster alles gut, und für jedes blinde Huhn gibt’s was zu schauen. Ich geh erst mal zum Auto und versuche im Kofferraum sitzend meine Kontaktlinsen zu platzieren. Neben mir parkt Michel, der Stimmungsfranzose. Als ich früher auf Besuch zurück aus Frankreich kam, begrüßte meine Mutter mich freudestrahlend: “Ah, der frische Franzose!” Ich erklärte ihr regelmäßig, dass dieser Frischkäse nicht die Realität Frankreichs ist, schließlich wurde dort das Parfum erfunden. “Frische Franzosen” sind ein Märchen.

Der Münster Marathon e.V.  beschäftigt extra Künstlerbeauftragte, die ein halbes Jahr vorher neue Highlights für den nächsten Marathon nach Münster verpflichten. So auch  Eberhard Gienger, Bronze-Medailliengewinner Olympia 1976 am Reck. Er bringt per Fallschirm dem Oberbürgermeister die Startpistole, Moderation Michael Brinkmann. Ich krieg nix mit, zu eng ist hier das Startergebiet. Aber Lore Lei sehe ich vom Weiten, sie singt heute die Nationalhymne, was niemanden interessiert. Aber wenn sie auf Hochzeiten “das Beste” von Silbermond singt, heult die ganze Gemeinde Schloss- oder Hindenburgstränen und träumt vom Glück.

Ich bin ganz ehrlich: Mir gefällt (zur Abwechslung) diese Aufgeregtheit. Diese fundierten Lauftipps von eingefleischten Marathon-Neulingen, die heute Staffel laufen. Ich erfahre vor dem Start schon viel über Ernährung, Training und Verdauungsproblemen. Alles von Leuten, die Ihre Marathonvorbereitung wegen weltbewegender Probleme, Widerstand der Elemente und dem harten Job im Münsterland (wo vor dem Marathon die Gülle entlang der Laufstrecke ausgefahren wird), abgebrochen haben und man trotzdem vom Sieg (in der Staffel) träumt.

Hier bin ich meine Bestzeit gelaufen, hier ich werde ich heute meine Schlechtzeit laufen, sonnenverbrannt, gedörrt wie Fallobst, aber mit ganz viel Spaß. Weil: das Auge läuft mit.

Ich bin gerne in Münster, versuche an Claudia Dreher (2:27) dranzubleiben, aber die Hübsche ist nach 5 Kilometern aus meiner Lumix-Brennweite, Chance verbraten. Was soll`s ich genieße diesen Lauf. Das Zusammenspiel von Sport- und Kunstperformance gefällt mir, wartet ab.

Die Staffeln starten zwar erst um 9:15 doch dann fetzen sie auch schon kreuz-und quer durch unser ruhiges Feld. Durch die Innenstadt ins Kreuzviertel. Km 8, als wir von der Neubrückenstrasse auf die Promenade biegen, heizt DJ Mike Matthias ein.  Ich lasse mich ohne Rücksicht zurückfallen. Kopfsteinpflaster ist normal hier.
Ich bin Gast unter Staffelläufern.

Das macht aber den Flair in Münster aus: Die Laufstrecke ist vollgepfropft von Angehörigen, die ihren Lauflieblinge bewundern. Ich mache da kein Geheimnis draus, ich werde davon im Laufe des heißen Tages noch gewaltig profitieren, denn irgendwer muss mir ja irgendwohin treten.

Bei km 10 erreichen wir den Aasee. Die Cheerleader Münster Mammuts und wie immer die Kultband “Maraton”  ohne “ h” macht hier die Musik. Ich habe seit Minuten keinen Marathonläufer mehr gesehen. Sind die alle vor mir? Ein paar der bekloppten 6 Std-Läufer von gestern sind hinter mir, ich nehme derweil Vorlieb mit den Staffelläufern, Münster ist schließlich eine Studentenstadt und da lässt man sich mal gerne überholen, für Fotos, das Auge läuft ja mit.

Gescherweg in Gievenbeck. Als regelmäßiger Tigerentenclubschauer erkenne ich Pete Dwojak. Quatsch, ist ein Witz! Den erkennt nicht mal mein Diskusfisch! Dann über den Breilbusch, den erkennt auch keiner. Horstmarer Landweg nach Nienberge, Km 17 . Die Jazz-Zwillinge laufen mitsamt Musikinstrumenten mit den Läufern, nur nicht mir, weil weiß nicht, vielleicht bin ich zu spät. Wird Zeit, dass ich wach werde, bin wirklich sehr verpennt.

Genau oben auf der Autobahnbrücke (A1) ist die Halbmarathonmarke erreicht. Ich würde gleich einschlafen. Zu viel gelaufen und dann die kurze Nacht zu kurz. Ich habe meinem Bruder, bei dem ich übernachte, den P-Weg erklärt. Nun kämpfe ich mich durch.

Dann (hahaha) Nienberge (km 22) Schmetterling und Raupe auf Stelzen, mit schillernden Flügeln. Ein Tritt gegen ihre Stelzen und ich wäre in der Zeitung. Sie sind extrem gefährdet, diese Geschöpfe. Wären wir beim P-Weg, ich hätte es gemacht. Hier fängt ja auch die Partyzone an und die sind wirklich einmalig. Die Schmetterlinge und erst recht die Anwohner, alles ist absolut spitze hier. 

Gestern habe ich vom Schnadegang beim P-Weg berichtet. Auch den Leuten hier im Münsterland muss ich ein kulturelles Lob aussprechen: Der Schnadegang, also der Grenzweglauf, ist Eure Kohlfahrt. Tradition finde ich klasse. Meine Tradition ist beim Haus Vögeding. Vorher aber Foto mit der Nr 1 des Marathonlaufes. Bin bisschen verliebt, auch wenn sie noch nie einen Meter gelaufen ist. Aber  Heidi Klum ist ja auch noch nie gelaufen und gut fürs Auge. Und ich haben die Nr 1 und ihr ramponiertes Bobbycar entdeckt. Die sind schon ganz lustig hier, die Pferdezüchter!

Irgendwie frage ich mich in diesem Moment, warum ich wohl bei jedem Lauf so einen  Riesenspaß habe. Ich tanze mit der afro-cubanischen Trommlergruppe. Die 40 Trommler, wollen mich und nicht die vielen Läufer, die so sehr mit sich selber beschäftigt sind und hinter denen ich gleich wieder her hechten muss.

Immer mehr Privatleute helfen uns mit Wasserfontänen über die Strecke, gerne nehme ich diese kühlende Hilfe an. In Zeiten, in denen sich sogar Prinzen nackt zeigen, gebe ich zu: Ja! Auch ich war schon mal Nacktbaden! Und das täte ich jetzt am liebsten wieder. Es ist sauheiß.

Rein in die Massagestation. Ich weiß nicht, wer mehr Spaß hat, die jungen Mädchen bei der Massage oder die männlichen Marathonläufer. “Wilde Hilde Gilde” lese ich auf seiner Startnummer. Läuft nur 10 Kilometer und lässt sich dann die Oberschenkel streicheln. Ich finde das einmalig. Der Typ weiß, das Auge läuft mit! Aber so ist der Münster Marathon, es wird verdammt viel gelacht und gefeiert. Das gefällt mir!

Bei Kilometer 31 versuchen die Staffelläufer die Autobahnbrücke wegzudrücken, dann kommt viel Blaulicht. Ich erkenne Rainer mit seinem weisen Stirnband kaum, er ist mein Rheinsteig-Erlebnislauf-Kamerad über 320 km vom März. Ich entschuldige mich, dass ich nur nach den Staffelleichen geschaut habe. “Joe, mach dir keine Sorgen, wir bekommen das hier in den Griff! “ Es sieht hier wirklich aus, wie nach dem Rückzug von Al Alamein. 

Breites Grinsen. Aber ich habe nichts gegen Staffelläufer, auch wenn sie mir heute schon so oft auf die Flossen gelatscht sind. Ich habe meine Ruhe weg. Ein Bierchen hier, ein Würstchen da, eine kalte Dusche, ein Gespräch mit netten Mädchen, ein paar Fotos der absolut einmalicken Steltzenläufer. Beim Tauchsportclub steht Michel, diesmal brauche ich ihn. Ja, diesmal brauche ich ihn, ich habe es ihm auch vorher am Parkplatz gesagt, dass ich ihn brauchen werde. Er wollte es mir nicht glauben und er sieht wieder prachtvoll aus in seinem Königskostüm.

Samba-Trommelgruppe, Stelzenkünstler als Paradiesvögel, pompöse Fabelwesen mit Orchideen-Höckern und Joe genehmigt sich das erste Mal in seinem Marathonleben ein Eis! Einmalig! Ich bin verdammt stolz, hier mal Eis zu zeigen. Leistung ja! Aber Genuss muss sein - Genuss, Kultur, Kunst und freier Lebenswille.

In Münster laufen viele Marathonneulinge. Grund ist das kostenlose Mentorenprogramm, das der Münster Marathon e.V. auf die Beine gestellt hat. Es werden nicht nur Seminare geboten, jeder Läufer erhält seinen eigenen Mentor, der ihn persönlich ein halbes Jahr betreut. 58 ganz brandneue Läufer werden von Thomas Altehülsing trainiert, den einige Leser vielleicht vom Laufcampus mit Andreas Butz kennen.

Es gibt jetzt eine “Meile“, da muss ich gehen. “Blumen und Weinmeile”, wer “Tulpen” bekommt ist klar, aber meinen Winzer lasse ihn nicht allein. Er ist einmalig hier im Bierland. Ehe ich ein Lob ausspreche, verlange ich, dass der Veranstalter mal hier ein Fähnchen schwenkt. Ich hauche meines! Für mich ist die Spitze des Münster Marathons, denn der Winzer schenkt hier seit 11 Jahren bei km 41 eiskalten Wein aus.

Jajaja, viele Marathon Läufer haben den Münster Marathon ganz hoch gevotet. Recht haben sie, denn der Münster Marathon ist einmalig. Die Fähnchen über dem Prinzipalmarkt spenden Schatten beim Zieleinlauf, der diese Jahr für mich sehr einsam ausfällt. Habe dieses Jahr halt viel fürs Auge getan, denn das läuft mit, besonders in Münster. 

 

Informationen: Volksbank Münster-Marathon
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