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Laufberichte

Besuch beim Rotbart

 

Thüringen scheint sich außerhalb meines eigenen Bundeslandes zu meiner heimlichen (Lauf)Liebe zu entwickeln. Ob beim legendären Autobahnlauf auf der damals fast fertiggestellten A 73 („Achtung, Läufer auf der Autobahn“ – dieses Shirt halte ich heute noch in Ehren), bei den Untertage-Marathons in Sondershausen und Merkers oder beim langen Kanten am Rennsteig: Die Höhen und gerade auch die Tiefen der Mitte Deutschlands haben es mir besonders angetan.

Heute führt mich mein Weg ins 9.000 Einwohner-Städtchen Bad Frankenhausen. Etwa 50 km nördlich von Erfurt liegt es am Kyffhäusergebirge, dem mit einer Ausdehnung von 19 x 7 km kleinsten Mittelgebirge Deutschlands.

Die Startzeit um 8:30 Uhr hätte bei gut 400 km Wegstrecke eine Abfahrt bei mir zuhause um 3:30 Uhr bedingt, daher mache ich mich bereits am Freitagmittag auf den Weg und genieße schon die Hinfahrt, AC/DC-unterstützt, bei reichlich Sonne und offenem Dach. Ach ja, ich sehe die Kali-Halden zur rechten, Sondershausen und Merkers waren doch wirklich schön, und Eisenach mit seiner Wartburg so wie der große, markante Inselsberg erinnern mich an den tollen Rennsteiglauf. Hervorragend sind auch die Autobahnen, die A 71 ein im wahrsten Sinne des Wortes glatter Traum, soweit das Auge reicht, so habe auch ich heute mal etwas vom Aufschwung Ost.

Auf der super zentral gelegenen Lauffestwiese ist schon alles vorbereitet, daher erledige ich gleich das Wichtige und kann wahrscheinlich noch einen Laufkameraden glücklich machen, der sein prall gefülltes Portemonnaie, das ich bei der Laufleitung abgebe, am Nachmeldeschalter hat liegenlassen. Hoffentlich hast Du es auch wiederbekommen. Der Joe soll auch da sein, ich rufe ihn an und höre: „Dreh Dich mal um, dann ist es ganz einfach!“ und schon setzt sich der Spaß beim gemeinsamen Kohlehydratefassen fort. Doppel-Olympiasieger Waldemar Cierpinski verpaßt an seinem Stand etlichen Läufern neue Schuhe und so weht auch ein Hauch von großer weiter Welt in dieser beschaulichen Ecke Germaniens. Im nahe gelegenen Kelbra beziehe ich mit Blick auf den attraktiven Stausee Quartier und bin am Morgen entsprechend gelassen wieder am Festzelt.

Schön ist es, wie immer liebe Laufkameraden zu treffen, sei es Co-Autor Günter Schmidt schon morgens beim Frühstück oder Eckhard Herwig aus Rieste, mit dem ich im Festzelt u.a. den gemeinsam gelaufenen Fünfziger zu seinem 50. Geburtstag nochmals Revue passieren lassen kann. Noch ist es mit etwa 8° recht frisch, aber bereits gegen Mittag hat man uns trockene 19° in Aussicht gestellt, einen phantastischen Frühlingstag also, da ist die Kleiderfrage schnell geklärt. Meine Warmhaltesachen kann ich in einem separaten Zelt erfreulicherweise zur Aufbewahrung geben, dann stehen 306 Männlein und Weiblein zum ersten Start des Tages parat (von denen nur 271 ankommen sollten), viele weitere werden bei den anschließenden Wettbewerben (14,9 km-Lauf und -Walking, 22,2 km-Lauf und –Walking, geführte 6 km-Wanderung, Bambini-, Schüler-, 6 und 10 km-Läufe bzw. –Walking sowie mehrere Mountainbike-Rennen) im Laufe des Tages folgen. Ein sportliches Fest also für die gesamte Familie, ein schönes, aber organisatorisch auch aufwendiges Angebot.

Kaum stehe ich in der Aufstellung, fällt auch schon der Startschuß. Noch während ich die ersten Fotos mache, fällt mir auf, daß ich meine Uhr weder vorbereitet noch gestartet habe. Also wenn ich jemals wirklich tiefenentspannt war, dann heute! Erstaunlicherweise läuft die Uhr ruckzuck, hier scheint es auch Satelliten zu geben… Angekündigt haben sie uns heute jede Menge Höhenmeter, davon ist auf den ersten km so gut wie nichts zu bemerken. Vorbei u.a. an der Unterkirche St. Marien (es gibt auch eine Oberkirche mit dem zweitschiefsten Turm Deutschlands) laufen wir langsam zuschauerumtost aus der Stadt heraus. Gut, einige wenige Fans wurden wirklich gesichtet, aber vielleicht war die Stunde einfach noch zu früh.

 

Einlaufen zur Barbarossahöhle


Exakt über die Landstraße, die Günter, mich und einige andere heute Morgen aus Kelbra nach Bad Frankenhausen geführt hat, laufen wir uns warm. Das große Werbebanner, das ich mir auf der Herfahrt zu fotografieren geschenkt habe, kann ich jetzt in aller Ruhe knipsen. Die ersten vier km auf eben dieser Landstraße sind prima und flott zu laufen, lassen überhaupt nicht erahnen, was uns im Laufe der nächsten Stunden Interessantes erwarten sollte.

Nach etwa vier km biegen wir auf einen Feldweg ab, der uns zur 1865 entdeckten Barbarossahöhle bringt. Leider ist deren Besichtigung nicht vorgesehen, daher entgehen mir die weiten Hohlräume, Grotten und Seen, die sie birgt. Zu besichtigen sind auch Tisch und Stuhl von Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Der Sage nach soll er in einem unterirdischen Schloß solange schlafen, bis Deutschland geeint ist, sein Bart wächst um einen runden Tisch. Bis jetzt reicht er zweimal herum, doch wenn er die dritte Runde beendet hat, beginnt das Ende der Welt oder Barbarossa wacht auf und beginnt seine Herrschaft erneut. Und es heißt, bis dahin werde kein guter Kaiser mehr kommen. Wie auch immer, zur Wende und Wiedervereinigung 1989/90 ist er nicht aufgewacht, hat wohl zu tief geschlafen.

Wir kehren auf die gleiche Landstraße zurück, die in uns in teils weiten Bögen zur Ortschaft Steinthaleben am Südwestrand des Kyffhäusers bringt. Es wird bereits schön warm, daher greifen wir bei der ersten Verpflegungsstelle schon tüchtig zu. Kurz bevor die Straße sich zum Stausee Kelbra (der übrigens zu großen Teilen bereits zu Sachsen-Anhalt gehört) hin absenkt, biegen wir nach rechts ab und haben ab jetzt Wald und Gebirge im Visier, in das wir kurze Zeit später eintauchen. Von der Feuerwehr gut versorgt, machen wir auf einem breiten Schotterweg jede Menge Höhenmeter gut und leisten uns, zumindest in meiner Preisklasse, auch einige Geh-Meter. Wobei der Anton sich gut vorbereitet hat, denn er erklärt seinem erschrockenen Mitläufer, daß der etwas Verbotenes tut, denn schließlich befindet er sich auf dem RENNweg.

Derart beschämt natürlich wieder in den Laufschritt gefallen, taucht vor mir bald der 94 Meter hohe, von 1959 bis 1964 errichtete Fernmeldeturm (Sender Kulpenberg, 474 m ü. NN), der höchstgelegene Punkt des Laufs, auf.  Zu DDR-Zeiten bot er in 78 Meter Höhe ein Turmrestaurant mit 74 Plätzen, mit etwa 200.000 Touristen jährlich war er damals ein wahrer Besuchermagnet. Heute von Deutschen Telekom betrieben ist er der Öffentlichkeit nicht mehr zugänglich. Zum ersten Mal versorgen uns die überall gut gelaunten Kameraden von der Bundeswehr mit allem Lebensnotwendigen, bevor es über ein kurzes Pendelstück weiter in den Wald geht. Sehr schön ist der Trampelpfad, der sich uns jetzt bietet, genau das Richtige für meines Vaters Sohn, so liebt er das. Eine ganze Reihe von Höhenmetern verlieren wir dabei.


Rotbart naht


Schneller als gedacht ist dank abwechslungsreicher Landschaft und guter Gespräche die Halbzeit erreicht, als die Denkmalspitze erstmals über die Baumwipfel lugt. Bevor wir verlorene Höhenmeter wieder gewinnen müssen, dürfen wir einige schöne geschnitzte Skulpturen im Gastronomiebereich erleben. In voller Pracht können wir das Denkmal dann beim Hochlaufen bewundern, schnellere Läufer kommen uns bereits wieder entgegen. Stolze 7,50 € kostet der Besuch sein Besuch normalerweise, da zeigen die Ossis auch keine Angst, aber der Unterhalt verschlingt nicht wenig Geld und womit will man in dieser Ecke Geld verdienen, wenn nicht mit Tourismus?

Es macht schon etwas her, das Ungetüm aus Buntsandstein, schön ist es anzusehen. Zu Ehren Kaiser Wilhelms I. zwischen 1890 bis 1896 errichtet, ist es mit seinen 81 m Höhe nach dem Völkerschlachtdenkmal in Leipzig und dem Kaiser-Wilhelm-Denkmal an der Porta Westfalica das drittgrößte Denkmal Deutschlands. Im Sockelbereich befindet sich eine 6,5 m hohe Figur des Kaisers, der soeben zu erwachen scheint. Darüber befindet sich ein 11 m hohes Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I; der Reichseiner wird damit quasi als natürlicher Erbe seines Vorgängers als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation gezeigt.

Ganz wichtig ist es, sich hier den Stempel auf der linken Hand abzuholen, ohne den es im Ziel keine Medaille gibt. Genauso wichtig ist auch der Blick ins Tal, denn der ist wirklich schön. Und am allerwichtigsten ist an der hiesigen Verpflegungsstelle der Schleim, an dem in Ossiland kein Weg vorbeiführt. Ich bin sein erklärter Fan. Wie z. B. am Brocken und beim Rennsteig mit Früchten versetzt, ist er noch leckerer. Wenn ich mich recht entsinne, gab’s hier auch einen Hopfenblütentee, den ich nicht verschmäht habe, da bin ich mir allerdings ganz sicher!

Bergab führt der schöne Waldweg an der mittelalterlichen Kyffhäuser-Unterburg als Teil der in der Regierungszeit Friedrich I. Barbarossa (1152-1190) vollendeten ehem. Reichsburg Kyffhausen auf 440 m ü. NN vorbei. Ein paar Asphaltmeter müssen wir überstehen, dann dürfen wir wieder in den Wald abbiegen, leicht abwärts läßt es sich gut ausschreiten. Anton fotografiert ein paar Blümchen – denke ich, aber der pflückt sie und steckt sie sich ins Stirnband, ein echter Tünnes eben!

Unaufgeregt geht es weiter durch den schönen Forst, immer wieder erwärmt die Sonne, die noch genügend Platz durch die noch gering belaubten Äste findet. Waren bisher die km-Markierungen alle 5 plaziert, dreht sich das ab 27: Zur emotionalen Stärkung wird ab sofort jeder km einzeln rückwärts gezählt, auch wenn ein Witzbold das mit einem traurigen Smiley kommentiert. Gut, 15 km können sich ja in der Tat noch lange hinziehen.

Am nächsten VP steht wieder die Bundeswehr, wie die Pfadfinder allzeit bereit. „Wen von Euch soll ich denn im Verteidigungsministerium namentlich besonders positiv erwähnen?“ Wie aus der Pistole geschossen kommen drei Namen, schlagfertig sind sie, so mag ich das. Eine besondere Stelle wartet etwa beim 30. Km, hier kann man sehr schön seine Mitstreiter vor der Kulisse des Denkmals im Hintergrund ablichten. Ein paar dieser Motive einzufangen, sind mir drei, vier Minuten Wartezeit wert. Die braucht es, denn das Feld ist schon sehr weit auseinandergezogen.

 

Schwere Kilometer auf dem Rückweg

 

Immer wieder ins Schwarze trifft mein flotter Spruch, wenn ich an häufig gleichermaßen beliebten wie beleibten DRK-Freiwilligen vorbeikomme und sie frage, ob sie denn noch könnten, sie wirkten so ermattet. Da kommt jedes Mal Bewegung in die netten Helfer und ein breites Grinsen zurück. Den Wald verlassend komme ich talwärts in Richtung der Ortschaft Udersleben und frage dort die Motorradfahrer, ob man sie für die letzten km mieten könne. „Klar“, kommt es grinsend, „für 50 € gerne!“ Nee, dann quäle ich mich doch lieber zu Fuß weiter. In der Dorfmitte sitzen, wie in jedem Jahr, fast reinrassig die Männer auf der linken, die Frauen auf der rechten Seite. Nachdem ich die Szenerie kommentiert und abgelichtet habe, werde ich von links auf diese Geschlechtertrennung aufmerksam gemacht. Jetzt will ich aber genau wissen, warum das so ist. Ganz einfach: „Die Frauen sitzen auf der Sonnenseite!“, kommt es von rechts. Wer behauptet da noch, die Männer seien intelligenter?

Der „Berglauf-Musikexpress“, der uns vom Anhänger schon an der Unterburg Beine gemacht hat, versucht sich mit Blick auf unser Jubiläumsshirt in der Kommentierung: „Und hier haben wir 10 Jahre, Marathon, äh, also, schön, daß wir 37 Jahre Berglauf haben!“ Die gute Absicht ist es doch, die zählt. Steil führt der Weg aus dem Ort zum kleinen Bad Frankenhäuser Flugplatz hinaus, der Wind bläst genau von vorne und saugt die letzten Kraftreserven aus den Knochen. Verlockend liegt uns der Duft von Grillwürstchen in der Nase („Du machst es am intelligentesten von uns allen!“), dann haben wir irgendwann einmal den windanfälligen Teil hinter uns und verschwinden erneut im Wald. 

Die Hoffnung auf ein leichtes Restprogramm zerschlägt sich schnell, das Geläuf wird immer schwieriger. Stark ausgewaschene Wege mit groben Steinen erzwingen große Aufmerksamkeit und höheren Krafteinsatz, als uns lieb sein kann. Das von den Einheimischen liebevoll „Elefantenklo“ genannte Museum, das wir passieren, beherbergt mit dem Bauernkriegspanorama ein monumentales Panoramabild über den Bauernkrieg.  1976 bis 1987 erstellt, erinnerte es ursprünglich an den Deutschen Bauernkrieg sowie den Bauernführer Thomas Müntzer und  zählt mit einer Fläche von 1722 m² zu den größten Tafelbildern der Welt.

Optisch nach wie vor attraktiv, aber mit müden Beinen unverändert anspruchsvoll zu laufen sind die letzten km zurück in die Mitte Bad Frankenhausens. Schöne Blicke kann man zur linken Seite über die Hausdächer erhaschen, dann ist die Talsohle wieder erreicht und der letzte km ausgeschildert. Die potentiell jubelnden Massen sitzen entweder noch beim Frühstück, schon beim Mittagessen oder nehmen selber an einem der zahlreichen alternativen Wettbewerbe teil. Jedenfalls ist das allgemeine Interesse an meiner Zielankunft überschaubar, was mich aber in Anbetracht der sehr schönen Medaille in Denkmalform, die man mir schlußendlich um den Hals hängt, zu verschmerzen ist.

Die wirklich gute und reichhaltige Zielverpflegung weckt die Lebensgeister wieder und die Dusche in der unmittelbar angrenzenden Kyffhäuser-Therme wirkt Wunder. Selten habe ich eine bessere Erbsensuppe verdrückt, die mir den Abschied fast ein wenig schwer werden läßt. Eine neue, nette Ecke Deutschlands habe ich hier erstmals kennengelernt und schwöre mir, es künftig intelligenter angehen zu lassen: Das nächste Mal bringe ich meine Frau mit und verbringe das Wochenende hier, Bad Frankenhausen und seine Umgebung sind es wert.


Streckenbeschreibung:
Profilierte Runde mit 666 Höhenmetern und „Höhepunkt“ nach ca. der Hälfte am Fernmeldeturm Kulpenberg.

Startgebühr:
33 €
 
Weitere Veranstaltungen:
14,9 km-Lauf und -Walking, 22,2 km-Lauf und –Walking, geführte 6 km-Wanderung, Bambini-, Schüler-, 6 und 10 km-Läufe bzw. –Walking sowie mehrere Mountainbike-Rennen.

Auszeichnung:
Medaille, Urkunde übers Netz.

Logistik:
Hervorragend und alles Notwendige in unmittelbarer Nähe gelegen.

Verpflegung:
Ca. alle 5-10 km. Gereicht werden Wasser, Tee, Iso, „Schleim“, Butterbrot, Bananen und Äpfel. Inoffiziell auch das bayerische Grundnahrungsmittel.

Zuschauer:
So gut wie keine.

 

Einen weiteren Bericht und  Bilder
gibt es hier auf Trailrunning.de

 

Informationen: Kyffhäuser Bergmarathon
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