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Laufberichte

Biel und mein Jahresbuch: Dream it - do it

14.06.08

Sommer 2003

Ich bin in Davos angemeldet, C30 (=30km). So weit bin ich noch nie gelaufen. Start in Davos, Ankunft in Filisur. Beim Einlaufen beschließe ich, nie mehr zu laufen, nie mehr meine Laufschuhe anzuziehen und nie mehr so zu leiden.

Auf der Rückfahrt erzählt ein Läufer von Biel, 100km. Ach Gott denke ich, was ein Unfug. Was Menschen sich so einfallen lassen, wenn ihnen offensichtlich nichts Besseres zur Verfügung steht!?

Sommer 2004

Wieder Davos. Ich laufe immer noch. Diesmal den C 42. Auf der Rückfahrt erzählt ein Aussteiger aus dem K78, der in Bergün raus musste, dass er doch „Biel“ als Vorbereitung gebraucht hätte. Ich höre zu, da ich nicht weghören kann und er erzählt vom „göttlichen Nachtlauf“, der Freude am Sonnaufgang und dem km Schild 96.

So sehen sie also aus, Menschen, die Biel laufen... eigentlich ganz normal und sympathisch. Ich verstehe es dennoch nicht!

Sommer 2005

Davos K42. Mit Mühe und Not schleppe ich mich über die Keschhütte zum Scalettapass und komme noch vor dem Nachtwächter in Davos an. Am Abend bekomme ich das Magazin „Swiss Runners“ in die Hände und da ich weder schlafen noch essen kann, blättere ich es durch. Und da stoße ich auf den Bericht über Biel. Schreibt da einer, dass es „ das Erlebnis, ein Traum, eine Freude“...usw sei. Er wird von einem Freund begleitet, dem er verspricht, dass alles, was während des Laufes ge- und versprochen, gebrochen, beschimpft oder befleht wurde, nach dem Lauf vergessen ist.

Ich lese erst leicht unmotiviert, dann etwas schneller und dann sogar laut, damit auch mein Mann diese Geschichte hört.

Er schüttelt den Kopf, bezeichnet es als Wahnsinn und vergisst Biel. Ich dagegen weiß: Das mach ich auch, da will ich hin, das schaff ich... eines Tages...

Sommer 2006

Davos K78. Viele Mitläufer warnen am Tag davor: Ohne Biel ist das nicht zu schaffen. Ich komme durch. Grad so!


Sommer 2007

Davos K78. Ich muss aus dem 78iger in Bergün raus. Und da weiß ich es sicher: Biel muss wohl als Vorbereitung sein.

Ab diesem Zeitpunkt „schleiche“ ich mich auf Marathonmessen immer an die Werbestände von Biel heran, ein Prospekt nehme ich nie mit, aber schauen kann man/frau ja mal. Und einmal sogar, ich erinnere mich an Lausanne, da hab ich vollmundig zu einem Vertreter aus Biel gesagt, dass das „mein Lauftraum“ sei, das werde ich mal machen....irgendwann einmal!

Januar 2008

Mein Mann erzählt mir, dass er uns für Biel angemeldet hat. Es sei ja immerhin dieses Jahr das 50. Jubiläumsjahr. Eine tolle Sache usw. Er, der mir immer erzählt hat, was für ein riesiges mentales Problem das sei bei Nacht zu laufen, er, der sagte, dass 100km verrückt seien, wenn man nicht mal einen anständigen Marathon (wie ich) laufen könne.

Ich bin erstarrt. Biel und angemeldet, das ist wie ein Frevel, wie ein Gotteslästerung. Biel, da laufen die Großen, die wirklichen Läufer, nicht solche Feierabend - Dabberles wie ich. 

Aber in Anbetracht dieser Vorstellung fange ich auch schon im Januar an im Wald mit den Hunden herumzuflitzen.

24. Mai 2008

Mannheim Marathon. Auf der Marathonmesse treffe ich einige „altbekannte Läufer“. Und da erzählt mir doch so ein Veteran, der in einer andern „Liga“ läuft als ich, dass er diesen Lauf nur als Vorbereitung für Biel sieht. Ich nicke freundlich und trotte davon. Lieber Himmel, so einer läuft Biel und ich bin angemeldet. Ich schäme mich ob meiner Anmeldung.

Treff ich doch den Nächsten, der mir gleiches erzählt, Vorbereitung Biel usw. Jetzt werde ich mich abmelden, das entscheide ich in dieser Sekunde.
Beim Dritten der mir Gleiches erzählt, 10 Minuten vor dem Start, dem brumme ich vollmundig entgegen: „Auch für mich ist das hier doch nur ein Trainingslauf für Biel.“

Und dann ist Biel da.

Wir fahren am Donnerstagnachmittag los. Als das Navigerät anzeigt, dass es noch 100 km nach Biel sind, werde ich sichtlich nervöser. Schon im Auto ist das eine beachtliche Strecke. Kaum daran zu denken, dass man das laufen kann. In einer Nacht! Wir finden einen  Camperplatz in der Nähe des Zieleinlaufes. Das ist wichtig, da sich keiner vorstellen kann, wie ich nach km 100 noch zu bewegen sein werde, ein paar Schritte zu laufen. Das ist bei mir immer so. Auch beim Einkaufen parke ich immer direkt vor dem Laden, weil ich doch so ungern unnötig zu Fuß gehe.

In Biel ist Platz, da kann man an der Startstrecke parken, campen auf grüner Wiese.

Und dann der Freitagmorgen. Eine Unruhe treibt mich um, eine Spannung, die mich dazu bringt, nicht einmal eine Miene zu verziehen. 

Aber ich bin nicht alleine. Ein Läufer, der neben uns campt, steht innerhalb von 1 Stunde am Nachmittag 12 mal von seiner Isomatte auf, setzt sich ins Auto, legt sich ins Auto, legt sich wieder auf die Matte, mixt seinen Drink, legt sich wieder hin usw. Beruhigend ist das schon, das Zählen meinerseits.


Und dann der Start mit einer Masse an Läufern. Ich starte relativ weit hinten und lass mich von den Zuschauern in die Nacht tragen. Was ein erhebendes Gefühl hier in Biel dabei zu sein. Gänsehaut und Glücksgefühl. Jetzt heißt es durchkommen.

Natürlich kommen bei km 1 die wohl obligatorischen Sätze: „Bis jetzt ging alles gut. Ist es noch weit? Wann gibt es was zu Essen!“

Hinaus in die Nacht, ausgerüstet mit der Stirnlame und viel Mut in den Beinen vergehen die Stunden wie im Flug. Nachdem die Radbegleitungen nach km 20 bei Lyss mit auf der Strecke sind, hat die Nacht die Läufer geschluckt. Man sieht nur noch die Stirnlampen, wie eine Kette reihen sie sich auf. Was machen aber die Läufer ohne Stirnlampe? Ich kann mir das auch im Nachhinein nicht vorstellen, da ich die Wege durch die Wälder als „sackdunkel“ bezeichnet habe. Man ist auf sich gestellt, gedanklich die Augen nach innen gerichtet. Mir fallen plötzlich Dinge und Bilder ein, die ich als längst verloren gesehen habe.


Bewegend der Zeitpunkt des Überlaufens der Marathondistanz. Und der daran anschließende Gedanke, dass das noch nicht einmal die Hälfte ist. Aber es geht erstaunlich leicht. Ich kann es fast nicht fassen, wie ich mich immer noch bewege. Der Wille durchzukommen treibt mich in der Nacht. Es verleiht mir ein erhebendes Gefühl an dunklen Häusern vorbeizulaufen, in denen andere schlafen. Es ist einfach ein gutes Gefühl in der Nacht mit dieser Herausforderung alleine zu sein.

Ich habe mir vorher eingeprägt, wann die Verpflegungsstationen kommen. Nicht etwa, weil ich sie ob meiner Geschwindigkeit hätte übersehen können, nein, nur weil ich mich gedanklich dort regenerieren kann. Und dann fängt man Kilometer vorher schon an, sich auf Bouillon mit trockenem Brot zu freuen. Den Geschmack hat man schon vorher im Mund und kann es kaum erwarten.


Aber Verpflegungsstation heißt auch „super gute Stimmung“. Überall ist Party, Jung und alt zusammen, freundliche Helfer, die nachfragen, ob man das ernst meine mit den 100 km und Verpflegungsstadion heißt: Bouillon. Mit frischem trockenem Brot! Ein Fest der Sinne, es berührt alle Sinne.

Das Laufen in den Sonnenaufgang ist bewegend. Zwar dachte ich, während des Laufes ohne jegliches Zeitgefühl, dass die Lichter über Bern jetzt gleich die Sonne nach sich ziehen müssten. Aber dann kam sie und führte uns immer noch hellwach über die Strecke.

Überschreiten der 50 km Marke: Bald sind wir daheim!


Alles wir ruhiger, besonnener aber auch müder. Meine Laune ist auf einem Hochpunkt als wir den berühmten Ho –Chi-Minh Pfad an der Emme entlang durchlaufen. 

Und immer noch Party bei den Trinkstationen. Aufgrund der Musikrichtung und der Tanzfreudigkeit der Helfer und Zuschauer ist davon auszugehen, dass sie schon länger da sind. Und wir werden als Helden gefeiert. Oder war es eher so, dass ich mich als solcher fühlte, egal was außen rum geschah. Egal, oder?

Und wir liefen weiter. Immer noch weiter, für mich super gut in der Zeit, km 70, 75, 80 keine Schmerzen, keine Müdigkeit und kein Motivationsverlust. Gute Laune pur. Ich war die Triebfeder, der Tempomacher in unserem Couple, konnte das Tempo gleichmäßig halten, Motivation wecken, Müdigkeit durch Pausen ausgleichen und regelmäßig beim Anlaufen hoch zählen; 5-4-3-2-1- wir traben los... es funktioniert.

Woher diese Kraft? Es war einfach „meine Nacht“.

Ich staune selbst, warte im Innersten ganz versteckt auf den Einbruch. Und tatsächlich, bei km 87 kann ich kaum noch anlaufen. Mir fehlt das Wasser und der Weg an der Aare entlang gestaltet sich als zermürbend.

Umdrehen lohnt sich nicht, wird mir versichert und ich kämpfe mit Thomas die letzten km gegen den Schmerz. „Nett“, dass es bei ca. km 91 nochmals aufwärts geht. Aber es ist mir grad egal. Wir gehen und lassen viel, viel Zeit auf der Strecke. Aber Biel kann ich schon sehen.


BIEL. Nach meinem ersten nächtlichen 100km Rundkurs. Das wird mir niemand nehmen. Und die Zeit? Ist das nicht egal?

Ich wollte nur lächelnd einlaufen. Und es ist mir geglückt.

Ausklang:

Laufe ich doch  nach der Dusche zum Camper. Rede hier und da ein paar Worte und da erzählt mir ein Mitläufer, dass er vor 18 Jahren schon mal hier gelaufen sei und dann mit dem Triathlon angefangen und es bis nach Hawaii geschafft habe... 

Ach Gott denke ich, was ein Unfug. Was Menschen sich so einfallen lassen, wenn ihnen offensichtlich nichts Besseres zur Verfügung steht!?....

P.S.

Ich möchte aber noch meinem lieben Läuferfreund danken, der immer unbenannt bleiben will. Er hat mich jetzt schon über Jahre über Mails aufgebaut, wir sind nur einen Lauf zusammen gelaufen. Er hat sogar über das Internet meinen Laufstil korrigiert, hat mich immer motiviert, wenn ich nicht mehr an läuferische Ziele glaubte. Leider war er verletzungsbedingt dieses Jahr nur als Fahrradbegleitung in Biel. Aber ohne ihn hätte ich das nie geschafft. Danke, lieber Freund!

 

Informationen: Bieler Lauftage
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