Es gibt untrügliche Zeichen, dass es Frühling ist. Die Vögel zwitschern, Schneeglöckchen blühen und jeder zweite Werbespot im Fernsehen hat mit Fitness, Figur oder Diät zu tun. Darüber können die am zweiten Sonntag im März in Kandel in der Startzone des Bienwald-Marathons stehenden Läufer nur grinsen. Mit einem Body-Mass-Index deutlich unter dem Bundesschnitt hat man hier ganz andere Zahlen im Kopf. Wo stehe ich und welche Zeit kann ich angehen, frägt sich der Läufer vor dem Bienwald-Marathon. Klarheit über die aktuelle Form bringt nur die Teilnahme an einem der ersten Marathons des Jahres, liebevoll „Frühjahrsklassiker” betitelt.
Fast 1.800 Läufer folgten dem Ruf und fanden den Weg in die Bienwaldstadt. Bei herrlichem Sonnenschein und perfekter Temperatur erinnert das Bild vor dem Startbogen an ein buntes Tulpenfeld. Überhaupt hatte der Veranstalter dieses Jahr Mut zur Farbe bewiesen und ließ die Farbe des Finisher-Shirts erstmals per Abstimmung auf Facebook die Läufer(innen) selbst auswählen. Ergebnis der Abstimmung war ein pinkfarbenes, doch eher feministisch anmutendes Shirt, das die Frauen entzückte und den Männern ein Mitbringsel für ihre Partnerinnen bescherte.
Pünktlich um 10 Uhr schickten im Beisein des ehemaligen Landesvaters Kurt Beck, Stadtbürgermeister Günther Tielebörger und Landrat Fritz Brechtel die bunte Läuferschar mit dem Startschuss auf die Strecke. Läufer aus 20 Nationen, darunter ein ganzer Bus aus der Partnerstadt Reichshoffen, enteilten Richtung lichtdurchflutetem Bienwald.
Der Halbmarathon war dieses Jahr dominiert von Debütanten. Alle drei Erstplatzierten, sowohl Männer als auch Frauen, liefen zum ersten Mal in Kandel. Bei den Männern bildete sich vom Start weg eine Dreiergruppe an der Spitze. Mit den beiden favorisierten Läufer aus Eritrea konnte bis KM 18 nur der für die LG Braunschweig startende Andreas Kuhlen mithalten. „Leider boten die beiden Läufer nur einen kleinen Windschatten und nach einer Tempoverschärfung 3 Kilometer vor dem Ziel, war der auch weg”, gab Andreas im Ziel zu Protokoll. Mit seiner Zeit von 1:09:10 h lag er nur 14 Sekunden hinter dem Sieger Addisu Tulu Wodajo. Zweiter wurde Getachew Endisu mit einer Zeit von 1:09:04 h.
Auch im Frauenwettbewerb ging der Sieg über die Grenze, wenn auch nicht so weit weg wie bei den Männern. Latifadie Schuster (ASL Robertsau) aus Frankreich freute sich im Ziel nicht nur über den Sieg, sondern auch über eine neue persönliche Bestzeit. Bei 1:18:54 h blieb bei ihr die Uhr stehen. Ihr folgte, mit einer Zeit von 1:23:49 h, die Schweizer Grundschullehrerin Corinne Grieder auf dem zweiten Platz. Extra der flachen Strecke wegen nahm sie die Fahrt von Basel aus auf sich und zeigte sich im Ziel begeistert von Strecke und Organisation des Laufs. „Es hat sich gelohnt“, so ihre Worte.
Der Marathon hat mit dem Favoriten und letztjährigen Halbmarathonsieger Simon Stützel (Landau Running Company) den mit Spannung erwarteten Sieger gefunden. Selbst ein Magen-Darm-Infekt konnte ihn nicht bremsen. Mit einer Zeit von 2:28:50 h unterbot er den Vorjahressieg von Richard Schumacher um fast 2 Minuten. Der zeigte sich im Ziel als fairer Sportsmann und gönnte dem angeschlagenen Erstplazierten den Sieg.
Eine beeindruckende Leistung zeigte auch die Siegerin der Frauenwertung. Locker und leichtfüßig passierte die Finnin Nina Chydenius in 2:50:13 h die Ziellinie. Eine Zeit, die man in Kandel schon lange nicht mehr gesehen hat. Die eigentlich auf der Mittelstrecke erfolgreiche Finnin bereitet sich mit Langstrecken auf die finnische Meisterschaft vor. Über die 10.000 Meter auf der Straße hat sie eine Zeit von 35:30 Minuten stehen und will sich bei den nächsten Meisterschaften eine Medaille sichern. Beruflich gerade für zwei Jahre mit Mann und Kind in Stuttgart beheimatet, nutzte sie das Wochenende in der Pfalz, um mit ihrem zweiten Marathon ihre Bestzeit gleich um 13 Minuten zu verbessern. Nächstes Jahr will sie wieder kommen, so ihr Versprechen nach dem Lauf.
Den zweiten Platz mit einer Zeit von 3:00:30 h sicherte sich die 25 Jahre ältere Nina Chydenius vom VfB Friedrichshafen. Eigentlich wollte sie bei ihrem vierten Marathon nur unter 3 Stunden laufen, wie sie es schon zweimal in Berlin geschafft hat. Ihr Primärziel knapp verfehlt, war sie doch sehr überrascht und hoch erfreut Zweitplatzierte des Laufs zu sein. In Berlin wäre das natürlich nicht passiert – Kandel hat eben auch Vorteile!
Die in den Bienwald-Marathon eingebundene Pfalzmeisterschaft versprach ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen dem Titelverteidiger Michael Ohler vom gastgebenden TSV1886 Kandel und BWM-Sieger 2015 Oliver Trauth vom TV Herxheim zu werden. Bis zum Wendepunkt in Schaidt bei KM 18 war das auch der Fall. Dann musste der mit einer Achillessehnenreizung angetretene Oliver Trauth das Tempo reduzieren, um den Lauf überhaupt beenden zu können. Michael Ohler nutzte die Chance und konnte mit einer Zeit von 2:40:18 h die Pfalzmeisterschaft verteidigen. Der diesjährige Motivationsspruch „Frankfurt + Leipzig = Kandel“, eine Erinnerung an seine beiden erfolgreichsten Läufe, scheint wieder funktioniert zu haben. Nächste große Herausforderung für ihn ist der „Western States Endurance Run“, ein 100 Meilen Trail mit brutalen Steigungen gelaufen in der Kalifornischen Gluthitze.
Wie bei den Männern konnte auch die amtierende Pfalzmeisterin ihren Titel erfolgreich verteidigen. Jessica Göttel, startend für den 1. FC Kaiserslautern, zeigte sich mit ihrer Zeit von 3:32:23 h unzufrieden und rechnete nicht damit ihren Titel verteidigen zu können. Aber unverhofft kommt oft und kann auch Spaß machen.