Immer am zweiten Wochenende im März ist in Kandel Bienwald-Marathon. Schon zum 48. Mal lädt die kleine Gemeinde in der Südpfalz zu dem überregional bekannten Laufevent ein. Der beeindruckende Bienwald mit seiner atemberaubenden Tierwelt bietet einen großartigen Rahmen für außergewöhnlichen Sport im Großraum Karlsruhe. Bis nach Frankreich sind es auch nur 19 Kilometer. Traditionell eignet sich die flache Strecke optimal für eine Standortbestimmung eigener Leistungsfähigkeit in der anstehenden Saison.
Norbert und ich stecken in der Autoschlange der Parkplatzsuchenden – wie in alten Zeiten. Streckenposten halten die Blechlawine in Zaum, geordnet bekommen wir einen Parkplatz auf der Wiese hinter dem Freibad. Trotz warmer Jacke ist uns kalt. Den relativ weiten Weg zur Halle nutze ich zum Warmlaufen. Norbert, immer noch verletzt, kommt langsam nach.
In der Bienwald-Halle ist es brechend voll. Die vergangenen Jahre der eingeschränkten Kontakte erscheinen dagegen wie ein dunkelgrauer Alptraum. Schnell hole ich meine Startnummer, Norbert übernimmt es, draußen im Zelt mein T-Shirt auszusuchen. Es ist in diesem Jahr rot - genau meine Farbe.
Die Wahl der passenden Laufkleidung ist für mich eine Herausforderung. Der Wetterbericht kann sich nicht entscheiden: Regen oder nicht - Temperaturen zwischen 4 und 8 °C. Was soll ich anziehen? Dass ich nur den Halbmarathon laufen will, macht es nicht besser. Ich entscheide mich für Langarmshirt mit Weste, leichte lange Hose, aber Handschuhe, dafür keine Kopfbedeckung. Hoffentlich geht das gut.
Weil es leicht nieselt, bleiben wir so lange wie möglich im Trockenen. Unsere Lauffreundin Kati will noch ihre Tasche in der Halle gegenüber abgeben. Deshalb bewegen wir uns dann doch 10 Minuten vor 10 Uhr Richtung Start auf die Straße vor der Halle.
Wir treffen ein paar Bekannte und die Zeit vergeht wie im Flug. Zu spät erkenne ich, dass wir im Startblock viel zu weit vorne stehen. Das lässt sich nun nicht mehr ändern, denn schon wird heruntergezählt, die Drohne über dem Startbogen ist bereit, der Startschuss ertönt. Pünktlich öffnet der Himmel seine Schleusen, und während der Laufpulk mit gemächlichen Schritten die ca. 20 Meter bis zum Startbogen geht, werde ich klitschnass. Langsam setzen sich die Läufer vor mir in Trab, dann geht es los.
Ich genieße den Applaus der Zuschauer und die Anfeuerungen des Moderators. Schon nach den ersten Kurven windet sich weit vor mir ein bunt gepunkteter Bandwurm durch die grauen Regenschleier. Es sind über 1.500 Starter; knapp ein Drittel davon Marathonis.
Während ich meine Kleiderwahl verfluche, mir ist wegen des Regens ein wenig kalt, muss ich ein für mich annehmbares Tempo finden. Die Kollegen sind viel zu schnell, daher versuche ich, sie nicht zu behindern. Es geht nach Kandel hinein. Die vielen Schlachtenbummler, die sich vom schlechten Wetter nicht abschrecken lassen, sind einzigartig.
Zwischen den Häusern scheint der Regen nachzulassen. Am Ortsausgang biegen wir auf die gesperrte B427 ein. Hier ist freie Fläche, ungemütlich weht der Wind mit Niesel durchmischt. Die Windräder rechter Hand sind im Nebelgrau verschwunden. Gerne hätte ich mich hinter Mitstreitern versteckt. Die sind aber immer noch viel zu schnell, so dass ich nicht hinterher laufen kann. Schutz bieten erst die Häuser von Minfeld, wo uns die Zuschauer wieder anfeuern.
Die erste VP lasse ich aus, bei diesem Wetter brauche ich noch nichts zu trinken. Es geht erneut aufs freie Feld hinaus. Ungefähr bei km 6 verlassen wir die Straße und biegen auf einen schlecht asphaltierten Wirtschaftsweg ein. Bald erreichen wir den Wald, der Niesel hört auf und es ist nahezu windstill. Ich bin mittlerweile auf Betriebstemperatur und kann sogar auf die Handschuhe verzichten. Darüber hinaus habe ich nun auch meinen Platz im Feld gefunden. So kann es weiter gehen.
Bei Kilometer 7 stehen ein paar Zuschauer mit lauten Glöckchen, sichtlich gut gelaunt. Etwas weiter in einer weiten Rechtskurve am Naturfreundehaus ist richtig Stimmung. Norbert hat sich ebenfalls hier postiert, und macht Fotos. Ich fühle mich gut!
Wir laufen jetzt auf der rechten Straßenseite, denn links werden die führenden Halbmarathonläufer erwartet. Die ersten drei haben beachtlichen Vorsprung, bevor schließlich weitere Schnelle folgen. Ich freue mich schon, wenn ich später an dieser Stelle sein werde. Von hier sind es nur noch ca. 5 km bis ins Ziel
Die K16 biegt auf die deutlich breitere K15 ein. Hier kommen mir bereits die führenden Frauen entgegen. Langsam wird das Feld der Entgegenkommenden immer größer. Die VP auf der gegenüberliegenden Straßenseite unterhält uns mit lauter Musik. Trotz der endlos scheinenden geraden Strecke, ist es nicht langweilig. Beim Beobachten der Entgegenkommenden versuche ich mein Tempo zu kontrollieren. Da ist ein gewaltiger Unterschied in Bewegung und Laufstil der Sprinter auf der anderen Seite und meiner eigenen Leistung. So leicht kann Laufen aussehen.
Vor mir taucht jetzt eine Zeitmessung auf: km10. Meine Uhr sagt, dass ich bisher viel zu schnell gelaufen bin. Das ist nicht gut. Aufgrund meiner anhaltenden Achillesbeschwerden habe ich seit Herbst einen Schongang eingelegt. Ich bin hier mit unverschämt wenig Training an den Start gegangen und habe mir deshalb einen Plan zurecht gelegt, mit dem ich einigermaßen unbeschadet das Ziel erreichen kann.
Also nehme ich erst mal Tempo raus. An der VP greife ich einen Becher Tee. Oh, ist der aber heiß. Ich trinke ein paar Schlucke. Hinter km 13 liegt der Wendepunkt. Bis dahin habe ich ein kurzweiliges Gespräch mit einem Marathonläufer, der auch wegen Verletzung nur auf halber Distanz unterwegs ist. Er ist etwas schneller, daher lasse ich ihn ziehen.
Jetzt geht es zurück – psychologisch super, denn ich kann nun sehen, wer noch so hinter mir ist. Einige der Marathonläufer kenne ich, wir begrüßen uns und klatschen ab. Ich konzentriere mich ganz darauf, ein komfortables Tempo zu halten. Schon bald bin ich dort, wo gegenüber die Zeitmessung für km 10 liegt. Also habe ich weitere 3 Kilometer geschafft.
Jetzt erreiche ich die VP mit der lauten Musik. Die Helfer sind super drauf und der Tee ist auch nicht ganz so heiß. Mir fällt es nach dieser kurzen Pause erstaunlich leicht, wieder in Tritt zu kommen. Das läuft ja ganz gut.
Ein offizieller Fotograf stand vorhin auf der anderen Straßenseite. Er hat nun zur Gegenrichtung gewechselt und feuert mich an. Schon kann ich vor mir den Abzweig nach links auf die K16 erkennen. Beim Marathon wüsste ich, dass es nicht mehr weit ins Ziel ist. Heute allerdings habe ich vor den letzten 5 Kilometern gehörig Respekt. Jetzt nur nicht schlapp machen.
Schon seit einiger Zeit habe ich den Eindruck, dass es heller wird. Als ich den Wald verlasse, liegt die Landschaft vor mir im Sonnenschein. Ich bin froh, dass ich nicht wärmer angezogen bin.
Am Naturfreundehaus dürfen wir nun geradeaus laufen, verlassen somit den Hinweg. Damit kürzen wir gute 3 Kilometer ab. Hier liegt auch die letzte VP und einige Zuschauer harren aus. Ich werde, dank Namen auf der Startnummer, sogar persönlich angefeuert. Mit vielen guten Wünschen werden meine Mitstreiter und ich auf die letzten Kilometer geschickt. Bei km 18 verlassen wir endgültig den Wald. Es geht über weitläufige Wiesen und die ersten Häuser von Kandel kommen in Sicht. Die Sonne hat sich nun durchgesetzt.
Waren wir gerade noch einzeln unterwegs, werde ich plötzlich von einer ganzen Gruppe überholt. Ich erkenne die Fahne der HM-Pacer für 2h15. Das wäre meine absolute Wunschzeit. Wir biegen nun rechts zwischen dem wasserführenden Hintergraben und dem Floßgraben ein und laufen an der Häuserzeile entlang. Allmählich werden meine Beine schwer. Hoffentlich bekomme ich keinen Krampf.
Noch rechts auf die kleine Allee am Hubhofweg zum Sportzentrum bei km 19, dann nur noch links, schon geht es am Stadion entlang. Ein Helfer weist uns den Weg. Einer der Pacer dreht sich fortwährend um und winkt. „Schneller, schneller, das schaffst Du noch!“ scheint er zu sagen. Wenn der wüsste, dass ich meine eigene Zielzeit schon lange unterboten habe. Die Schaulustigen feuern mich ein letztes Mal an.
Wir biegen jetzt ins Stadion ein und müssen noch eine knappe Runde auf der Bahn laufen - normalerweise kein Problem. Hier bekommt das Laktat die Oberhand. Ich hab das Gefühl, meine Beine kleben am Boden fest.
Die letzten Meter – geschafft in 2:14:09. Ich bin begeistert.
Wegen Bauarbeiten ist das Stadion eigentlich für Zuschauer gesperrt. Trotzdem ist es Norbert gelungen, mich hier zu empfangen. Ich hole mir das wohlverdiente Zielbier. Anschließend stellen wir uns nochmal vor den Zielbogen. Angelika kommt eben ins Ziel während bereits die Führenden vom Marathon angekündigt werden.
Fazit:
Wir kommen immer wieder gerne in den Bienwald. Der Lauf lebt von der perfekten Organisation und den tollen Helfern, die hier ihre Zeit für die Läufer opfern und immer für eine Aufmunterung gut sind. Trotz der familiären Atmosphäre wird aber auch großer Sport geboten.
Der Lokalmatador Lennart Mies spurtet als Führender des Marathons ins Stadion, dicht gefolgt vom Triathleten Manuel Schräder, dessen Marathonbestzeit – während eines Ironman - so um die 3 Stunden liegt. Noch im Herbst beim Ironman in Hawaii durch einen fiesen Krampf ausgebremst, gibt Schräder auf der Zielgerade Gas und schiebt sich in letzter Sekunde an Mies vorbei!
2:24:09 für Schräder und 2:24:10 für Mies; Herzlichen Glückwunsch beiden Finishern und allen anderen, die heute ins Ziel gekommen sind.