Dass ich heute voller Eifer und Kampfeslust zum Leipziger Wintermarathon aufbreche, kann ich wahrlich nicht von mir behaupten! Dass ich überhaupt nach Leipzig fahre, liegt wohl nur daran, dass ich erstens keine Ausrede finde und zweitens meine Lauffreunde nicht enttäuschen will. Ich hasse Winter und noch mehr hasse ich es, im Winter durch die Gegend zu rennen.
So, damit habe ich mir den Frust von der Seele geschrieben und kann zum Laufbericht kommen. Der könnte eigentlich ganz kurz werden. Wir laufen durch den Clara-Zetkin-Park, ein normaler Stadtpark, wenn auch ein ziemlich großer. Groß ist natürlich relativ, auf jeden Fall ist er nicht groß genug, um darin einen Marathon in einer Schleife laufen zu können. Die Veranstalter von der „LG exa“ haben sich für eine 5-Kilometer-Runde entschieden, acht Mal zu durchlaufen. Und weil da noch etwas fehlt, haben sie einen Schwanz von logischerweise reichlich 2 Kilometern drangehangen…
Treffpunkt ist im Zentrum für Gesundheitssport. Ich schaue mich um, bin etwas irritiert. Da sind aber viele Läufer! Und die sind alle gut drauf – obwohl Winter ist. Im Gebäude ist alles untergebracht, was Läufer so erwarten, von der Startnummernausgabe über die Umkleide bis zur Gepäckaufbewahrung. Nach dem Lauf warten Massage, Sauna und natürlich Duschen. Und, was ja nun wirklich nicht zum Standard bei Laufveranstaltungen gehört: Ab 9 Uhr wird ein kostenfreies Frühstück serviert – Spende erbeten. Die kommt dem „Bündnis gegen Depression“ zugute. Am Ende werden über 643 Euro zusammen kommen.
Eigentlich war mir dieser Marathon schon im Vorjahr aufgefallen. Dann habe ich aber gelesen, das ist ein Teammarathon und mir gedacht, da läuft jeder nur 14 Kilometer, das ist nichts für mich. Das ist was für Weicheier…
Manchmal bin ich aber auch so was von dämlich. Denn inzwischen weiß ich, dass ist ein richtiger Marathon. Drei Läufer haben gemeinsam die 42 Kilometer hinter sich zu bringen, wie, das ist ihnen überlassen. Der wichtigste Läufer im Team ist der, der als letzter die Ziellinie überquert. Seine Zeit wird gewertet. Ich befürchte jetzt schon, heute am Ende der Wichtigste zu sein.
Es gibt Damen-, Herren- und Mixed-Teams. 78 Teams sind am Start. Wieviel Läufer das sind, könnt ihr euch selbst ausrechnen…
…denn es wird Zeit, mal unser Team vorzustellen. Das hat Substanz. Da ist Andreas Gäbler vom LRC Mittelsachsen. Andreas ist Sachsenmeister, das ist schon was! Dann haben wir den Berliner Dieter Fromme, der die Erfahrung von weit über 200 Marathons einbringt und in der Läufergemeinde als Weihnachtsmann bekannt ist. Und dann bin noch ich. Einer, der nie Sachsenmeister war und wird und nie Weihnachtsmann. Einer, der wie irre läuft, damit er endlich mal auf seinen 100. Marathon kommt. Und ein Loser ist, weil er keinen davon gewonnen haben wird. Sagt meine Frau…
Ich glaube, das schwierigste am Team-Marathon ist die Suche nach einem Namen. Wir haben lange gebraucht, bis Dieter die passende Idee hatte: Wir nennen uns Trio Chaoso! Dieter hat das nie übersetzt. Er hat aber gesagt, der Name passt zu uns…
Andere Teams waren nicht weniger einfallsreich bei der Namenssuche. Da sind „Winterschläfer“ und „Blindschleichen“ unterwegs, man wird auf „Die Fußkranken“ und „Die Schlammspringer“ treffen. Und „Flinke Vogtlandmiezen“ oder „Auewaldhexen“ hört sich auch gut an.
Der Start erfolgt unmittelbar vor dem Zentrum für Gesundheitssport. 11 Uhr – ich finde, das ist eine läuferfreundliche Zeit. Fast 78 Teams haben sich eingefunden. Fast 78 heißt nicht 77, sondern es heißt, dass da einem Team ein Läufer abhandengekommen ist. Die 069.1 fehlt – von ihm ist nur die Startnummer da. Immer wieder Durchsagen über die Lautsprecheranlage – 069.1 bitte melden! - aber 069.1 bleibt verschwunden…
3-2-1-Start, es geht los. Nach wenigen Metern geht es auf die asphaltierte Anton-Bruckner-Allee. Kilometer 1 ist noch gar nicht erreicht, da biegen wir rechts in die Karl-Tauchnitz-Straße. Hier ist für uns der Fußweg reserviert, breit genug, dass ein Team bequem nebeneinander laufen kann. Wieder rechts abbiegend erreichen wir die Pferderennbahn, folgen dem Gelände ein ganzes Stück, bis wir das Elsterflutbett überqueren und ein wenig dem Wasserverlauf folgen - an Land natürlich. Und da sind wir auch schon bei Kilometer 3. Wer angeben wollte und vor dem Rennen seine Schuhe auf Hochglanz gebracht hat, wird hier feststellen – das hätte er sich sparen können. Es folgt ein etwas schlammiges, aber kurzes Stück. Ein Kilometer asphaltierter Nonnenweg, einen knappen auf befestigtem Parkweg – dann passieren wir erstmals das Ziel!
Hier ist die Verpflegungsstelle aufgebaut, übrigens die einzige auf der Strecke. Ja, wer sich für eine intelligente Streckenführung entscheidet, kommt mit einer Verpflegungsstelle aus. Man kann es auch anders ausdrücken: Sachsen sind schlau…
Die Verpflegung ist perfekt. Tee, Cola, Iso, Kekse, Rosinenbrot - und den legendären Pfefferkuchen gibt es auch. Da fällt die Auswahl schwer. Besonders für mich, ich habe zu allem Unglück auch noch Magenprobleme…
Übrigens, Red Bull gibt es in Leipzig auch. Das wissen wir, wird da manch einer von euch denken: Fußballmannschaft, 2. Bundesliga – Tarnname: RasenBallsport. Nein, meinen Lieblingsverein meine ich nicht, sondern die richtigen Dosenhersteller. Die sind hier auch vertreten, um Flügel zu verleihen.
Nach wenigen Metern geht es auf die asphaltierte Karl-Bruckner-Allee … Aber ich glaube, das hatten wir schon, der Streckenverlauf ist geklärt. Da berichte ich euch lieber, wie wir mental die Herausforderung Wintermarathon meistern.
Wir sind ein sehr gesprächiges Team. In der ersten Runde ist Dieter der Erzähler und unterhält uns mit Episoden, sozusagen aus dem Leben des Weihnachtsmannes. Aber auch schon bevor er auf die Idee kam, die Marathonläufer im roten Gewand zu erheitern, hat der Sachen erlebt! Stellt euch mal vor, der hat doch … Aber das geht euch nun wirklich nichts an.
Runde zwei – es wird höchst politisch. Und da ist man natürlich sofort bei Pegida. Wir stellen fest, wir liegen auf einer Wellenlänge. Ja: Siehe vorhergehenden Abschnitt, letzter Satz…
Dritte Runde, die wird zur Planungsrunde. Welchen Marathon laufen wir in diesem Jahr? Mit Andreas will ich nach Rom, alle drei wollen wir nach Davos, und, und, und… Über ein mangelndes Angebot kann man ja wahrlich nicht klagen.
Runde vier – sie hat mein Leben verändert. Mir ist manches schon passiert, aber so etwas noch nicht! Ich merke, ich schwächle leicht, fühle mich ausgelaugt, als ich auf die kleine Holzbrücke über das Elsterflutbett laufe. Da kommen mir einige Leute entgegen. Und was rufen die mir zu? „Du siehst noch gut aus!“ Denkste, nee! „Das schaffst du schon!“ Auch falsch. Da sagt doch wirklich jemand: „So fertig wie du bist, ist es das Beste, du hörst auf!“ Bei Kilometer 17! Ich glaube, bei schwächeren Charakteren kann so etwas zum Suizid führen.
Andreas hat das auch gehört. Er lacht darüber. Das hat was mit Psychologie zu tun. Nicht das Lachen, sondern die Tatsache, dass er mir die ganze Wahrheit erst kurz vor dem Ziel erzählt: „Da warst aber auch so etwas von weiß im Gesicht, die haben bestimmt gedacht, du nippelst ab!“
Runde 5: Mein heutiges Horoskop bestätigt sich. Da steht: Es wäre sinnvoll, ein wenig auf Distanz zu gehen. Mache ich. Andreas ist 50 Meter vor mir, Dieter hundert… Wollte ich eigentlich gar nicht, war vielleicht im Horoskop auch anders gemeint…
Runde 6: Ich denke nach. Über ein Gebäude an der Strecke. Es sticht arg negativ hervor, beschmiert und mit eingeworfenen Scheiben – so hat diesen Plattenbau aus der DDR schon Eberhard Ostertag im Laufbericht aus dem Vorjahr beschrieben. Er hätte gern gewusst, was das mal war. Ich kann ihm helfen: Es handelt sich um die kläglichen Überreste des Gästehauses des Ministerrates. Hier haben Erich Honecker genächtigt, Franz-Josef Strauß, Günter Schmidt…
Runde 7: Es wird gelästert. Über mich – und meine Gehpausen. Aber man wartet auch immer wieder auf mich. Ich bin mit meinem Team sehr zufrieden…
Runde 8: An der Verpflegungsstelle - mir fällt etwas ein. Ich habe Power-Gel in der Tasche. Wäre sicher günstiger gewesen, wenn mir das schon etwas eher eingefallen wäre. Ich saug das Gel in meinen Körper und da mein Magen durchgehalten hat, werde ich mutig und spüle mit der flügelverleihenden Limonade nach. Ich glaube, es hilft…
Der Schwanz: Nun sind es nur noch etwa zwei Kilometer. Da sehe ich etwa einhundert Meter vor uns ist ein Team. Nein, zu dem neben mir laufenden Andreas sage ich nicht: Die holen wir uns! Aber meine Gedanken gehen schon in die Richtung. Und wenn ich den vor uns laufenden Dieter so beobachte, werde ich das Gefühl nicht los, er hat auch schon Witterung aufgenommen.
Was jetzt kommt, ist eine fernsehreife Verfolgungsjagd – mindestens… War ich nicht der, der schon in Runde 4 sterben wollte? Egal, jetzt sind wir die, die gnadenlos am Team ReiKuDi vorbeiziehen. Ich sage euch eins: Wären wir von Anfang an so gelaufen wie jetzt, wir hätten diesen Marathon gewonnen! Aber wir sind auch so zufrieden, 5.06 Stunden, das ist nicht nur gut, das ist für jeden von uns sogar Jahresbestleistung.
Zuhause empfängt mich meine Frau mit den Worten: „Reichlich fünf Stunden – das war nicht schlecht!“ Leute, da freut man sich. Aber was sagt sie dann? „Da haben wohl Andreas und Dieter schon in der Kneipe gewartet…?
Die „Leipziger Volkszeitung“ schreibt einen Tag später über den Lauf: Jede Menge Spaß bei großer Schlammschlacht. Mit der Schlammschlacht, da hat die Zeitung mit Sicherheit etwas übertrieben. Aber egal, jede Menge Spaß – den hatten wir!
Männer
1.„Der unsichtbare Dritte“ 2:51:27
Marcel Haft, Andre Fischer, Mike Poch
2. „Die Eisheiligen“ 2:51:48
Stephan Holesch, Lars Rösler, Karsten Schubert
3. „TV 1848 Coburg” 3:03:04
Martin Miltzke, Dominic Arnold, Sven Herder
Frauen
1.„SchnickSchnackSchnuck“ 3:30:32
Karmen Dietze, Kerdtin Schier, Franziska Wenske
2. „KCC Keep Cool…“ 3:44:49
Katja von der Burg, Constanze Quenzel, Christine Fischer
3. „Yuki-Läuferinnen“ 4:07:44
Yvonne Schramm, Peggy Vogt, Korina Hofmann
Mixed
1. „Pfeil und Bogen“ 3:16:59
Christoph Latzko-Fünfstück, Kathrin Bogen, Gregor Boden
2. „Die Schönen und das Biest“ 3:21:04
Bianca Josten, Martin Grund, Tobias Henkel
3. „Trail Trio Dresden“ 3:28.58
Holger Kessler, Nicole Friedrich, Uwe Burckhardt