Durchdringendes Pfeiffen der Zikaden, welches sich rhythmisch überschlägt und dann in drohenden Wellen durch den Urwald läuft. Helles Surren der Mücken und gequältes Platschen der Füße im milchigen Wasser. Schlangen? Ja. Blutegel? Ja, alles vorhanden. Ich muss nicht alles sehen, manchmal reicht ein Schlag mit meiner Mütze auf blutende Beine um den Thriller zu vertreiben.
Längst habe ich Blasen an den durchnässten Füssen. Das dirtbike des Kamerateams steht einsam an einem brusttiefen Wasserloch. Tempelruinen mit unrealen Fratzen glotzen mich aus giftiggrünem Urwald an. Nach 7 Stunden erreiche ich Camp 3, umjubelt von den schnellen Läufern, unter dem Tor des Preah Kham Tempel (erbaut 1131 von König Suriyavarman II).
Es ist ein letzter geruhsamer Nachmittag. Mikro-Ameisen plündern meinen Laufrucksack. Donnerbalken-Sanitäranlage genehmigungsmäßig weit entfernt von den Tempelruinen inmitten des moskitoverseuchten Urwaldes. Meine Füße bluten, die der Anderen eitern. Meine aufgequollene Haut juckt, die der anderen zeigt nasse Stellen an denen Insekten kleben.
Als ich die vom nassen Schweiß stinkende Matte ausrolle, wünsche ich mir, dass der morgige Tag schon vorbei wäre. Und doch möchte ich jetzt an keinem anderen Ort sein, mit niemandem tauschen, sauge das heilige Mantra dieses Tempels in mich auf. Zwischen den von Erdbeben der Jahrhunderte drohend schief modellierten Riesensteinen stehe ich mit offenem Mund und warte, dass sich eine geheime Tür öffnet und gleißendes Licht auf kristallinen Schädel mir die Erleuchtung samt Weltenformel offenbart. Gib ein Zeichen!
Das Wasser ist rationiert, das Wort Dusche verboten, der Whisky der Inder leer. Demütige Stimmung inmitten der vom Generator erleuchteten Tempelruinen, die nun zum Tummelplatz allerlei giftiger Lebewesen werden. Es schwirrt, brummt, hüpft, klatscht und beißt. Wie an einer von der Decke hängenden, klebrigen Fliegenfalle so kleben mir sämtliche Insektenarten Kambodschas am schweißnassen Rücken. Das Chaos wird perfekt, als große und kleine Heuschreckenarten mich als Zwischenlandeplatz nutzen. Wie eine Geißel benutze ich mein stinkendes Hemd, um mir den Rücken freizuhalten. Ich hatte gehofft, dass Strümpfe und Schuhe morgen trocken sind. Hoffnung stirbt doch schneller.
Da im Zelt wenig Platz ist, deponiere ich mein Gepäck zum Schutz vor Regen in einem hohlen Tempelfenster, ohne zu ahnen, dass am nächsten Morgen zentimeterdicke Fledermausscheiße meine Besitztümer verseucht haben wird.
Die Nacht ist ekelig, taunass und feuchtwarm. Ein fetter Frosch landet mir im Halbschlaf im Gesicht, ich schnippe ihn klatschend zu Wolfgang rüber, er mir wenige Minuten später zurück, das Spiel beschäftigt uns die ganze Nacht : klatschschweißnasser Bauch, klatschschweißnasser Rücken, klatschschweißnasses Gesicht, während uns Blutsauger dicke Quasteln verpassen. Einmal raffe ich mich auf und sprühe das gesamte Zelt mit Autan aus, suche den Frosch, sinke ohnmächtig auf die schweißnasse Matte nieder, weil das Konzert der unzähligen Frösche im Tempelgraben mich in Trance versetzt.
Der Start wird verschoben. Chuck (Norris) Walker, einer der besten Renndirektoren der Welt, ist seit 8 Stunden im Dschungel, um die Markierungen zu erneuern. Gerade um den Tempel des Todes -bekannt durch den Film mit Indianer Jones - gibt es Probleme. Unerwartetes Hochwasser und markierungsraubende Einheimische erschweren die Arbeiten. Wir haben 30 Kilometer Sumpfwasser vor uns. Die Versorgung mit Frischwasser inmitten dieses Gebietes muss durch einen 160 Kilometer langen Umweg und später mit Trägern gesichert werden. Brücken sind zerstört, Wege überflutet, Stefan hat alle Mühe, diesen heutigen Tag zu organisieren, der zum Drama werden wird.
Unsere Füße sind längst Matsch. Beide Ärzte vertrösten uns auf den Verpflegungspunkt bei km 30, dann wäre die nasse Strecke hinter uns, dann würden die Tapes auf dem blanken Fleisch besser halten. Ohnehin überklebe ich nur alte, dreckige Streifen, ohne sie zu entfernen, aus Angst der halben Fuß würde am Klebestreifen hängen bleiben. Welche Biotope sich zwischen Dreckspflaster und abgelöster Haut entwickeln, interessiert mich nicht. Allenfalls beobachte ich rote Temperaturautobahnen, die sich von stinkenden Stellen Richtung Körpermitte formieren.
Der langsame Teil der Läuferfamilie startet eine Stunde früher und krepiert fast im Morast. Ich bin immer noch der Meinung, es sei ein Spiel. Es wird ein beinahe tödliches. Zunächst begreife ich nicht den Ernst der Lage, niemand von uns. Vielleicht sind wir alle zu lebensfroh, jedenfalls ist meine 30 Kilometer Schlammschlacht mit stoischem Humor garniert, bin einfach nur ein versautes Kampfschwein in einem schmutzigen Kriegsfilm. Ich liebe diese Momente.
Solange meine Stürze und Schwimmeinlagen nur mit Schürfwunden quittiert werden, kann ich kambodschanisch grinsen. Bei km 12 bricht sich Jean Pietro die Rippe, irrt orientierungslos die Laufstrecke hin und her. Wolfgang beendet hier irgendwo (vorläufig) seine Laufkarriere. Das stinkig-milchige Wasser ist bakterienverseucht und verursacht bei mir heftigste Hautreaktionen: Innerhalb weniger Stunden bin ich mit Eiterpusteln übersät. Die Laufhose reibt an fetten Wunden und die Lymphknoten in der Leistengegend werden so dick, dass ich vor Schmerzen die Beine nicht heben kann. Ich bleibe in einem fetten Spinnennetz hängen, ekelhaft.
Immer wieder rutsche ich unter Wasser am lehmigen Steilufer ab und rudere hilfesuchend mit den Händen im stinkenden Gesudel, versuche Güter, die sich von meinem Rucksack selbstständig machen, in der Brühe einzufangen und taste mit den Schuhen den unberechenbaren Untergrund ab.
Die später gestarteten Läufer überholen mich an trockener Stelle: Salva, Manu, Stefan (Schweiz), Aislinger, Karim, Daniel, Paul, Krasse und Simon.
Verpflegungspunkt 1, ich bin besudelt wie beim Braveheart, aber sehr viel fertiger, doch Lachen kann man immer in diesem Land, was ich lieben lerne.
Sophie, die schnelle Favoritin überholt mich, geht ein Stück mit mir, sagt, es wäre heute so schwierig. “Take time Sophie!” “Yes, but it is so hot!” Das macht mich stutzig.