Der Taxifahrer hat einen halbverwesten Mekongwels gefressen, weswegen ich nach Luft ringend aus dem Fenster hänge und sehnsüchtig den wehenden, langen schwarzen Haaren einer Mopedfahrerin nachschaue. Sie trägt einen Mundschutz.
“Welcome to Cambodia” so brüllt mir ein anderer Mopedfahrer aus wenigen Zentimeter Entfernung ins Gesicht und grinst breit, weil ich mich offensichtlich erschrecke. Genauso grinst auch der Taxifahrer und zeigt ein paar verklemmte Gräten zwischen seinen Goldzähnen. „What do you do here in Phnom Penh?“ fragt er mich. “I will run 235 km to Angkor Wat!” “ Why?” “ Because I can do it!” “Do you earn money for that?” “I will earn impressions and unforgettable moments.”
Soviel Prosa hat er nicht erwartet, erzählt als Gegentrumpf nun stolz, dass zum Süd-Ost-Asien-Gipfel Obama erwartet wird. Ist mir klar, denn der CIA hat uns Läufer kurzfristig aus dem Royal Palace Hotel geworfen, wegen “Nationaler Bedeutung”, Stefan fand zwar irgendwie ein anderes Hotel, allerdings als Baustelle.
Und das war es immer noch, als ich aus dem rechtsgesteuerten Gebrauchtwagen krieche. Eigentlich fährt man in Kambodscha rechts, also theoretisch, denn am rechten Rand kommen einem die entgegen, die es nicht auf die andere Seite schaffen.
“ Ssorry Ssir, room not reatty!” Ist mir klar, wenn hier noch die Presslufthämmer dröhnen. Die nächsten Stunden genieße ich auf der Straße sitzend, mir gegenüber unzählige Plattnasen in Dreierreihe. Mit weit aufgerissenen Mündern zählen sie meine Schweißperlen. Ich entschließe mich, meine lange Hose zu wechseln. Doch wie in einer Baustelle ohne Türen eine solche Privatangelegenheit erledigen? Gut, nun wissen die Kambodschaner wenigstens, dass Deutsche nicht nur lange Nasen haben.
Ein gewaltiges und extremes Laufabenteuer beginnt. Hätte ich gewusst, wie brutal die Laufbedingungen werden, um wie viel gealtert ich in 6 Tagen sein werde, ich hätte jetzt nicht mit meinen Zuschauern so gefeixt. Oder erst recht, hier wird immer gelacht.
Die Hotelbaustelle liegt direkt neben dem hellerleuchteten Königspalast. Der König ist vor drei Wochen verstorben. Ein Staatsdiener nimmt verbeugend weiße Kondolenz-Lotusblüten entgegen, die am Seiteneingang gleich recycelt werden, in dem sie Weg zurück zu den Blumenverkäufern finden. Währung ist der US-Dollar. Wechselgeld erhält man in Riel, wertlose Scheine, von denen man bald einen ganzen Stapel besitzt.
An einer Garküche gibt es Insekten und Spinnen. Nichts Ungewöhnliches in Kambodscha. Die Heuschrecken (Kritters) sind erstklassig. Ich kaufe eine ganze Tüte voll mit den nach Popcorn mit Speck schmeckenden Dingern. Die Puppen irgendwelcher Käfer schmecken dagegen eher knatschig, die handtellergroßen Wasserwanzen haben mir zu viel Panzer, die Spinnenbeine schmecken wie Zahnstocher, der pralle Leib der mit einer süß-salzigen Frittierglasur überzogenen Vogelspinne enthält ein schleimiges Gel aus einer Art Bananencreme. Die gegrillten Schlangen (Wassertrugnatter) stammen aus dem Tonle Sap See, dessen gleichnamiger Abfluss hier in der Hauptstadt in den Mekong mündet.
Jedes Mal im Juni gibt es ein weltweit einmaliges Naturphänomen: Die Wassermassen des Monsun und die Schmelzwasser des Himalaya erreichen über den Mekong die Stadt Phnom Penh. Der Tonle Sap Fluss ändert seine Fließrichtung, denn der Mekong drückt fünf Monate lang das Wasser über 200 hundert Kilometer flussaufwärts. Das nährstoffreiche Wasser macht den Tonle Sap See zum fischreichsten der Welt. Sieben Millionen Wasserschlangen werden von 18 Millionen Kambodschanern jährlich verspeist, eine von mir.
An der Garküche nebenan werden kleine Gebäckstückchen mit einer Zeitungsfackel aufgehübscht, während dunkle Gestalten die Müllberge auf der Straße nach Essbarem durchwühlen. Welt der Gegensätze. Hübsche, in Seide gewandete Mädchen in den Bars auf Falang(Ausländer)suche, während dir schamlos die Ratten über die Füße rennen. Welcome to Cambodia!
Stefan Betzelt, der Organisator und Chef des Laufes trifft mit seinen Helfern ein. Florian, der Internist und Achim der Chirurg werden in den nächsten dramatischen Tagen an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit und wir an die Grenzen der Lauffähigkeit kommen. Jeder hat ein frisches EKG dabei, das soll bei Problemen in diesem Extremklima einen Vergleich ermöglichen. Dann eingehende Kontrolle der Ausrüstung.
29 Läufer aus 14 Nationen treffen im Laufe des nächsten Tages ein, checken sich auf Konkurrenzfähigkeit ab. Die Spitzenläufer sind uns allen bekannt. Vor allem ich muss mir, wohl wegen meiner Carbo-Polster, zweifelnde Fragen anhören. Auffallend ist auch Sophie Power, die in ihrem langen englischen Kleid eher in den Film “Jenseits von Afrika” passt. Diese gutaussehende Läuferin ist anscheinend ziemlich prominent und wird von einem kanadischen Kamerateam begleitet. Auffallend auch Daniel aus der Schweiz, der ein 20 kg- Kanu auf dem Rücken trägt. Er wird nach dem Lauf den kompletten Mekong abfahren. Edda beeindruckt mit 68 Jahren. Der Rest der Läuferfamilie passt eher in einen Film über die Fremdenlegion, wenn nicht die Finisher-Shirts anderes erkennen ließe.
Am nächsten Morgen wird es Ernst: Gepäck in den Bus, der uns zum ersten Camp fährt und kurzer Stadtrundgang. Auffallend hier Jag und Arwind, zwei der fünf Inder, die figurmäßig hervorstechend sind. Die fünf Inder kennen sich aus Militärzeiten und machen nun jedes Jahr Extremläufe. Ein tolles, lustiges Team mit exzellenten Kochkünsten und Whisky im Gepäck. Das Gepäck ist auf 10 kg begrenzt, muss Nahrung für 6 Tage (12.000 kcal Minimum), Schlafsack und Matte beinhalten.
Stadtrundgang: Die Orientierung in Phnom Penh ist einfach, die Straßen sind alle durchnummeriert, was nicht hilft, denn es gibt keine Straßenschilder. An der Mündung des Tonle Sap Flusses, der seit letzter Woche wieder abwärts fließen darf, schwimmen Inseln aus Wasserhyazinthen vorbei. Man kauft kleine Vögel und lässt sie fliegen, das soll Glück bringen.
Die Fahrt zum ersten Camp dauert ewig, die Straßen sind Mist. Pause an einem Marktplatz. Aggressive Bettelei, man kennt die Touris hier. Spinnen, sind die Attraktion, frittiert oder lebendig werden sie auf Tabletts gehäuft angeboten. Mittagessen in Kampor Thom, auch hier Insektenmärkte. Die frittierten Heuschrecken esse ich nicht aus Angabe, auch frittierte, ungeschälte Minigarnelen, zubereitet wie eine Art Kartoffelpuffer, sind traumhaft.