Sophie steht benommen vor ihrem Zelt und betrachtet ungläubig die Nadel in ihrer Hand, sie will laufen, so heißt es. Wahrscheinlich wurde sie gefragt und hat dann automatisch irgendwie genickt, denn jeder sieht doch, dass ihre Augen nichts wahrnehmen. Sie steht wackelig mit Kanüle an der Hand und wird vom Fernsehteam interviewt, doch wie, wenn gehirnmäßig nicht anwesend ist? Junge, Junge manchmal schreibt das Leben Scheiß-Stories….
Der Start muss verschoben werden, wir brauchen mehr Zeit. Ich habe Zeit und humpele erst mal durch die riesige Tempelanlage. Natürlich gibt es Schlangen und Skorpione zwischen den uralten, moosgrünen Steinen. Die Russell´s Viper, auf deutsch: Kettenviper, sie ist sehr giftig, sehr aggressiv, nahezu alle Opfer sind dieser Schlange zuzuordnen. Sehr giftig ist auch die Krait, sie hält sich sehr gerne in bewohnten Gebieten auf, sehr gerne in diesen alten Tempeln. Die Königskobra ist mit 5,5 Meter Länge eigentlich wohl kaum zu übersehen, doch sehr schnell.
Aber vor denen hat man Angst, wenn man zuhause auf dem Sofa sitzt, nicht hier, wo man sich gegenseitig aus dem Weg geht. Holz und Stein bildet eine üppig wuchernde Einheit, Wurzeln einen Vorhang vor dunkel drohenden Fenstern. Riesige Kathedralen, spitze Dachgauben aus tonnenschweren Steinen.
Startaufstellung, deutlich ausgedünntes Läuferfeld. 10 km auf einer einsamen asphaltierten, kochenden Landstraße, auf der mir die bakteriellen Eiterpickel unter dem stinkenden Hemd aufplatzen. 10 Km, die ich nie vergessen werde, denn es ist wie in einer Mikrowelle: Mein Blut kocht, am Straßenrand sind Pizzakartons gestapelt. Pizzakartons? Mir wird klar, dass ich Schatten brauche, Cola trinken und dringend meine Fleischkonserven essen muss. 2 Bier und 6 Dosen Cola, dann sind die Hirnwindungen wieder klar, vergesse wieder Pizzakartons und erreiche den VP bei km 10.
Robert geht es sauschlecht, er liegt ausgestreckt am Boden der Hütte. Als ich nach ewig langer Pause weiterstolpern kann, kann er wenigstens wieder sitzen, für ihn ist das Rennen gelaufen, doch es gibt kein Zurück, er muss irgendwie, so wie wir alle, den Berg hinauf. Erst dort oben kann er mit einem Moped abtransportiert werden.
Tina wird den Besentrupp anführen, der besteht aus Robert, Jag und Arvind. Arvind hat die Angewohnheit, sich alle paar Kilometer zum Schlafen hinzulegen, weswegen er nicht alleine laufen darf und immer von Jag begleitet wird.
Der Aufstieg durch rudimentäre Bananen-und Süßkartoffelanbauflächen ist unglaublich schwierig. Drei Meter hoch wachsen die Gräser, hier unten in meiner Höhe mischt sich der warme Gestank der Gräser mit dem fiebrig-eitrigen Gestank meines m4y-shirts. Ich will gerade diese Mischung mit dem Messer schneiden und einpacken, da stehen zwei süße Engländerinnen aus Garmisch Partenkirchen vor mir. Nee, wirklich, deren Führer hat das Foto geschossen.
Ich bin oben. Wunderschön, von nun an geht es leicht abfallend über sandige Urwaldwege durch eine Traumlandschaft. Schattig, sehr viel kühler als unten, sehr angenehm, leichter Regen. Auf einem Moped sitzend kommt Robert vorbei, winkt schwach. Schmetterlinge saugen durch die starke Verdunstung zurückgebliebene Salze.
An fast jedem Baum hängen Schilder in Folie. Nein, kein Minenfeld, Nationalpark, wenigstens soll es einer werden. Die Schilder drohen den Holzfällern. Beim zweiten VP ( km 20 )ist ein Dorf. Es ist das Dorf der Einbeinigen, die nie wieder im Gebiet des Nationalparks Holz fällen werden.
Ich kämpfe gegen alles was saugt und sticht. Zwei Hände mit Hemd und Mütze bewaffnet verteidigen letzte Bastionen geschwollenen Fleisches. Kurz vor dem Ziel geht es in einem steilen Weg hinab über eine Hängebrücke zu den Wasserfällen. Ich habe Tränen in den Augen, denn endlich kann ich mich waschen.
Wolfgang, der heute nicht gelaufen ist, dämpft meine Freude. Sie haben Sophie zwar hierher transportieren können, doch….. Florian schreit nach der gelben Tasche mit dem Defibrillator …. Hektik, Durcheinander, der Rettungshubschrauber kreist, sucht einen Landeplatz zwischen den Urwaldbäumen.
Das Problem bei einer Wasservergiftung (Hyperhydration): Sobald der osmotische Druck durch Infusionen wiederhergestellt ist, schrumpft das Hirn, Schlaganfälle. Das Leben Sophies hängt am seidenen Faden, sie ist noch so jung!
Am Abend wird Valeries Geburtstag mit einem schönen Essen gefeiert. Dem Alkohol wird schwer zugesprochen, denn der Wettkampf morgen wird abgesagt. Keine Neuigkeiten von Sophie, die nun in Siam Reap im Krankenhaus mit JeanPiedro liegt. Sehr gedrückte Stimmung, die sich erst entspannt, als der Rotwein ausgeht.
Eigentlich wollte ich nur ein Foto von der Essenstafel der einheimischen Helfercrew machen. Doch dann fordert man mich zum Bierkampf. Ich gewinne alle Runden, greife freudig zu den angebotenen Gerichten. Es sei Rind, sagt einer in gebrochenem Englisch. Ich mache mir keine Gedanken, auch wenn das Fleisch zäh und mit kleinen Knochen durchsetzt ist, denn der schöne Jüngling streichelt mir liebevoll den Rücken, will mir wohl die Moskitos abhalten. Anscheinend habe ich eine auf der Wange sitzen, oder warum geht er mir sanft mit seiner nassen Zunge über die Seite? Die Soße des Gerichtes ist ein Gedicht, ich setzte die Schüssel an und trinke genussvoll von der Köstlichkeit. Ich denke, die lachen sich kaputt, weil ich weitere Zärtlichkeiten meines Nachbarn durch das Anstimmen von “Wir lagen vor Madagaskar” abwehre. Am nächsten Morgen teilt mir Socheat mit, ich hätte Hund gegessen.
Nicht nur deswegen bekommt er Prügel, richtige Prügel! Wegen der Schwuchtel auch noch, denn ich bin mit Wolfgang zusammen, also nicht wirklich, wir werfen uns nur nachts die Frösche zu. Und dann geht Wolfgang zurück nach Thailand, zu dem, der jünger ist als ich, keinen Bauch und keine Haare auf der Brust hat.