Wie viel Platz braucht ein Marathon?" lautete die Überschrift von Werner Kerkenbuschs m4y-Bericht über den von mir organisierten Marathon auf der alten Rheinbrücke von 1953 bei Wesel am 24. Oktober 2010.Damals waren bei meinem 4. "Lost Places Marathon" 44 Hin-/Rückwege über die sogenannte "Dauer-Behelfsbrücke" zu absolvieren. Die Brücke wurde am 3. Oktober 2011 zerteilt, die beiden Hälften werden immer noch demontiert.
Inzwischen hat es bereits 16 solcher "Lost Places Marathons" gegeben, darunter am 2. Februar 2011 einen auf der alten Störbrücke bei Itzehoe, der derzeit ebenfalls abgerissen wird. Werners Frage war aber immer noch nicht weiter beantwortet. Kann man auch auf einem nur 110-120 x 120-140 Meter großen Grundstück Marathon laufen? Diese Frage sollte LPM Nummer 18 beantworten.
Um es vorweg zu nehmen: Natürlich ging es nicht um irgendein Grundstück, sondern um einen "lost place"!
Nachdem Lockstedt 1866 nach dem deutsch-dänischen Krieg preußisch geworden war, hatten sich im späten 19. Jahrhundert immer mehr gut situierte Hamburger hier niedergelassen, darunter auch etliches Hanseaten-Familien, also Hamburgs wohlhabender "Bürgeradel". Lokstedt wandelte sich damals immer mehr zu einem Villenvorort Hamburgs, und so war es auch nicht weiter verwunderlich, dass der Ort 1891 als erster in Deutschland mit elektrischer Straßenbeleuchtung ausgestattet wurde.
Durch finanzielle Rückschläge änderten sich auch in Lokstedt ebenso wie in Blankenese und Harvesterhude (an der Außenalster) gelegentlich die Besitzverhältnisse ganz plötzlich, wurden Villen samt dazu gehöriger Parks verkauft oder gar zu Siedlungsland umgewidmet. Derzeit gibt es in Lokstedt noch den Von-Eicken-Park mit der zu einem Teich aufgestauten Schillingsbek und den Amsinckpark - beide sind öffentlich zugängliche weitläufige Landschaftsparks - und den Willinks Park. Letzterer hat sich, nachdem die dazugehörige Villa bis auf wenige Mauerreste verfallen ist, über Jahrzehnte zu einem urwaldartigen Waldbiotop gewandelt. Mitten in der Stadt leben hier auf diesem nur 110-120 x 120-140 Meter großen Grundstück zahlreiche, auch seltene Tier- und Pflanzenarten, was dazu führte, dass dieses einzigartige und wertvolle Biotop entgegen den Plänen einer Investorengruppe doch nicht gerodet und mit drei Mehrfamilienhäusern samt Tiefgaragen bebaut wurde.
Im Internet findet sich - außer dem Baubauungsplan-Entwurf Lokstedt 59 der Freien und Hansestadt Hamburg vom 1. Dezember 2009 und einem 15seitigen ökologischen Gutachten vom 24. Januar 2011 - wenig Information.
Eine amtliche Biotopkartierung vom 9. September 2007 beschreibt den Willinks Park als vollständig begrünte Fläche, beherrscht "von alten Stiel-Eichen und Rotbuchen, sowie mittelalten Robinien und Berg-Ahornen. Die dichte, in die zweite Baumschicht übergehende Strauchschicht besteht überwiegend aus nachwachsendem Spitz- und Berg-Ahorn, Weißdorn und Hainbuche. Stellenweise haben sich dichte Schlehengebüsche entwickelt."
Als weitere Gehölzarten des reichhaltigen Laubwaldes werden im Biotopkataster und im Baumbestandsplan vom 31. Juli 2009 genannt: Rosskastanie, Hänge-Birke, Haselnuss, Zwetschge, Vogelkirsche, Echte und Späte Traubenkirsche, Grau-Weide, Eberesche, Pappel, Linde, Feld-Ulme und Schwarzer Holunder. Dieser Baumbestandsplan weist im Übrigen 170 Bäume mit einem Stammumfang ab 80 cm, maximal 4,5 Metern, Baumhöhen bis 30 Metern und Kronendurchmessern bis 27 Meter. Des Weiteren wurden 15 Vogelarten mit gesicherten Brutplätzen und sechs weitere Vogelarten mit möglichen, aber nicht gesicherten Brutplätzen festgestellt und nicht zuletzt vier Fledermausarten mit Jagd- und Balzrevieren.
Als ich am 10. August 2012 ganz in der Nähe das Gelände des 1985 stillgelegten Güterbahnhofs Lokstedt besichtigte und vermaß (LPM # 20 am 20.10.2012), besichtigte ich damals auch den Willinks Park. Der mich sogleich sehr beeindruckte. Bis auf die noch erkennbare, gepflasterte Auffahrt zur ehemaligen Villa gab es jedoch nur wenige schmale Pfade durch dieses Biotop. Trotzdem gelang es mir, eine 211 Meter lange Runde mit einem kleinen Pendelstück zu vermessen.
Für die Marathondistanz wären nun also 200 Runden nötig gewesen. Da ich jedoch auf Nummer sicher gehen wollte, schrieb ich vorsichtshalber 205 Runden aus. Lauftermin sollte der 16. September 2012 sein, also definitiv nach jeglichen Brut- und Aufzuchtszeiten der einheimischen Vogelwelt. Das Teilnehmerfeld begrenzte ich auf 10 Plätze, die denn auch rasch ausgebucht waren.
Zwei durch Absage frei gewordene Plätze ließen sich kurzfristig neu besetzen. Eine Absage vom Vorabend war jedoch nicht mehr kompensierbar, so dass wir letztlich zu neunt starteten. Da ich in Anbetracht der überschaubar kleinen Runde auf zusätzliche Markierungen verzichtet hatte, liefen wir die erste Runde quasi als "Safety-Car"-Runde gemeinsam, ehe jeder nach Belieben beschleunigen oder abbremsen konnte.
Vom Start-/Ziel-Punkt aus führte die Strecke vorbei am Verpflegungspunkt mit Manfred Hopp (Norderstedt, 369 Marathons) leicht bergab, teils über einen gut sichtbaren, teils einen angedeuteten Pfad, verlief für rund 30 Metern waagrecht am Hang, ehe sie auf die gepflasterte Auffahrt stieß. Nach einem 90-Grad-Knick nach rechts folgte sie für rund 20 Meter bergauf der Auffahrt, knickte erneut rechtswinklig nach rechts in ein Flachstück, das dann in einem weitem Linksbogen in das Pendelstück zu Start/Ziel einmündete.
Vom Start weg übernahmen Patrik Schmidt, Apotheker aus Hamburg-Winterhude, und Klaus Neumann, pensionierter Fluglotse aus Stuttgart, die Führung. Beide gehören zum "100 Marathon Club Deutschland" wie übrigens fünf weitere Läufer auch. Nach und nach baute Patrik dann seine Führung auf Klaus aus, wobei dieser am Vortag bereits den 1. Kartbahn-Marathon in Stüde mit 191 Runden absolviert hatte, also 396 Runden an zwei Tagen lief. Martin Raulff von der Stolpertruppe Winsen folgte den beiden dicht auf den Fersen.
Apropos Stolpern: Trotz einzelner Wurzeln schaffte es nur Christine Schroeder, sich einmal kräftig auf den weichen Waldboden zu werfen.
Interessanterweise waren es jedoch nicht die Rundenzahlen, die den drei Läuferinnen und sechs Läufern am meisten zu schaffen machten, sondern die Höhenmeter. Wobei die Schätzungen von 5-7 Höhenmetern pro Runde reichten, was sich bei 205 Runden halt auf rund 1000-1400 Höhenmeter addierte. So nutzte im Schlussviertel fast jeder das Bergaufstück an der Einfahrt zu einer kurzen Gehpause.
Rundenzähler Manfred Hopp hatte reichlich zu tun, meisterte seine Aufgabe jedoch mit Bravour und ohne Reklamationen seitens der Aktiven. Die indessen nutzten den Verpflegungspunkt, an dem sie im Pendelstück insgesamt 410mal vorbei liefen, weidlich aus. Als sehr angenehm wurde auch die noch immer dichte Belaubung der Laufstrecke gewertet, auch wenn diese nach den zurückliegenden ersten Herbsttagen nicht mehr ganz so grün und dicht war wie noch bei der Erstbesichtigung im August.
Am Ende siegte Patrick Schmidt in 5:04:47 h vor Klaus Neumann (5:22:23 h) und Martin Raulff (5:34:46 h). Cornelia Feurich siegte bei den Frauen in 5:59:00 h) vor Christine Schroeder (6:18:19 h, beide Hamburg) und Rosemarie von Kocemba (Kiel, 6:32:05 h).
Eine Nachvermessung der an zwei Stellen gegenüber der Erstvermessung leicht weiter gezogenen Runde ergab dann eine definitive Rundenlänge von 215,43 Metern und somit eine Gesamtdistanz von 44,167 km. Hamburgs schwerster Marathon hatte also auch noch deutliche Überlänge!