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Laufberichte

Weihnachtsmarathon in Žilina

16.12.17 Special Event
 

Ich entscheide mich oft erst wenige Tage vor einem Marathontermin für eine Teilnahme. So ist es nun auch bei der inzwischen 16. Ausgabe des  Weihnachtsmarathons in  Žilina (Slowakai)  am 16. Dezember.

Ich nehme mir den ganzen Freitag frei und fahre schon um 11 Uhr von Wien aus los, um dem Wochenendverkehr mit massiven Staus bei der Durchfahrt durch Bratislava am späten Nachmittag zu entgehen. Bei der Durchfahrt durch Bratislava und entlang der slowakischen Autobahn D1 fällt einem auf, dass die Modernisierung und damit verbundene Bautätigkeit der Verkehrsverbindungen zügig vorangeht. Die Slowakei, die mit 5,4 Mio. Einwohnern und ca. 49.000 km2 im Hinblick auf die Bevölkerungsanzahl und die Fläche ungefähr halb so groß wie Österreich ist, bekommt seit ihrer Mitgliedschaft in der EU seit 2004 – der Euro wurde dort 2009 eingeführt –  beträchtliche Zuschüsse.

Der eigentliche Motor der slowakischen Wirtschaft ist seit Jahren die Autoindustrie.  So wurden auch im letzten Jahr wieder mehr als eine Million Autos produziert. Seit der Ansiedlung Anfang der 90er Jahre nahe der Hauptstadt Bratislava hat sich Volkswagen zum führenden Autobauer des Landes entwickelt,  gefolgt von PSA Peugeot-Citroen in Trnava und Kia bei Žilina, die ihre Produktion 2006 begannen.

Das Preisniveau in den Einkaufszentren, wo alle bekannten (Mode-)Marken vertreten sind, entspricht längst unserem Standard, die Menschen in der Slowakei verdienen oft nur die Hälfte, aber hochwertige Produkte, ob Lebensmittel, Kleidung, Autos, Benzin, kosten so viel wie bei uns.

Ich stelle meinen inzwischen zu den Oldtimern zählenden Volvo V70 am Hotelparkplatz . An der Rezeption teilt man mir mit, dass die Frühstücksausgabe morgen beim Marathon an einem Samstag erst ab 8 Uhr beginnen wird. Das angebotene Lunchpaket entspricht nicht meinem Ritual für ein gediegenes Frühstück, daher werde ich im großen Tesco-Supermarkt, eine Lebensmittelkette aus England kommend, die in vielen osteuropäischen Ländern vertreten und tlw. rund um die Uhr geöffnet ist, mir meinen Essensvorrat besorgen.

In meinem Einkaufskorb sind viele Köstlichkeiten, die ich als Selbstversorger nun im Tesco-Supermarkt für das morgige Frühstück  zusammengestellt. In der Hotelpension mit angeschlossenen Appartments zurückgekommen, wird bald klar, dass der heutiger Abend bei den angesagten Weihnachtsfeiern sich bis in die Nacht hinziehen wird – und so wird es dann auch: noch vor Mitternacht singen und grölen die betrunkenen Gäste laut hörbar bis in den zweiten Stock, wo ich ein ruhiges Appartement für 4 Personen – ein EZ war nicht mehr zu bekommen – gebucht habe.

 

 

Žilina ist eine kalte Gegend, das weiß ich von meinen bisherigen Antritten bei den Weihnachtsmarathons hier. Gestärkt durch meine Hingabe bei der Zubereitung und vor allem beim Genießen des Frühstücks fällt dann die erste körperliche Anstrengung an diesem mit minus 3 Grad kalten Morgen nicht schwer: das Herunterkratzen des Eises von der Windschutzscheibe, den Seitenfenstern und -spiegeln und dem hinteren Fenster. Bereits um 7 Uhr 15 treffe ich beim Extreme park Vodné dielo ein, noch kann man sich den Parkplatz aussuchen. Es ist für mein Empfinden wie dort gewohnt saukalt. Voriges Jahr hatten wir um diese Zeit Schnee, die im Schatten liegende Seite des Kurses war vereist und daher rutschig.

Ich bekomme von einer gut Englisch sprechenden Helferin die Startnummer 67, in die der Chip wie heutzutage vielfach üblich auf der Rückseite integriert ist. Dazu gibt es je einen Bon für eine Suppe und einen Tee nach dem Lauf. Für alle, die sich interessieren: Startgelder werden nicht eingehoben, die Stadt Žilina als Veranstalter des Weihnachtsmarathon kommt mit dem hiesigen Radklub und den Sponsoren, darunter auch Kia, für die anfallenden Kosten vor allem der Zeitnehmungsfirma auf. Für mich persönlich ist das zwar kein Beweggrund, hier an den Start zu gehen, sondern die Nähe zu Wien. Es gibt um dieses Jahreszeit nur einen vergleichbaren Lauf in Pilsen ebenfalls um einen See, sonst hätte ich nach Pisa fahren müssen – was ich wollte, aber wieder einmal die Anmeldefrist verpasst habe.

Ein nagelneuer Mercedes der C-Klasse fährt an mir vorbei, als ich mich mit eingeschalteter Heizung im Auto aufwärme. Fast hätte ich den Josef Stöger schon vermisst, aber jetzt ist er doch auch wieder gekommen. Wir beide werden heute die einzigen Österreicher sein, einige andere haben sich offenbar kurzfristig entschlossen, doch nicht nach Žilina zu fahren. Josef, Jahrgang 1950, ist ein Spätstarter, hat aber in wenigen Jahren mit 59 Marathons und 45 tlw. überlangen Ultraläufen den Hunderter erreicht und ist mit seinen 67 Jahren in einer spitzen Form. Erst vor kurzem finishte er den Florenz-Marathon in  04:27.

Bis zum Start sind noch 1 ½ Stunden Zeit, langsam fühlt sich der Parkplatz, es gibt Ausweichplätze im Nahbereich. Drei Laufbewerbe stehen heute am Programm: der für 8 Uhr 30 angesetzte Marathon, zwei Stunden später dann der Halbmarathon und der 8,3 km-Lauf. Zudem als besonderes  Spektakel und nur für harte Männer ein Schwimmbewerb im kaum 4 Grad kalten Žilina-Stausee.

Ich begebe mich mit Josef zum Start an die von der Zufahrtsstraße aus gesehen linke Seite des Dammes. Der Asphalt beim Anstieg ist vereist, hier müssen wir beim Herunterlaufen aufpassen, das war auch letztes Jahr so. Aber ein Winterwetter ohne Schnee ist heuer für den Marathon vorteilhaft, dazu ist es fast windstill.

Ich begrüße Cyril Bohunicky, der seit einigen Jahren in der dritten Oktoberwoche in Majcichov einen Marathon veranstaltet und ebenso ein Sammler ist wie Eva Seidlova, Jahrgang 1948, die leichtfüßig immer wieder Zeiten knapp um oder sogar unter 4 h schafft. Es gibt zahlreiche Unentwegte, die von überall her aus der Slowakei angereist sind, auch aus Tschechien kommen, ja sogar aus Polen. Peter Zanicky, der Cheforganisator in grünen wattierten Anorak, gibt letzte Anweisungen in Slowakisch – eigentlich müsste ich mich schon längst mit der Sprache angefreundet haben, denn an die 30 Marathons bin ich in der Slowakei schon gelaufen.

Ich schätze, dass 70 bis 80 Läuferinnen und Läufer nun das Rennen aufnehmen – es geht gegen den Uhrzeigersinn. Von Anfang an wird mir klar, dass ich heute einen schweren Stand haben werde, denn bei einer Öffnungszeit von 5 h trauen sich keine Langsamen hier mitzumachen. Zwar habe ich bei den letzten Marathons in Italien immer  sub 5 gefinisht, aber erstens waren die Verhältnisse dort andere und zweitens, was ich brauche, hatten diese mehr Teilnehmer. Ich passe mich dem Tempo an, wenn ich allein laufe, werde ich automatisch langsamer. So kommt es, dass ich gleich nach dem Start an letzter Stelle bin und bis zur beim Anstieg auf dem Damm aufgebauten Zeitnehmung schon um 200 m zurückliege. 300 m nach dem Anstieg wird gerade die Versorgungsstation aufgebaut, hier ist auch die Stelle, wo der Schwimmbewerb zu Mittag beginnen wird.

Nach einem Kilometer in 6:30 min ist das Feld bereits 500 m voraus. Ich kenne die kleinen Unebenheiten, sprich minimale Anstiege der Strecke am rechten Ufer von meinen letzten Läufen hier – sie ist um den Damm asphaltiert und sonst für Zufahrten mit dem  Auto zu umliegenden Restaurants nahe dem Stausee geöffnet. Ich laufe alleine. Zwar könnte ich mich anstrengen und auf der ersten Runde mithalten, aber die Gefahr, dann auf den folgenden vier von insgesamt fünf Runden zu viel Substanz zu verlieren und die Öffnungszeit zu überschreiten, lässt mich vorsichtig sein.

Damit der Rundkurs eingehalten werden kann, müssen wir nach ca. 4 km über die kleine Brücke ans andere Ufer laufen. Hier liegt in der Nähe des Damms die Ortschaft Mojš, die zum Kommunalverband von Žilina gehört. Ich erinnere mich an letztes Jahr – als die Halbmarathonläufer nachstürmten und mit mir dutzendfach über die Brücke liefen, geriet diese ins beängstigendes Schwingen – aber bisher hielt sie bei all den 15 Marathons stand. Nach der Brücke geht es wieder nach Westen. Der aufgestaute Fluss Waag fliest von Ost nach West, die Topologie lässt aber einen Anstieg auf der nun rechten Seite des Kurses erkennen, sodass die nun folgenden 4 km mit leichtem Westwind immer etwas länger dauern. Mein zweiter Durchlauf erfolgt nach 59 Minuten – das entspricht einer Laufzeit von ca. 6:30/km für nunmehr erreichte 9 km.

 

 

Bei der Labe gibt es warmen Tee – das ist ein Plus, aber so ein Service wie letzte Woche in Reggio Emilia wird es hier nicht geben, das wäre auch zu viel verlangt. Der Žilina-Stausee wirkt auf mich eigentlich wenig einladend. Mit seinen 2,55 km² dient er der Stromerzeugung, dem Hochwasserschutz und hat auch für Tourismus und Erholung Bedeutung. Dringend sollte sich die Stadtgemeinde dazu aufraffen, den See in den Wintermonaten von allerlei angeschwemmten Abfällen zu reinigen.

Nach 10 km werden ich das erste Mal von den Führenden beim Marathon überlaufen. Sonst ist auf der Strecke nichts los, ab und zu kommt mir ein Spaziergänger entgegen. Aber als ich in die Nähe der Zeitnehmung komme, sind dort Hunderte Halbmarathonläufer versammelt und bereiten sich auf ihren Start vor. Ich beende meine zweite Runde nach 17,3 km mit einer Durchgangszeit von 1:53 h und habe etwas aufgeholt.

Jetzt kommen sie herangestürmt, mit einem Tempo, dass man sich nur wundern kann. Und die Brücke schwingt wieder und ich bekomme ein mulmiges Gefühl. Nur ein Hochseilartist würde nichts merken. Nur rasch runter von der Brücke, bevor sie bricht.

Das Feld der Halbmarathonläufer und der 8 km-Starter ist lang auseinander gezogen. Aber es gibt auch Langsame, die mich nicht zu überlaufen vermögen – der Halbmarathon ist 3 h offen. Auf der im Laufrichtung gesehen rechten Seite ist die riesige Kia-Autoproduktionsstätte mit freiem Auge gut erkennbar – ein ebenso vielgleisiger Verschiebebahnhof komplettiert die Industriezone rechts vom Damm.

Ich beende die dritte Runde nach 25,6 km mit einer Durchgangszeit 2:50 h – und alle anderen liegen vor mir, nicht einmal mehr sichtbar, was schon ein wenig frustrierend ist. Warmen Tee gibt es weiterhin an der größeren Labe nach der Zeitnehmung, während ich die kleine Versorgungsstation direkt vor der Mojš-Brücke bisher noch nicht beansprucht habe.

Nun auf meiner vierten Runden überholen mich einige Spitzenläufer bereits zum zweiten Male, die Superschnellen dürften inzwischen hinter mir längst im Ziel sein. Allerdings sind keine bekannten Gesichter darunter, die jetzt von hinten nachkommen – bis auf den blinden Läufer Peter Buleh, der mit seinem Guide Marcel Luhovy in die 5. Runde geht und den ich von einigen Läufen in der Slowakei kenne. Das Duo legt vor mir eine kurze Gehpause ein. Das kann man sich leisten, wenn man nur mehr 6 km vor sich hat.

Ich bekomme auf der Geraden nach der Brücke Beifall von einer weiter zurückliegenden jungen Halbmarathonläuferin, sie reicht mir ein Bonbon und sagt „sugar“. Sie ist fest überzeugt, dass ich auf meiner letzten Runde bin. Nach der Passage den Damm hinunter und parallel auf dem Höhe der Schleuse kommen mir zahlreiche Finisher entgegen – sie spornen mich und drei hinter mir nachrückende Läufer an – alle glauben, auch ich werde es schaffen und noch knapp unter 4 Stunden den Marathon beenden. Dann bin ich der einzige, der nicht in die mit einem Trenngitter versehene Zielgerade läuft, sondern in einem Spalier von Zuschauern hinter der Absperrung erst seine 4. Runde vollendet hat – aber nach Plan und 33,9 absolvierten Kilometern mit 3:55 h wieder knapp unter der vollen Stunde.

Das Spektakel aber sind nicht die Finisher, sondern unter dem Beifall vieler warm angezogener Zuschauer rund zwei Dutzend Schwimmer, die alle von einem Klub kommen und richtige „Restln“ sind – wie wir in Wien sagen, teilweise muskelbepackt vom Schwimmtraining, aber auch mit einer dicken Fettschicht ummantelt. Ich kann mir keinen längeren Stopp als 2 Minuten für Fotos und einen Becher Tee leisten, um nicht in Verzug zu kommen. Da es schon kurz vor 12 Uhr 30 ist, dürfte meines Erachtens der Bewerb schon zu Ende sein, die Schwimmer machen Anstalten, aus dem Wasser ans Ufer zu kommen.

Die letzten 8 km liegen vor mir, mit einer 7er-Zeit würde ich knapp unter die geforderten 5 h kommen. Beim Durchlauf bei der Zeitnehmung habe ich zum Techniker im Bus noch eine Runde gedeutet – er hat genickt und verstanden, dass ich vielleicht etwas darüber liegen könnte. Nicht allzu weit weg in Laufrichtung erblicke ich einen Mann, der sich noch langsamer wie ich bewegt – ich komme ihm immer näher und hole ihn schließlich ein. Ich deute auf meine Uhr und sage „5 hours“. Er reagiert nicht, ist wohl am Ende seiner Kräfte. Ich muss nun zulegen. Es wird schwer, ich probiere auf den letzten vier Kilometern wieder die Galloway-Methode, 20 Schritte schnelles Gehen und 50-100m eine Fünferzeit und darunter. Aber am Ende fehlen mit 44 Sekunden – Hauptsache ich bin mit 5:00:43 als Vorletzter im Klassement und mein 49. Marathon wird in der österreichischen Jahressammlerwertung bei marathonaustria.com aufgenommen.

In der Nähe des Parkplatzes kommt mir Josef bereits angezogen entgegen – mit 4:20 ist er wieder eine Superzeit gelaufen. Die Siegerehrung ist schon lange vorbei. Als ich nach einer Viertelstunde zum Zelt komme, wird gerade abgebaut. Auf die warme Suppe muss ich verzichten, nicht aber auf den warmen Tee in der Restauration. Josef fährt früher als ich nach Wien zurück, im Restaurant sitzt Eva Seidlova mit Kollegen, wir wünschen uns frohe Weihnachten.

 

 

Mit Peter Zanicky, der sich bedankt, dass ich zu seinem Marathon gekommen bin, mache ich ein Abschiedsfoto – er fragt, ob ich 2018 wiederkommen werde. Die Organisatoren geben sich große Mühe, die Strecke ist asphaltiert und weitgehend flach, die Gegend aber ziemlich kalt. Wer auch im Winter einen Marathon in unseren Breiten laufen will, der ist in Žilina beim Weihnachtsmarathon bestens aufgehoben. Und weil kein Startgeld anfällt, kann er diesen sonstigen Kostenfaktor hier einmal ausklammern.

Reihenfolge Herren:
1. Miroslav ILAVSKÝ (SVK) – 02:42:48
2. Peter TICHÝ  (SVK) – 02:43:51
3. Paweł KASZYCA (POL) – 02:53:48

Damenwertung:
1. Alena KRIKLOVÁ (CZE) – 03:24:50
2. Iva PACHTOVÁ (CZE) – 03:29:14
3. Eva SEIDLOVÁ (SVK) – 04:06:43

76 Finisher (71 bei Herren, 5 bei den Damen); 192 Finisher beim Halbmarathon (156/36); 429 Finisher beim 8,3 km-Lauf (280/139)

 

 

 


 
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