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Laufberichte

Nachtmarathon Novi Sad: Wiedersehen macht Freude

24.06.17 Special Event
 

Mit ca. 235.000 Einwohnern ist Novi Sad („Neuer Garten“) als Hauptstadt der Vojvodina und administratives Zentrum des Okrugs Južna Bačka nach Belgrad nicht nur die zweitgrößte Stadt der Republik Serbien, sondern auch ein Zentrum der Wissenschaft, Kultur und des Sports. Das am 1. September 2013 in Kraft getretene Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU ist die Basis für das Bemühen des Landes, in absehbarer Zeit in die europäische Staatengemeinschaft als einst politisch bedeutendste und größte Nation im ehemaligen Völkerverbund Jugoslawiens aufgenommen zu werden. Im Jahr 2021 soll Novi Sad offiziell Kulturhauptstadt Europas werden.

Ich fahre am Renntag zeitig in der Früh mit dem Auto von Wien in das ca. 530 km entfernte Novi Sad über Budapest, Szeged und den Grenzort Subotica. Die Verbindung verläuft über die Ostautobahn A4 in Österreich, die M1 und M5 in Ungarn sowie ein Teilstück der Autobahn in Serbien. Samstage sind bekanntlich starke Reisetage, zuerst kontrollieren die Ungarn, dann die Serben bei der Einreise. Das Thermometer zeigt 37 Grad Außentemperatur im Grenzort Subotica an, 2 Stunden im Stau bei der Hitze zu stehen, ist kein Vergnügen. Das Navi verschafft mir einige Umwege, bis ich dann endlich gegen 13 Uhr vor dem Vierstern-Hotel Planeta Inn am Gehsteig einparke. Um in die Tiefgarage zu kommen, reversiere ich gegen die Einbahn – Touristen mit einem großen (wenn auch alten) Automobil haben hier noch ein Vorfahrtsprivileg. Die Größe der Autokoje im Kellerbereich des Hotels ist für kleinere Fahrzeuge ausgelegt, der Einweiser brüllt auf Serbisch. Er denkt wohl, ich könnte wegen der Breite meines Fahrzeugs die Wand beschädigen. Ich quetsche mich durch den verbliebenen Spalt von 25 cm zwischen Autotür und Mauer, der Einweiser nickt zufrieden.

Das um günstige 39 Euro gebuchte Zimmer verfügt über einen hohen Standard. Ich spüle die Anreisestrapazen in der Dusche mit Extrasitzecke weg, in der randvoll gefüllten Minibar stehen auch zwei Flaschen Jelen pivo. Ein Nickerchen am Tag für eine Stunde tut gut, danach fühle ich wieder fitter.

Der heute zum achten Male ausgetragene Nachtmarathon ist die zweite Laufsportveranstaltung über die 42,195 km, die in Novi Sad stattfindet. Wesentlich bedeutsamer ist der Herbstmarathon, der heuer am 22. Okt. bereits in seine 25. Auflage geht. Ländersammler, die noch dazu auf solche Jubiläen spezialisiert sind, sollten sich das Datum im Kalender eintragen.

 

 

Ich besorge mir in der Rezeption einen Stadtplan und marschiere um 15 Uhr 30 in Richtung zur 2 km entfernten Donaubrücke. Die Startnummernausgabe befindet sich vor dem Fußballstadion FK Index nahe der Philosophischen Fakultät, das auch für andere Sportarten wie z.B. Basketball ausgelegt ist und den Kosenamen „Studenti“ trägt. Für günstige 18 Euro erhalten die Teilnehmer ein Singlet-Funktionsshirt in den Farben und mit dem Logo des Nachtmarathons (Noćni maraton), ein Multifunktionskopftuch in Buff-Design, ein Gelpäckchen sowie Infomaterialien. Bis zum Start um 20 Uhr verbleiben noch gut 3 ½ Stunden.

Ich begebe mich auf den Damm, wo heute Abend der Marathon in sechs Runden gelaufen werden wird und spaziere in westliche Richtung zum Donaustrandbad. An diesem heißen Samstag herrscht großer Andrang, Hunderte sind vor der Kassa angestellt. Der Eintritt beträgt 100 serbische Dinar (1 Euro = 121 RSD), also rund 80 Cents. 300 Meter weiter kann man über eine Bootsvermietung auch direkt an das sandige Donauufer kommen. In dem eingegrenzten Areal des Strandbades stehen Hunderte knietief im Wasser, einige wagen sich tiefer in die kalte Donau mit kaum mehr als 14 Grad C. Ich setze mich auf einen Baumstamm und blicke auf den breiten Strom, der durch zehn Länder fließt und nach Serbien noch Bulgarien, Rumänien, Moldawien und die Ukraine vor sich hat. Ich erinnere mich an das Buch „Die Donau“ des verstorbenen Journalisten Ernst Trost, in dem er die historische und kulturelle Bedeutung des nach der Wolga zweitlängsten Flusses Europas beschreibt. Hubert von Goisern schipperte im Rahmen seiner Linz Europa Tour 2007-2009 mit einem zur Bühne umgebauten Lastschiff samt Band und Crew die Donau stromabwärts bis zum Schwarzen Meer und zurück nach Linz.

Ich muss mich vor dem Marathon noch stärken, also auf ins nächste Strandlokal. Die Speisekarte ist reichhaltig, statt Ćevapčići, Nationalgericht in den meisten Balkanstaaten, bestelle ich keine Grillspeise, sondern einen doppelten Teller Suppe mit gekochtem Rindfleisch und Palatschinken mit Topfencreme sowie ein großes Bier. Ich zahle rund 900 RSD, für meinen am Weg zum Stadion gewechselten 10-Euroschein bekam ich 1200 RSD. Mit einem guten Gefühl im Magen breche ich auf, um mich langsam in die 1 km entfernte Startzone beim Index-Stadion zu bewegen. Schon den ganzen Nachmittag herrscht dort eine Art Sportvolksfest mit diversen Vorführungen, darunter auch Kampfsport.

Neben dem Marathon (6 Runden) und dem 7 km-Lauf mit Beginn um 20 Uhr wird der Halbmarathon (auf derselben Strecke) um 22 Uhr gestartet. Jetzt eine Stunde vor Rennbeginn sehe ich mich nach vertrauten Gesichtern um – Drago Boroja, der in Katowitz lebt, ist zwar nicht hier, dafür aber Vojislav Ćurulić aus Belgrad, 63 Jahre alt wie ich und langjähriges Mitglied im Club Supermarathon Italia. Vojislav kennen alle Insider, trotz seines, wegen eines durchtrennten Nerven  nicht mehr bewegbaren und herabhängenden linken Armes lief er noch vor geraumer Zeit Finisherzeiten beim Marathon um 3:45. Auch Kollege Valentin Wulz aus Kärnten ist anwesend, er trägt ein Kurzarmshirt des Veitscher Alpinmarathons.

Die ca. 350 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Minimarathons sind an ihren blau unterlegten Startnummern gut erkennbar, jene der über 150 registrierten Marathonläuferinnen und -läufer haben einen hellgrünen Untergrund. Ich habe vor, heute auf Schongang zu laufen, nicht nur wegen der Hitze, sondern vor allem wegen der ab Freitag bevorstehenden 10er-Serie: Erstmals wird in Österreich von einem Laufclub regulär ein Bewerb mit 10 Marathons an 10 Tagen hintereinander veranstaltet. Solche Formate gibt es im Ausland schon länger, etwa in Orta/Italien oder in Südengland.

 

 

Ich stelle mich vor dem Start außerhalb der Zeitnehmungsmatte vor das Läuferfeld, um einige Schnappschüsse zu machen – und bleibe dort eine halbe Minute stehen. So bekomme ich viele ins Bild, besser mehr als zu wenig Fotos. Ob meine Digicam nach Einbruch der Dunkelheit überhaupt funktionieren wird – aus dem Lauf heraus und nicht nur bei 20 Sek.-Stopps, wird sich zeigen.

Der Kurs führt aus dem FK Index Stadion vorbei an der Philosophischen Fakultät und der Dr. Zoran Đinđić-Straße, benannt nach dem im Jahre 2003 ermordeten Vorsitzenden der Demokratischen Partei Serbiens, durch einen Park tlw. auf grobem Schotter in einer Schleife auf den für Radfahrer und Fußgänger gut markierten Damm. Vojislav spurtet auf und davon, Valentin Wulz hat auf dem ersten Kilometer der ersten Runde auch schon gut 100 m Vorsprung. Wer glaubt, dass wir Läufer die einzigen auf dem zum Hochwasserschutz aufgeschütteten Donaukai sind, der irrt: Die ganze Stadt ist heute unterwegs, Spaziergänger, Radfahrer, Hundehalter. Doch die Zuschauer halten sich weitgehend von dem für den Lauf frei zu haltendem Radweg fern, auch nach der Wende nahe der Freiheitsbrücke, eine Stahlbetonkonstruktion mit 1.300 m Länge und 28 m Breite, sechs Fahrzeug- und zwei Fußgängerspuren und 60 m hohen Pylonen, die zwischen 1976 und 1981 gebaut und 1981, am Jahrestag der Befreiung Novi Sads von den deutschen Besatzern, für den Verkehr freigegeben wurde, ist das so. Im Jugoslawien-Krieg wurde sie während eines Luftangriffes der NATO am 3. April 1999 zerstört und erst am 11. Oktober 2005 wieder für den Verkehr geöffnet.

Nach der Wende, wo sich eine Matte für die elektronische Zeitnehmung und danach eine Labestelle befindet, merkt man das leichte Gefälle, es geht auf einer Tartanbahn flussabwärts. Ich kann ein wenig zulegen. Der Sichtkontakt in der Begegnungszone wird immer wieder durch Scharen von Spaziergängern, die sich in der Mitte zwischen dem vorgesehenen Kursabschnitten für die Läufer befinden, unterbunden. So komme ich auch nicht zum Knipsen. Eine Runde hat etwas mehr 7 km, die Abschnitte in beiden Richtungen auf dem Damm dürften alleine ca. 5 km ausmachen.  Bremsend wirkt der Schotteruntergrund im Park auf einer Länge von ca. 300 m je Richtung, viele weichen auf verbliebene Grasflächen oder einen Teil der Nebenstraße aus.

Für den Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Minimarathons ist es nach der ersten Runde, die wieder in das Stadion zurückführt, auch schon zu Ende. Die Marathonis laufen nun nicht über die Matte, sondern daneben vorbei – es wird nach dem Start nur einmal bei der Wende nahe der Freiheitsbrücke gemessen. Rundenlaufen war und ist meine Sache nicht, ich mag lieber eine Punkt zu Punkt-Strecke – wie z.B. letzten Samstag beim Mozart 100 Scenic Marathon, der zwar anstrengend, aber schön war.

Auf in die zweite Runde – die Uhr zeigt 44 Minuten an. Vojislav, der Teufelskerl, hat inzwischen einen Vorsprung von einem Kilometer, auch Kollege Wulz kämpft tapfer vor mir und scheint schneller zu werden. Der Tag geht langsam zu Ende, noch ist es nicht finster, aber mit einem lichtschwachen Kameraobjektiv werde ich kaum brauchbare Fotos aus dem Lauf heraus zusammenbringen. Mit Stativ und entsprechenden Einstellungen in einer Ruheposition wäre das einfacher.

Meine Laufzeit ist langsamer. Aber nur keinen Stress, hier in Novi Sad sind die Veranstalter entgegenkommend, mit 3 Stunden für den Halben und 6 Stunden für die volle Distanz kann fast nix schiefgehen. Als ich die dritte Runde beginne, stehen im Stadion abseits des Laufparcours inzwischen an die 500 startbereite Halbmarathonläuferinnen und -läufer, gut erkennbar an den beige unterlegten Nummern. Sie applaudieren lautstark, während ich hoffe, dass möglichst wenige von ihnen mich nach den verbliebenen 20 Minuten bis zu ihrem Start ein- bzw. auf der Strecke überholen werden. Ganz geht es sich nicht aus, denn 500 Meter vor meinem dritten Einlauf ins Stadion kommen die Schnellen schon daher und überlaufen uns Nachzügler auf dem schwierigsten Abschnitt, der Grobschottertrasse.

Die Auswahl an den beiden Laben – bei der Wende und vor der Zeitnehmung im Stadion – ist auf Wasser und Iso beschränkt, dazu gibt es Apfel- und Zitronenstücke. Man verliert eine Minute, wenn man stehenbleibt und sich bedient. Als ich in die vierte Runde gehe, zeigt die Uhr schon 2:35 Stunden an. Eine Laufzeit unter 5 Stunden ist abzuschreiben, außerdem bin ich kein Nachtmensch. Ich gehe gegen 23 Uhr schlafen, die 24 Stunden-Dauerläufer und alle Ultraläufer, die noch länger in einem durch sich anstrengen können, haben meinen Respekt.

Als die Uhr bei 22 km 2:43 Stunden anzeigt, wird mir jäh bewusst, dass ich nochmals fast die gleiche Distanz vor mir habe. Die Halbmarathonis sind nun in ihrem Element, sie ziehen an mir vorbei, einige applaudieren, wie das so ist, wenn man sich stärker vorkommt. Aber liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hab‘ halt mehrere Handicaps – das Alter, meinen Trainingszustand (der seit Jahren bei Nullkommanull liegt) und die heurige Abnutzung bei meinem heutigen 20. Marathon in diesem Jahr. Lasst euch durch mich nicht aufhalten, ich mach‘ eh Platz!

Es kommt mir nicht nur so vor, sondern ist ein Faktum, wie sich am nächsten Tag in der Ergebnisliste zeigen sollte: Gut zwei Dutzend Marathonis sind plötzlich nicht mehr zu sehen, die grünen Nummern fehlen. Auch Vojislav ist nicht mehr auf der Strecke – war/ist es die Schwüle, die enorm viel Substanz kostet? Der Flüssigkeitsverlust, vielleicht eher sein hohes Anfangstempo? In der Nacht kommt mir die Kilometereinheit länger als am Tag vor, es dauert alles viel länger. Meine vierte Runde beende ich nach 3:45 Stunden, um 00:35 geht es in die letzte Runde. Kollege Wulz liegt vielleicht einen halben Kilometer hinter mir, ich sehe ihn auf der anderen Seite der Laufstrecke. Ich versuche noch einige Zeit aufzuholen, aber diesmal gelingt es mir nicht, vor mir in Sichtweite liegende Läuferinnen und Läufer trotz Anstrengung einzuholen. Auf dem Schotterstück verliere ich weitere Minuten, weil ich darauf achte, nicht auf den Steinen umzuknicken und mich vor dem 10in10-Event zu verletzen. Ich finishe mit 5:18. Man hängt mir eine schicke Medaille um mit einem farblich auf das Design abgestimmten grünen Band.

Als ich zum Kleiderdepot komme, händigt man mir den von der Erste-Bank für den Linz-Marathon gesponserten Beutel aus. Als ich ihn öffne, kommt eine Ironman Klagenfurt-Sportkappe zum Vorschein. Es stimmt zwar schon, dass ich zum Fünfziger 2004 diesen Bewerb und davor sowie und danach weitere Triathlons in der olympischen und Halbdistanz gefinisht habe, aber ich bin mir sicher, dass diese Tragetasche nicht die meine ist. Bei erneutem Nachsehen stellt sich heraus, dass auch Kollege Wulz denselben Beutel abgegeben hat – der Irrtum ist rasch aufgeklärt.  

Gegen 01:30 sind noch immer welche auf der Strecke auf ihrer letzten Runde. Mit 5:44:24 beendet Milan Knežević aus Serbien den 8. Nachtmarathon von Novi Sad.

 

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Mein Fazit:

Auch Marathonsammler sollten sich der Abwechslung nicht verschließen und nicht jahraus, jahrein dieselben Strecken beehren. Der Nachtmarathon von Novi Sad ist bestens organisiert, für das geringe Startgeld wird man reichlich beglückt: das schicke Shirt und das Kopftuch in Buff-Design würden bei uns im Sporthandel weitaus mehr kosten. Wer nicht mit dem eigenen Auto fahren will, kann um 20 Euro pro Strecke mit Busunternehmen wie Fudeks oder Lukic von Wien und anderen österr. Städten nach Novi Sad fahren – es dauert halt wegen der Einzelkontrollen an den Grenzübergängen um 2-3 Stunden länger. Alternativ bietet sich ein Flug nach Belgrad mit Shuttle an, den man auch unter 100 Euro buchen kann. Ich überlege ev. beim 25. Marathon am 22.10. wieder in Novi Sad zu laufen. Deutsche waren am Samstag nicht dabei.


Sieger bei den Herren:
1.Marco Bonfiglio (ITA) – 2:44:44
2.Mladen Stevanovic (BIH) – 2:57:49
3.Uglješa Nikolić (SRB) – 3:11:32

Damenreihung:
1.Biljana Bursac (SRB) – 3:22:37  
2.Aleksandra Burkanovic (SRB) – 3:38:48
3. Marta Siemieniec (POL) – 3:42:39

125 Finisher (111 bei den Herren, 15 bei den Damen), ca. 30 DNFs

 

 


 
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