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Laufberichte

Mumbai Marathon: Dicke Luft

19.01.25 Special Event
 
Autor: Rudo Grimm

Mal etwas Anderes: Großstadt. Schnell. Heiß. Abwechslungsreich genug, dass man die Stunden gut unterhalten war. Gewonnen haben übrigens Berhane Tesfay in 2:11:44 und Joyce Chepkemoi in 2:24:56. Schon mal gehört?

Wieder einmal darf ich geschäftlich nach Indien reisen, nur diesmal leider ohne nahe gelegenen Traillauf. Aber immerhin findet der Mumbai Marathon zufällig am Sonntagmorgen vor meinem ersten Termin in ebendieser Stadt statt, so dass ich etwas unfreiwillig aber nicht unglücklich meinen ersten Straßenmarathon seit Februar 2020 laufe. Damals war es Sevilla, wunderbarer Ort, gerade einmal drei Wochen bevor dort anlässlich der Corona-Pandemie einer der strengsten Lockdowns in Europa angeordnet wurde und meine „vielleicht-wird-es-doch-mal-wieder-ein-Personal-Best-Marathon-Karriere“ endete.

Vom Mumbai Marathon finden sich einige Laufberichte auf dieser Seite, allerdings über 10 Jahre alt und keiner erwähnt meine größte Sorge, die Luftverschmutzung. In den Wochen vor dem Lauf kommt fast täglich eine Informationsmail vom Veranstalter, bis hin zum Wetterbericht mit Historie über die letzten drei Jahre (eigentlich immer gleich, von Laufanfang 20 °C und 80% Luftfeuchtigkeit bis Laufende 30 °C und 50%), aber nichts über die Luft. Vermutlich, weil man daran eh nichts ändern kann und die meisten Einheimischen es gewohnt sind. Die lokale Presse thematisiert das Problem allerdings schon und kündigt für die Laufstrecke eine PM 2.5 Konzentration von bis zu 154 an, gegenüber den 15, die die WHO noch für gesund hält. Ich nehme mir also vor, bewusst langsam zu laufen, muss aber auch zugeben, dass ich die Luftfeuchtigkeit am Morgen deutlicher wahrgenommen habe als die Luftverschmutzung.

 

 

Indische Stadtläufe sind in Europa ja nicht ganz so bekannt, in Asien am ehesten noch Tokyo als World Major Event. Mumbai ist jedoch der größte Marathon in Asien bzw. die größte Massensportveranstaltung in der Region mit rund 60.000 Teilnehmern, davon etwa 10.000 auf der Marathonstrecke, und bei den World Athletics als Gold eingestuft.

Im Paket für rund 60 Euro wird alles geboten, was man von den Top Marathons so gewohnt ist, inklusive Shirt und einer für Indien typischen, sehr aufwändig gestalteten Medaille. Vom Schuhsponsor Asics gibt es eine Sonderedition des Gel Kayano – es ist ja immerhin das 20. Jubiläum der Veranstaltung. Hauptsponsor TCS wirbt mit der ganzen Reihe von ihnen geförderten Marathons, wirklich ein beeindruckendes Engagement in diesem Sport (aus Amsterdam habe ich schon Tata auf einem Laufshirt). Ansonsten bekommt man einen kleinen Laufrucksack und die üblichen Produktproben, konkret Müsli, einige Nahrungsergänzungsmittel, eine Magnesiumlotion und einen Gummikleber zur Schuhreparatur plus am Ziel ein Handtuch, das ich allerdings gerne an einen danach fragenden kleinen Jungen abgebe, der vermutlich deutlich weniger Handtücher besitzt als ich.

 Die Anmeldung und die Messe drum herum sind sehr gut organisiert. Die Stimmung ist super. Viele, die ich spreche, laufen ihren ersten Marathon und einige wollen ein Foto mit mir. Ausländer gibt es nicht ganz so viele, bewusst wahrgenommen habe ich so um die 30, hauptsächlich Thais und in Indien lebende Japaner.

Die Versorgung an der Strecke verspricht außerordentlich gut zu werden, es sind insgesamt 17 Stationen, also sogar 2 mehr als in Berlin. Als Verpflegung sind neben Wasser und Energiedrinks allerdings nur Orangen und Nüsse angekündigt, so dass ich mir vorsichtshalber einmal ein paar Gels einstecke. Gefühlt steht an der Strecke eigentlich alle paar Meter jemand mit Wasser oder Elektrolytgetränk. Früchte kommen erst im hinteren Teil, nachdem mir von den ersten etwas schlecht geworden, vielleicht das Thema Sauberkeit, vielleicht die Hitze, habe ich allerdings darauf verzichtet.

 

 

Die Strecke verläuft vom Bahnhof zur westlichen Küste und dann immer nach Norden, auf dem Rückweg parallel dazu auf der Gegenfahrbahn. Schon spannend, die Hauptverkehrsader in die Stadt, die man sonst nur im Taxi sitzend als Staustrecke kennt, komplett gesperrt zu erleben. Zwischen Kilometer 15 und 20 läuft man über die in die Bucht gebaute Brücke namens Rajiv Gandhi Sea Link und dann auf der anderen Seite der Bucht zurück, so dass sowohl die Brücke ein echtes Highlight ist als auch die Schleife noch einmal zusätzlich für Abwechslung sorgt.

Die Halbmarathonläufer starten auf der Hälfte der Strecke und kommen einem quasi entgegen, die Eliteläufer haben, oft auf der Gegenspur oder zumindest abgetrennt, ihre eigene Strecke, so dass sie nicht behindert werden, aber auch nicht ganz so früh aufstehen müssen. Sonstige architektonische oder touristische Highlights gibt es nach meinem Empfinden bis auf das toll erleuchtete Bahnhofsgebäude am Start nicht wirklich.

 

 

Da es schon morgens um 5 Uhr losgeht, in vier Wellen, die durch mit hohen Wänden begrenzten Holzwänden und Stoffbahnen getrennt sind und die Sonne erst um 7:15 aufgeht, ist es die halbe Strecke sowieso dunkel. Aber Mumbai ist nicht überall schön, weder die Gebäude noch die vielen Baustellen (Natur gibt es nicht viel), so dass die ersten zwei Stunden, auch wegen der Temperatur, eigentlich die schöneren sind. Dann Sonnenaufgang auf der Brücke und einige nicht so anheimelnde Stadtteile. Höhenmeter gibt es auch, vor allem zwei kleinere Brücke bei  Kilometer 11 und 35, sodass hier die meisten gehen statt laufen und man auf der letzten einen direkten Blick auf Herrn Ambanis teuerstes Wohnhaus der Welt hat.

Ansonsten wird man auf der Strecke ganz gut unterhalten. Zahlreiche Trommelgruppen (authentisch indisch, nicht brasilianisch), Alleinunterhalter und Orchester (z.B. die etwas schräg klingende Bläsergruppe der Bahnpolizei) aber auch unglaublich viele Privatpersonen mit Schildern säumen die Straßen. Die Inder feuern sich auch gegenseitig mehr an als ich das so kenne, teilweise mit auf mich militärisch wirkenden gemeinsamen Schlachtrufen, was dazu passt, dass einige Läufer mit indischen Flaggen unterwegs sind.

 

 

Pacer gibt es eine ganze Menge, von 3:30 bis 5:30 und dann noch 5:55, also wirklich für fast jeden etwas dabei, aber eher am langsamen Ende. Cutoff ist bei 8 h. Was es auch an jeder Ecke gibt sind Fotografen,und dementsprechend Läufer, die mit erhobenen Armen, erhobenem Daumen oder mit ausgebreiteten Armen oder sonstwie fotogen auf diese zulaufen. Die Leute haben einfach jede Menge Spaß.

Mit dabei sind auch über 250 gemeinnützige Vereine, die teilweise Bühnen an der Strecke haben. Diese sind jedoch früh morgens noch nicht besetzt, sondern erst zum „Walk“, den man auf den letzten Kilometern auf der anderen Straßenseite beobachten kann. Ich hatte es zuerst für eine Demo gehalten: Sehr dicht gepackt und Leute mit Plakaten und Bannern. War es im Grunde auch, aber eben für die angemeldeten Organisationen, die von Umweltschutz über häusliche Gewalt bis zu spirituellen Themen ein recht breites Spektrum abgedeckt haben. Die Teilnehmer rufen beim Walk dann die Slogans dieser Organisationen, was den Demoeindruck noch einmal verstärkt, von den Startnummern einmal abgesehen.

 

 

Auffällig war ansonsten Nike, die das Rennen nicht gesponsort, aber an geeigneten Stellen große Plakatwände angemietet hatten und dazu Hundertschaften von jungen Leuten in roten Nike Hemden mit entsprechenden Schildern. Ein sehr professionelles Guerilla-Marketing. Was auch aufgefallen ist waren die vielen Kinder und auch ältere, ärmere Personen, die die Plastikflaschen wohl für sich selber sammeln und dafür zwar keine Pfand aber doch einen kleinen Betrag nach Gewicht bekommen. Die Getränke gab es meist in kleinen Flaschen, so um die 150 ml, so dass es hygienisch war aber eben auch jede Menge Abfall produziert hat.

Ganz am Ende dann die übliche Party mir riesiger Liegewiese. Mir war es bis dahin allerdings etwas zu warm geworden, so dass ich mich lieber auf eine Dusche und anschließendes Nickerchen ins Hotel zurückgezogen habe.

Würde ich den Lauf empfehlen? Wenn man sowieso in Mumbai oder der Umgebung ist, auf jeden Fall. Dafür extra anzureisen lohnt sich aber nur, wenn man unbedingt einmal in Indien gelaufen sein will. Wirklich spektakulär ist der Lauf nicht und man sieht von den touristischen Attraktionen, anders als etwa in Sevilla oder Paris oder London oder New York nicht wirklich viel. Dann besser als Tourist in die Stadt und als Läufer in die Berge. Da hat Indien, gerade am Fuße des Himalaya, wirklich Spektakuläres zu bieten. Und die Luft ist dort hervorragend.

 


 
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