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Laufberichte

Katowice Marathon

06.10.19 Special Event
 

Schlusszeit um 15 Minuten verkürzt: 
Macht’s was aus, alle kommen früher nach Haus?

 

Auf der Veranstalter-Website lese ich einige Tage vor dem 11. Kattowitz Marathon, dass bei der Nachmeldung exakt 50 Restplätze ausgegeben werden. Daher ist Eile angebracht: Auf mein Ersuchen bestätigt mir Marek Ochudlo von Proactive Silesia die Reservierung eines der begehrten verbliebenen Startpakete.

 

Anreise und Nachmeldung

Von Wien aus fährt man mit dem EC104  etwas mehr als 4 Stunden nach Katowice, mit ca. 300.000 Einwohnern das Zentrum der schlesischen Metropolregion. Im Vienna House habe ich zwei Nächte gebucht – das Mittelklassehotel ist vom Bahnhof nur 800 m entfernt , von den Haltestelle der Tramways,  die beim Silesia Stadion halten, wo die Startpakete abzuholen sind, sind es gar nur 150 m.

Am Samstagnachmittag um 15:30 ist der Andrang in ein Nebengebäude des Schlesischen Stadions (Stadion Śląski), das für Fußballspiele, Leichtathletik-Meetings und Konzerte mit einer Kapazität von 55.211 Personen ausgelegt ist, relativ gering. Ich zahle die erhöhte Nachgebühr von 200 Zloty, fast 50 Euro umgerechnet. Beim Marathon in Kattowitz bekommt man erst als 70-Jähriger eine Ermäßigung. Goodies im Startsackerl sind das schön designte Kurzarmfunktionshirt sowie ein dazu passendes Schlauchtuch, das man auch als Schal und Mundschutz bei Kälte verwenden kann.

 

 

 

Ein Renntag der besonderen Art

Man spürt schon den Herbst, es hat heute kaum mehr als 8 Grad C. Tiefhängende Regenwolken drücken etwas die Stimmung. Aber der Wetterbericht  kündigt für die Region ab mittags Sonnenabschnitte mit leichter Bewölkung an. Frühstücken im Hotel kann man schon knapp vor 7:00, eine Dreiviertelstunde später dränge ich mich in die vollbesetzte 6er-Tramway. Die wenigen älteren Fahrgäste und Nichtläufer schimpfen, es ist nicht einmal Platz zum Stehen. Nach einer Viertelstunde Fahrzeit steigen die Sportler aus, die Tram ist nun fast leer.

Drei Bewerbe stehen heute auf dem Programm – um 8:40 ein Ultralauf über 50 km, der sich nur durch einen ca. 8 km-Schwenk zum Aeroklub Slaski vom Kurs des um 9:00 ebenfalls vor dem Stadium beginnenden Marathons unterscheidet. Um 10:40 ist dann noch ein Halbmarathon angesetzt, dessen Kurs ebenfalls gegen den Uhrzeigersinn gerichtet ist und ca. beim Kilometerpunkt 7 des Marathons gleich zu dessen 29 km-Anzeige hinüberführt. An die 1800 Sportler sind alleine für den Marathon,  die 2900 für den Halben und über 200 für den Ultralauf angemeldet.

Pacemaker von 3:00 in halbstündlichen Intervallen bis 5:00 Stunden Zielzeit werden aufgeboten. Auf meiner Startnummer steht handschriftlich Block F, also über 5 Stunden. Laut „Regulamin“ ist der Marathon offiziell 6 Stunden geöffnet. Ich stelle mich aber weiter nach vorne, damit ich nach dem Durchlauf über die Matte wieder möglichst viele vor die Kamera bekomme.

 

 

Die ersten zwei Kilometer führen durch den Park Slaski nach Osten, alle drücken aufs Tempo. Mein linkes Knie gibt bei jedem Auftreten leicht nach, ich hinke beim langsamen Laufen. Sobald wir aus dem Park draußen sind, schwenkt der Kurs kurzzeitig nach Norden in ein Wohngebiet, um dann in einer Halbschleife bei Kilometer 4 in eine breite, stadteinwärts gesperrte Stadtschnellstraße zu münden. Die Überquerung der Straßenbahngeleise wird von Polizisten überwacht. Die einfahrende Tramway wird solange angehalten, bis alle Läufer sicher drüber gekommen sind. Vier vor mir liegende Marathonis habe ich im Visier, sie reden laut und scheinen sich nicht anzustrengen, als ich sie überhole. Ich frage mich innerlich kurz, ob ich schon wieder übermütig sein darf – warum nicht, besser ich hole am Anfang einen kleinen Vorsprung heraus.

Die zahlreichen jugendlichen Helfer bei der ersten Versorgungsstation bei Kilometer 6 sind warm angezogen. Eiskaltes Wasser in Bechern wird gereicht. Schade, dass es keinen warmen Tee gibt. Ich achte, dass der Abstand zu den eben Überholten sich vergrößert und trinke im Laufen. Wir kommen bei der Mehrzweckhalle Spodek vorbei, die einer fliegenden Untertasse gleicht. Der Kurs führt an Wohnsilos vorbei nach Süden. Ein älterer Läufer schließt von hinten kommend auf, er dürfte womöglich später gestartet sein und hat es jetzt sehr eilig – am Ende zählt ja immer die Nettozeit.

Der Marathonkurs ist mit jenem im Jahr 2015 meiner Erinnerung nach verschieden, spektakuläre Motive bekommt man vorerst nicht zu Gesicht. Zwei Brückenunterführungen mit kleinen Anstiegen und natürlich die Schlesische Bibliothek, eine der modernsten des Landes, sind vorerst die Highlights, bevor es über die Trasse der A4 in ansteigendes Waldgebiet geht. Ein Läufer aus der Nachhut ist inzwischen nachgekommen. Der leichte Regen hat aufgehört, beim Laufen ist es mir unter dem Plastikregenschutz schon richtig warm geworden. Das Verstauen dauert eine halbe Minute, eine Läuferin in roter Jacke will es wissen, doch ich lasse sie nicht vor, der Übermut bei mir hält an.

 

 

Bei der 10 km-Anzeige befindet sich die erste elektronische Messvorrichtung.  Ich bin erleichtert, als ich den Pfeifton beim Drüberlaufen deutlich höre – hätte ja sein können, dass man die Startnummer nicht aktiviert hat. Mit 1:16 Stunden brutto habe ich mich trotz der welligen Beschaffenheit des Kurses im Vergleich zu Warschau letzten Sonntag deutlich  verbessert.  Wir treffen auf die Ultramarathonläufer*innen  die inzwischen schon 8 Kilometer mehr zurückgelegt haben. Von nun an sind die beiden Strecken ident, das Höhenprofil der Strecke nimmt nun zu. Schon 2015 kosteten die Anstiege auf asphaltierter Straße hier im Wald- und städtischen Erholungsgebiet viel Zeit. Dazu kommt, dass fast alle Ultraläufer an mir vorbeiziehen, nur die Kollegin mit der untypischen roten Wolljacke bleibt hartnäckig an mir dran. Wenn sie bis auf einen Meter näher kommt, ziehe ich wieder an. Das linke Knie meldet sich, aber ich will auch wieder einmal an kleine Erfolge in früheren Jahren anschließen und nehme den Zweikampf an.

Der Kurs verläuft eine Zeitlang auf einer Nebenstraße parallel zur A4, bevor es wieder zurück in den Mischwald geht. Kurz vor Nikiszowiec, eine gut erhaltene und bewohnte Arbeitersiedlungen aus dem frühen 20. Jahrhundert, taucht die Baumwolljackenträgerin wieder auf. Hier kommt es zu einer Begegnungszone, wir laufen in den Ort hinein, die vor uns liegenden kommen eben raus. Auf dem gepflasterten Untergrund im Ortsgebiet lasse ich die Kollegin dann vor. Meine Füße brauchen Schonung, ich bewege mich mit Vorsicht auf dem unebenen Terrain.

An der Labestelle bleibe ich nicht stehen, das kalte Wasser lässt sich auch im schnellen Gehen schluckweise trinken. Die Ziegelhäuser sind tlw. noch immer schwarz vom Kohlenstaub.  Bekanntlich liegt Katowice mit all seinen Vororten im Zentrum einer der bedeutendsten Kohle- und Eisenregionen Europas. Und Ruß liegt in der Luft, das sieht und riecht man. Den in der Bundesrepublik und Österreich aufstrebenden Grünparteien könnte man eine Fact-Finding-Mission nach Schlesien empfehlen, um neue Kenngrößen für den einsetzenden „Handel“ mit Emissionswerten zu erarbeiten. In der Region wird man meiner Meinung nach auch in 20 Jahren noch mit Kohle heizen und kalorischen Kraftwerke damit betreiben.

 

 

Nach Kilometer 17 geht es wieder über die Autobahn A4. Zwei Ultraläufer überholen mich auf der Brücke. Bei Giszowiec stehen ein paar Zuschauer, aber eher zufällig.  Asia, eine Ultraläuferin, hat zu mir aufgeschlossen. Ich versuche ein Gespräch, aber die Kollegin antwortet nicht. Es geht erneut über die A4, der Verkehr unter uns ist stark. Asia und ich bewegen uns abwechselnd in der Führungsposition auf einem welligen Kurs zur 20 km-Marke, wo erneut eine Messmatte liegt. Bei der Versorgungsstelle wird ein mitgeführtes Gelpäckchen zur Stärkung fällig. Während Asia, die wortkarge Ultraläuferin, zurückfällt, sehe ich in der Ferne jene Nachhutläufer nachrücken, die ich voller Energie bei Kilometer 4 am Beginn des Marathons überholte habe. Bei der Halbmarathonanzeige schnappen sie mich dann tatsächlich wieder.

Der Marathonkurs führt gegen den Uhrzeigersinn wieder nach Westen. Vor Szopienice, einem Stadtteil von Katowice, beginnt das Spiel von Neuem. Asia versucht zu entwischen und denkt wahrscheinlich an die Finisherzeit wie ich. Durch menschenleeres Ortsgebiet, vorbei an verrußten Häusern geht es zur nächste Versorgungsstelle bei Kilometer 25. Barbara, eine junge Läuferin mit dunkelblauer Startnummer wie ich, bewegt sich so langsam, dass es sich für sie heute schwer ausgehen wird. Bei der Labestelle stehen einige Zuschauer und applaudieren.  Einmal im Jahr ist Marathontag, darauf kann man sich nach dem Besuch der katholischen Messe einstellen.

Eine junge Läuferin mit einem Hund an der Leine liegt vor mir, sie bekommt von den Zuschauern und Helfern viel Augenmerk, zumal das Tier ständig stehenbleibt und in eine andere Richtung drängt. Aber die Kollegin hat Kondition und legt raumgreifende Zwischenspurts ein. Die örtliche Kirchturmuhr zeigt 13:05 an, ich bin seit drei Stunden unterwegs und habe bisher 26 km geschafft. Auf einer gesperrten Schnellstraße  geht es leicht ansteigend weiter nach Westen. Die 30 km-Anzeige sieht man in der Ferne. Etliche Marathonkollegen sind nun schon in Gehlaune, was mich beflügelt.

Ich überhole noch einige weitere Marathon- und auch Ultramarathonkollegen, bevor ich zur 32 km-Marke komme. Asia ist inzwischen wieder herangekommen, sie hat die gleiche Taktik wie ich – schnelles Gehen verbunden mit einigen kurzen Laufeinheiten bringt uns beide gut voran. In Siemianowice Śląskie, eine weitere Industriestadt im Süden Polens in der Woiwodschaft Schlesien, sind 35 km erreicht. Hier stehen mehr Zuschauer, ein Maskottchen in Mickey Mouse-Look soll für Stimmung sorgen. Ein Moderator begrüßt die Läufer.  Es dauert, bis er meine Nummer zuordnen kann. Als er endlich meinen Namen verliest, bin ich schon 300 m weiter gelaufen. Mein zweites Gelpäckchen wird fällig. Asia hat sich wieder an mich herangeschlichen.  Schade, dass wir uns nicht austauschen – ob es nur die Sprachbarrieren sind oder ich für sie vielleicht wegen des Alters kein probater Laufbuddy sein kann?

Vorbei an riesigen Bauschutthalden geht es nun wieder ansteigend in Waldgebiet hinein, der Slaskie Park ist nicht mehr weit entfernt. Bei Kilometer 36 blicke ich mich um – zwei Einsatzfahrzeuge fahren hinter einer kleinen Gruppe von Läufern her. Ein Ultraläufer vor mir sagt „Hurry up“ und ich versuche den Verfolgerautos zu entkommen. Aber bei Kilometer 38 sind sie hinter mir. Nur mehr ein Läufer ist von der Gruppe übrig geblieben, die anderen wurden aus dem Rennen genommen, erzählt der Kollege auf Englisch. Ich schaue auf die Uhr, mir bleiben für 4 Kilometer noch fast 40 Minuten. Leider nein, kurzfristig wurde die Schlusszeit auf 5:45 Stunden verkürzt.  Wer das nicht schafft, wird nicht mehr gewertet.

 

 

Ich versuche nun am Kollegen, der dem Tempo des ihn jagenden schwarzen Audis Paroli geboten hat, dranzubleiben. Dies ist aber mit den Problemen im linken Knie nicht einfach. Zum Glück kommen jetzt zwei Kilometer mit Abwärtsgefälle, wo ich trotz Schmerzen eine Sechserzeit laufen kann. 200 Meter vor dem Stadion bekommt der Kollege dann Assistenz von einem Radfahrer, der ihn mitzieht. Nur wenige Meter hinter ihm liegend laufe ich mit 5:44 ins Stadion ein.  Der Fahrer des schwarzen Audis wäre wohl auch noch gerne auf die Laufbahn mitgekommen, doch der Renndirektor steht vor dem Eingang und sagt laut „OK“. Ich komme zwar als Letzter ins Ziel,  aber wegen der Nettozeit liegen dann doch noch welche hinter mir in der Endergebnisliste.

Ich nehme die Aussage des Renndirektors zur Kenntnis, dass die im Regelwerk angeführte Schlusszeit um 15 Minuten verkürzt wurde – nur wann das erfolgt ist, kann mir niemand beantworten. Für mich zählt heute mehr das Finish.  Ohne gehetzt worden zu sein, wäre ich wohl um 10 Minuten später ins Ziel gekommen.

Leider sind die Massagestände schon abgebaut, auch die Duschen sind kalt. Aber ich bin darauf nicht angewiesen, das Hotels bietet Alternativen.

 

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Was kann ich weitergeben?

Die Marathonstrecke ist wegen Hunderter Höhenmeter, des zeitweisen ständigen Auf und Ab, anstrengend und kaum für eine Bestzeit geeignet. Die Versorgung an den Labestellen ist ausreichend, Obst wird keines angeboten, dafür Kochschokolade in bewährter polnischer Tradition bei Läufen. Die Goodies im Startpaket – Funktionsshirt und Schlauchtuch – sowie die sehr schöne Finishermedaille rechtfertigen auch noch die erhöhte Startgebühr von 200 Zloty bei der Nachmeldung. Die Aufbereitung der Website ist übersichtlich und modern, die Organisation professionell und dank vieler ehrenamtlicher Helfer auch effektiv.

Eigenartig finde ich nur die ad-hoc Verkürzung der Schlusszeit, ich habe dies erst auf den letzten vier Kilometern des Marathons erfahren. Vielleicht hat man SMS ausgesandt oder eine Message per E-Mail , die nicht bekommen habe.  Ich bin jedenfalls gewarnt, vor meinem nächsten Marathon in Polen werde ich mich diesbezüglich vorher genau informieren.

 

Siegerliste bei den Männern:

1. Evams Tamui (KEN) – 02:21:37
2. Moses KIPRUTO (KEN) – 02:23:16
3. Andrzej ROGIEWICZ (POL) – 02:29:18

 

Reihung bei den Frauen:

1. Gladys Tepkurui BIWOTT (KEN) – 02:45:55
2. Lucy Nthenya NDAMBUKI (KEN) – 02:48:35
3. Patrycja WŁODARCZYK (POL) – 02:59:02

 

1679 Finisher beim Marathon,
2805 beim Halben und
211 beim Ultralauf über 50 km

Veranstalter-Link: 

 


 
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