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Laufberichte

28. Internationaler Brüder Grimm Lauf

10.06.12

So unauffällig René sich zwischen die vorderen Läufer gemischt hat, umso auffälliger ist seine Lebensgefährtin Angela. Nur die Laufschuhe passen farblich nicht zu dem kurzen bunten Sommerkleid. Mit 127 Frauen ist das weibliche Geschlecht stark vertreten. Eine Läuferin ist aus Frankreich angereist. Auch wenn keine Etappe „Froschkönig“ heißt, so trifft sie hier vielleicht ihren Prinzen. Denn Frösche haben in Frankreich bekanntermaßen nur eine kurze Lebenserwartung.

Das Tempo ist hoch. Ich hoffe darauf, dass sich dies bei den nächsten Etappen ändern wird. Kilometer 8 ist erreicht und wir laufen den Limes Radweg entlang.  Weiter geht es in Richtung Erlensee. Das Römerbad in Rückingen, ein Relikt eines einstmals großen Kastells, ist eines der ältesten Artefakte der Region. Der Limes, Teil des UNESCO Weltkulturerbe, verläuft quer durch den Ort und ist durch Schautafeln und Markierungen sichtbar. Meine Schmerzen im Knie und im Rücken werden stärker. In diesen Minuten wechseln Momente voller Selbstbeherrschung mit solchen starken Selbstzweifeln ab.

Vor ein paar Stunden hatte der Radiologe zu mir gesagt: „Sie haben keinen Bandscheibenschaden, Sie können laufen“. Er meinte aber sicherlich von seiner Praxis bis zu meinem Auto. Obwohl mir Kay nicht wirklich helfen kann, genügt es schon, dass er einfach da ist. Mitten im Wald lenkt mich der  Anblick des Klosters St. Wolfgang, welches als ein Teil einer Ruine von der tiefstehenden Sonne angestrahlt wird, von meinen negativen Gedanken ab. Für diejenigen, die hier einfach vorbeilaufen sei gesagt: Das Kloster St. Wolfgang befindet sich ungefähr in der Mitte zwischen den Ortschaften Hanau-Wolfgang und Niederrodenbach, jeweils etwa 1,5 km von den Ortsrändern entfernt. Die Klostergründung geht auf die Zeit zwischen 1490 und 1494 zurück. Größere und kleinere Gruben im Wald stammen vermutlich von dem Abbau des Erzes.

An der Klosterruine wartet bereits der Wolf, in Gestalt eines Radfahrers. Das Mädchen mit der roten Kappe läuft beherzt weiter. Nur noch sechs Kilometer liegen vor ihr, bevor sie in dem um 1600 gegründeten Ort Neuenhaßlau Zuflucht finden kann. Das Raubtier mit dem großen Hunger und den großen Zähnen hat die Verfolgung aufgenommen. Als sie bereits den heißen Atem des Wolfes in ihrem Nacken spürt, ist sie nicht mehr weit entfernt vom ersten Etappenziel in Niederrodenbach. Gerade als der Wolf auf seinem Rad schon seinen Rachen öffnet um sie mit seinen Zähnen zu packen, läuft sie unter tosendem Applaus der Zuschauer gerade durch das Zieltor der Bulau Sporthalle in die schützenden Arme des Moderators.

Der radelnde Wolf entpuppt sich als Besenwagen. Große Augen, nicht nur bei der Großmutter. Der erste Läufer erreicht das Etappenziel in 0:52 Minuten, die erste Frau in 1:03 Stunden. Andere haben sich bei der Großmutter oder an den Verpflegungsständen wohl etwas länger aufgehalten oder vielleicht unterwegs die Flasche Rotwein getrunken? Wie auch immer, wer das Ziel erreicht, egal in welchem Zustand, der darf und wird bestimmt morgen wieder starten.

In der Bulau-Halle liegen unsere Taschen bereit. Das Duschen sparen wir uns, schnell etwas Trockenes übergezogen und ab zum Pendelbus, der schon auf uns Läufer wartet. Für diejenigen, die sich nicht zurückfahren lassen, wird die große und geräumige Halle zur Massenunterkunft. Dort liegen schon die nur einen Zentimeter dünnen Isomatten ausgerollt auf dem Boden. Ein Teilnehmer ist sogar mit einem Klappbett angereist, besagter schläft sicherlich wie die Prinzessin auf der Erbse. Die schnellen Läufer haben noch die große Wahl, in welcher Ecke sie ihr Nachtlager aufbauen wollen. Bei einem 6er Schnitt ist man für solch eine luxuriöse freie Platzwahl leider schon zu langsam und muss dann sehen, in welche Lücke man passt.

Die Sonne geht unter. Es wird kühl. Der süße Duft der ungeduschten Läufer beginnt sich zu verflüchtigen.

 

Samstag, 9.30 Uhr, Start der 2. Etappe „Dornröschen“


Die Bevölkerung von Niederrodenbach lebte hauptsächlich vom Reichtum an Holz, von der Landwirtschaft und von der Viehzucht.  Man könnte meinen, dass hier hinter einer Dornenhecke der Bulau Halle die Schöne ihren 100jährigen Dornröschenschlaf verbringt. Nach und nach treffen immer mehr Läufer ein.

Die letzten Isomatten werden zusammengerollt, das Klappbett der Prinzessin zusammengefaltet und an den Gepäcktransporter gerollt. Der Startschuss fällt und nach ein paar hundert Metern haben wir den Ortskern von Niederrodenbach erreicht. Mehr als ein Jahrtausend führte nur ein schlechter Weg durch das Kinzigtal. Heute sind es Autobahnen, zwei Bundesstraßen, die Eisenbahn – und ein Fahrradweg. Über diesen Radweg erreichen wir, am Rande des Vorspessarts, den kleinen Ortsteil Oberrodenbach. Aus dem Talkessel heraus laufen wir über einige Hügel. 14 Kilometer liegen vor uns. 1,5 Kilometer beträgt der Anstieg zum 233 Meter hohen „Käfernberg“. Irgendwie hatte ich diese Steigung in meiner Erinnerung vom Vorjahr völlig verdrängt.

 
 

 
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