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Laufberichte

Tarragona Marathon: Von Händlern und Konquistadoren

28.01.18 Special Event
 

Seit einer Woche sind wir nun schon in Sachen Resturlaub unterwegs. Gran Canaria samt Marathon stand auf dem Programm und jetzt im Anschluss Tarragona. Nachdem sich in Katalonien die Wogen der Unabhängigkeitsbewegung anscheinend wieder etwas geglättet haben, geht es am Freitag in drei Stunden nach Barcelona und von dort mit dem Zug nach Tarragona.

Ich freue mich sehr auf die Fahrt auf dieser wichtigen Eisenbahnmagistrale Richtung Süden. Meist direkt am Meer geht es durch Tunnel und Brücken an der Steilküste entlang, an Ortschaften vorbei, deren jetzt  leerstehende Hotels und Appartementblöcke auf die Sommergäste warten. Im Winter sind die Strände das Eldorado der Hundebesitzer und ihrer vierbeinigen Begleiter.

Nach einer Stunde kommen wir in Tarragona an. Die Stadt mit 132.000 Einwohnern gehört noch zur Region Katalonien und ist wesentlich ruhiger als Barcelona. Daher kommen viele Einwohner Barcelonas hierher, wenn sie dem Großstadtrubel entfliehen wollen.

Der Tarragona Marathon ist ein wichtiges Laufevent auf der Iberischen Halbinsel. Auch einige internationale Starter sind dabei. Trotzdem gibt es alle Informationen nur auf Spanisch und Katalanisch. Das sollte aber niemanden davon abhalten, sich hier anzumelden. Die Startgebühr beläuft sich auf 25 € bis 55 €.

Ein kleiner Wermutstropfen ist der geänderte Parcours des diesjährigen Laufs: Dass die windanfällige Pendelstrecke auf der sehr langen Hafenmole gekürzt wurde und nur einmal absolviert werden muss, dürfte zwar niemand bedauern. Doch Start und Ziel liegen leider auch nicht mehr am Jachthafen, sondern im etwas außerhalb befindlichen Sportstadion Camp Clar.

 

 

Die SB Hotels sind Hauptsponsor des Laufs. Für Teilnehmer hätte es dort auch Vergünstigungen gegeben. Wir sind am Hauptbahnhof im Hotel Catalunya Express abgestiegen,  zentral zur Altstadt und nahe am vermeintlichen Start gelegen.

Die Unterlagen sind im Sportzentrum abzuholen. Die Marathonmesse verdient den Namen nicht. Aber der einheimische Salbenproduzent Orgono ist wieder vor Ort. Auch eine Tube der Sportcreme befindet sich wieder im blauen Startbeutel, ebenso wie Kokoswaser, Powerade, Riegel und ein langärmeliges Laufhemd, das hauptsächlich für die SB Hotels wirbt und für den Tag #weruntgn, was kein Schreibfehler ist, sondern „we run Tarragona“ bedeutet.

Den Abend verbringen wir mit Sightseeing und einer bezahlbaren Pasta in einem netten Lokal. Natürlich sind wir viel zu früh dran. Die Spanier (und Katalanen) gehen erst nach 22:00 Uhr zum Abendessen.

 

Marathontag

 

Vom SB-Hotel am Placa Imperial Tàrraco gibt es einen Shuttlebusservice zum Start. Der letzte Bus fährt um 8:30 Uhr ab. Start ist um 9:00  Uhr. Wie immer treffen die Spanier recht spät ein. Für uns ist die Schlange vor den wenigen Toiletten also um 8:15 Uhr noch recht kurz.

Ich bin schon mal gespannt, was uns heute erwartet. Wir treffen Nando wieder, der uns beim Lanzarote Marathon angesprochen hat und der, dank eines deutschen Vaters, der hier als Ingenieur gearbeitet hat, gut Deutsch spricht. Nando kann uns auch gleich mitteilen, warum die Strecke geändert wurde: Der neue Start- und Zielbereich befindet sich auf dem Gelände der Mittelmeerspiele, die 2017 stattfinden sollten und aufgrund der Spannungen mit Madrid  sowie eines damit verbundenen Finanzierungsstopps auf 2018 verschoben wurden. Daher also das neue Leichtathletikstadion. Wenn ich das richtig verstehe, ist dies dann auch der Marathonkurs der Spiele.

 

 

Nando erklärt die Unterschiede zwischen den spanischen Bevölkerungsgruppen damit, dass die Katalanen eher Händler seien und die Kastilier eher Konquistadoren. Man habe also nicht nur verschiedene Sprachen, sondern auch Mentalitäten. Und dann kommt noch das Finanzielle zur Sprache. Katalonien möchte nicht so viel Geld an Spanien zahlen.

Heute treten 1351 Sportler an, 267 über 5 km, 484 über 15 km, 308 über 30 km und 292 über die Marathonstrecke. Gestartet wird zusammen, die Blockeinteilung kontrolliert keiner. Schon gleich der ein Hinweis: Die 15km-Strecke kann man aufgrund der langweiligen Streckenführung getrost vergessen.

Als es leicht verspätet losgeht, ist auf dem ersten Kilometer ein schöner, neu angelegter See zu umrunden. Dann durch das Barrio Camp Clar. Hier gibt es viel Stimmung. Dummerweise ist der Laufweg nur eine Autospur breit. Links kommen schon die Führenden entgegen. Bei km 4 werden wir wieder am Start sein. Nach der zweiten Seerunde sind die 5er weg von der Strecke. Für uns geht es auf breiter, komplett gesperrter Carretera National València Richtung Zentrum. Francisco, ein Läufer im Dress des Tennisclubs Tarragona, hat mich als Deutschen erkannt und ist froh, seine Sprachkenntnisse an den Mann bringen zu können. Er hat nach 1989 in Leipzig studiert und danach für spanische Firmen mehrere Produktionsstätten in Ostdeutschland aufgebaut. Nun wohnt er in València und freut sich darüber, dass ich vom dortigen Marathon schwärme. Er stammt zwar aus Tarragona, aber die Arbeitsplatzsituation ist anscheinend nicht so gut.

Durch unser Gespräch ist die „Durststrecke“ der Nationalstraße schnell vergangen, wir queren das breite Flussbett des Riu Franolì und gewinnen langsam an Höhe. Es geht nun auf die Rambla Nova, sozusagen das moderne Herz der Innenstadt. Dort dann Wende der 15-km-Läufer. Am Brunnen Font del Centenari vorbei, dann ein großes Denkmal zu Ehren der Menschenpyramiden, der sogenannten Castells, die auch in dieser katalanischen Stadt gerne gebildet werden. Die Gruppe der Colla Jove dels Xiquets de Tarragona schaffte 2014 den Aufbau einer 3de10fm-Pyramide. Das bedeutet in etwa: 10 Personen hoch. Pro Standardebene 3 Personen. Die 1. bis 3. Ebene mit zusätzlichen Personen verstärkt.  Man möchte lieber nicht daran denken, welch ungeheures Gewicht auf den Schultern eines Trägers der unteren Ebene lastet. Einstürze gibt es auch, die heißen auf Katalanisch fer llenya“ („Kleinholz machen“).

Vor uns nun ein Standbild des Admirals Roger de Llúria, der im 13. Jahrhundert in Diensten der Krone von Aragon wirkte, und danach ein metallener Zaun: Der Balcó del Mediterrani ist ein Aussichtsplatz mit einem schmiedeeisernen Geländer, das man unbedingt anfassen sollte. „Tocar ferro porta sort!“ („Eisen berühren bringt Glück“)  lautet die Devise, und das Geländer scheint für Tarragona ein wichtiges Wahrzeichen zu sein. Dahinter geht es 50 Meter in die Tiefe.

 

 

An Rande der Altstadt mit ihren schmalen Gässchen treffen wir auf den Turm Pretori romà aus dem 1. Jahrhundert am Rande des römischen Circus, dessen Ende wir umrunden. Seit dem Jahr 2000 darf sich das archäologische Ensemble von Tàrraco UNESCO-Welterbe nennen. Viele Zeugnisse aus römischer Zeit kann man noch besichtigen. Die berühmte Kathedrale, erbaut zwischen dem 12. und 14. Jahrhundert, steht auf den Sockeln römischer Tempel. Der Platz vor dem Rathaus war früher Teil der Kampfbahn. Ein Forum und die Reste eines römischen Theaters gibt es auch zu sehen. Die gesamte Fläche von hier oben bis zum Hafen soll einmal von einer römischen Stadt bedeckt worden sein. Dann rechts am Hang das Amphitheater. Im Sommer gibt es hier Gladiatorenkämpfe für die Touristen. Nicht an der Laufstrecke der römische Aquädukt. Perfekt erhalten, so dass man ihn in 25 Metern Höhe noch überqueren kann. Aus meiner Sicht ein touristisches Muss. Tàrraco wurde im Jahr 716 von den Mauren erobert und blieb bis zum Ende der Reconquista im 12. Jahrhundert unbesiedelt.

Jetzt durch die Via Augusta, die von schönen Einfamilienhäusern gesäumt wird. Leider mit Auto-Gegenverkehr. Judith und ich sind heute mit den Vier-Stunden-Pacern unterwegs. Irgendwie fehlt nach dem Gran Canaria Marathon vor einer Woche der nötige Schwung. Das Wetter ist mit 8 bis 20 Grad optimal, aber die Strecke hält auch einige Steigungen für uns bereit. Ich komme am Ende auf über 220 Höhenmeter auf meiner Uhr.

Leider geht es nicht mehr weit aus der Stadt hinaus, stattdessen biegen wir nach rechts ab. „Vamos a la playa“  singe ich ohne eine Reaktion der spanischen Mitläufer. Der Platja de l'Arrabassada mit seiner Palmenpromenade wird sich bald füllen. Wie hatte Francisco erbost erklärt: Bei schönem Wetter verbringen die Einwohner den Tag am Strand und nicht an der Laufstrecke. Womit er nicht Unrecht hat. Viel mehr als die auf den Fotos abgebildeten Schlachtenbummler sehen wir nicht. Und wenn es irgendwo viele Spaziergänger gibt, wie auf der Rambla, scheinen diese wenig Interesse am Laufsport zu haben. Schade.

Am Ende der Bucht kommt ein kleiner Abstecher auf eine Landzunge. Die Wellen brechen sich an den Felsen. Passeig Marítim de Rafael de Casanova nennt sich die Straße hier.  Verpflegung bei km 15: Wasser und Iso in Flaschen, aber auch im Becher, Bananen, Nüsse und ab km 25 auch Iso-Beutelchen,  freundlich angereicht von vielen Helfern.

Das Kastell Fortí de Sant Jordi wird beim Bergablaufen umrundet. Wunderschöne Ausblicke auf den  Balcó del Mediterrani über uns. Am Sporthafen zweigen wir auf die lange Hafenmole ab. Rechts kommen die Dreistundenläufer flott vorbei. 2 km bis zur Wendestelle. Danach reicht die Mole noch mal zwei Kilometer weiter bis zu einem kleinen Leuchtturm. Die Strecke wird wohl auch sonst von Sportlern genutzt. Alle 250 Meter gibt es Markierungen und gelegentlich sogar Wasserspender, wie auch sonst oft in der Stadt. Die Sonne brennt auf uns herab und mir fällt ein, dass ich keine Sonnencreme aufgetragen habe, da ich mich vor dem Start angeregt mit Herbert unterhalten habe. Der war auch auf Gran Canaria dabei, ist dann aber noch mal zur Arbeit heimgeflogen. Nächstes Wochenende ist er dann in Madrid bei einem Marathon auf einer ehemaligen Bahntrasse, der zur „vias verdes“-Serie gehört. Die war in Tarragona für den Herbst auch angekündigt. Bevor ich einen Flug suchen konnte, verschwand der Termin jedoch ohne Info aus dem Internet. Glück gehabt. Ach ja, Herbert war gestern auch noch in Rodgau dabei. Ich schätze mal, heute sind nur eine Handvoll deutschsprachige Läufer dabei.

 

 

Nando und Silvia, die 4:30-Pacer, sind schon ziemlich alleine unterwegs. Der Zielschluss ist mit knappen 5:30 Stunden angegeben, was wohl einige von einem Start abhalten dürfte. Schade. Die Trommelgruppe bei km 20 ist vermutlich nicht wegen uns hier. Etwas abseits trifft sie sich auf einem Parkplatz zum Üben oder Aggressionen ablassen. Egal, wir können sie hören.

Das Vier-Stunden-Grüppchen sitzt mir im Nacken. Außerdem wirken die Pacer etwas zu langsam. Ich versuche, sie hinter mir zu lassen. Judith zieht mit. Halbmarathon  bei geschätzten 1:59 h. Am  alten Hafen mit seinen renovierten Lagerhäusern vorbei. Was war vor zwei Jahren los, als sich hier noch der Start/Zielbereich befand. Gut, Parkplätze gibt es fast keine. Hinter den Lagerhäusern der Fischereihafen,  viele Boote liegen vor Anker. Rechts pittoreske Häuser mit Fischlokalen im Viertel El Serallo. Ab Mittag wird es richtig voll werden. Viele Lokale bieten auch ein Wermut-Spezial an: 2 Gläser mit Chips und Oliven für wenig Geld.

Die Eisenbahn am Meer verbindet Frankreich mit dem Süden Spaniens und ist in Breitspur angelegt. Die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke etwas landeinwärts ist in Normalspur gebaut. So spart man sich das Umspuren der Drehgestelle an der Grenze. Die Spanier besitzen nach China das weltweit zweitgrößte Hochgeschwindigkeitsnetz. Sehr defizitär wird es weiter ausgebaut. Unter der Bahn geht es nun hindurch und wir erreichen die Tabakfabrik, die inzwischen für kulturelle Zwecke genutzt wird und teilweise mit begrünten Wänden ausgestattet ist. Wir legen in diesem neueren Teil Tarragonas einige Schleifchen hin, bevor es bei Km 24,5 auf die lange Gerade Richtung Start/Zielbereich geht.

Leicht bergab kann einem auch die sengende Sonne fast nichts anhaben. Im Camp Clar ist nun richtig was los, viele Zuschauer jubeln uns zu. Da habe ich die Bewohner des Viertels ja gestern wirklich falsch eingeschätzt. 29km  sind am Startgelände erreicht,  um den See herum, dann sind die Dreißiger im Ziel.  

Ich bin auf die folgende 12-km-Runde zurück ins Zentrum gespannt. Im Moment kann ich mir nichts Langweiligeres vorstellen. Aber erst noch mal Stimmung mitnehmen, bevor die lange Gerade kommt. Meine Ziele: Minimal: unter 4:30 h - wahrscheinlich erreicht. Optimal: Schneller als auf  Gran Canaria mit 4:16 h - machbar mit 7-min-Schnitt. Wundervoll wäre sub 4:00 h. Also einfach weiter auf 5:45-min-Kurs bleiben, immer die Pacer im Nacken. in der Stadt geht es an einigen Stellen spürbar bergauf. Auf der Rambla ist nun eher weniger los. Wahrscheinlich sind die Bewohner wirklich alle am Strand. Wende kurz vor km 36.

 

 

Mein Bauch grummelt immer mehr. Toilettenhäuschen sind auf dem Kurs Fehlanzeige. Also durchhalten, bis wir wieder aus der Stadt heraus sind. 500 Meter weiter stelle ich fest, dass das mit dem Durchhalten nichts wird – also ins nächste Café. Frage freundlich, ob ich mal darf. Toilette ist frei, Ordentlich zurücklassen kostet noch mal Zeit und dann wieder auf die Piste oder eben Rambla. Die Vier-Stunden-Pacer liegen nun gut 100 Meter vor mir. Judiths orangefarbenes M4Y-Leibchen kann ich nicht erkennen. Der folgende Kilometer bergab bringt mir eine 5:00-Pace. Noch eine Minute ist aufzuholen. Ich bin super drauf heute. Wahnsinn. Am Ende der Gefällestrecke erscheint mir sub 4 wieder machbar. Noch ein Gel.

Der folgende Kilometer verläuft ereignislos. Noch kommen Läufer entgegen, die mir leid tun. Rechts am Sportplatz ein Fußballmatch. Ich ziehe mein Ding durch, konzentriere mich auf den Kreisverkehr, an dem es wieder nach rechts ins Wohngebiet geht. Gut, dass ich alles schon fotografiert hatte. Zwei Herren in Kaftan und mit langem Bart queren wohlwollend nickend die Straße. Auch die leichten Anstiege von km 39,5 bis 40,5 können mich fast nicht bremsen. Viel Anfeuerung durch die medaillenbehängten Finisher, die mir entgegen kommen.

Durch den Startbogen. Nun bleibt noch ein Kilometer. Schön wellig um den Tümpel, einige Streckenposten feuern mich an. Ich will nichts dem Zufall überlassen und komme mit einer Bruttozeit von 3:59:58 ins Ziel. Wahnsinn. Herbert empfängt mich mit einem Donut. Judith kommt kurz nach mir und knapp über vier Stunden als Erste ihrer AK ins Ziel.

Gute Zielverpflegung mit Obst, Iso, Cola und Donuts,  leider kein Bier. Und die Damen an der Ausgabe sind extrem uninteressiert. Wahrscheinlich wurden sie zwangsverpflichtet. Umkleiden und nagelneue Duschen im Stadion. Der Shuttlebus bringt uns zurück ins Zentrum.

 

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Fazit


Professionell gemanagter Marathon mit kleinen Fehlern bei den Kilometeranzeigen

Günstiger Preis von 25 bis 55 Euro, samt Funktionshemd, Medaille, Massagemöglichkeit

Strecke wellig (>200 hm) und die finale 12-km-Runde kann mental schwierig sein

Musik und Trommeln nur an der Startschleife (insgesamt also 5 mal), eher wenig Zuschauer.

Sehenswerte Stadt mit vielen Museen und schönen Stränden. Der Flughafen Reus (Ryanair) liegt 10 km entfernt. Kombination mit einem Aufenthalt in Barcelona (80 km entfernt) möglich. Hotels günstig, Essen nicht unbedingt.

Die Temperaturen können im Januar zwischen 0 und 25 Grad schwanken, auch Regen ist möglich.

 


 
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