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Laufberichte

Nikosia Marathon: Geteilte Insel, geteilte Stadt

16.02.20 Special Event
 

Zypern als Staat und Insel stand schon seit langem auf meiner Wunschliste für einen Urlaub, natürlich in Kombination mit einem Marathon. Der Nikosia Marathon wird nach 2013 zum zweiten Mal veranstaltet, und zwar vom Verein runicosia. Um die Insel kennenzulernen, wollten wir gleich fünf Tage bleiben.

Zwei Dinge muss man als Reisender vor dem Abflug klären: Wie wird das Wetter und was erwartet mich vor Ort? 2004 in die EU aufgenommen, hat Zypern auch gleich den Euro eingeführt. Die Münzen mit den Abbildungen des 5.000 Jahre alten Idol von Pomos hat jeder wohl schon mal in Händen gehalten.

Zypern liegt südlich von der Türkei und westlich von Syrien und ist mit 225 km Länge und 90 km Breite die drittgrößte Mittelmeerinsel nach Sizilien und Sardinien. Ein Gebirgszug, der Olymp, reicht bis auf 1.952 Meter Meereshöhe.

Spannender, wenn auch etwas verworren, ist die politische Situation. Da kann man beliebig viel lesen und schreiben: Nach vielen Besiedelungen durch Völker aus dem Norden und Osten wurde die Insel von den Engländern als Kolonie besetzt, um den Suezkanal zu schützen. Im Jahr 1960 wurde das Land unabhängig, jedoch ohne zwei größere Gebiete, die von Großbritannien immer noch besetzt sind und als Militärbasen genutzt werden. Anscheinend ist der Zugang zu den dort liegenden Stränden aber ohne Probleme möglich. Schutzmächte der unabhängigen Insel Zypern wurden Griechenland, die Türkei und Großbritannien. Es war genau geregelt, wie die Verwaltung zu erfolgen hat, ohne eine der beiden hauptsächlich dort vertretenen Volksgruppen, die griechischstämmige einerseits und die türkischstämmige andererseits, zu benachteiligen.

 

 

Trotzdem kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen, welche die Schutzmacht Türkei bewogen, die Bewohner im türkischen Nordteil zu unterstützen und militärisch zu intervenieren. Natürlich kam es dann auch zu Bevölkerungsverschiebungen innerhalb der beiden Inselteile. Darum stehen auch einige Häuser leer, deren Bewohner in den jeweils anderen Landesteil geflüchtet sind. Im Falle einer Rückkehr würden sie ihr Eigentum zurückerhalten.

Die Demarkationslinie wird seit 1974 von der UN gesichert. 1983 wurde im türkisch besetzten Nordteil der Insel die „Türkische Republik Nordzypern“ proklamiert, die der UN-Sicherheitsrat als völkerrechtswidrig ansieht. Seit 2003 dürfen die Bewohner des einen jeweils auch in den anderen Landesteil einreisen. Ein Vorstoß zur Wiedervereinigung durch UN-Präsident Annan wurde 2004 von den Bewohnern der Republik Zypern abgelehnt, während die Bewohner Nordzyperns mehrheitlich dafür waren.

Interessant ist auch, dass die EU den nordzyprischen Teil als zur Gemeinschaft gehörig ansieht. Also gibt es dorthin keine EU-Außengrenze. Die britischen Militärbasen waren hingegen schon vor dem Brexit kein EU-Gebiet. So habe ich das wenigstens der Lektüre vieler Internetseiten entnommen.

Der Norden der Insel hat rund 300 000, der Süden knapp 850 000 Einwohner. Dazu kommen 7500 britische Militärangehörige, 7000 Zyprer in den britischen Gebieten,  um die 900 Angehörige der UN-Friedenstruppen sowie 60 000 Arbeitskräfte aus EU-Ländern. Die 780 000 Zyperngriechen machen nahezu drei Viertel der Bevölkerung aus. Auch die Hauptstadt Nikosia ist übrigens geteilt. Aber seit der Öffnung des Grenzübergangs, der durch die Fußgängerzone in der Ledrastraße verläuft, können Fußgänger und Radfahrer, falls mit den notwendigen Dokumenten ausgestattet, in der Altstadt die Seiten wechseln. Wie Judith und ich bei einem Rundgang am Montag feststellen, sieht es dort ganz anders aus, als wir es noch von der innerdeutschen Grenze in Berlin kennen. Hier gibt es in den Straßen Stacheldraht und die UN-Grenzschützer sitzen hinter alten Ölfässern, die als Barrikade dienen. Zusammen mit den verfallenden Häusern wirkt das fast wie in einem Drittweltland.

 

Marathon in Strovolos

 

Über all den Eindrücken vergisst man fast den Hauptzweck der Reise. Wir wollen hier auch laufen. Und damit ist mehr gemeint als das morgendliche Training an der Promenade von Larnaka, das wir am Samstag absolviert haben. Dreh- und Angelpunkt des Marathons ist das Kulturzentrum samt Stadtverwaltung von Strovolos,  einer Vorstadtgemeinde von Nikosia. Im Rathaus kann man seine Unterlagen seit Donnerstag abholen. Es gibt die Startnummer, vier Sicherheitsnadeln und zwei Gutscheine für einen verbilligten Kindergeburtstag bei Pizza Hut, der eher die Teilnehmer/innen am ebenfalls angebotenen Family-Walk ansprechen dürfte. Ein T-Shirt ist nicht dabei. Der Sponsor für ein Massagegel legt statt einer Probe auch nur ein Infoblättchen hinzu.

 

 

Start des Marathons ist vor dem Rathaus am Sonntag um 7:00 Uhr. Wir kommen eine halbe Stunde vorher  an. Parkplätze gibt es genug. Am Marathon sowie Halbmarathon nehmen nur wenige Hundert Sportler/innen teil. Ohne Tamtam, aber immerhin mit Schuss geht es los. Hat meine Uhr schon Satellitenempfang?

Auf dem Programm stehen zwei Runden, nahezu komplett mit Gegenverkehr. Erst 6 Kilometer nach links und zurück , dann 5 Kilometer nach rechts. Wir sehen erst mal einige nette Straßenzüge, bevor es an stacheldrahtgesicherten Zäunen entlang geht. Außer „Einfahrt“ und „Ausfahrt“ steht hier nichts. Es handelt sich um den Präsidentenpalast. Nikos Anastasiadis ist seit 2013 Präsident der Republik Zypern.

Rechts ein Hochhaus mit einer Hinweistafel „Wargame“ und einigen Landesflaggen. Erst nach dem Lauf bestätigt sich meine Vermutung: Der weißrussische Spielesoftwareehersteller Wargames hat hier seinen Firmensitz. Nett auch der Umgang mit alter Bausubstanz: Aus einem eingeschossigen Altbau „wächst“ ein neueres Hochhaus. Altes erhalten und trotzdem Wohnraum schaffen lautet wohl die Devise.

Links laufen wir auf eine von schönen Pinien gesäumte Allee. Eins muss man den Veranstaltern lassen: Die Strecke ist perfekt gesichert und die fast ausnahmslos vierspurigen Straßen sind vollkommen autofrei. An einzelnen Stellen sind jedoch Querungen durch die Polizei eingerichtet. Fußgänger können an unzähligen Unterführungen queren. Was hier schon auffällt, sind die nicht unerheblichen Wellen im Streckenverlauf. Sie werden sich so auf 120 Höhenmeter summieren.

 

 

Es geht leicht bergauf, links mehrere private Universitäten und dann die Europa-Universität, eine recht große Anstalt. Dann einer gepflegten Hauptverkehrsachse entlang, die Führenden kommen uns entgegen. Mich interessieren nicht so sehr die orangefarbenen Startnummern der 21-km-Läufer, sondern die blauen der Marathonis. Die lassen es natürlich langsamer angehen und kommen später. Wann zeigt sich die erste Frau? Da ist sie. Ein Blick auf die Uhr. Kurz danach die Wendestelle. Die Führende ist uns ca. 1 Kilometer voraus. Judith befindet sich an zweiter Stelle, und Nummer drei und vier liegen vierhundert Meter hinter uns. Aber wir sind hier ja erst bei Kilometer 6.

Jetzt das Ganze zurück. Vor uns in der Ferne erkennbar ein Bergrücken, auf dem die Fahne der Türkischen Republik Nordzypern zu sehen ist. Einige Läufer zücken ihr Smartphone. Viele Teilnehmer kommen anscheinend aus dem Ausland. Mindestens drei weitere Deutsche, einer davon mit einem Shirt, das die EU-Sterne ziert, außerdem Briten, ein Rumäne und ein Sportler aus Zimbabwe.  Bei Kilometer 9,5 weisen uns Helfer nach links. Wir halten direkt auf die Altstadt von Nikosia zu, die wir heute leider nicht zu sehen bekommen.

Sie wird von einer knapp 5 km langen, 1567/68 errichteten venezianischen Festungsmauer mit elf Bastionen sternförmig umschlossen und ist in einen Süd- und einen Nordteil getrennt. Im Süden finden sich viele meist traditionelle Geschäfte, Handwerksbetriebe und Restaurants, das Befreiungsdenkmal von 1960 sowie Kirchen und Moscheen unterschiedlichster Epochen. Der Nordteil wartet mit mehreren Moscheen, der  Sultan-Mahmut-Bibliothek, einigen säkularisierten Kirchen und der alten Karawanserei Büyük Han auf, dem vermutlich ältesten türkischen Bauwerk der Insel.

 

 

Wir laufen nun auf einer wunderbaren Allee aus Eukalyptusbäumen. Schöne Anwesen am Straßenrand. Ein paar hundert Meter vor der Stadtmauer kommt dann leider schon die Wende. Schade. Kurz danach sind wir in Zielnähe und begeben uns auf den zweiten Streckenteil. Hier nun der einzige Einbahnverkehr. Steil bergauf für ein paar Meter, dann bergab. VP-Punkt und kurz vor der nächsten Steigung die Wende. Nochmals ein kurzes Stück, wieder als Einbahnstraße. Hier wurde quasi ein kleines Dreieck eingebaut, dann sind wir auf der Athalassis Avenue. Ein etwas anderer Stadtbaustil, schnurgerade und sichtbar welliger. Kurve, dann weiter bergauf.

Die Szenerie ändert sich schlagartig, wir sind in einem öden Verwaltungsneubaugebiet, wobei manche Zweckbauten noch architektonisch nett gestaltet sind. Christoph kommt uns entgegen. Er hatte sich vor dem Start als Berliner vorgestellt und uns bereits am Freitag im Flugzeug an den M4Y-Jacken erkannt. Er ruft uns bei den Begegnungen öfter zu, dass es zur Wendestelle nicht mehr weit ist. Im Laufe des Wettkampfs werden seine Rufe etwas leiser. Er ist halt doch schneller und muss mit seinen Kräften haushalten.

Am VP-Punkt in der Senke gibt es neben Wasser und Iso-Getränken in Flaschen, Bananen und Orangenstücken auch Gels. Die VP-Punkte sind das Sonderbarste, das ich in all meinen Marathon-Jahren erlebt habe, denn sie bestehen immer aus einem kleinen Gerüst mit einer Platte. Anscheinend sponsert eine Gerüstbaufirma den Lauf. Auffallend das kurze Streckenstück mit dem starken Gefälle kurz vor der Halbmarathonmarke. Kurz vor dem Ziel dann Wende und das Ganze von vorne. Nur jetzt eben ohne die vielen Halbmarathonis.

 

 

Am Straßenrand eine Werbung für den Limassol-Marathon im März, welcher der teilnehmerstärkste und schnellste Lauf der Insel sein soll. Ich erwarte mit Spannung die führende Läuferin. Am Wendepunkt steht fest, dass sie inzwischen kaum noch einholbare 4,2 km Vorsprung hat. Interessanter sind die Verfolgerinnen: Die nächsten drei Damen liegen ziemlich nah beieinander, 800 Meter hinter Judith. Ich habe also ein Ziel: Den „Hasen“ für Judith machen,  Geltütchen und Getränke reichen und immer wieder auf die Ideallinie hinweisen.

Der schöne alte Gebäudekomplex,  Metochi Kykkou, ist ein orthodoxes Kloster. Vier Kilometer vom Ziel entfernt kommen uns die kürzlich gestarteten Zehner entgegen. Die werden uns eher nicht mehr einholen. Die Floristen am Straßenrand haben noch die Valentinstag-Werbung vor ihren Läden.

Zuschauer kann man an einer Hand abzählen,  obwohl in der lokalen Tageszeitung in einem Bericht gebeten wurde, dass die Anwohner an die Strecke kommen und applaudieren sollen.Viele Ordner sind da schon netter, Polizisten eher uninteressiert.

Auf der kurzen Nikosia-Stichstrecke zeigen sich keine Verfolgerinnen. Also liegen die nun mindesten 1 km zurück. Noch 11 Kilometer. Ich fange an zu schwächeln, gebe Judith noch Hinweise auf die nächsten möglichen Geltütchenpunkte und lasse mich erst mal zurückfallen. Inzwischen brennt die Sonne recht stark. Am ödesten Wendepunkt des Laufs habe ich Judith fast wieder eingeholt. Ich berichte ihr von den Verfolgerinnen, die wir um 1,8 km abgehängt haben und die auch die Postionen gewechselt haben.

Ich nehme  mir die Zeit, ein Museum zur Wasserversorung abzulichten. Viele Rohre und Schieber sind da auf der Grünfläche aufgestellt. Wir brausen bergab. Kilometertafeln gibt es keine, aber gelegentlich Messpunkte auf der Straße, die markiert sind. Demzufolge sind unsere  GPS-Uhren heute sehr genau. Noch ein steiler Anstieg -  bloß nicht gehen, wir müssen 6:20-min-Schnitte laufen. Dann das Gefällestück. Hier heißt es Gas geben, ohne Rücksicht auf irgendwas.

Noch vierhundert Meter. Die 5-km-Spaziergänger kommen uns entgegen. Endlich sieht man das Rathaus. Wir laufen unter der Anteilnahme vieler Zuschauer ins Ziel. 4:14 h sind es geworden. Perfekt. Eine hübsche Medaille gibt es. Wir begrüßen noch einige Sportler, die wir unterwegs immer mal wieder  gesehen haben. Die Zielverpflegung ist wie gehabt. Obst und Getränke. Schade, dass der Lieferwagen mit der Aufschrift „Hofbräuhaus München“ hier nur spaßeshalber am Straßenrand steht. Dahinter befindet sich ein Bierlokal.

Wie vermutet ist Judith Gesamtzweite und bekommt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Second Place Nicosia Marathon 2020“ sowie als Trophäe eine schicke Metallplatte, die eine Großversion der Medaille darstellt. Erfreulicherweise dürfen wir das Teil im Handgepäck nach München transportieren.

 

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Ziemlich ermattet geht es erst ins Hotel und später zum Sightseeing in den türkischen Norden der Hauptstadt. Der Grenzübertritt in der Fußgängerzone verläuft einfach. Die Nordseite scannt den Pass, die Republik lässt uns ohne Kontrolle aus- und wieder einreisen. In Nordnikosia folgen wir dem langen, mit einer blauen Linie und vielen Infotafeln markierten Besichtigungsparcours zu den diversen Sehenswürdigkeiten. In einem Schnellcafé gönnen wir uns türkische Süßigkeiten und dürfen dafür satte 11 € zahlen, bzw. den Gegenwert in türkischer Lira, die hier auch genommen wird.

 

 

An den nächsten beiden Tagen erforschen wir mit dem Leihwagen die Insel. Am höchsten Punkt, dem Olymp, gibt es Schnee und mehrere Skilifte, die im Februar noch rege genutzt werden. Der sonnige Touristenort Paphos im Westen lockt mit Badeplätzen und einem archäologischen Park. Dort dürfte es deutschen Touristen wohl am ehesten gefallen. In Limassol, mit gut 200 000 Einwohnern zweitgrößte Stadt der Insel, werden luxuriöse Hochhäuser im großen Stil gebaut. Strand gibt es fast gar keinen oder weiter im Osten in eher unansehnlicher Qualität. Außerdem ist hier wohl der Sammelpunkt für Russen und Briten.

Der Nikosia-Marathon hat  in seiner Quasi-Erstauflage Potential gezeigt. In den Foren wird der hohe Preis (50€) bemängelt, in dem nicht mal ein T-Shirt enthalten ist.

Die Stadt Nikosia ist sicher einen Besuch wert. Die Badeorte  der Insel sind für einen Kurztrip in Ordnung. Wir haben in Nikosia im netten Asty-Hotel etwas außerhalb, aber durchaus in Laufweite zur Altstadt übernachtet. Sehr günstig, da viele Beilagen, Vor- und Nachspeise im Preis des Hauptgerichts enthalten, ist das gemütliche TO STEKI TOU VASILI. Das Preisniveau auf Zypern reicht von halb so teuer wie in München bis genauso teuer.

 

Marathon Siegerinnen

1 Georgia Lalioti                     03:38:28
2 Judith Strack                        04:14:44
3 Natalie Johnson                  04:32:35

 

Marathon Sieger

1 Andreas Efstathiou              02:53:22
2 Alexey Bukleev                      02:58:20
3 Maciej Kwaśniewski            02:58:23

 

Finisher

Marathon           48
Halbmarathon 176
10 er                208

 


 
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