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Laufberichte

New Delhi Marathon – Way to the Soul

25.02.18 Special Event
 

Seit meiner Teilnahme am heurigen Dubai-Marathon ist in mir der Entschluss gereift, in absehbarer Zeit mein Länderkontingent wieder etwas auszuweiten. Emirates bietet von der Hauptstadt der UAE besonders in asiatische Länder mehrmals am Tag Flugverbindungen an, die kostengünstig und zeitlich gut planbar sind. So auch nach New Delhi – am 25.Februar findet dort der inzwischen dritte IDBI Federal Life Insurance Marathon statt.

Doch bei der Online-Anmeldung komme ich ins Trudeln, das System der indischen Veranstalter weist den Transfer des Startgeldes in der Höhe von 1550 indische Rupien (1 Euro = ca. 75 Rupien) über eine Visa-Abbuchung zurück. Ich wende mich an NEB-Sports, worauf man mir einen provisorischen Registrierungscode übermittelt und anbietet, den offenen Betrag bei der Startnummernabholung begleichen zu können. Soviel Vertrauen ist lobend hervorzuheben, zumal keine Nachmeldungen auf der Expo möglich sind und eine Woche vor dem Renntag auch die Online-Registrierung geschlossen ist.

 

Anreise über Dubai

 

Nach einem zweitägigen Akklimatisationsaufenthalt im trendigen Revo-Hotel im Deira-Viertel in Dubai fliege ich am Freitag in einer wegen des Feiertags bis auf den letzten Platz gefüllten Boing 777-300 ER, von denen die Emirates an die 140 Stück im laufenden Flugeinsatz haben, nach New Delhi. Zwar waren wir im Februar 2014 im Rahmen einer Kreuzfahrt auch in Südindien, aber in der inzwischen 17 Mio. zählenden indischen Hauptstadt New Delhi bin ich selbst seit 1981 nicht mehr gewesen. Wenn man sich nach 37 Jahren Absenz über das Web informiert, was inzwischen in Delhi alles neu und anders ist, dann bekommt man bei der Ankunft am internationalen Indira Ghandi Airport fast einen Kulturschock – zwar ist das Ambiente dort längst nicht so mondän und kapitalträchtig wie in Dubai, aber für Indien hypermodern, klimatisierte Hallen, Fluggast- und Rolltreppen, die den Fußweg erleichtern bzw. beschleunigen. Und bevor man sein Gepäck abholen kann, führt der Ausgang durch Duty Free Shops.

 

 

Der Zugang zur Metro ist mit Röntgenkontrolle gesichert, die im Inneren total saubere Expresslinie bringt die Passagiere vom Flughafen nach einer zwanzigminütigen Fahrt in das Zentrum zum Hauptbahnhof. Dafür ist der Kauf eines Tokens oder eine aufladbare Card (einmalig 150 Rupien = 2 Euro, anschließend 200 Rupien Mindestaufladegebühr, wobei die weiteren elektronischen Abbuchungen resp. der Verbrauch des Guthabens von der Anzahl der Fahrten im gesamten Streckennetz abhängig ist) erforderlich.

Aber einen Hacken kann eine Indienreise haben – man benötigt ein Visum, das im Procedere Geduld erfordert und auch etwas Know-how. Gerät man im Web an einen privaten Anbieter, zahlt man gleich 150 Euro und mehr. Ein Papiervisum unter Nutzung des ausdruckbaren Formblattes über die offizielle Webseite der indischen Vertretung, das dann auch physisch (z.B. in Wien im ersten Bezirk) eingereicht werden muss, kostet an die 100 Euro. Nur ein e-Visum, das mit sehr kurzen Wartezeiten bei der Einreise verbunden ist, bekommt man um rund 50 Euro – kaum jemand verfügt über Passfotos im Format 51x51mm, daher kommen nochmals ca. 15-20 Euro für den Fotografen dazu – außer man kennt und nutzt ein Bildbearbeitungsprogramm, dann knipst man sich vielleicht mit dem Selfie-Stick.

Ich blicke auf die Uhr, eineinhalb Stunden ist der Unterschied zu Dubai, viereinhalb zu Österreich. Um 16 Uhr 10 Ortszeit bin ich nun im Zentrum von Delhi. Eine Station fahre ich mit der gelben Linie zum Patel Chowk.  In der Nähe befindet sich das Royal Plaza, wo ich bis zum Sonntag ein Zimmer gebucht habe. Entweder man gönnt sich etwas Komfort, dann ist das Plaza gerade noch „günstig“, oder man will es billig haben, dann gibt es außerhalb des Zentrums viele Absteigen, die für schmale Brieftaschen erschwinglich sind. Der Irrsinn ist aber der, dass nur ein „Verrückter“ für einen Marathon extra ein paar Tage nach Indien reist, um dann in einer Statistik wieder ein weiteres Land anführen zu können. Darüber muss ich einmal nachdenken, wie weit diese Auswüchse gehen sollen und werden.

Die Expo im Jawaharkal Nehru Mehrzweck-Sportstadion, das 1982 gebaut und nach dem ersten Ministerpräsidenten von Indien benannt wurde, ist am Freitag bis 19 Uhr geöffnet. Sicher ist sicher, ich möchte mir die Startnummer noch heute abholen. Nach einer halben Stunde Fahrt erreiche ich den Metro-Ausgang zum JLN Stadion. Inzwischen hat mich der indische Alltag eingeholt. Schon in den bisher benutzen Metrolinien, die nicht wie die exklusiv nur zum Flughafen fahrende Red Line, sondern für Hundertausende innerhalb Delhis –  die es sich leisten können –  einen umweltschonenden Ersatz statt der Benutzung von Bussen, Autos, Motorräder, Mopeds, einfachen Rädern und sehr häufig Tuk Tuks bieten, besteht akuter Platzmangel. Frauen haben es besser, zumindest ein Wagon im vorderen Zugteil ist ihnen vorbehalten. Und außerhalb der U-Bahn beherrscht der stinkende Verkehr das Straßenbild – kein Auto bleibt bei grün stehen. Man muss im Fließverkehr mit Risiko über die Straße laufen, dabei hupen einem Taxis, Motorrad- und die Autorikschafahrer an. Der Linksverkehr sorgt für eine zusätzliche Gefahrensituation. Auf Fußgänger wird in Delhi verkehrstechnisch selten Rücksicht genommen.

Ich frage mich durch, von der U-Bahn bis zum Gate 1 sind mindestens zwei Kilometer zu laufen. Die Dämmerung bricht früh herein, gegen 18 Uhr wird es dunkel. Ich komme zum Expo-Gelände, das JLN-Stadion hat eine imposante Laufbahn – mir kommt sie deutlich größer als eine 400 m-Bahn vor.

Wie erwartet bekomme ich auf Anhieb nicht meine Startnummer – an der Troublestelle kann man aber damit eine Zuordnung herstellen und nach Zahlung des Startgeldes in Cash erhalte ich die unschöne Nummer 46047 mit integriertem Chip. Im Sackerl ist ein adidas-Shirt leider in der von mir ungeliebten Neonfarbe Gelb sowie eine Informationsbroschüre. Gestartet werden soll in Schüben in den unterschiedlichen Bewerben – das kann man hier nachlesen. Für uns Marathonläufer soll es am Sonntag um 5 Uhr früh losgehen, nach mitteleuropäischer Zeit also eine halbe Stunde nach Mitternacht. Daher sind zwei Tage Aufenthalt in Delhi vor dem Lauf aus meiner Sicht zweckmäßig.

 

 

Sightseeing im Tuk Tuk in der Verkehrshölle

 

Für Samstag plane ich ein ausgiebiges Sightseeing ein, auch möchte ich ein zweites Mal zum Stadion fahren, um einige passende Fotos unter guten Lichtverhältnissen zu machen und den mir zugeteilten Chip auf meinen Namen zu verifizieren. Ich bin schließlich nicht auf Urlaub in Indien, sondern nur wegen des Marathons.

Für 600 Rupien bietet ein Tuk Tuk-Fahrer an, mich 5 Stunden durch die Stadt zu chauffieren, um einige touristische Highlights aufzusuchen. Doch während man auch mit der U-Bahn vom Stadion aus den 1986 eröffneten Lotus-Tempel im Stadtteil Bahapur aufsuchen kann, stehen wir zwei Stunden im Stau. Die abgasverseuchte Luft in Delhi ist voller Rußpartikel, im Tuk Tuk atmet man sie ungefiltert ein. Ich lasse mich am Rückweg noch zum Indian Gate, wo morgen der Marathon vorbeiführen wird,  bringen, dann zahle ich die vereinbarte Summe, gebe aber das Sightseeing auf. Nicht die Lunge hat rebelliert, sondern der Magen, als ob ich die Abgase geschluckt hätte.

 

Mein sehr früh beginnender Marathontag

 

Ein SMS kommt rein – der Marathon wird vorverlegt – neue Startzeit ist nun 04:30, exakt Mitternacht nach MEZ. Im Royal Plaza herrscht Hochbetrieb, das Viertel um den Connaught Place gilt als nobel. Betuchte Einheimische dinieren in den umliegenden Hotels – als ich mich um 20 Uhr zum Probeschlafen niederlege, stört mich andauernd etwas – Zimmernachbarn, die sich zum abendlichen Fortgehen herrichten und lärmen, Musik, die aus den Anlagen bis in den 8. Stock dröhnt, so recht will das Einschlafen nicht gelingen. Zwei Handywecker sind auf 03 Uhr  gestellt, auch die Rezeption hat den Auftrag, mich anrufen. Als ich dann endlich in eine Schlafphase gekommen bin, schreit jemand am Gang so laut, dass ich wieder munter werde – es ist 02 Uhr 30. In einer halben Stunde wollte ich mir ein Frühstück zubereiten. Hundsmüde stelle ich mich auf den Marathontag ein.

Ein Late Checkout bis 13 Uhr wurde mir eingeräumt, das passt einmal. Ob der Taxler pünktlich um 3 Uhr 30 vor dem Royal Plaza auf mich warten wird? Dem ist nicht so! Offenbar haben Nachtschwärmer, die sich auf den Heimweg machen wollten, ihn mit einem Bündel Rupien gekapert. Ich habe eine Stunde Zeit, um zum Startareal zu kommen, das ca. 8 km von hier entfernt ist.  Ein Uber-Fahrer nähert sich, ich winke, er bleibt stehen. 400 Rupien pauschal verlangt er – ich bin in Nöten, daher hätte ich ihm in dem Moment auch das Doppelte gezahlt. Aber dann wird es dramatisch, er spricht kein Englisch und kennt weder das Stadion noch den Weg dorthin. Zum Glück habe ich mir den Stadtplan ein wenig eingeprägt und ein paar Straßen des Marathonkurses im Kopf sowie die Haltstellen der Metro zum Stadion gemerkt. Schreiend und gestikulierend unterstütze ich ihn nach Leibeskräften. In der Dunkelheit erkenne ich die Kilometermarkierung 4, die Erleichterung ist groß, wir sind nahe am Start. Als ich dann noch die Silhouette des Nehru-Stadions sehe, zeige ich ihm den Weg. Doch der Eingang beim Gate 1 ist heute gesperrt, Ordner deuten an, dass wir um das Areal herumgehen müssen und bei  Gate 6 reinkommen. Ich schließe mich einem Inder an, wir finden hin. Es ist 4 Uhr 12.  

Einige Scheinwerfer im Stadionareal sind in Betrieb, der Platzsprecher fordert die inzwischen schon zahlreich angekommenen Läufer – auch einige Frauen sind zu sehen – auf, sich bei lauter Aerobic-Musik aufzuwärmen. Ich deponiere den in Dubai erhaltenen Kleiderbeutel bei der Abgabe, schließlich möchte ich nach dem Lauf mit der Metro zurückfahren –  und ganz verschwitzt unter Leuten stehen, möchte ich auch in Indien nicht.

 

 

Wenige Minuten vor dem Start treffe ich wieder die beiden indischen Kollegen, die sich gestern mit mir fotografieren lassen haben. Wie viele heute am Marathon teilnehmen, wissen sie nicht, aber sie rechnen mit vielleicht 1500-2000 Personen. An allen vier Bewerben dürften laut Platzsprecher an die 15.000 Läuferinnen und Läufer mitmachen.

Mit einigen Minuten Verzögerung geht es gegen 04:35 los, ich fühle mich zwar müde, doch guter Dinge, zumal die Temperatur bei ca. 20 Grad plus liegt und nicht wie letzten Samstag im tschechischen Moravske Budejovice unter null. Schön wäre es, wenn ich heute nach dem Halbmarathon wieder einmal normal weiterlaufen könnte. Seit einiger Zeit beginnt nach gewisser Anstrengung das Außenband im rechten Knie zu schmerzen, sodass ich in der Folge nur leidvoll hatschen kann, an Laufen ist nicht mehr zu denken. Die Orthopädin rät zu Einlagen, zu einem Knorpelaufbau und vor allem zu Schonung. Letzteres ist kaum möglich, weil ich ja jede Woche irgendwo im Einsatz bin.

Ich stelle mich in das vordere Drittel, das Objektiv meiner Digicam ist zu lichtschwach, brauchbare Fotos sind kaum möglich. Ich werde mich auf der ersten Runde daher voll auf das Laufen konzentrieren.

Aus dem Stadion-Areal führt der Kurs einige Hundert Meter in Richtung Bhisham Pitamah Marg, die nach einem Kilometer in die Lodhi Road einmündet. Ich habe mich der 4:30er-Gruppe angeschlossen – Pacer gibt es bis zu einer 6 Stunden-Finisherzeit, so lange ist der Marathon offiziell geöffnet. Trotz Dunkelheit – man sieht wegen der schlechten Straßenbeleuchtung nicht wohin man tritt, kommen wir gut voran. Nach 2 ½ km in westliche Richtung wird auf der Lodhi-Road gewendet – es geht nun in die Gegenrichtung.

 

 

Ich habe mir heute einen Trinkgurt umgeschnallt und den Behälter mit Cola und Wasser gemischt aufgefüllt. Doch wider Erwarten sind alle zwei, drei Kilometer Labestellen eingerichtet. Wasser wird in kleinen Trinkflaschen ausgegeben. Mangelnde Hygiene wird so zu 100% unterbunden.

Wir verlassen die Lodhi Road, es geht am renommierten und historisch bedeutsamen Delhi Golfclub – eine 1930 gegründete Grünanlage, in nördliche Richtung. Auch in der Dunkelheit spürt man als erfahrener Läufer den kleinen Anstieg, es sind nur ein paar Höhenmeter, aber der Kurs steigt leicht an. 5 Kilometer sind erreicht, ich liege knapp unter 30 Minuten – der Tempomacher für 4:30 ist etwas zu schnell unterwegs. Ich schiebe jeden Gedanken, dass mein Knieproblem sich heute vielleicht schon  früher ankündigen wird, weit weg und versuche in der Gruppe zu bleiben, wenngleich nur eine Handvoll Läufer bisher vom Start mitgehalten hat.

Wir laufen weiter nach Norden. Zu unserer Rechten befindet sich in einiger Entfernung die 1954 gegründete National Gallery of Modern Art, ein Kunstmuseum mit Nebenstandorten in Mumbai und Bangalore. Beim erst 2014 eröffneten Children’s Park sind 7 Laufkilometer erreicht. Gemäß Linksverkehr biegen wir beim Roundabout auch so ab – ein Highlight des New Delhi Marathons (auf der zweiten Runde wegen des Frühstarts) ist die Passage India Gate, ein 42 Meter hoher Bogen, der 1921 nach dem Vorbild des Arc de Triomphe in Paris entworfen wurde und der an die 90.000 Soldaten aus Britisch-Indien, die im Ersten Weltkrieg für das Britische Empire gefallen sind, erinnern soll.

Wir sind im Stadtteil Rajpath, die Metro-Umsteigestation Central Secretariat ist gut 2 Kilometer in Laufrichtung entfernt. Zwei Trommler sind hier postiert, die zu frühmorgendlicher Stunde den vielen Bodenschläfern im Park die Nachtruhe rauben. Der Kurs dreht nun in einem 90 Grad-Schwenk von Westen in nördliche Richtung. Zu unserer Linken in ca. 500 m Entfernung befindet sich das indische Parlamentsgebäude.

Bei der 10 km-Marke bin ich noch an der 4:30er-Gruppe dran, meine GPS-Uhr zeigt 62 Minuten an. Die Zeitmessung erfolgt allerdings für uns eher ungewohnt nicht in regelmäßigen Fünfersplits, sondern scheinbar willkürlich wie z.B. nach 2,7 und 6,8 km.

Wer glaubt, dass in Indien im Februar schon um 5 Uhr 30 der Tag anbricht, irrt – wir laufen weiter im Dunkeln. Bei nun folgenden Kreisverkehr nähern wir uns dem Royal Plaza Hotel. Wäre ich jetzt erst in den Marathon eingestiegen, hätte ich länger schlafen können. Die U-Bahnstation Patel Chowk, die ich bisher mehrmals frequentiert habe, ist in Reichweite.

11 Kilometer sind erreicht, es wird gewendet. Bei der Reserve Bank of India weicht der Rückweg vom bisherigen Kurs ab, erst beim Kreisverkehr (vorerst nur für Läufer) treffen wir wieder auf die nach uns kommenden langsameren Kollegen – die man in der Dunkelheit nur unscharf erkennen kann – die Kommunalverwaltung in Delhi sollte Investitionen für eine zeitgemäße, stärkere Straßenbeleuchtung freimachen.

Wir kommen nun wieder zum ca. 3 km geradeaus nach Osten führenden Straßenabschnitt in Richtung India Gate und Children’s Park. Ich habe die 4:30er verloren, obwohl ich eigentlich gut in der Zeit liege. Die GPS-Uhr, die sich heute Morgen automatisch nach dem ersten Schritt auf die örtliche Uhrzeit umgestellt hat, zeigt für 15 km 1:37 an. Nun geht es leicht abschüssig nach Süden. Einbildung kann ungeahnte Folgen haben, aber in dem Moment,als ich an das rechte Knie denke, spüre ich es  - und versuche gegenzusteuern. Ich darf nun nichts mehr riskieren, 6 ½ bis 7 Minuten für den Kilometer wären zweckmäßig. Ich blicke auf die Uhr, die zwischenzeitlichen Piepser bei der Chiperfassung habe ich nicht beachtet. Nun habe ich für 19 km schon fast 2 Stunden verbraucht, inzwischen ist der Tag erwacht. Aber noch liegt über Delhi und der Marathonlaufstrecke der Morgensmog – ein Japaner hat sich am Start vorsorglich eine Atemmaske über Mund und Nase gestreift.

 

 

Links und rechts der ins Stadion führenden Straße sieht man die vielen armen Menschen, die in Verschlagen hausen, oft nicht einmal eine Decke besitzen. An ihnen geht der Laufevent völlig vorüber, kleine Kinder sammeln weggeworfene Flaschen mit einigen Milliliter Restflüssigkeit ein.  Nach 2:18 Stunden beginne ich nach dem Durchlauf über die Zeitnehmung etwas verspätet die zweite, mit der ersten vom Kurs her gesehen völlig idente Runde – allerdings nun mit besser werdender Sicht.

In 12 Minuten – um  sieben Uhr – werden ein paar Tausend Halbmarathonläufer ins Rennen gehen und auf die langsamen Marathonläufer sozusagen eine Hasenjagd veranstalten. Mal sehen, wie weit ich noch komme. Schon weit vor der Wende brausen die Superschnellen heran, solche gibt es auch in Indien. Aber ich behaupte mal, nicht auf Weltklasseniveau. Spätestens jetzt ist mein Rennen gelaufen, denn ich kann nur mehr mit Schmerzen schnell gehen. Einige höfliche Inder, die die Halbdistanz begonnen haben, gratulieren mit „well done“ – und mühen sich an mir vorbei. Ich will mir das Jammern ersparen, in solchen Momenten ist Routine gefragt und auch Taktieren angebracht. Auch wenn ich für den Kilometer jetzt fast  9 Minuten benötige, werde ich die 6 Stunden Öffnungszeit nicht ausreizen müssen, sondern auch noch unter 5:30 den Lauf finishen können. Nur ist es bitter, wenn man genügend Kraftreserven hätte, aber sie nicht nutzen kann, weil eine Extremität nicht mitmacht.

Ich komme mit einigen Halbmarathonis ins Gespräch. Über mein Alter ist einer erstaunt – ich sehe aus wie Siebzig, meint ein junger Sikh, der seine rundliche Figur pflegt und daher nur beim Zehner um 8 Uhr gestartet ist. Es gelingt mir, ab Kilometer 35 in der Masse der zurückströmenden Läufer aus allen vier Bewerben – der  5 Km-Lauf erfolgt ohne Zeitnehmung – noch einige Marathonis, gut erkennbar an den braun unterlegten Startnummern, zu überholen. Mit 5:20 Stunden brutto hatsche ich mit etwas schnellerem Schritt als die üblichen langsamen Geher durchs Ziel. Erfolg ist das keiner. Die Physis im rechten Kniebereich spielt nicht mit. Aber kann man sich immer nur auf die Umstände ausreden? Auf Dauer mit Schmerzen zu laufen ist kontraproduktiv. Ich muss einen Mittelweg finden, der beim Laufen größtmögliche Schonung der orthopädischen Schwachstellen ermöglicht – das wird wohl nur mit einem sehr langsamen Lauftempo zu machen sein. Und nur wenn Marathons zumindest 5:30 Stunden offen sind.

 

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Mein Fazit:

 

Für einen routinierten Countrysammler mit viel Reiseerfahrung würde eine Teilnahme an einem der fünf im letzten halben Jahr stattgefundenen Marathon-Rennen in den indischen Großstädten Mumbai (20.8.2017), Bengaluru (15.10.2017), Hyderabad (5.11.2017), Kolkatta (5.2.2018) und New Delhi (25.2.2018) keine allzu große Belastung darstellen – ich hingegen sehe das differenzierter. In Indien begegnet einem die dritte Welt auf Schritt und Tritt. Bettelnde Kinder auch oder gerade in den besseren Vierteln am Connaught-Place, wo sich teure Hotels befinden, die auf internationalen Tourismus ausgerichtet sind. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran denke, wie viel Geld mich die zweiwöchige Reise kosten wird – mein nächster Marathon wird am 2. März in Bahrain sein.

Ungeachtet eigener Bedenken, was die Sinnhaftigkeit betrifft, muss man den Veranstaltern ein Lob aussprechen. Es gehört viel Logistik, Optimismus und wohl auch sportliche Überzeugungsarbeit gegenüber den Behörden dazu, in einem derart auseinanderstrebenden Gesellschaftsgefüge einen Marathon abzuwickeln. Kein Tuk Tukler versteht, warum er für ein paar Stunden ohne den totalen Stress und dem Hupkonzert im Stau stehend auskommen muss. Ich hätte nicht gedacht, dass die Läufer bei den zwei für den Verkehr offiziell nicht gesperrten Durchzugsstraßen nach kurzen Wartezeiten, die mehrere Polizisten durch Handzeichen einleiteten, vorankommen würden.

Die Überversorgung mit Wasser alle 2-3 km in hygienischen sauberen Trinkflaschen kann auch als Empfehlung gewertet werden, auf einen eigenen Camelpack zu verzichten. Daher ist im Resümee zu sagen, dass der New Delhi-Marathon ein gutes Preis-/Leistungsverhältnis aufweist – für umgerechnet 20 Euro inkl. Adidas-Funktionsshirt, einer schönen Medaille für die Finisher (in unterschiedlichen Größen bei den anderen Bewerben) und einer ausdruckbaren Urkunde bekommt man viel für sein Geld. Wer im Anschluss daran noch eine Weile in Indien bleiben will und vielleicht an eine Rundreise denkt, für den ist der Marathon eine Zugabe. Ich neige dazu, bald einmal zu schimpfen, aber nach kurzer Zeit sieht die Welt schon wieder anders aus – daher wäre eine Teilnahme am kommenden Marathon-Circuit 2018/19 eine neue Herausforderung.

Als ich Mitte 20 war – das war in den 1970er-Jahren, galt Indien als das Land, um dort sein Selbst zu entdecken, mit Askese die eigene Seele zu ergründen – so mancher hat dabei Substanzen konsumiert, um den „Way to his Soul“ zu beschleunigen. Um die Widersprüche in dem 1,3 Milliarden Einwohner zählenden Land, das im Begriff ist, die VR  China bevölkerungsmäßig zu überflügeln, zu sehen und zu hinterfragen, könnte die Teilnahme an einem Marathon im indischen Subkontinent beitragen.  


Sieger bei den Männern:
1. Thonakai Gopi (IND) – 02:15:15
2. Nitendra Singh Rawat (IND) – 02:24:54
3. Bahadur Singh Dhoni (IND) – 02:24:55

Frauenwertung:
1. Monika Athare (IND) –  02:43:44
2. Jyoti Shankarrao Gawate (IND) – 02:50:11
3. Monika Raut (IND) – 02:55:02

 

 


 
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