marathon4you.de

 

Laufberichte

Dingle Marathon (Irland): It must be dingle

13.09.09

IT MUST BE DINGLE - so die Aufschrift eines Schildes in Dingle, Ort eines Premieren-Marathons, an dem Sabine und ich als zwei von ein paar  Deutschen teilnahmen. Hier nun ein vollkommen vor-, nach- und durchrecherchierter Bericht dieses Erlebnisses.

Dingle liegt im Südwesten Irlands auf einer Halbinsel(Peninsula) im County Kerry (wer kennt nicht die Butter – Kerrygold ), ein Hafenstädtchen mit 1775 Einwohnern, das seit ca 400 Jahren Stadtrechte hat und den irischen Namen „An Daingean“ trägt. So, genug der Recherchen, jetzt kommt die eigentliche, einzig wahre Geschichte.

Ich liege gerade in süßesten Träumen auf der extradicken Matratze meines Ikeabettes, als plötzlich eine mir bekannte, jedoch abscheuliche Melodie mein Ohr erreicht. Es ist mein Handy, ich gucke kurz auf die Uhr - halb drei nachts - am andern Ende meldet sich Sabine 014: "Duuu, du musst sofort aufstehen. Mir ist eben eingefallen, dass ich vor nem dreiviertel Jahr Flüge nach Kerry –Irland gebucht hab. Abflug in 3 Stunden. Ich bin in 5 min da."

Wie im Tran schlüpfe ich in meine Hose, Shirt und Jacke und schnappe mir einen der 3 Rucksäcke, die jederzeit gepackt mit identischen Laufschuhen, Strümpfen, Hosen, T-Shirts, Startnummernband, Pulsmessern, Wechselunterhose, Minihandtuch, Minizahnpasta u.-bürste sowie Reisepass, Kreditkarte u.u.u. in meinem Flur rumstehen. Hastiges nächtliches Packen ist mir im Laufe der Jahre zu anstrengend geworden. Außerdem werd ich vergesslich und etwas Wichtiges fehlt immer - deswegen die Investition.

Ich kämm’ mir kurz mit meiner "Heimzahnbürste" Haare und Zähne und steh schon frierend bei maximal  5 Grad vorm Haus und harre der Dinge, die da kommen. Also Sabine  kommt dann irgendwann, 15 min später, ich  bin währenddessen steif gefroren. Ja, im Spätsommer kann man auch bei Plustemperaturen steif frieren – ich jedenfalls. Sie hilft, mich in der Mitte zu knicken, so dass ich in ihren bewährten Kleinstwagen passe.

Als meine gelähmten Lippen nach ca 20 min – wir sind schon kurz vor der Autobahnauffahrt Ransbach – wieder zu Artikulationen fähig sind, frage ich beiläufig: „Wie kommen wir denn wieder heim ?“ „Dachte mit’m Auto, Mietwagen brauchen wir sowieso,  Flüge sind zu teuer.“, schallts mir von links gegenüber entgegen. Rechne kurz nach: 1500 km im Smart, wenn wir uns abwechseln und wenn kein Stau ist, 15-20 Stunden + Fähren. Hurra. Das kann ja heiter werden."

„Sonntagabend muss ich noch auf’n Geburtstag,  da möchte gern wieder zuhause sein. Laufe auch ein bissel schneller als sonst “, sprudelts mir fröhlich unter der schwarzen Lockenpracht von links gegenüber entgegen. Also 4:35 statt 4:45, denk ich mir nur, das wird’s rausreißen.

„Ich dachte, ich fahr hin und du heim“. Also sie die 120 km zum Flughafen Hahn, ich die 1500 km von Irland zurück. Ich freu mich …..Sie muss meine leicht nachdenklichen Gesichtszüge bemerkt haben, dann bricht sie in lautes Lachen aus, kriegt sich fast nicht mehr ein. „Reingelegt – wir fliegen natürlich heim. Dein Gesicht hätteste sehn sollen ….glaubst doch nicht, dass ich mir so ne Heimreise-Tortur antun würde.“   „Haha“ 

Ein entspannter Flug in einem glücklicherweise nur halbvollem Flieger bringt uns schließlich nach Irland. International Airport of Kerry, also äußerster Südwesten Irlands. Von hier aus sind’s noch ca 6o km bis nach Dingle, dem Start- und Zielort des 1.Dingle-Peninsula Half and Full-Marathon.

Ruck-Zuck ist ein Kleinwagen gemietet. Öffne per Funkzentralverriegelung, deponiere meinen Rucksack im Fond, schwinge mich auf den Fahrersitz und stelle erstaunt fest: Kein Lenkrad!!!! Und auch kein Gaspedal !!!

Na, das fehlt mir noch. Irland hat ja Linksverkehr, wie die Engländer. Damit hab ich ja gar nicht gerechnet. Premiere - das kann ja heiter werden. Also ich habe damit so meine Probleme. Links fahren, links schalten, links in die Kreisel hinein, dran denken, dass links auch noch einer sitzt … mein Gott … hilfesuchend blicke ich Sabine an. Doch die winkt schon mit beiden Armen kräftig wedelnd ab. Also auf geht’s … noch auf dem Flugplatzgelände gehört ein riesiger Bordstein meinem linken Hinterrad.

Wenige Kilometer später entscheidet dieses sich, sich in einen Platten zu verwandeln, was uns zu einer kleinen Rast mit lustigem Reifenwechseln veranlasst. Shit, weiter geht’s. Für die Fahrt nach Dingle suchen wir uns denn noch die lustigste Strecke aus, die über den Connor-Pass,  den höchsten Berg Irlands, mit furchtbar engen Straßen. Meine elegante Fahrweise, mit den beiden linken Reifen immer knapp vorm Abgrund, bin halt so’n bissel linkslastig, sogar Sabine schnallt sich an. Doch schließlich sind wir da.

Dingle, ein Städtchen wie aus dem Bilderbuch. Mein erster Gedanke war: „Alles so schön bunt hier.“ Niedliche Häuschen, ein Häfchen, Schiffchen, Leutchen, Schäfchen, Pubchen …. Rosamunde Pilcher lässt grüßen. Kennt die einer? Ich meine, die Filmchen – Sonntagabend, viertel nach acht. Nö, kennt keiner. Nur 80 Prozent Einschaltquote der werberelevanten Ü 35, also die Marathonläufer.  Doch ich gestehe, ich guck schon mal. Und genau so ist’s in Dingle, wenn nicht noch schöner, idyllischer ….echt!

Jetzt fehlt nur noch, dass der nächstbeste Schlossherr im weißen Rolls-Royce-Cabriolet vorbeigefahren kommt, mir meine Sabine vollsülzt und zum Burgfräulein machen will. Soweit kommts denn doch nicht …. Also suchten wir uns den erstbesten Pub, um uns 2 Pints of Guinness einzuverleiben – das ist das furchtbar bitter schmeckende, dunkle, in Irland allgegenwärtige Bier, das erst nach dem 2. Liter anfängt zu schmecken …oder so.

Nachholen muss ich hier noch: Es herrscht Traumwetter, strahlend blauer Himmel, die Fotos beweisen es. Solch ein Wetter gibt’s auf den Inseln nur alle 300 Jahre mal 5 Tage am Stück -   und wenn die Rosamunde- Pilcher-.Filme gedreht werden ….glaub ich. Hab deshalb auch dauernd nach Filmkameras gesucht.

Leicht beschwingt - vom Guiness  - machen wir uns auf die Suche nach einer Unterkunft. Laut Sabine „kein Problem“. B&B s gibt’s an jeder Ecke. Stimmt - und an jeder Ecke hängt unter dem B&B-Schild auch ein „No vacancies“-Schild. Alles ausgebucht. Klar, dieser verschlafene Ort mit ca 1700 Einwohnern erwartete zum 1.Marathon seiner Geschichte 2000 Läufer!!! Wir hatten mit höchstens 150 gerechnet.

Doch das Glück bleibt uns hold. Eines dieser niedlichen Häuschen hat noch ein Appartment frei. Es ist wie für uns gemacht. Wenn man’s nicht gesehen hätte, man hätte es erfinden müssen. Kleine Küche, herrliches Bett, herrlicher Wintergarten, Gärtchen …und dahinter sofort das Meer. Ja besser geht’s nicht. „Hier bleiben wir… und gehen nie wieder weg“, entscheide ich. Sabine liegt schon im Bettchen und will auch nicht mehr raus.

Währenddessen erzählen uns die beiden netten älteren Häuschenbesitzer, Herr und Frau O´Dingsbums in Englisch-Gälischem Dialekt ihre Lebensgeschichte und ich antworte immer nur mit „Yes“. Gesehen und gekauft,  äh gemietet … für zwei Nächte .

Wir raffen uns dann schließlich doch noch mal  auf, um uns unsere Startunterlagen im Hotel Benner zu holen und anschließend die Nudelparty aufzusuchen. Diese findet übrigens sinnigerweise in einem niedlichen Pub statt, mit ca 30 Sitzplätzen, wie auch nicht anders  zu erwarten bei einem Starterfeld von 2000 Läufern.  Die Läufer haben anscheinend alle ihre übergewichtigen Mütter, Väter oder Cousins mit den Marathon-Nudelparty-Gutscheinen zur besagten Schlemmerei geschickt, denn keiner der Anwesenden sieht aus wie ein Läufer.
Und die Gutscheine werden überdies auch gar nicht kontrolliert. Über allem schwebt eine genüssliche Knoblauchwolke.  Es wird reichlich Guiness getrunken und es herrscht ein Riesenlärm. Aber es schmeckt. Anhand der hier anwesenden Läufer rechne ich bei diesem Premierenmarathon schon insgeheim mit einem Platz unter den ersten drei. In Grundlage …versteht sich …..was sich dann doch als etwas vermessen rausstellen sollte. Eigentlich war’s auch Sabine, die damit rechnete  - so!

Nach herrlichem Sonnenuntergang, Schlaf, Sonnenaufgang, Frühstück bei O´Dingsbums in der Puppenstube mit Show-cooking geht’s dann los zum Marathon. Herr und Frau O`Dingsbums winken uns nach, als ging’s auf Weltreise. Dabei wollen wir doch nur mal kurz ihre Halbinsel per Pedes umrunden. Niedlich. 

Ich denke, die Bilder zeigen viel. Jedem Klischee, das man von Irland haben kann, wird dieser Lauf gerecht – Dauerregen ausgenommen – denn wiederum strahlt die Sonne und nur leichte Nebelschwaden verzuckern manche Aussicht auf das Meer und auf die sanften Hügel.

Wie gesagt: Start ist am Hafen von Dingle und der Weg führt am Südufer der Dingle-Halbinsel entlang bis zur Stadt Dunquin, der westlichsten Stadt Irlands und damit – nimmt man mal Island raus - der westlichsten Stadt Europas. Booah....

Die Strecke ist ein einziges Auf  und Ab, also nichts für Flachland- Läufer. Bestzeit? Nein, danke. Schon bis zur Halbmarathon-Marke im eben erwähnten Dunquin sind es mehrere hundert Höhenmeter. Echt schwer zu schätzen, doch der ewige Blick auf die herrliche Landschaft lassen einem nur freuen. Am Anfang noch an Ortschaften mit verschiedenen hübschen Anwesen – oft B&Bs, die Halbinsel lebt zum überwiegenden Teil vom Tourismus -  an mit Palmen (!!!, Tatsache) bewachsenen Gärten vorbei, läuft man dann meist durch dünn besiedeltes Gebiet, das aber immer wieder Sehenswürdigkeiten, wie uralte Stone-Houses u.ä. bietet. Kurz vor Dunquin begeistert dann der Blick auf die der Peninsula vorgelagerten Inseln,  den sogenannten „Blaskets“. Wie schon oft erlebt, lichtet sich dann nach der Halbmarathon-Marke das Läuferfeld drastisch (ca 1600 Halbe, ca 3-400 Fullies).

Die Halmarathonis werden übrigens per Bus - 23 an der Zahl – zurückgefahren. Für uns Marathonlaäufer geht’s nun zur Belohnung, dass wir weitermachten, erst mal ganz lang berghoch. Ruft in mir irgendwie die Steigung beim 100er in Biel kurz vor Aarberg und kurz nach der letzten Ausstiegsmöglichkeit in Erinnerung ….

Oben angekommen,  hofft man dann, dass es ab sofort nur noch bergab geht oder wenigstens flach verläuft. Doch wer noch nicht genug hat, von Steigungen, der kann sich ab Km 35 an einem gewiss 3 Km langen schnurgeraden Anstieg ereifern. Der „gemeine“ Ire, denken die meisten der Läufer, die ich hier laufenderweise überhole. Oben angekommen, geht’s dann nur noch bergab, bis hinein ins idyllisch Dingle.

Was mir noch so auffällt, ist die unheimliche Höflichkeit  des „gemeinen“ Iren. Ich weiß nicht, ob es der deutschen Läuferschar schon einmal bewusst geworden ist. Doch wenn man läuft, läuft man und alles ist recht und gut, um seinem Körper Kraft und Luft zu verschaffen. Das heißt, ganz besonders nach „Wasserstellen“, nennen wir die Getränke-Aufnahme-Bezirke mal so, wird eifrig gerülpst, gespuckt und seinen Flatulenzen freien Lauf gelassen. „Das gehört so“.

Der „gemeine“ Ire macht das nicht, d.h., er macht es auch,  nur sagt er dann jedes Mal zu allen Anwesenden: „Excuse me“. Toll..nicht ? Ist mir extrem aufgefallen. Der grobschlächtigste, overall-tätowierte Ire entschuldigt sich bei allen mit ihm Laufenden für sein Bäuerchen. Wahnsinn. Auch alle Zuschauer - extrem freundlich. Ständig höfliche Zurufe: „Well done“, ob jung ob alt, klasse!

Wie gesagt, Zeit spielte keine Rolle. Die Landschaft, der Menschenschlag, die Luft, das Licht - all das sollte viele, viele Läufer mal nach Irland führen, nach Dingle. Nächstes Jahr gibt’s den 2. Dingle Peninsula Marathon, wieder am 2.Wochende im September. Ryanair fliegt billig und gut hin, sehr zu empfehlen.

Ach übrigens, Sabine und ich legen  uns anschließend in unserem Gärtchen in die Sonne, gucken aufs Meer, trinken Guiness und Kilkenny aus der Dose. Abends  genehmigten wir uns noch Fish and Chips, schauen wieder Sonnenuntergang und fühlen uns wie die zwei Guten bei Rosamunde Pilcher, Männlein und Weiblein, die sich am Ende immer kriegen, das Schloss erben und ihren Lebensunterhalt mit Rosen- und Schafszucht verdienen. Die geerbten Millionen lassen wir natürlich unangetastet. Dutzende dunkel gelockte, nur Einsen schreibenden, uns bis an unser Lebensende nur Freude bereitende Kinderchen sind um uns.  Ständig draußen auf der Terrasse frühstücken, Cabrio fahren, ab und zu Marathon laufen,  lieben und leben, und ..und …und - ab und zu Guinness trinken, klar!!

Der Sieger hat übrigens 2:38, irgend so ein „gemeiner“ Ire, O´´Dingsbums oder so. Ich komme mit meinen 4 Stunden doch nicht aufs Treppchen. Ich sagte ja, die schicken ihre Verwandtschaft zur Nudelparty, um die Ausländer in Sicherheit zu wiegen und zu verwirren. Was heißen soll: Es sind auch gute Zeiten möglich in Dingle, wenn man will – und kann! Sollte man aber nicht, es ist alles viel zu schön, um es nicht zu genießen.

 

Mehr zum Thema

 


 
NEWS MAGAZIN bestellen
Das marathon4you.de Jahrbuch 2024