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Laufberichte

Badwater Ultramarathon

07.08.05

Badwater-Ultramarathon  11. – 13.7.2005

Distanz: 217 km, von 85 m unter Meeresniveau bis 2548 m zum Mt. Whitney Portal, Sollzeit 60h, California, USA


„Läufer, laufe - und mit einem starken Willen und gutem Training kannst Du dem Stolz einer Furcht einflößenden Distanz trotzen“.

 

Ich habe  diesen von Sri Chinmoy stammenden Spruch in die Tat umgesetzt und jetzt über 3 Wochen nach diesem bestandenen Abenteuer fühle ich mich in der Lage, „meine“ Geschichte über dieses einzigartige Rennen zu erzählen:

 

Aufmerksam geworden auf dieses Rennen bin ich im Jahre 2000, dem Beginn meiner Laufkarriere, als mir eine Ausgabe des „Running“ auffiel. Die Titelgeschichte hieß: “Joe Kelly im Tal des Todes“. Dieser Bericht faszinierte mich außerordentlich und somit war der Keim für mein jetzt ganz kurz zurückliegendes Intensiverlebnis gelegt.

 

Nachdem ich im Juni 2000 in der Eifel meinen ersten Volkslauf, den Eifelmarathon mit sehr großer Mühe beendete, folgten im gleichen Jahr noch 4 weitere Marathons. Im darauf folgenden Jahr absolvierte ich bereits den ersten Ultramarathon im Thüringer Wald. In 2002 war mit dem Sahara-Marathon in der Südwestecke Algeriens bei Tindouf in den Flüchtlingslagern der Polisario bereits der 1. Wüstenmarathon bewerkstelligt worden. Im April 2003 brachte ich den „Marathon des Sables“ in Marokko erfolgreich zu Ende, um dann im Oktober des gleichen Jahres die Diagonale der Verrückten, einen Berglauf  über 140 km und 8000 Höhenmetern auf der franz. Überseeinsel La Reunion im Indischen Ozean zu bestehen.

 

Als ich im Frühjahr 2004 von dem runex 123-Projekt erfuhr, meldete ich mich sogleich bei Dr. Finkernagel als Supporter; bot mir dies doch die Möglichkeit, mich mit den Eigenheiten des Badwater-Ultramarathons vertraut zu machen, was sich in der Tat als Vorbereitung für meine eigene läuferische Teilnahme von unschätzbaren Wert erwies. Im Herbst desselben Jahres war ich dann wieder auf Reunion. Diesmal begleitete mich Sigrid Eichner, die lebende Deutsche Lauflegende, die als einzige Frau weltweit seit April 2005 sage und schreibe über 1.000 Marathons gelaufen ist. Das Rennen auf der franz. Tropeninsel begeisterte Sigrid genau wie mich und als ich ihr vom „Badwater“ erzählte war sie sofort „Feuer und Flamme“.  Im Januar bewarben wir uns bei Chris Costman, dem Renndirektor  und die Einladung kam…..

 

Günther Böhnke war den „Badwater“ voriges Jahr bei der runex 123-Gruppe gelaufen und bot sich mir damals schon als Supporter an, denn er wollte dieses Rennen auch mal von der Betreuerseite aus erleben. Mein Lauffreund Richard Sever, mit dem ich schon ab 2000 trainiert habe und der als Lehrer einer High-School in Baumholder die Kinder der Amerikanischen Soldaten unterrichtete, ging  2003 in Rente und wohnt in der Nähe von San Francisco. Schon 2002 bot er mir an, mich bei einem Rennen im Death Valley zu betreuen. Damals war es für ihn sicherlich ein „joke“. Als ich ihn dann Ende 2004 auf dieses Ereignis hin ansprach, erklärte er sich sofort bereit, mir Hilfestellung zu gewähren…..

 

Als Vorbereitung lief ich dieses Jahr Marathons und Ultras am laufenden Band. Es waren Doppeldecker und auch Dreifachdecker dabei, nämlich 2 bzw. 3 Marathons an einander folgenden Tagen. Sogar einen Fünffachdecker absolvierte ich im Mai, es war der Isarlauf von der Mündung der Isar bis zur Quelle = 333 km in 5 Tagen. Als letztes Rennen beendete ich die 100 km Biel wie geplant im ruhigen Schritt in etwas über 16 Stunden. Insgesamt waren es seit Sylvester 2004 24 Rennen mit mehr als 42 km, was mir dann als Vorbereitung für dieses „Badwater-Monster“ ausreichend erschien.

 

Montag, 11.Juli, 6.00 h a.m., kalifornische Zeit

Unmittelbar nach dem Verklingen der Amerikanischen Nationalhymne erfolgt der Start-Count-Down. Ein Pistolenschuß ertönt und für ein Häuflein von ca. 30 Ultralanglauf-Enthusiasten beginnt eine lange und beschwerliche Reise in die „Unendlichkeit“. Und die ist 217 km lang und führt immer auf einer guten, asphaltierten Straße vom jetzt tiefsten Punkt der westlichen Hemisphäre, der Platz heißt Badwater, zum höchsten Berg der USA außerhalb Alaskas, zum Mt. Whitney.

 

Es startet jetzt die erste und langsamste von 3 Startergruppen. Die nächsten beginnen das Rennen jeweils 2 Stunden zeitversetzt. Mit in dieser Gruppe sind unter anderen Klaus Micka, Holger Finkernagel, Karlheinz Kobus und Sigrid Eichner. Im Moment ist es noch schattig und mit ca. 38 Grad Celsius “gefühlsmäßig kühl“.


Wie immer bei diesen Laufereignissen zieht sich das Läuferfeld schnell auseinander.

 

Ja,  jetzt bin ich da, wohin ich seit Wochen hingefiebert habe; bei einem der wirklich härtesten Rennen der Welt. Körperlich und mental bin ich bestens vorbereitet; ich habe mich auf`s Finishen programmiert. Nur Ankommen zählt, die Soll-Zeit von 60 Stunden will ich einhalten. In kurzer Zeit habe ich meinen Rhythmus gefunden und trabe auf dem Ebenen und bergab. Auf dem welligen Gelände geht es ständig hoch und runter, wobei ich bei Steigungen sofort in den Gehschritt wechsele.

 

Sigrid habe ich mittlerweile einige 100 m hinter mir gelassen und laufe jetzt mit Jack Deness oder auch Mad Deness genannt. Es ist ein 70-jähriger Engländer, der das Rennen heute zum 12. Mal in Folge macht. Auch mit dem blinden Miles Geoffry aus Britannien und seinem Begleiter Cook komme ich ins Gespräch. Cook führt seinen sehunfähigen Freund an einem Walkingstock hinter sich her. Da jeder sein eigenes Tempo läuft, sind diese Gespräche immer nur von kurzer Dauer.

 

Die Straße verläuft am Rande eines großen Salzsees und ist von Gebirgsketten links und rechts umgeben. Ca 10 km – 15 km ist das Tal des Todes an dieser Stelle breit.


Die rechte Gebirgskette heißt Funeral Mountains, was auf Deutsch Beerdigungsgebirge heißt… Noch weitere Plätze mit nachdenklich stimmenden Bezeichnungen werden folgen. Nämlich Devil´s Golf Course, Furnance Creek (Ofenbach), Devil`s Cornfield, Stovepipe Wells (Ofenrohrbrunnen). Warum das so ist, wird jedem klar, der im Hochsommer  sich in diese Gegend begibt. Es sind die Temperaturen, bei denen sich nur der Teufel wohl fühlen kann. Normale Menschen verschlägt es im wahrsten Sinne des Wortes den Atem.

 

Temperaturen von weit über 50 Grad Celsius sind zumindest für den Mitteleuropäer mal nur sehr kurzfristig in der Sauna zu ertragen. Jetzt,  in diesem Moment sind wir noch von den 50 Grad entfernt, da wir  im Schatten laufen. Ein Zustand, der nach ca. 1 Stunde sich ändert, denn nachdem die Sonne hinter den Funeral Mountains aufgeht, klettert sofort die Quecksilbersäule des Thermometers rapide.

 

Unmittelbar nach dem Sonnenaufgang bringt mir Günter schon das erste mit Eiswasser getränkte Handtuch und legt es mir über die Schulter. „Warum jetzt schon? Es ist doch noch gar nicht so schrecklich heiß…“. Günter: “Du musst schon gleich zu Beginn kühlen, damit die Körpertemperatur nicht überschwappt!“ O.k., ich glaube es und vertraue ihm, da er vergangenes Jahr als Läufer es auch so gehandhabt hat und gut und schnell durchs Rennen gekommen ist.

 

Es wird jetzt schnell richtig heiß. Durch die nassen Handtücher lässt sich diese Hochofentemperatur gut ertragen. Jetzt merke ich, dass das Einatmen der heißen Luft die Bronchien austrocknet und verändere meine Atemtechnik, indem ich die Geschwindigkeit herab nehme und flacher atme. Ständig trinke ich jetzt in kleinen Schlucken. Immer wieder werden mir neue, volle Flaschen gereicht. Urinieren muß ich nur ganz selten. An Nahrung nehme ich Obst und Biosorb, eine balaststoffarme und hochkalorische, hochvitaminisierte und hochmineralisierte Intensivnahrung zu mir, die im normalen Leben unter anderen krebskranken Patienten im Endstadium gegeben wird.

 

Auch Powerriegel und –Gel sind im Ernährungsprogramm, der sehr süße Geschmack kommt mir jedoch schnell widerwärtig vor. Ansonsten läuft alles nach Plan. Über Stunden bin ich jetzt unterwegs, laufe meistens alleine und fühle mich ganz wohl in meiner Haut. Auf dem Kopf trage ich die weiße Leginärskappe von Reunion und am Oberköper ein weites weißes Shirt mit langen Armen. Ich trage eine kurze, schwarze, eng anliegende  Läuferhose. Die Beine und das Gesicht habe ich dick mit Sonnencreme mit Schutzfaktor 60+ eingerieben und sehe aus wie ein Anstreicher, der sich mit weißer Farbe besudelt hat. Aber es hilft und ich bekomme keinen Sonnenbrand.

Es sind jetzt ungefähr  25 km zurückgelegt und ich muß auf die Toilette, um etwas Großes zu machen. Das kostet Zeit, und wie könnte es anders sein, Sigrid Eichner läuft vorbei. Das Gleiche passierte auf Reunion beim Grand Raid, ebenfalls bei ca. 25 km, und Sigrid bekam ich nicht wieder zu Gesicht. Das sollte mir aber hier nicht passieren und ich verstärke meine Geschwindigkeit.

Sofort ermahnt mich Günther, dies nicht zu tun. Am Abend kämen wir in kühlere Gefilde und dann könnte ich verlorenes Terrain sehr schnell und leicht wettmachen.

 

Ich gehorche wie ein wohlerzogenes Kind, weiß ich doch von meiner Supportertätigkeit vom letzten Jahr, dass es dann am Townes-Pass  am Abend tatsächlich sehr viel kühler werden wird.

In der Ferne sehe ich im öden Talkessel einen großen grünen Fleck. Aha, das muß Furnace Creek sein. Es ist die Oase, wo gestern die Startnummernausgabe war und das sogenannte Prerace-meeting stattfand. Es ist hier die erste Zeitmessstation und 28 km sind bewältigt. Ich weiß, dass mindestens in früheren Rennen schon davor die ersten Läufer kollabiert waren. Am gleichen Platz, wo im vergangenen Jahr Alfred Gerauer eine Pause gemacht hatte, pausiere auch ich im Schatten von Tamarisken. Zu erwähnen ist, dass dieser Wüstenbaum wurzelmäßig 15 mal größer ist als der überirdische Teilbereich.

 

Ich sitze auf einem Leinenstuhl und habe die Beine hochgelegt und … ich fühle mich pudelwohl, liege sehr gut in der Zeit, was nach dieser kurzen Entfernung allerdings nichts bedeutet. Nach ca. 20 Minuten beendige ich die Siesta, werde an der Zeitmessstation registriert und die Reise geht weiter. Die Temperatur hat mittlerweile die 50 Grad C erreicht. Es ist momentan flach und ich jogge in gemächlichem Wohlfühltempo. Nach ca. 5 km kommen wir an einer ehemaligen Borax-Mine vorbei, wo als Touristenattraktion einige von diesen großen Wagen stehen, die in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts von jeweils über 20 Maultieren gezogen wurden.

 

Ich erinnere mich jetzt an eine Erzählung eines Bekannten, der mit Ehefrau und Schwager und dessen Frau Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts ebenfalls im Juli als Touristen diese Gegend bereisten. Als er ausstieg um Photoaufnahmen zu machen und dabei vergaß, die Autotür zu schließen, und dadurch etwas heiße Luft ins Wageninnere gelangte, schlug sie mit ihrer Handtasche nach ihm. 

 

Weit, sehr weit liegt doch diese Bürgerwelt jetzt von mir entfernt, und ich fühle mich immer wohler. Nach relativ kurzer Zeit ist der 1. Marathon geschafft und ich bin überhaupt nicht müde.

Ja, mit meinen Supportern habe ich großes Glück gehabt. Alles funktioniert nach Plan. Ab und zu mache ich kurze Sitzpausen, wenn ich kleine Mahlzeiten einnehme, die oft aus eingemachtem, gekühltem Obst bestehen.

 

Die ersten Läufer der nach mir startenden Gruppe überholen mich jetzt, was mich in keiner Weise stört. Mein Ziel ist ankommen und zwar gut ankommen. Ich will beim Zieleinlauf Mensch bleiben und nicht zum Zombie werden….

 

Über Stunden sehe ich auf der das Death-Valley  westlich begrenzenden Gebirgskette den höchsten Gipfel, den Teleskop-Peak. Er ist noch mit Schnee bedeckt. Es hat den Anschein, als verfolge er mich, denn ich kann kein Entfernen von ihm konstatieren.

 

Vorgestern waren wir noch dort beim Bergwandern und konnten von dieser Perspektive sowohl das Ziel, Sierra Nevada mit Mt. Whitney, sowie  andere schneebedeckte Berge in 160 km Entfernung und unter Hitze flimmender Luft in ca. 60 km Entfernung den Startplatz, die Badwater-Salzpfanne,  tief unter dem Meeresspiegel ausmachen.

 

Ein Schauern überlief mich und am Abend war ich sehr, sehr nervös und musste 2 Glas Bier trinken, um einschlafen zu können. War das die Angst vor der eigenen Courage? Jetzt habe ich überhaupt keine Angst mehr. Viele Male im Leben habe ich auch bei anderen Gelegenheiten diese Erfahrung machen müssen. Bei Examen beispielsweise; am Abend zuvor die Aufregung und dann mittendrin die absolute Gelassenheit.

 

Jetzt sehe ich ganz, ganz weit in der Ferne die Straße dünn wie ein schwarzer Zeichnungsstrich in der flimmernden Hitze einen Hang hinaufführen. Auch Supporterfahrzeuge kann ich dort wahrnehmen. Sicherlich dauert es viele Stunden, bis ich dort sein werde, denke ich. Und trotzdem geht es mir gut. Ich saufe Wasser wie ein Gaul, knabbere Salzstangen und lecke sogar Salz aus der Hand wie eine Geiß.

 

Ein vollweiß gekleideter, deutsch sprechender Läufer überholt mich jetzt und bedeutet mir, dass ich unbedingt lange weiße Hosen anziehen müsste, da ich sonst den Lauf nicht überleben könnte. Es ist Torsten Treptow aus Köln, der das Rennen zum wiederholten Male läuft. Auch Günther sagt er das.

 

Bei dieser Gelegenheit sage ich „danke, Torsten“. Die hochintensive Sonnencreme, die immer wieder aufgetragen wird, lässt mich das Rennen überleben. Nach mehreren Stunden ist tatsächlich der besagte Hang erreicht und in der Ferne kann ich Stovepipe Wells mehr erahnen als erkennen. Dort hatten wir uns in der Motelanlage eingemietet und einige Tage Hitzeanpassung geübt. Alles ist dort heiß.


Dreht man den Wasserhahn auf, der kaltes Wasser führen soll, so ist es heiß. Stellt man die Duschen auf kalt, so kommt heißes Wasser. Nach Anbruch der Dunkelheit ist es am heißesten, denn dann kommen die Fallwinde und zeigen eine Wirkung wie ein Haartrockner, der auf 100-fache Intensität gestellt wurde. Raben sieht man dort in großer Zahl und immer haben sie die Schnäbel sperrangelweit aufstehen. Diese armen Kreaturen können, wie auch unsere Hunde, nur mit den Zungen schwitzen.

 

Es muss jetzt später Nachmittag sein. Ich schätze die Zeit, denn ich laufe gewollt ohne Uhr und will kein Zeitsklave sein. Es genügt mir völlig, wenn mir Böhnke sagt, dass wir viele Stunden Zeitpuffer haben. Eine Weile geht es jetzt bergab und ich jogge locker, bemerke  jetzt zum ersten Mal, dass von unten eine enorme Hitze auf mich zukommt. Die Sonne hat die Straße aufgeheizt. Der Spezialasphalt reflektiert nun diese Hitze. Es sind so zwischen 70 und 90 Grand Celsius. Von oben bringt es die Sonneneinstrahlung auf weit über 50 Grad Celsius. Dazu weht ein starker, heißer Wind… Ich fühle mich wie ein Hähnchen im Grill.

 

Wir nähern uns Devil`s Cornfield. Wirklich, der Name dieses Platzes ist sehr passend, und dort machen wir eine kleine Verpflegungs- und Erholungspause von einigen Minuten. Wenige km später kommt die Dünenlandschaft; es sind die größten Sanddünen des Death Valley und man hat das Gefühl, in der Sahara zu sein. Ich kann mir vorstellen, dass der Film „ Dick und Doof in der Fremdenlegion“ in den 50er Jahren hier und nicht in Nordafrika gedreht wurde.

 

Jetzt werde ich von Christine Sell, die in der 2. Gruppe um 10 Uhr gestartet war überholt.  Sie sieht aus, als wäre sie soeben vom Kreuz genommen worden. Ich rufe ihr noch zu, dass sie sterben würde, wenn sie sich  weiterhin so schnell voranbewegen würde. Sie antwortet, ja, es ginge ihr nicht gut. Sie läuft aber trotzdem im gleichen Tempo weiter….

 

Noch ca. 4 km sind zu bewältigen, immer sehe ich Stovepipe Wells vor mir, fast wie eine Fata Morgana, die einfach nicht näher kommen will. Die Füße brennen, der Mund ist trotz ständigen Trinkens trocken und die Lippen sind entzündet. Letztendlich erreiche ich die Oase und sehe gleich zu Beginn daniederliegende Läufer mit Infusionen. Für sie ist das Rennen beendet. Es ist wie immer, es werden die gleichen Fehler gemacht: viele laufen viel zu schnell und scheitern dann in diesem Glutofen. Auch sehe ich im Swimming Pool sich Läufer tummeln. Ob das wirklich gut tut?

Günther beschafft neues Eis für die Kühlboxen und ich gehe mit Richard in den Saloon und trinke dort einen Tomatensaft. Die Innentemperatur beträgt ca. 20 Grad C. Es ist wunderbar und die Lebensgeister kehren zurück. Böhnke kommt und wir wechseln über zum Dining Room, wo sie eine feste Mahlzeit zu sich nehmen. Ich bekomme nichts Festes mehr hinunter und bestelle mir eine Suppe, die mir gut bekommt.

 

Da Richard und Günther im Restaurant mit ihrem Menue länger verweilen, lege ich mich zwischenzeitlich ins Auto, das im Schatten geparkt ist, und entspanne. Anschliessend behandelt Günther noch meine lädierten Füße, indem er Blasen aufsticht und mit Pflaster zuklebt. Doch es sind nur wenige und keine schlimmen Blasen, nicht vergleichbar mit denen, die ich mir in Marokko beim Marathon des Sables zugezogen hatte. Die Sohlen meiner Nike-Laufschuhe sind an manchen Stellen leicht angekokelt.

 

Der Supporter von Sigrid, Heribert Hofmann, kommt angefahren und Sigrid liegt im Auto. Oh je, was ist passiert? Sigrid hat zu wenig getrunken und ist dehydriert. Sie torkelte nur noch und konnte nicht mehr laufen. Deshalb hatten sie ihren Pfahl, der mit ihrer Startnummer gekennzeichnet ist, so ungefähr 5 km vor Stovepipe in die Erde gerammt und sie zum Kühlen hergebracht. Anschließend würde sie wieder die 5 km zurückgefahren werden und würde dann wieder anlaufen.

 

Alle glauben, das Rennen für Sigrid wäre gelaufen.

 

Nach ca. 2 Stunden Pause laufe ich wieder an. Der heiße Wind bläst von hinten, was besser ist als andersrum. Wir sind jetzt genau auf Meeresniveau und nur 2 km hinter Stovepipe Wells beginnt der Aufstieg zum Townes Pass, der über 5000 Feet hoch ist. Den Hitzeofen Death Valley werden wir also alsbald hinter uns haben. Das macht Mut, zumal die 2-stündige Pause und die Suppe neue Lebensgeister in mir geweckt haben. Mit Zuversicht und guter Laune gehe ich zügig den Berg hinauf. Günther ist erfreut über meine Fitness, die er mir anscheinend nicht zugetraut hatte und gibt mir zu verstehen, dass bei dieser Aufstiegsgeschwindigkeit wieder ein gutes Zeitpolster aufgebaut werden könnte.

 

Mittlerweile ist es dunkel geworden und ich ziehe mir meine Warnweste mit Reflektionsstreifen über. Außerdem habe ich nun eine Stirnlampe aufgesetzt. Je höher es hinaufgeht, desto mehr legt sich die Hitze und desto erträglicher werden die Temperaturen. Eine Kühlung durch Nasstücher ist nun nicht mehr erforderlich. Said Khala, ein mir bekannter deutscher Läufer algerischer Herkunft, der voriges Jahr bei der runex-Gruppe als Läufer ebenfalls dabei war  und in der 2. Gruppe gestartet war, überholt mich jetzt mit einem sehr, sehr flotten Schritt. Wir wünschen uns gegenseitig gutes Ankommen am Mt. Whitney und wenig später ist er aus meinem Sichtradius verschwunden.

 

Den Parkplatz bei Wild Rose erreiche ich und ca. 82 km sind bewältigt. Dort sind ähnlich wie bei unseren Autobahnparkplätzen Bänke und Tische aus massivem Holz Installiert. Ein freier Tisch wird zu meinem Nachtlager, indem eine Isomatte draufgelegt wird. Es ist ein wunderbares Gefühl, mich wieder ausstrecken zu können.


Es werden 90 Minuten Nachtruhe vereinbart. Richard und Günther schlafen im Auto und ich ruhe auf dem Tisch. Die Temperatur empfinde ich jetzt als sehr angenehm. Es ist warm, aber nicht heiß. Nur der Wind weht stark und die über mir ragenden Äste einer großen Tamariske geben Geräusche ab, die mich ängstigen. Ein wenig fürchte ich, dass mich herab fallende Äste erschlagen könnten. Nicht wirklich glaube ich daran, denn ich weiß, dass diese Pflanzenspezies sehr widerstandsfähig ist und der Wind dort in der Nacht meistens bläst. Ich glaube, nur ganz wenig geschlafen zu haben, als mich Günther weckt.

 

Aber, das Phänomen kenn ich ja von anderen Hardcoreläufen wie dem Grand Raid in Reunion, dass schon sehr wenig Schlaf die Körperbatterie wieder auflädt. Kurzum, ich fühle mich fit und bin guter Dinge. Günther begleitet mich jetzt viele km und Richard fährt das Auto. Noch immer trinke ich viel Wasser, uriniere jetzt aber häufig.

 

Die 2. Marathondistanz ist überstanden und ich bin sehr, sehr finishoptimistisch. Wir überholen jetzt sogar 2 Läufer und die Temperaturen bewegen sich immer mehr den mitteleuropäischen Sommerwerten zu. Am Straßenrand tauchen jetzt Schilder auf, die den Gebrauch von Schneeketten im Winter vorschreiben….

 

Es ist eine sternenklare Nacht und es gibt sicherlich weltweit wenige Plätze, von denen man einen solch erhabenen Sternenhimmel bestaunen kann. Ständig sieht man Sternschnuppen und ich genieße dieses Schauspiel. Ja, ich kann es genießen, denn ich bin mit meinen Kräften haushälterisch umgegangen, was sich jetzt auszahlt.


Die Luft ist voller Insekten und tausende Fledermäuse sind aktiv. Das Zirpen der Grillen ist auch für mich unüberhörbar. Hasen scheint es hier in großer Zahl zu geben, denn obwohl die Dichte des Straßenverkehrs eher bescheiden ist, sieht man doch ständig totgefahrene Exemplare dieser langohrigen Tiere. Es muss sich aber um eine spezielle Wüstenart handeln, die mit ganz wenig oder gar keinem Wasser auskommen, denn nirgendwo habe ich Wasserstellen gesehen.

Ab und zu sehe ich Wüstenmäuse über die Straße huschen. Auch Backenhörnchen bekomme ich öfters zu Gesicht. Einmal begegne ich einem Koyoten, der vor mir die Flucht ergreift. Mir geht es gut, ja sogar sehr gut. Nach dem Aufstehen habe ich mir meine MBT-Laufsandalen angezogen. Sie sind gut gedämpft und sind für das Bergaufgehen sehr gut geeignet. Zum Bergablaufen sind sie nicht geeignet und ich werde wieder meine Nike-Laufschuhe tragen. Das Supporten klappt wie die ganze Zeit vorzüglich und es gibt überhaupt nichts zu tadeln. Ab und zu bekomme ich gekühlte Fruchtschälchen, Biosorb, und Energieriegel serviert. Setze mich ab und zu für wenige Minuten auf den Stuhl oder auf die Ladefläche des Van`s.

 

Kurz vor der Morgendämmerung erreiche ich den Pass und von nun an geht´s bergab. Und zwar wundersamerweise in einem flotten Joggingrhythmus. Schnell ist der Morgen da und ich sehe vor mir einen Läufer, der sich so fortbewegt, als würde er am liebsten mit den Füßen gar nicht die Erde berühren. Er läuft wie auf Eiern und muß schrecklich schmerzende Füße haben. Beim Überholen grüße ich freundlich und er sagt, es würde ihm sehr gut gehen. “Tomorrow in the Evening I will drink a lot of beers!” meint er. Er ist Veteran und läuft den Badwater jedes Jahr. In dem Film „Running on the sun“ von 1999 habe ich ihn gesehen. Ebenfalls Akteur dieses Films war William Maple, ein enthusiastischer Major der Marineinfanterie, der allerdings bereits zwischen Furnance Creek und Stovpipe Wells kollabierte. Leider war auch dieses Jahr Stovepipe wieder für ihn Endstation.

 

Auch Chris Costman kommt vorbei, fragt nach meinem Namen und wünscht alles Gute und verteilt Komplimente:“ Yes, you make a great race!“

 

Die Sonne geht auf und ich erblicke vor mir die Weite des Panamit Valleys, dessen Querung ca. 8 endlos erscheinende km  bedeutet. Ausgerechnet an diesem Platz, durch den die Straße verläuft, befindet sich der tiefste Punkt des Tals und bei starken Regenfällen bildet sich hier ein See. Mit Planierraupen muss dann jedes Mal die Straße von Sand und Geröll geräumt werden. Und einige km in nördlicher Richtung befinden sich wieder große Sanddünen.

 

Jetzt am frühen Morgen ist es noch nicht so heiß und die Talquerung verläuft absolut problemlos. Bald komme ich an 2 Entfernungsschilder. Stovepipe Wells ist genau so weit wie Lonepine. Hurra, ich habe Halbzeit. Allerdings will Panamint Springs, das ich schon seit Stunden vor Augen habe, nicht näher kommen. Doch wie immer, plötzlich ist es da. Früher war es ein Goldgräberstädtchen. Heute gibt es da eine Tankstelle, einen Campingplatz, der jetzt im Sommer wegen der Hitze keine Gäste hat und eine Restaurant- und Hotelanlage. Hier befindet sich die 3. Zeitmesstation und es herrscht quirliges Leben. Jeder Läufer macht hier Pause. Viele, so wie ich, gehen zum Essen ins Restaurant, andere liegen ruhend in Autos oder lassen sich ihre Füsse verarzten.

 

Das Günter`sche Supporterprogramm  beinhaltet  jetzt wieder meine Fußpflege. Neue Blasen werden aufgestochen und abgepflastert. Wir begeben uns zum Restaurant, setzen uns auf der Terrasse  nieder und …. Sigrid Eichner taucht auf. Wir alle freuen uns sehr, denn wir befürchteten stark, sie hätte sich von ihrer Dehydration nicht mehr erholt. Sigrid hat ihre sprichwörtliche Zähigkeit erneut unter Beweis gestellt.

 

Mit dem Essen habe ich ernsthafte Probleme. Durch die große Flüssigkeitszufuhr sperrt sich mein Magen gegen feste Nahrung und nur mit allergrößter Mühe zwinge ich ein Bratkartoffelgericht in mich hinein. Längere Zeit danach befürchte ich immer noch, mein Magen würde es wieder hergeben wollen.Coca-Cola erweist sich dagegen äußerst hilfreich. Das von mir früher oft verschmähte und mit spöttischer Ironie bedachte Getränk kann ich gar nicht genug loben. Es ist  DAS  Sportgetränk für die langen und heißen Strecken.

 

 

Panamint Springs liegt am Fuße eines hohen Bergmassivs und weitere 32 km führen nach oben zu höchsten Stelle mit über 5.000 feet . Es ist diese Passage, wo vergangenes Jahr Alfred Hintzmann mich immer und immer wieder fragte, wie weit es denn zur Bergspitze noch sei, nachdem ich in Panamint Springs als Mitläufer endgültig ins Rennen eingestiegen war. Doch, wie gesagt, ich bin seit dem Start im Badwater-Bassin auf`s Finischen programmiert. Ich wundere mich über mich selbst; denn die Tugend der Geduld  war bei mir bisher nicht exorbitant stark ausgeprägt. Eher war das Gegenteil der Fall.

 

Extreme Langläufe jedoch sind die Lehrmeister der Geduld, was sich auch in den Niederungen des Alltags auszahlt. Denn wenn man mit diesen Mammutstrapazen zurecht kommt, sollte man doch auch kleinere Problemchen meistern können….

 

Ca. 8 km hinter Panamint ist der 3. Marathon gemacht und es geht langsam aber beständig nach oben. Dr. Micka überholt mich gerade, als ich eine kleine Pause mache. Kurze Zeit später habe ich ihn wieder eingeholt. Wir bewegen uns ungefähr in der gleichen Geschwindigkeit aufwärts.

Neben dem Mt. Whitney und den Alabama Hills, die auf den letzten 17 km kommen werden, ist es hier die schönste Landschaftsformation der gesamten Reise.


Die Farben der Felsen verändern sich ständig, von gelb über schwarz auf rot.  Die Vegetation ist spärlich. Es ist wie in der Sahara, die nach Meinung der Einheimischen dort der Garten Allahs ist. In diesem  seinen Garten hat Allah alles Überflüssige entfernt.

 

Der Himmel ist wolkenlos. Da wir jedoch immer mehr an Höhe gewinnen, stellt die Hitze überhaupt kein Problem mehr dar. Über viele Stunden geht es immer im gleichen Schema, gemütliches Bergaufgehen mit kleinen Stuhlsitzpausen. An einer Kurve sehe ich Christine Sell  im Schatten von Felsen auf einer Matte liegen. Sie sieht nicht gut aus.

 

In den Nachmittagsstunden ist die Berghöhe geschafft und nun führt es ein wenig bergab und die Wüstenvegetation wird dichter. Es gibt Tamarisken und die ersten Josua-Bäume tauchen auf. Günther und Richard begleiten mich jetzt, tragen meine Wasserflasche und gehen neben oder hinter mir her. Vor mir hergehende Pacer vertrage ich nicht, denn dann bekomme ich unangenehme Gefühle und fühle mich gedrängt, schneller als ich will voranzuschreiten. Ich laufe jetzt auf einen gewissen Butterick auf. Die Namen der Läufer kann man stets den sie begleitenden Supporterfahrzeugen entnehmen. Butterick geht wie ein Roboter und ist überhaupt nicht kommunikativ. Er wird überholt.

 

Ich warte auf die Zeitmessstation 4 Darwin.


Richard hat den Punkt Darwin in Erinnerung, denn er kam mit seinem Wagen von Lonepine nach Stovepipe Wells. Und viel zu früh verkündet er, nach der nächsten Kurve würde das ersehnte Zwischenziel kommen. Viele Kurven werden noch genommen und Darwin kommt nicht… Die mir neu erworbene Tugend der Geduld scheint an Glanz zu verlieren und der „innere Schweinehund“ meldet sich mit Unlustgefühlen. Doch gerade rechtzeitig sehe ich ein weißes Zelt, worin sich die Zeitmessstation befindet.  Gegenüber machen wir jetzt eine Pause von mindestens 30 Minuten.

 

Der Leinenstuhl übt nun einen starken Magnetismus auf mich aus; ich lege die Beine hoch und fühle mich sitzend hier sehr wohl. So wohl, dass mir jeder Gedanke an weitere Fortbewegung  als Albtraum erscheint. Ich reiße mich schließlich zusammen und laufe wieder an. Zum ersten Mal tut mir vom kleinem Zeh bis zum Hals alles weh. Nach nur 2 Minuten Bewegung sind die Schmerzen wieder weg. Da es jetzt ständig bergab geht, jogge ich wieder. So geht es über Stunden. Kleine Pausen sind inbegriffen, die aber in der Regel nicht länger als 5 Minuten dauern. Aber immer wieder sind die Schmerzen beim Anlaufen da.

 

Essen kann ich jetzt überhaupt nichts mehr. Dafür trinke ich viel und pisse viel. Es wird dunkel und zwischenzeitlich habe ich mehrere Läufer überholt. 168 km und somit der 4. Marathon sind geschafft und ich plane ernsthaft noch weitere 32 km bis nach Lonepine in dieser Nacht zu laufen. Die Realität ist anders. Trotz Coca-Cola und Red Bull bin ich müde und zwar sehr, sehr müde. 12 km schaffe ich noch, dann verlange ich nach einer großen Pause. In der Ferne sehe ich wie Glühwürmchen die Supporterfahrzeuge am Mt. Whitney und beneide die weit vor mir laufenden Athleten, die es bald geschafft haben werden.

 

Ich sitze wieder auf dem Leinenstuhl, gebe der Vernunft den Vorzug und beschließe, da ich weniger als einen Marathon noch zu laufen habe, und überhaupt keinem Zeitlimitdruck ausgesetzt bin, noch mal eine 90-minütige Schlafpause einzulegen. Günther hat sich angeboten, das Auto so herzurichten, dass ich auf der Ladefläche mit ausgestreckten Beinen liegen könnte.  Das Vorhaben wird umgesetzt und wenig später schlafe ich tief und fest. Es bedarf schon heftigen Rüttelns, um mich wach zu kriegen.

 

Kurz nach dem Aufwachen merke ich, dass das vorher ständig vorhandene blümerante Gefühl im Magen verschwunden ist. Als „Frühstück“ mitten in der Nacht esse ich jetzt eine große Portion Beef Jerkey, luftgetrocknetes Büffelfleisch, nach Indianerart hergestellt. Es bekommt mir gut und dann trinke ich noch eine Dose Red Bull. Dann bin ich so wach, als hätte ich 12 Stunden geschlafen. Jedoch: die Schmerzen in den Füßen und Beinen sind beim Start noch da,  und zwar stärker als je zuvor. An Keeler geht es jetzt vorbei, einer halbverlassenen verwahrlosten  Siedlung, wo jeder Einwohner seinen eigenen, privaten Autofriedhof neben seinem hüttenartigen Anwesen zu haben scheint.

 

Ich bin jetzt auf der Strecke, wo vergangenes Jahr Alfred Hintzmann verzweifelte. Denn endlos gerade führt die Straße Lonepine entgegen. Immer wieder laufe ich an Stellen vorbei, wo widrige Aasgerüche meine Nase belästigen. Es scheinen Kadaver größerer totgefahrener Tiere zu sein. Die Morgendämmerung setzt ein und der Autoverkehr  wird stärker. Viele Autofahrer grüßen begeistert, denn die meisten wissen wohl über dieses Rennen Bescheid und bezeichnen uns als Heroes.

 

Wir kommen jetzt an eine Stelle, wo es richtig kalt wird. Eine Fleece-Jacke würde jetzt von Segen sein.  Es gibt hier einen fließenden Bach, den man Owens River nennt. Gleich wird er überquert; Günther ist bei mir und ich will ihm die Kaulquappen und  Ochsenfrösche zeigen, die ich vergangenes Jahr hier gesehen habe. Doch wir bekommen nichts zu Gesicht. Das Licht ist noch zu schwach, denn die Sonne ist noch nicht aufgegangen.

 

Von weitem sieht man schon die Hauptverkehrsstraße, die von Los Angeles kommt und nach Lonepine führt. Ein Frühmorgenjogger kommt entgegen und verkündet höchsten Respekt. Nach einer starken Geduldsprobe ist nun endlich die Hauptverkehrstraße erreicht und wir biegen nach rechts ab und sehen auf der linken Seite das Holzhaus-Motel, indem wir vergangenes Jahr nächtigten.

 

Bis zur  5. und somit letzten Zeitmessstation sind es noch mehr als 3 Kilometer, die ich nicht im Hirn einprogrammiert hatte. Ich dachte, nach Erreichen der Hauptverkehrsstraße wird diese überquert und es geht gleich zum Mt. Withney hoch.


Sehr schwer fällt mir das Ganze jetzt. Die Straße ist sehr stark von  Pkw´s und Lkw´s frequentiert. Eine Joggerin läuft lauthals applaudierend an uns vorbei. Nach einer gewissen Zeit erreichen wir die Zeitmessstation, die auf der anderen Straßenseite liegt. Eine junge Frau von der Rennorganisation kommt mir entgegen und notiert meine Startnummer. Sie ergeht sich mit besten Glückwünschen, denn für sie habe ich das Rennen so gut wie geschafft. Nur noch 17 km sind zu laufen.

 

Nach 100 Metern kommt dann der Abzweig, der zum Mt. Whitney Portal hinaufführt. Eine Pause ist fällig; ich setze mich auf meinen geliebten Leinenstuhl und verspeise eine Tafel Schokolade und trinke Coca-Cola. Ha, wenn ich jetzt vorsichtig bin, kann nichts mehr schief gehen, denn ich habe alle Zeit der Welt, denke ich.

 

An Viehweiden vorbei mit hohen Bäumen geht es ins Gebirge. Anfangs nur moderat ansteigend erreiche ich das Vorgebirge, die sogenannten Alabama Hills. Dort wurden in den 50-er und 60-Jahren viele Wild-West-Filme gedreht. John Wayne war hier sehr aktiv und die Felsen, die manche als Kulissen vermutet haben, waren echt.

 

Ein schnell fließender Bach mit eiskaltem Wasser und hohen Bäumen und Büschen am Ufer verläuft einige km links oder rechts der Straße. Die Sonne steigt höher und es wird wieder richtig heiß. Und was noch schlimmer ist, die Steigung wird immer schroffer. Zum ersten Mal beim ganzen Rennen verspüre ich jetzt einen exorbitanten Pulsanstieg, der sich durch „tack, tack, tack“ an der Halsschlagader bemerkbar macht. Sofort erschrillt bei mir die innere Alarmanlage und ich nehme mein Gehtempo erheblich zurück. Eine innere Stimme sagt mir, dass das Rennen noch nicht gelaufen ist und ich noch hier im finalen Bereich kollabieren kann.

 

Der Badwater-Ultramarathon bleibt also tückisch bis zum Ziel. In meiner jetzt ruhigen Gangart betrachte ich die umliegenden Felsen genauer, und was muß ich sehen: ich setze die Sonnenbrille ab und wieder auf, ich kann´s nicht glauben. Aber ich erspähe Felsformationen, die aussehen wie nackte, in den verschiedensten Stellungen liegenden fortpflanzungswilligen Frauen mit großen Brüsten und wohlig geformten Hintern und Schenkeln. Ja spinne ich jetzt? Ist es also soweit, dass das Hirn im „vermutlich sterbenden Körper“ schnell noch mal Zeugungsreize vorgaukelt?


Ich fühle mich schon fast wie Odysseus bei den Sirenen; nur Gesang bekomme ich leider nicht zu hören. Festbinden muss man mich auch nicht, denn mein Fortpflanzungstrieb ist gegenwärtig noch nicht mal mehr rudimentär vorhanden.

 

Das „Terrain der wilden Weiber“ verlasse ich wieder und es geht noch mal kurz bergab, um dann brutal anzusteigen. Später erfahre ich, dass hier ein schneller Läufer noch kollabiert ist und nicht mehr weiter konnte. Ein DNF also kurz vor dem Ziel.

 

Viel Coca-Cola trinke ich jetzt und werde trotzdem immer langsamer. Und dennoch, später werde ich erfahren, dass ich in Relation zu manch anderen gar nicht so langsam war. Immer öfter kommen jetzt Supporterfahrzeuge mit Läufern entgegen, die bereits gefinisht haben, immer mit lautem Hupen und Jubeln begleitet. Ich habe immer größere Schwierigkeiten, sentimentale Flenngefühle zu unterdrücken.

 

Ganz langsam zwar, aber ich komme voran und ich habe viel, viel Zeit. Bereits jetzt beginne ich innerlich zu jubeln, denn nun bin ich sicher; ich werde es schaffen, ich werde mein Ziel erreichen und in der Zeit den Badwater finishen. Irgendwann ruft mir jemand zu, es sei nur noch eine Meile zu überwinden.

 

Ich ziehe jetzt mein Shirt vom 100 MC an, um damit zu finishen, so wie ich es Christian Hottas beim Spreewald-Marathon versprochen hatte. Günther sagt mir, dass er soeben das Supporterfahrzeug von Sigrid gesehen hat und rätselt, was das zu bedeuten hat. Für mich ist das keine Frage; sie hat mich überholt, während ich geschlafen habe. Ich gönne es ihr vom ganzen Herzen und freue mich.

 

Ja, hinter einer Kurve taucht das Zielbanner auf, das für jeden Läufer immer wieder neu gespannt wird. Ich fühle mich wie ein 15-jähriger Bub, bin total fit. Wir,  Richard an meiner Linken und Günther an meiner Rechten, laufen händehochreißend in Siegerpositur mit lautem Hurra-Geschrei ins Ziel.

 

Es ist ein Rausch. Eine Riesen Glücksgefühlswoge schwappt über mich. Die Tränen lassen sich nicht mehr zurückhalten und ich werde von Sigrid, Karlheinz, Heribert, Bodo und Angela, die im Ziel auf mich warteten, sowie Richard und Günther umarmt.

 

Ein sehr hartes, aber dennoch sehr schönes und extrem emotionalisierendes Rennen, ist soeben glücklich zu Ende gegangen. Ich bin Badwater-Finisher….nach 54 Stunden und 18 Minuten ist es vollbracht…

 

Chris Costman, der Renndirektor hängt mir die schwarze, schwere Finishermedaille um und schüttelt mir die Hand. Es werden von der Rennorganisation und dem Adventure Corps Photos gemacht.

 

Ein gutes Training kombiniert mit eisernem Willen und klarem Verstand sind die Grundlage für das Gelingen dieses wirklich einzigartigen Abenteuers. Einen weiteren großen Anteil  an meinem großartigen Erfolg haben meine beiden Supporter, die wirklich allerbeste Arbeit geleistet haben. Zu keiner Zeit fiel auch nur einmal ein böses Wort…
 
2 Wochen nach der Heimreise telefoniere ich mit Klaus Micka. Er ist genau wie ich der Meinung, dass dieses Rennen im Leben 2mal gelaufen werden muss….nicht nächsten Jahr, und auch nicht in 2007. 

 

Aber irgendwann bestimmt.

 


 
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