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Laufberichte

Backyard Ultra: Es kann nur einen geben

02.10.21 Special Event
 

Zu Beginn des Jahres las ich in den Regularien vom 100 MC zum ersten Mal von einem Backyard-Ultra. Ich fand es komisch, dass auch ein DNF für die Statistik zählbar ist. O.K., ich hatte gerade keine Lust und Zeit das zu recherchieren, aber es parkte im Hinterkopf. Dann im Sommer fragte mich Martin, ob ich nicht Lust hätte, einen mit zu laufen. Bingo, also ihm erst einmal Löcher in den Bauch gefragt was das denn überhaupt ist.

Der Startschuss fällt, eine Runde von 6,706 km Laufen und nach genau einer Stunde zur nächsten Runde antreten. Entweder man steht an der Startlinie, oder raus. Dies gefiel mir als langsamer Läufer sehr gut, ist es doch ähnlich wie bei jedem Lauf, dass eine Verpflegungsstelle alle 4-5 km die Möglichkeit zu einer kleinen Pause bietet. Hier hat man es selbst in den Füßen, beeilen und längere Pause, oder gemütlich laufen und eher kurze Pause. Nach jeder Stunde kann man aussteigen, es gibt nur ein/e „Last Wo-Man running“, alle anderen bekommen ein DNF. Nebenbei ist die Strecke so bemessen, dass man nach 24 Runden und Stunden genau einen 100 Meiler geschafft hat. Bei uns ist dies noch ein sehr neues Format, aber in den USA habe ich einen bereits 2011 durchgeführten Backyard gefunden. Dieser gilt auch als Quasi-Weltmeisterschaft in Bell Buckle / Tennessee

Samstag geht es für mich in‘s 135 km entfernte Dormagen zum 1. NRW Backyard Ultra. Oliver hat gerufen und rund 70 Anmeldungen liegen von. Es sollten dann 57 Starter/innen sein. Die Startzeit von 10 Uhr lässt beinah ein Ausschlafen zu. Wir Siegerländer stellen zu fünft eine große Gruppe innerhalb des Starterfeldes. Ich plane den Ausstieg nach 10 Runden und 67 km und dann auch die Rückreise in die Heimat. Als Dreh- und Angelpunkt dient das „Fährhaus Pitt Jupp“ direkt am Rhein gelegen, welches einen angeschlossenen Campingplatz hat und damit neben sanitären Anlagen auch Platz für Zelte bietet.

 

 

Eine Fähre gibt es hier allerdings nicht mehr. Wir befinden uns nördlich von Dormagen im Naturschutzgebiet Zonser Grind, welches auf einer Rheinschleife liegt. Ein Versorgungszelt ist aufgebaut und drei große Pavillons bieten genügend Platz für alle. Dies ist gut, da für die Nacht Regen angekündigt ist. Die Stimmung ist ebenfalls gut, man begrüßt die üblichen Kandidaten. Dreimal frage ich: „Und, Montag Urlaub?“ Dreimal ist die Antwort „Ja!“ Alles Verrückte hier, man fühlt sich daheim.

Um 9:30 gibt es ein Briefing mit allen notwendigen Erklärungen. Einige müssen noch umparken, damit das Fährhaus nicht gestört wird, dann geht es pünktlich um 10 Uhr auf die erste Runde. Ein Stückchen über Teer durch den Campingplatz, dann über Wirtschaftswege, die im Verlauf etwas rustikaler werden. Mittendrin eine Schleife über ein Feld, da der letzte Sturm ein paar dicke Äste aus den uralten Baumkronen gerissen hat, die noch auf unserem Weg liegen. Nach der Hälfte der Strecke kommen wir an die Zufahrt zum Naturschutzgebiet und folgen ab hier der Straße, auf der wir alle gekommen sind. Diese Runde ist für den Tag geplant, nachts wird auf die Nachtrunde umgestellt. Wir laufen die Zufahrtstrasse als Pendelstrecke hin und zurück.

 

 

Schon mit dem Startschuss bemerkt man, dass die Taktiken hier weit auseinander liegen. Wie üblich geht’s an der Spitze zügig los, aber viele wandern erst einmal ganz gemütlich. Ich halte mich zurück, mein Plan sieht vor, die Pace bei über 7 min. pro Kilometer zu lassen. Somit bleiben nach jeder Runde rund 10 Minuten Pause zum durchatmen und verpflegen. Es ist noch sehr frisch und bereits in der ersten Runde führe ich die erste Änderung der Taktik durch. Ich möchte bei den Temperaturen keine 10 Minuten auskühlen, da nach 6,7 km nicht viel Zeit für Verpflegung von Nöten ist. Also lege ich schon die ersten Geheinheiten ein. Ungewohnt, denn konditionsmäßig notwendig ist das natürlich nicht.

So enden meine ersten beiden Runden nach  rund 54 Minuten, die Zeit genügt, um was zu trinken und im zweiten Durchgang auch schon eine Kleinigkeit zu essen. Nach 58 Minuten erklingt eine Glocke, um alle die, die weiter möchten, zur Startlinie zu rufen. Um auf dem Campingplatz nicht stündlich zu schießen, dient ab sofort ein Gong dazu, uns auf die neue Runde zu schicken.

 

 

Ich komme mit Bernd ins Gespräch und wir quatschen 6,7 km nieder. Nach der dritten Runde beginnt der Ernst des Spiels - auf dem Flip Chart, welcher unser aller Namen führt, erscheint das erste „Out“. So geht es jetzt nach jeder Pause weiter, schnell verpflegen, dann ein Blick, ob es weitere Ausstiege gibt. Angekündigt wurde eine reichhaltigere Verpflegung, je weiter das Rennen fortschreitet. Und so kommt es auch. Die im Versorgungszelt gelagerten Kisten lassen keine Zweifel aufkommen. Plötzlich werden frische Waffeln serviert, sensationell! Vielen Dank an die Mädels vom Catering, das macht ihr Mega-Super-Klasse-Toll.

Die Runden laufen ohne nennenswerte Highlights dahin, lassen wir mal Gedanken an die heruntergestürzten Äste und die teils kräftigen Böen unter den Tisch fallen, auch den Bullen auf einer Wiese neben uns, welche nicht eingezäunt ist. Nach jeder Runde finden Bernd und ich uns wieder und es werden insgesamt sechs kurzweilige und unterhaltsame Runden. Wir haben immer zwei Gehpausen eingebaut und uns ziemlich exakt zwischen 52-53 Minuten eingependelt. Allerdings kommen uns die Pausen immer kürzer vor, je länger wir laufen.

 

 

Wir spekulieren, dass die siebte Runde das Feld ausdünnen könnte, denn dann überschreiten wir die Marathondistanz und werden bei der Deutschen Ultra Vereinigung gewertet. Aber die anwesenden Ultras belehren uns eines besseren. Nur drei Ausstiege gibt es in dieser Runde, damit sind es insgesamt 11 bis hier hin. Bestimmt kommen bei 50 km etliche dazu, doch Pustekuchen, es sind nur 2 Läufer, die aussteigen. Bernd hat genug, die achte Runde ist die seine. Ich laufe die nächste Runde mal ohne Gehpause durch, es wird mit unter 51 Minuten meine Bestzeit. Da es meine neunte und damit geplant vorletzte Runde ist, kann ich mir das Experiment erlauben.

Inzwischen dämmert es deutlich, wir wechseln um 19 Uhr auf die Nachtrunde und prompt fängt es an zu regnen. Es gibt keine Straßenlaternen und die fahrenden Autos blenden extrem. Olli stellt zwar einige Scheinwerfer entlang der Strecke auf, trotzdem tappt man im wahrsten Sinne des Wortes im Dunklen. Das Auslegen von hunderten Knicklichtern hilft ein wenig, aber vor allem die Brillenträger haben arg zu kämpfen. Ich lasse mich in meiner letzten Runde zurückfallen und warte auf Jens, er ist schon den ganzen Tag als Schlussläufer unterwegs und ist ein guter Indikator dafür, dass es zeitlich passt und man spätestens nach einer Stunde die Runde beendet. Da ich keine Pause mehr rauslaufen muss, geht’s genüsslich zu Ende.

 

 

10 Runden, 67 km, mein Tagesziel ist erreicht und damit das genaue Mittelfeld. 22 sind vorher raus, 10 nach der 10. Runde und 22 laufen noch weiter. Wie versprochen wird die Verpflegung besser, jetzt gibt es Pizza für alle. Ich versuche noch Fotos mit Blitz einzufangen, was leider in der Kombination wasserdichte Kleinbildkamera vs. Läufer in Bewegung zu keinem verwertbaren Ergebnis führt. Jeder erhält eine Urkunde und eine Medaille als Erinnerung. Für einen Euro gibt es 5 Minuten Duschen, noch ein Stück Pizza und dann meine Heimreise.

Vier laufen die ganze Nacht durch und die letzten drei batteln sich bis 12 Uhr am nächsten Tag, dann endlich steht der König vom Zonser Grind fest: Matthias Kröling (26 Runden = 174,2 km).

Der Backyard-Ultra ist ein interessantes neues Format für Marathon- und Ultraläufer. Die veranstaltete Austragung war von Larissa & Olli und vielen weiteren helfenden Händen toll organisiert. Ein zu empfehlender Einstieg vor allem auch für Einsteiger. Nur hinten raus „kann es nur eine oder einen geben!“

 

Top Four:

  1. Matthias Kröling – 26 Runden – 174,2 km
  2. Denis Siegfried – 25 Runden- 167,5 km
  3. Saskia Löhrich – 24 Runden – 160,8 km
  4. Martin Hansel – 20 Runden – 134,0 km

Rekorde:

Frauen – Courtney Dauwalter – 68 Runden – 456 km – Oktober 2020
Männer – John Stocker – 81 Runden – 543 km – Juni 2021

 


 
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