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Laufberichte

100 Km Lapland Ultra

29.06.07

Von Bären und Blaubeeren...


Es gibt so schöne Läufe in Deutschland, ich weiß. Man muss nicht unbedingt die Laufschuhe im Ausland schnüren, auf unbekanntem Parkett. Auch das weiß ich. Was ich aber bisher wirklich nicht wusste: auch im hohen Norden, bei den Elchen und Wikingern, gibt es wunderbare Läufe. Nicht nur Knäckebrot.

 

Im Süden Schwedens läuft man in Uppsala die hundert Kilometer in einem Park, etwa tausend Km weiter nördlich geht es schon etwas wilder zu: in dem kleinen Örtchen Adak, nicht weit vom Polarkreis entfernt, kann der Ultraläufer in eine fast unberührte Natur eintauchen. Adak ist der Start- und Zielpunkt des Lapland Ultra, einer Veranstaltung, die in jedem Fall mehr Mücken als Läufer und Zuschauer anzieht. 

 

Auch in Schweden scheint sich diese waldreiche Laufrunde noch nicht herumgesprochen zu haben. Nur etwa 40 Teilnehmer kamen in diesem Jahr nach zurückgelegten 100 Kilometern in die Wertung, darunter Finnen, Schweizer, ein Ire, und natürlich auch ein paar Deutsche, vornehmlich aus dem Badischen stammend. Das Vorspiel am Start in Adak ist familiär und angenehm. Die Startnummern werden in einer alten Waschküche ausgegeben, sind aus Stoff und so wahrscheinlich auch beim nächsten Volkslauf, wahrscheinlich im Winter auf Skiern, wieder zu verwenden.

 

Alles andere ist wie bei uns, auch die Sicherheitsnadeln funktionieren genauso. Nur in der Umkleide ist wieder alles etwas anders: gleich neben den Duschen der kleinen Sporthalle wartet eine Sauna auf hitzebeständige Gäste. Typisch Schweden eben. Nach dem Lauf wird der Schwitzekasten noch gute Dienste erweisen, doch davon später.

 

Gegen 18 Uhr gehen die ersten Läufer auf die Strecke, zumindest jene, die sich kein flottes Tempo zutrauen oder gleich ins Walken übergehen wollen. Nur ein simpler Kreidestrich markiert den Startpunkt. Für alle anderen beginnt das Lappland-Abenteuer vier Stunden später. Ständige Wegbegleiter sind fiese, kleine Blutsauger. Solange man läuft, lassen dich die Moskitos in Ruhe. Aber wehe, es geht an den Verpflegungsstand oder in die Büsche... wie meinte mein Laufkamerad Werner Mirwald vom TV Bühlertal trocken bei Km 10: „Beim Pinkeln bräuchte man hier eigentlich fünf Hände“.

 

Dennoch macht das Laufen angenehmen Spaß, denn die Luft im hohen Norden ist so wunderbar klar, die Temperaturen bewegen sich um die 18 Grad. Ideale Bedingungen eigentlich. Doch die Besonderheit schlechhthin beim Lapland Ultra sind die irren Lichtverhältnisse. Zwar geht auch hier die Sonne mal unter, aber richtig dunkel wird es nie. Die Landschaft mit den großen Wäldern und vielen Seen versinkt höchstens in eine Art Dämmerzustand – von einer Nacht im mitteleuropäischen Sinne kann aber keine Rede sein.

 

Alle fünf Kilometer wartet die Verpflegung. Schon aus einiger Entfernung sind die Feuerstellen der Posten zu sehen mit ihren Rauchschwaden. Einerseits erzeugt das in mir eine romantisch-abenteurliche Atmosphäre, zum anderen schreckt es etwas die fliegenden Plagegeister ab. Wir Läufer können ja wenigstens nach kurzer Zeit wieder die Flucht nach vorne antreten, doch die immer freundlichen Helfer müssen ausharren.

 

Für den Magen gibt es allerhand, von Brot über Schokolade, Bananen, aber auch Blaubeersaft, der hier „Blobärsopp“ genannt wird (oder so ähnlich zumindest). Meine Spezialmischung besteht aus dem besagten Saft und einem Schuss Iso-Getränk.

 

Die ersten gut 55 Kilometer des Lapland Ultra sind ganz nach meinem Geschmack: es ist ein welliger Kurs auf Landstraßen, die man bei uns wohl als gut ausgebaute Forstwirtschaftswege bezeichnen würde. Ab und zu überholt uns ein Auto, meist sind es Fahrzeuge der Betreuer. Ansonsten sind wir alleine mit uns und der Natur. Wald, Wald, und nochmal Wald. Vor allem Birkenbäume säumen die Strecke, der feuchte Untergrund ist ihre Heimat.

 

Auch Bären wurden gesichtet, allerdings nicht von uns, sondern von einem Verpflegungsposten. Ansosnten ist der Ultra eher ungefährlich, ja geradezu gemütlich. Theoretisch bleiben jedem Läufer 26 Stunden Zeit, die 100 Kilometer zu bewältigen. Von Zeitdruck kann da wahrlich keine Rede sein.


Gemeinsam mit Werner, den ich erst auf dieser Reise kennen gelernt habe, laufe ich bis zu einer breiten Hauptstraße. Auch hier kaum Verkehr, aber dafür eine lange, nervtötende Teerpiste. Keine Ahnung, was uns daran so stört. Vielleicht ist es diese endlose Gerade, die sich bis zum Horizont hinzieht. Kein Ende ist in Sicht, der Wind bläst einem ins Gesicht. Für mich der erste Punkt, an dem ich mit mir kämpfen muss.

 

Sieben Kilometer geht das so, bis der „Wendepunkt“ bei Kilometer 63 erreicht ist. Werner hat die Nase gestrichen voll, im Kopf macht sich ein Widerwillen breit, weiter zu machen. Da hilft auch kein Überreden – ich nehme den Rest der Strecke alleine unter die Sohlen, in Gedanken bin ich noch bei Werner. Noch, denn ab jetzt gilt das gesamte Augenmerk meiner Seele und meinem Körper. Oder umgekehrt. Bis Km 75 ist jedenfalls der Wille da, aber danach wird gegangen. Ein Spaziergang durch schöne Natur, warum eigentlich nicht?

 

Vielleicht steckt der 80er von Karlsruhe noch in den Knochen oder sind es diese endlosen Pisten, die mich mürbe machen? Kaum ein Läufer ist in Sicht. Wolfgang Neugrewe, den Schlacks aus Ravensberg, sehe ich noch in der Ferne entschwinden, aber danach ist für lange Zeit Ruhe. Nur an den Verpflegungsständen entdecke ich den ein oder anderen Athleten. Martin Klages zum Beispiel, der mit dem Wohnmobil aus Deutschland angereist ist und heuer unter 20 Stunden bleibt.

 

Kurz vor dem Ziel, nach etlichen lang gezogenen Anstiegen, sehe ich einen roten Punkt am Ende der Straße, etwa einen Kilometer vor mir. Es ist Hepo-Oja Akseli, ein Blondschopf aus Finnland, der seinen allerersten Hunderter bestreitet. Stolz erzählt er mir hinterher in der Sauna, dass er mich hat kommen sehen, um dann mit einem Endspurt und den letzten Körnern Platz 25 tapfer zu verteidigen. Obwohl: die Reserven hätte sich der junge Mann sparen können, ich hätte ihn auch so wohl nicht mehr eingeholt. Ich bleibe unter 13 Stunden. Und natürlich muss der Satz an dieser Stelle folgen: mir ging´s doch gar nicht um die Zeit... vielmehr um die Vorfreude auf Dusche, Bier, sowie ein Bett.

 

Sieger wird ein Schwede, Sören Forsberg in 8:42 Stunden, bester Deutscher immerhin einer aus unserer tollen Reisegruppe, nämlich Udo Stossberger aus Calw (10:03/ Platz 6). Der Zieleinlauf an sich ist dann auch nochmal eine kleine Besonderheit, denn gleich nach Überqueren der Ziellinie wird man zum Fototermin gelotst. Eine Einheimische in  Landestracht begleitet mich zu einem großen Lappland-Banner. Gemeinsam starren wir in eine Digitalkamera. Auslöser gedrückt, und ein paar Stunden später findet sich das Foto auf der persönlichen Urkunde wieder. Eine geniale Idee, die zu diesem Lauf im Süden Lappland passt.

 

Es sind Kleinigkeiten, die diese Veranstaltung so besuchenswert machen. Wie die Kantine neben der Sporthalle, die günstiges und gutes Essen bietet, wie überhaupt den besten Kartoffelbrei zwischen Oberammergau und Nordpol. Alleine deshalb lohnt sich ein läuferischer Abstecher nach Adak, ganz ehrlich!

 

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Ach so, die Sauna. Finale Anlaufstelle zur Lockerung der Muskulatur. Die Wärme tut einfach nur gut und erleichtert den Masseurinnen im Nachbarraum hinterher die Arbeit. Den Termin für 2008 habe ich übrigens schon vorgemerkt, dann findet der Ultra im Land der Mücken und Blaubeeren zum zehnten Mal statt. Ja, es gibt schöne Läufe in Deutschland, keine Frage. Aber eben nicht nur dort.

 

P.S.:
Mehr Infos über den Lapland Ultra gibt es übrigens bei einem Dia-Vortrag am Freitag, 12.Oktober in der Stadthalle von Freistett. Barfußläufer Eduard Urban wird die Bilder aus diesem Jahr kommentieren. Siehe auch unter www.sv-freistett.de

 


 
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