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Laufberichte

Kaiserwetter von Königstein bis Dresden

 

Nach beinahe fünfstündiger Fahrt hält der Zug in Dresden. Wurde aber auch Zeit, bin ich froh, mir endlich die tauben Beine vertreten zu können. Es ist Samstag, halb zwölf, pünktlich angekommen - ein Pluspunkt für die Deutsche Bahn. Ich habe noch knapp vierzig Minuten Zeit, um den Anschluss-Zug nach Königstein zu bekommen. Es juckt in den Füßen, also springe ich förmlich aus dem IC und laufe schnurstracks Richtung World Trade Center an der Freiberger Straße Ecke Ammonstraße in der Wilsruffer Vorstadt, nur anderthalb Kilometer vom Dresdner Hauptbahnhof und unweit des historischen Stadtzentrums gelegen.

Es dauert nicht lang und ich stehe im inneren der Stahlbetonskelett-Konstruktion mit Glasfassade. Und hier ist gut was los! Im Atrium findet in der Zeit vom 28. und 29. April 2017 die kleine, aber feine Marathonmesse mit Ausgabe der Startunterlagen statt. Ich erhalte besagte Unterlagen nebst riesigem Starterbeutel, welcher ausschließlich für die Kleiderabgabe genutzt werden soll. Mit derzeit über 6000 Startern sowie deren Begleitpersonen erwarten die Veranstalter über 10000 Messebesucher. Das ist stattlich! Ich greife noch eine auf 500 Stück limitierte Trinkflasche am Renta-Stand ab und spaziere schnellen Schrittes zurück zum Hauptbahnhof. Schade, für die Teilnahme an der Signierstunde mit dem Dresdner Schauspieler und Marathonläufer Ahmad Mesgarha war leider keine Zeit. Aber vielleicht würde ich Ihn ja noch auf der Strecke antreffen?


Samstag: Wandertag

 

Ich hatte mir im Vorfeld überlegt, welche Sehenswürdigkeiten ich am Vortag des Marathon besichtigen würde. Dresden hat ohne Zweifel eine regelrechte Fülle davon zu bieten, jedoch bin Ich eher der Naturliebhaber. Okay, vermutlich werde ich wohl schon alt. Drei lohnenswerte Ziele hatte ich mir heraus gepickt: Bastei-Brücke, Pfaffenstein sowie Festung Königstein. Kaum hält der Zug am beiderseits der Elbe gelegenen Luftkurort Rathen, schlendere Ich auch schon fit und munter Richtung Gierfähre. Meine ausgedehnte Sightseeing-Tour am Samstag konnte endlich beginnen...

„Oh, da waren Sie aber lang unterwegs. Wollten Sie nicht morgen noch einen Marathon laufen? Sie sehen ja echt...fertig aus“, begrüßt mich ein erstaunter Bodo Rehn, Inhaber der traditionellen und gemütlich-rustikalen Pension und Gaststätte „Schrägers“. Ich schaue kurz auf die Uhr: gute zehn Stunden bin ich wohl ununterbrochen gewandert, geklettert, teilweise unter diversen Felsvorsprüngen gekrochen und hatte dabei sage und schreibe zwanzig Kilometer zurück gelegt! Oha. Ich gebe mich äußerlich jedoch fröhlich und antworte: „Jau! War ein toller Tag, soviel steht fest. Hier gibt es viel zu entdecken. Doch jetzt gehts für mich umgehend in die Koje, ich bin tatsächlich etwas müde...“. Mit letzter Kraft stelle Ich noch den Handy-Wecker, bevor ich kaputt ins Bett falle. Meine letzten Gedanken hatten sich wohl noch über Sinn und Unsinn diverser, intensiver Wander-Touren durch die sächsische Schweiz vor einem bitteschön ernstzunehmenden Marathon beschäftigt...aber schnell übermannte mich der Schlaf, die Grübelei fand ein jähes Ende.

 

 


Start in Königstein

 

Ich schlendere entspannt Richtung Elbwiese unterhalb des Königsteiner Bahnhofs, dem Marathon-Startbereich. Schnell merke ich, dass der Tag noch sommerlich warm werden würde. Sonnnenschein bei wolkenlosem Himmel, besser kann ein Wettkampftag doch nicht beginnen? „Sonne satt, was? Ganz im Gegensatz zu dem graupeligen Kieler Wetter...“, begrüßt mich Alpenjäger Sebastian Roß, welchen ich vom Kiel Marathon her kenne. In blauem Trachtenhemd wird er auch entlang der Oberelbe seine gute Laune versprühen. Ich beobachte, wie die letzten Teilnehmer ihre Kleiderbeutel an den bereitstehenden LKWs abgeben. Ich hatte jedoch schon im Vorfeld beschlossen, meinen Rucksack nebst Gepäck selbst zu transportieren.  Wenn schon Prädikats-Verweigerer, dann richtig. Ich spüre da wohl gerade, wie der geneigte Leser nun obligatorisch die Augen verdreht!

Mittlerweile füllt sich der Startbereich mit vielen bunten Marathonis. Wundervoll das Wetter, wunderschön die Landschaft. Freude macht sich breit, Ich kann es kaum erwarten, gleich auf dem bekannten Elbradweg von Königstein nach Dresden laufen.. Meine Blicke wandern hierhin und dorthin. Auf der Elbe legt schon bald der Raddampfer ab. Freunde und Bekannte winken ihren Helden zu, würden diese auf dem Weg nach Dresden eher tiefenentspannt begleiten.  Ich wollt dem Björn noch viel Erfolg und gesunde Beine wünschen, kann ihn aber in der Menge nicht mehr ausfindig machen. Plötzlich ein Knall zur linken! Die drei Schützen haben ihre Salven abgefeuert. Beinahe gleichzeitig ertönt eine langgezogene Dampfersirene zur rechten, was nur eins bedeuten kann: Wir Läufer werden endlich vom Stapel gelassen! Blaue und grüne Ballons steigen auf, entfernen sich schnell, genau wie das Spitzenfeld der Läufer. Auf geht’s!

 

 

Sonne im Nacken

 

Dichtes Gedränge im bereits lang auseinander gezogenen Läuferstrom entlang der Oberelbe. Was ein Klasse Feeling, das gefällt mir ausgesprochen gut. Die noch angenehm milden Sonnenstrahlen an diesem Sonntagmorgen bewirken, dass die meisten Läufer mit einem fröhlichen Grinsen Ihrem noch sehr fernen Ziel entgegen fiebern. Hoch über uns ragt Festung Königstein auf, eine der größten Bergfestungen in Europa. Leider konnte ich diese am Vortag nicht mehr besichtigen, da die Sonne bereits unterging, als ich mich von der extrem ausgiebigen Klettertour in Pfaffenstein auf den Weg zurück nach Königstein gemacht hatte. Ich erfuhr jedoch, dass dort noch ein knapp 8 km langer Festungslauf im August stattfindet. Mit anschließender Siegerehrung auf dem Marktplatz der Festung bei untergehender Sonne. Klingt vielversprechend, ist eine Überlegung wert.

 

 

Mittlerweile durchqueren wir die kleine Ortschaft Strand. Der Ortsname ist tschechischen Ursprungs und soll so viel wie „Siedlung am Rande“ bedeuten. Kurz nachdem ich am Ortsschild des Kurortes Rathen vorbeiziehe und wenig später die Bahngleise überquere, werde ich mit einem sehr imposanten Anblick belohnt: Felsenburg Neurathen sowie unmittelbar darauf die Bastei auf dem Elbsandsteingebirge.

„Ja mei, is des schee, ne?“ Trachtenhemd-Läufer Sebastian reißt mich aus meinen Gedanken. Er wird gerade von Ganzkörper-Trachtenträger Ralf Wagner begleitet. Beide ganz lässig und gutgelaunt, mit stylischer Sonnebrille. „Fehlt nur noch ein Maßkrug in jeder Hand, und Ich kaufe Euch den Look ab“, scherze ich, während wir zwischendurch unseren Durst ausgiebig an dem VP kurz vor Pirna löschen.

 

 

Immer entlang der schönen Elbe reihen sich meine Kilometer nun wie im Fluge. Ich bin erstaunt, als ich das „Noch 29 Kilometer“ - Schild passiere und vor mir der nächste VP auftaucht. Ich komme mit der netten Nicole Haine ins Gespräch, einer lebenslustigen Läufer-Mieze mit Dauerlächeln im Gesicht. Wir verstehen uns auf Anhieb prächtig und  quatschen über kommende Läufe, genießen dabei das tolle Kaiserwetter, die herrliche Umgebung, die abwechslungsreiche Strecke...immer linkselbisch entlang an einer der unbestreitbar schönsten Flusslandschaften Europas. Vorbei geht es an das Pirnaer Elbschlösschen, vorbei an der Blütenpracht unzähliger Frühlings-Bäume, vorbei an vielen bunten Tulpen am Elbradweg. Eine unbestreitbar malerische Landschaft.

Ich erreiche nach diesen vielseitigen Eindrücken schließlich Pirna und habe leider schon die Hälfte dieser ungeheuer reizvollen Marathonstrecke hinter mir gelassen. Als ich so durch die historische Altstadt laufe und von netten Helfern durch die vielen, verwinkelten Gassen gelotst werde, fühle ich mich in eine andere Zeit versetzt. Pirna ist zwar von Kriegsschäden und Stadtbränden weitestgehend verschont geblieben,  jedoch nicht von den Elbhochwässern in den Jahren 2002 sowie 2006. Dramatisch damals die Situation wegen der Niederschlagsmengen, die in die Täler flossen. Sachsen wurde von mehreren Hochwasserwellen getroffen, damals spielten sich kritische Szenen ab. Viele Brücken wurden weggerissen, Straßen unterspült, Häuser überflutet und schwer beschädigt, die Strom- und Telefonversorgung brach zusammen, ganze Dörfer wurden evakuiert oder waren von der Außenwelt abgeschnitten. Danach wurde unter anderem auch Pirna aufwendig saniert, die Bürgerhäuser mit Ihren prächtigen Giebeln und Erkern kunstvoll verziert.

Meine Altstadt-Runde wird auf dem historischen Marktplatz glühend gefeiert, während ich durch ein Spalier von Cheerleadern und einen großen Rundbogen laufe, dabei reihenweise bei Klein und Groß abklatsche, passend begleitet von brasilianischen Klängen der Band „Fogo Do Ritmo“. Schnurstracks führt mich der Streckenverlauf wieder heraus aus Pirna, erneut befinde ich mich auf den Elbradweg, unterquere noch die Stadtbrücke und schütte mir beim VP und Ruderhaus „Zur Dolle“ einen kalten Wasserbecher ins Gesicht. Puh, mittlerweile ist es richtig heiß geworden, darum verfallen wohl nicht wenige Läufer schon in Geh-Tempo.

 

Halbzeit bei Heidenau

 

Kaum überquere ich die Zeiterfassungs-Matte bei Heidenau (Tipp: HM-Video gibt’s auf der OEM-Webseite), schält sich bereits im Hintergrund und linksseitig der Elbe der markante Bau eines Papierfabriken-Komplexes hervor. An der Strecke selbst fallen mir wenig Zuschauer auf. Aber gut, es handelt sich hier ja auch um einen genussvollen Landschaftslauf, war mir nur recht. Dann lasse ich auch schon wieder Heidenau hinter mir, immer an der Elbe entlang. Ich überquere kleine Brücken, durchquere eine Beach-Arena, lasse mich von der Landschaft verzaubern und immer weiter Richtung Dresden treiben.

 

 

Dann kommt wieder einmal der Punkt, wo ich merke, dass ich unweigerlich langsamer werde. Ich werde von immer mehr Läufern überholt. Das noch ungewohnt warme Wetter kostet Kraft. Ich hatte bislang bei jedem VP ausgiebig getrunken und hin und wieder auch was gegessen...nichtsdestotrotz meldet sich nun der Körper. Ich wusste, dass sich der innere Köter bald melden und mir die Quittung präsentieren würde: Den Radebeuler Treppenmarathon noch in den Knochen, den Rucksack auf dem Rücken und die Sonne im Nacken. Prädikat? Nicht besonders wertvoll. Aber wer nahezu 24 Stunden lang Treppen laufen, ein wenig Extra-Gewicht mit sich herum schleppen und das schöne Wetter genießen kann, der wird ja wohl imstande sein, auch einen Marathon zu laufen. Im Übrigen, jetzt nur noch einen halben.

So bekloppt sich das auch lesen mag, mir hilft’s ... ich fange an, Gas zu geben, werde schneller. Die üblichen Belastungsschmerzen sind zwar da, sind aber im Vergleich zur Treppen-Plackerei letzte Woche eher ein schlecht gemeinter Scherz. Auch etwas, was ich mir einrede. Einfach aus negativem das Positive abgewinnen.

 

 

Ich habe wieder Lust und laufe an vielen vorbei: An der netten Elene nebst Buddy, dem Tunnelblick-Markus, dem grinsenden Junyu, der erleichterten Michaela, dem konzentrierten Marco. Das „blaue Wunder“ erlebe ich dann an der gleichnamigen Brücke, als ich erstaunt feststelle, dass vor mir wieder die strahlende Sylvia Schüttig auftaucht. Wir hatten bereits vor Pirna ein paar Worte miteinander gewechselt. Wiedersehen beim Vorbeilaufen. Während ich die Albrechtschlösser rechtsseitig der Elbe bewundere, hat Erklärbär-Uwe, der meinen Blicken zu folgen scheint, darüber einiges zu erzählen...

Satt-grüne Elbwiesen, soweit das Auge reicht. Eine wahrhaft beeindruckende Laufkulisse! Am Horizont zeichnet sich bereits die Silhouette  der Dresdner Altstadt ab. Dann passiere ich auch schon das „Noch 4 Kilometer“ - Schild und bin wiederholt perplex, wie zügig ich hier bislang beim Oberelbe-Marathon und - gemessen an der Vorbelastung - unterwegs bin.

 

Das Ziel ist Dresden

 

 

 

Augustusbrücke voraus! Man ist regelrecht übersättigt von all den historischen Eindrücken. Dabei erlebe ich gerade vor dem Zieleinlauf im Heinz-Steyer-Stadion noch einmal die geballte Pracht Dresdens: Die Brühlsche Terrasse, von der unzählige Zuschauer herunter schauen und jubeln, als würde die legendäre Dynamo-Traumelf höchstselbst ins Rudolf-Harbig-Stadion  einlaufen. Weitere Höhepunkte dann die Frauenkirche im Hintergrund, die Semperoper, die Hofkirche. Persönlich finde ich auch die auffällig-markante „Tabakmoschee“ Yenidze sehr beeindruckend, weil sie sich klar von den Barock- und Renaissance-Bauten der Innenstadt abhebt. Heute befinden sich Büro – und Gewerbeflächen darin. Ob wohl der gute Joe Kelbel schon mal das Kuppelrestaurant mit dem höchsten Biergarten über den Dächern von Dresden besucht hat?  

Zeit für den Zieleinlauf im Heinz-Steyer-Stadion: auf den letzten 200 Metern umrunde ich auf der Tartanbahn die zentrale Rasenfläche, beobachte dabei die unzähligen mehr oder weniger erschöpften Marathoni, welche im Gras liegend essen, trinken, jammern, lachen, oder vor Freude ein Tränchen verdrücken. Juhu, es ist so weit, das Zieleinlauftor verschluckt den Rucksack-Touristen Mario und somit einen weiteren glücklichen Finisher!

 

 

Ich genieße diese Stimmung, während der Körper langsam von Betriebstemperatur auf Akku-leer-jetzt-bitte-Nudeln-und-Bier umstellt. Hier herrscht regelrechte Biergarten-Stimmung unter riesigen, roten Marktschirmen. Dann treffe ich unweit der rosaroten Hüpfburg auch den Björn, welcher gutgelaunt auf mich zukommt und dabei mehrfach „Auswärts sind wir asozial“ ruft. Ich muss laut auflachen, so kenne ich meinen Brocken-Challenge Laufkameraden gar nicht. Tja, sein Credo: was Fußballfans können, können Läufer schon lange. Ihm geht es gut, mir geht es gut, heute dürfen wir das. Auf dem gemeinsamen Foto könnte man fast denken, wir seien Brüder. Aber nur fast.

So, jetzt will ich endlich After-Marathon-Party genießen, schnappe mir eine Schale Nudeln und ein kühles Bier, setze mich auf den erstbesten freien Platz und lasse den heutigen Tag einmal so richtig sacken. Eine gefühlte Ewigkeit schaue ich auf die sehr schön gestaltete Jubiläums-Medaille des 20. Oberelbe-Marathon, lasse einmal mehr meinen Blick sowie die Gedanken schweifen, sauge die intensive Atmosphäre auf und stelle fest, dass ich mich rund um wohl fühle!

Kaiserwetter ist das Wort des Tages - und passt  wahrhaft perfekt zum heutigen Jubiläumsmarathon. Oberelbe-Oberklasse: Danke, die Wetterumstellung kam pünktlich an. Und danke liebe Veranstalter, ihr habt einmal mehr aus diesem Tag „unseren Tag“ gemacht!


Marathonsieger

 

Männer

1 Schulze, Marc JK Running /Citylauf-Verein Dresden 02:25:58
2 Bubel, Niels LG NORD BERLIN Ultrateam 02:29:34
3 Diehl, Marco DVAG-Marathon-Team 02:45:32

Frauen

1 Lindholz, Stephanie Höhenkirchen-Siegertsbrunn 03:12:12
2 Büttner, Tanja Höhenkirchen-Siegertsbrunn 03:13:11
3 Keßler, Nolle JK Running / Globetrotter Dresden 03:13:49

 

Informationen: Oberelbe-Marathon
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