Heute geht es für mich zum zweiten Mal zum Marathon Deutsche Weinstraße. Vor genau zehn Jahre, bei der Premiere, war ich bereits hier und ich freue mich, wieder an diese kurzweilige und interessante Strecke zwischen Bockenheim und Bad Dürkheim zu kommen.
Wo liegt denn eigentlich Bockenheim? Nun, der Ort ist ganz einfach zu erreichen. Unweit der europäischen Verbindung zwischen Prag und Paris, in Deutschland auf der Autobahn 6 liegt zwischen Mannheim und Kaiserslautern die Anschlussstelle Grünstadt - Bockenheim ist da bereits ausgeschildert.
Ich fahre am Vortag abends los. Die Verspätung hat einen Grund, mein Heimatverein, der TSV 1862 Neuburg, hat seinen 25. Frühjahrslauf ausgerichtet hat und ich war da organisatorisch eingebunden. Auf der Anreise, zumeist im Regen, sehe ich im Baustellenbereich einen Dachs, der die Autobahn überqueren will. Nach der halben Fahrbahn dreht das Tier um und kommt so wenigstens nicht unter die Räder.
Gegen Mitternacht erreiche ich Bockenheim, parke meine Karre, schnappe den Schlafsack und die Isomatte und suche die Turnhalle auf. Dort erkenne ich im Halbdunkel ein paar Sportler beim Knacken und einen auch beim Schnarchen.
Bockenheim hat gut 2000 Einwohner und ist Teil der Metropolregion Rhein-Neckar. Der Ort liegt am nördlichen Ende der 85 Kilometer langen Deutschen Weinstraße. Erstmals wurde Bockenheim im Jahr 770 in Lorscher Codex urkundlich erwähnt. Seit mehr als 1200 Jahren wird hier der Weinbau betrieben. Daneben ist der Tourismus noch ein bedeutender Wirtschaftszweig.
Den Lauf kann man nun seit einiger Zeit auch als Halbmarathon bestreiten. Für den Veranstalter ist es damit einfacher, den immensen Aufwand zu finanzieren. Aber aufgepasst, die Halbmarathonplätze (1500 Starter werden genommen) sind im Regelfall ausgebucht, Marathonis werden auch noch am Starttag genommen.
Haus der Deutschen Weinstraße
Haus der Deutschen Weinstraße
Für den Marathon werden, je nach Zeitpunkt der Anmeldung, zwischen 32 und 40 EUR genommen. Die Höhe des Startgeldes finde ich preiswert, da neben der üblichen Laufverpflegung auch die Nudelparty, eine Streckenbesichtigung per Bus, die Turnhallenübernachtung, eine Medaille sowie eine Flasche Wein enthalten ist. Gewählt hat man einen 2007er Kindenheimer Sonnenberg Dornfelder in der Ausführung eines trockenen Rotweines. Da ist der Abend ja gerettet. Ein Veranstaltungsshirt in funktioneller Ausführung kostet nur zusätzliche zwölf Euro. Urkunde und Ergebnisse werden später postalisch zugestellt.
Nach meiner kreativen Ruhephase, ich habe auch schon mal besser in Turnhallen gepennt, hole ich meine Sporttasche aus dem Auto. Es ist sehr kühl, die Scheiben sind nicht nur bei meiner Karre angefroren, aber es strahlt die Sonne vom blauen Himmel. So schlecht, wie der Wetterfrosch vorhergesagt hat, wird das Wetter nach dem jetzigen Anschein nicht werden.
Zurück in der Halle mache ich mich nach dem Frühstück fertig für das Rennen. Frühzeitig marschiere ich zum Haus der Deutschen Weinstraße, das 1995 erbaut wurde. Hier kann man im Brückenrestaurant tafeln oder in der überdachten Seeterrasse einkehren. Für Heiratswillige kann sogar das Turmzimmer für eine Weinstraßenhochzeit gebucht werden.
Jochen Heringhaus ist bereits fleißig am Moderieren. Er ermahnt uns, die Startnummer unverändert anzubringen: „Sonst lauft Ihr am Ende zwar nicht kostenlos, aber dafür umsonst.“ Und wegen des aufgeklebten Barcodes sollte die Nummer auch nicht geknickt werden.
Beim Umherschauen sehe ich wieder bekannte Gesichter und ich werde auch mehrmals angesprochen. Nur einen kann ich nicht entdecken. Klaus! Er hat seine Verletzung trotz zweier Doktoren und Spritzen nicht kurieren können. Er hat sich zwar vorsorglich abgemeldet, sich aber noch ein Hintertürchen offen gehalten. Einen entsprechenden dicken Hals wird er wohl haben, zumal er bei der letzten Ausgabe in 2006 ebenfalls schon zum Zuschauer degradiert wurde.
09.50 Uhr: Jochen Heringhaus ruft bereits zur Startaufstellung. Er sorgt sich bereits um Rolf Kley, den Gesamtorga-Leiter, mit seinen Prominenten. Die Meute erscheint dann nach wenigen Augenblicken. Mehrere Bürgermeister, Vertreter aus Politik sowie die Miss Pfalz erscheinen dann. Am Start steht auch eine Winzerstaffel bereit, wo jeder Winzer einen Kilometer weit laufen wird und einen Stab weiterreichen wird. Mittlerweile hat sich der Himmel bereits fast zugezogen.
Dann um 10.00 Uhr knallt ein Schuss. Knapp 3000 Läufer werden losgelassen am Beginn der Deutschen Weinstraße. Diese verläuft ab hier auf den Bundesstraßen 271 und 38 (alt) nach Süden bis zum Deutschen Weintor an der französischen Grenze bei Schweigern-Rechtenbach. Seit 1935 durchzieht die Deutsche Weinstraße das zweitgrößte Weinbaugebiet Deutschlands. Seit 1988 wird immer am letzten Sonntag im August der Erlebnistag Deutsche Weinstraße gefeiert. Der motorisierte Verkehr ist dann ausgesperrt, denn bis zu 300000 Radfahrer, Skater, Läufer, Wanderer und Spaziergänger haben dann Vorfahrt. Viele Vereine und Weingüter betreiben Straußwirtschaften mit regionalen Spezialitäten.
Kilometer 1. Wir befinden uns noch in Bockenheim. Die Fachwerkhäuser und Weinbaubetriebe sind herausgeputzt. Zahlreiche Zuschauer stehen auf der Straße oder schauen aus den Fenstern. Wir verlassen dann den Ort. Der Wind bläst von vorne. Nach einem weiteren Kilometer überspannt eine Brücke unsere Strecke. Von oben höre ich den Heidenlärm und den Applaus der vielen Zuschauer.
Wir biegen rechts ab, ein langes Gefälle bringt uns nach Asselheim. Auch dieser Ort hatte eine weit zurückreichende Geschichte. So gibt es Spuren aus der Zeit von 2000 bis 1800 vor Christus. Der 30jährige Krieg und die nachfolgende Pest brachten einen harten Einschnitt, denn nur acht Familien überlebten diese Zeit. Der Ortsname leitet sich nicht vom pfälzischen Wort Atzel (Elster) ab, sondern vom Heim der Atzila, ein altgermanischer weiblicher Vorname.
Neben der Besichtigung des Kelterhauses oder der Stephans- und Elisabeth-Kapelle ist ein Besuch der Asselheimer Weinkerwe zu empfehlen. Die Kirchweih findet immer um den dritten Sonntag im August statt. Los geht’s Tage vorher mit Schlachtfesten auf einigen Höfen und dem Ausgraben der Kerwe. Umzüge werden dann am Samstag und Sonntag veranstaltet. Es gibt weiters ein Schubkarch-Rennen durch enge und steile Gassen. Erst am Dienstag ist traditionell um Mitternacht Schluss mit der Feierei. Fleißige Besucher werden dann wohl auch am Ende sein. Da lauf ich doch lieber einen Marathon.
Grünstadt: In der Fußgängerzone erwarten uns wieder viele Zuschauer. An der ersten Verpflegungsstelle wird Wasser, Tee, Apfelschorle und Iso gereicht. Der Ort hat gut 13000 Einwohner und liegt direkt an der Autobahn, die wir dann unterqueren.
Später kommt ein 16prozentiges Gefälle. Vom gestrigen Wettkampf tun mit glatt die Bähmuschgle weh. Ich hör schon wieder einige fragen, was schreibt er denn da wieder zusammen. Einige Begriffe kommen eben in der Pfälzer Mudderschprooch daher.
Streckentrennung! Die halben links, wir rechts. Als ich wieder für den Fotoschuss stehen bleibe, schaut einer der Helfer irritiert. „Ich weiß schon, wohin“, rufe ich ihn zu. Ein paar Ecken weiter steht ein Rentner mit seinem Leierkasten und macht uns Musik.
Kilometer 9: Ich realisiere 43 Minuten, das ist auch wegen der bisherigen hügeligen Strecke eindeutig zu schnell. Da es immer noch sehr kalt ist, habe ich mein hohes Tempo bisher nicht bemerkt. Also langsam, zumal wir auf den nächsten fünf Kilometern über 100 Höhenmeter erklimmen müssen.
Kleinkarlbach, Bobenheim am Berg und Weisenheim am Berg - so heißen die nächsten Winzerdörfer, die uns jetzt den Anstieg kurzweilig machen. Zwischen den Ortschaften sehen wir die noch kahlen Weinreben. Für die blühenden Mandelbäume sind wir zu spät dran. An einer Stelle bemerke ich noch leicht den süßlichen Geruch der Blüten.
In Weisenheim feiert man im November das Stutzenfest. Da werden die Neubürger gestutzt. Ich weiß nicht, ob dazu ein Frisör gebraucht wird, auf alle Fälle werden die Hergezogenen eingebürgert.
Am höchsten Punkt steht ein mannsgroßer Grenzstein, der Dürkheim in 5,5 Kilometer Entfernung anzeigt. Mittlerweile nieselt es nicht mehr, dafür hagelt es und windet ganz ordentlich. Vor dem Start orakelte einer, das Wetter würde bis 13.00 Uhr halten. Pustekuchen!
Es geht wieder bergab, nach Leistadt, das sich mit dem Namenszusatz „der Sonne am nächsten“ schmückt. Wir sind ja in der Toskana Deutschlands. Dem Petrus hat das aber noch keiner gesagt. Mir friert’s in die Finger. Die Handschuhe habe ich vorsorglich daheim gelassen!
Wahrzeichen von Leistadt ist das Alte Rathaus aus dem Jahr 1750, das in seinem Turm zwei Glocken der evangelischen Kirche trägt. Wir verlassen den Ort und stürzen uns die nächsten zwei, drei Kilometer hinunter nach Bad Dürkheim. Der Regen hat jetzt nachgelassen.
Bad Dürkheim ist Kur- und Kreisstadt mit knapp 20000 Einwohnern. In 15 Kilometer Entfernung liegt Neustadt an der Weinstraße, wo 2007 der Hambacher Schloss Marathon veranstaltet wurde. Geht dort 2009 wieder was zusammen? Ich würde es mir für die Marathongemeinde wünschen.
Als Turnesheim wurde Dürkheim 778 erstmals erwähnt. Das Stadtrecht wurde 1360 verliehen. Nach den Napoleonischen Kriegen gelangte Dürkheim mit der linksrheinischen Kurpfalz zum Königreich Bayern. Wobei ich jetzt Verbindungen der Bayern mit den Pfälzern feststelle. Der Bayer genießt sein Grundnahrungsmittel Bier aus einer Maß. In einem Pfälzer Lied heißt es: „Auf ihr Brüder in die Pfalz, wo der Schoppen noch ein halber Liter ist.“ Verdurstet sind beide Völker bis heute nicht.
Der Zusatz Solbad wurde wegen der Heilquellen 1847 vergeben, seit 1904 heißt der Ort Bad Dürkheim. Als Sehenswürdigkeit gilt die katholische Pfarrkirche St. Ludwig, die 1828/1829 im Stil des Klassizismus errichtet wurde. Bayernkönig Ludwig I förderte und unterstützte den Bau. Bekannt sind weiterhin der Worscht-Markt mit über 600000 Besuchern und das „Därgemer Fass“ am Westrand der Brühlwiesen.
Bei Kilometer 20 finden wir bereits die vierte Verpflegungsstelle. Ein Moderator kündigt zahlreiche Läufer an. Wir durchlaufen auf kurzer Strecke den Kurpark. Halbzeit feiert das Marathonfeld am Gradierwerk (Saline). Dieses wurde infolge eines Brandes vor fast genau einem Jahr weitgehend zerstört, lediglich Mauern und einzelne Balken stehen noch.
Es folgen rund zwei, drei ruhige Kilometer für den nächsten Anstieg. Die Sonne hat sich ein Loch durch die Bewölkung gefressen. Es ist sogleich merklich wärmer und dampfiger. Vor uns steht am Himmel eine schwarze Wolkenwand. Das schaut nach leicht wechselhafter Witterung aus. Na servus.
In Ungstein beginnt die rund fünf Kilometer lange Steigung, auch 100 Höhenmeter warten auf uns. Es fängt wieder zu regen an. Und der Wind. Der kam bisher immer von vorne.
Kilometer 27, Kallstadt. Durch eine Römerstraße war der Ort bereits zur Zeitwende ein Treffpunkt von Kaufleuten, Legionären und Weinbauern. Der Name des Dorfes kommt aus einer fränkischen Sippe, dessen Anführer Chagilo hieß. Beim Durchlaufen sehen ich viele Werbetafeln der Winzer. Für das Schild des Saumaache-Kellers bleibe ich für den Fotoschuss stehen.
Am Ortsausgang wird Weißwein und Käse angeboten. Ich greife zu, lediglich der Wein ist zu kalt serviert! Aber immerhin schmeckt mir der besser als das ganze Mineralgesöff. In Herxheim (Kilometer 30) werden wir bereits zum wiederholten Mal per Moderation weitergetrieben. Nicht nur hier sind zahlreiche Straußwirtschaften und Winzerbetriebe geöffnet und werben um Gäste.
Nach einem weiteren Kilometer „dackeln“ wir in Dackenheim ein. Mir tun die zahlreichen Helfer an den Kreuzungen und V-Stellen leid, die vor dem Regen und Wind nur mehr schlecht als recht geschützt sind. Wir laufen an der Pfarrkirche St. Maria vorbei, die bereits über 800 Jahre alt ist.
Am Golfplatz bleibe ich stehen, hier wird eine Spezialität angeboten. „Gudd noidauche“, sagt der erste Läufer der Winzerstaffel. Ich glaube, es ist Edwin Schrank, der Präsident des Weinbauverbandes. Ich will nur schmecken und kosten vom Rieslingschwamm und mich nicht besaufen. Sind da viele stehen geblieben? Noch zehn Kilometer.
Kirchheim ist der letzte Ort vor Grünstadt. Die St.-Andreas-Kirche dominiert den Ort. Darin ist die Annaselbdritt-Gruppe einer der ältesten Altäre der Pfalz. Bei Kilometer 34 folgt ein Stich: Zuerst hinunter, dann auf 200 Meter steil bergan. Meine Schuhe sind mittlerweile durchnässt und schwer wie Gummistiefel. Nicht nur ich quäle mich hinauf. Hier müsste jemand stehen und rufen: „Laaf doch nit so lahm aaschisch!“
In Grünstadt, jetzt haben wir den gleichen Rückweg vor uns, greife ich gleich zum Portugieser, der sofort in die Birne geht. Die Fußgängerzone hat sich fast geleert. Hier braucht es noch mal Konzentration, nicht dass der Hax’n am Pflaster hängen bleibt und der Läufer eine Bauchlandung macht.
In Asselheim spielt ein Alleinunterhalter für uns. Am Ortseingang folgt der letzte Beißer, die Asselheimer Wand mit rund 30 Höhenmetern. Nur nicht gehen.
Die letzten zwei Kilometer lasse ich es auslaufen, mir reicht es heute. Mit kalten Händen, aber sonst wohl gelaunt erreiche ich nach 3.32 Stunden wieder das Haus der Deutschen Weinstraße. Die 3.30-Stunden-Latte ist gerissen. 495 Höhenmeter sind ja auch kein Pappenstiel.
Im Zelt lasse ich mir dann den Marathonteller schmecken. Kein Menü für Läufer, eher schon für Genießer: Kraut, Brodworschd, Lewwerkneddl, Saumaache. Der Teller ist schnell leer gegessen und mein Ranzen ist vor dem Zerreißen.
Zusätzlich hier noch eine Bildergalerie von Klaus Eppele
Siegerliste Marathon
Männer
1. Chawawko Tomasz Marian Majcher Team - 2:31:38
2. Janicki Jaroslaw Hermes - 2:31:44
3. Diehl Marco TSV Friedberg-Fauerbach - 2:33:30
Frauen
1. Chmiel Joanna Klub Biegacza Arturówek - 2:52:37
2. Rauschenberg Eve TV Mußbach - 2:57:09
3. Blank Christine Kriftel - 3:01:00
Finisher insgesamt:
Marathon 716
Halbmarathon 1738
Streckenbeschreibung:
Strecke ist fast zu 100% asphaltiert, wenige Pflasterpassagen. Unzählige Gemeinden und Städte.
Zeitnahme:
Manuell per Barcode.
Auszeichnung:
Urkunde, Flasche Wein, Medaille.
Logistik:
Nudelparty, Turnhallenübernachtung, Massagen, bewachte Wertsachenaufbewahrung. Streckenbesichtigung. Zahlreiche Parkmöglichkeiten, zum Teil per Shuttle erreichbar.
Zuschauer:
In den Ortschaften sowie bei Start und Ziel zahlreiche Zuschauer.
Nächster Ausgabe:
18.04.2010
Informationen: Marathon Deutsche Weinstraße