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Laufberichte

Friday Nightfever in Marburg

01.07.11

Eigentlich wollte ich ja nicht. Eigentlich. Doch der Stachel des DNF vom Biggesee sitzt tief, wenn auch krankheitsbedingt erklärbar. OK, DNF ist besser als KIA, sagt der Sesam (Joachim Ewen) tröstenderweise. KIA hat in diesem Fall allerdings nichts mit fahrenden Reisschüsseln zu tun, sondern mit dem Berufsrisiko meiner Firma: „Killed in action.“ Das muss jetzt vielleicht nicht gerade sein, obwohl die Vorstellung, wenn es sich denn nicht vermeiden läßt, irgendwann einmal auf irgendeiner Ziellinie mein Leben mit gerade umgehängter Medaille auszuhauchen, durchaus etwas für sich hat.

Davon bin ich aber noch weit entfernt – hoffentlich. Und so nutze ich die erstbeste Gelegenheit zur läuferischen Rehabilitation. Marburg drängt sich hier für mich geradezu auf: (Nur) zwei Stunden Fahrt, Freitagabends, nette Strecke und gute Orga. Im letzten Jahr war ich mit mir, dem Veranstalter und dem Rest der Welt zufrieden und brauche daher nicht lange zu überlegen. Man trifft sich nach einem kleinen Fußmarsch von den ausgeschilderten Parkplätzen im Universitätsstadion, holt die Startnummern ab (ich habe die Sex!), dackelt einzeln oder gemeinsam einen knappen km zum historischen Marktplatz und besichtigt dabei schon mal einen kleinen Teil der Strecke an der Lahn.

Und alles ist so schön wie im letzten Jahr: Die höchst attraktive Altstadt, die Studenten, die Kneipen, das gute Wetter, Cristiane, Inge und Werner Kerkenbusch. Sogar eine Fußball-WM hat man extra wieder veranstaltet; der USC Marburg hat also erneut weder Kosten noch Mühen gescheut. Traurig ist, dass er dafür nicht den verdienten Lohn einfährt: Die letztjährigen Voranmeldezahlen (rund 1.400) wurden nicht ansatzweise erreicht. Lediglich 921 haben für Marathon (115), den Halben (683) und die Marathonstaffel (123) gemeldet. Schade, dass es so wenige sind. Ob’s an der letztjährigen Hitze (an die 30°) liegt? Heute ist es mit trockenen 18° am Start jedenfalls optimal zum Laufen und Ausreden gibt’s definitiv keine. Umso erfreulicher ist, daß wohl deshalb zahlreich nachgemeldet wurde und letztlich doch 1329 Teilnehmer(innen) im Ziel waren.

Der Joe ist auch vor Ort, aber inkognito, wie er mir noch am Vortag mailt, er brauche mal eine Pause. Läuft aber Marathon; is klar, nä, er braucht mal eine Pause von den Ultras, verstehe. Und weil er inkognito ist, wird er auch nicht erwähnt und schon gar nicht fotografiert. Wo kämen wir denn da hin, wenn hier die Privatsphäre mißachtet würde!

Grob gesagt, verläuft die Strecke zunächst nach Norden gute 5 km lahnaufwärts, nach Überquerung derselben wieder auf Höhe des Starts (aber nicht zum) zurück, dann weitere 5 km nach Süden und nach Überquerung der Lahn diese wieder auf Höhe des Starts zurück. Dieser südliche Abschnitt von rund 10 km ist dann noch zweimal zu laufen und endet im Universitätsstadion. Fast nicht erwähnenswert, diese vergleichsweise Pillepalle-Strecke, wenn man an die Heldentaten vom vergangenen Wochenende beim Fidelitas-Nachtlauf und insbesondere beim Ultra- bzw. Supertrail um die Zugspitze denkt.

Punkt 19 Uhr donnern alle Starter gemeinsam eine enge, kopfsteingepflasterte Straße aus der Altstadt mit ihren schönen Fachwerkhäusern und dem imposanten Rathaus heraus bergab und über breite Ausfallstraßen an das nördliche Ende der Laufstrecke. Kurz vor dem Start ist mir noch ein Foto vom omnipräsenten und superschnellen Marco Diehl gelungen. Schön für mich ist, daß Jochen mich wieder einmal kurzentschlossen begleitet. Gestern Abend gefragt, heute dabei, das nenne ich Flexibilität. Unterwegs haben wir sehr schön das im 11. Jahrhundert als Burg angelegte und weithin sichtbare Landgrafenschloß im Visier. Beeindruckend ist auch das alte Universitätsgebäude aus den ersten Jahren des Deutschen Reichs. Gegründet wurde die Universität Marburg übrigens auf den Tag genau heute vor 484 Jahren.

Die erste Hälfte der Nordrunde ist nach rund fünf km erreicht. Wir überqueren die Lahn erstmals, wechseln die Richtung um 180° und befinden uns fortan auf dem vom letzten Sonnenlicht beschienenen Lahntalradweg, der ein zügiges und gefahrloses Fortkommen gewährleistet, lahnabwärts. Nach weiteren rund sechs km sind wir am Stadion, in dem sich das Ziel befindet und der Sprecher Artur Schmidt sich die größte Mühe gibt, Zuschauer und Läufer in Laune zu bringen und zu halten. Der Junge ist phänomenal, er hat mich schon vor dem Start am Marktplatz bekannt gemacht und für uns die Werbetrommel gerührt.

Dann allerdings kommt der Schock. Wo ist der alte, baufällige, mit Provisorien gesicherte und lieb gewordene Hirsefeldsteg aus dem Jahr des Heils 1913? Weg! Abgerissen! Erneuert! Und das nach kaum 98 Jahren! Fast bin ich versucht zu sagen, es fehlt etwas, aber die neue Brücke mit einer Breite von 3,50 m (bisher 1,50 m) ist zugegebenermaßen schon ein Fortschritt. Erfreulicherweise ziert ein Konterfei des alten Stegs die schöne Medaille, die wir später im Ziel erhalten werden. Auch das ist klasse in Marburg: Jedes Jahr gibt es ein neues Motiv und wer alle haben will, muß halt kommen und laufen.

Nach der Überquerung geht es erstmals auf die Südrunde, die wir insgesamt dreimal zu laufen haben. Ein schöner Abschnitt ist die große Liegewiese, die im letzten Jahr intensiv zum Grillen und Ballspielen genutzt wurde. Heute ist das Wetter nicht so prall, daher sind die subtilen Angriffe auf meine Geruchsnerven durch Steaks, Würstchen & Co. nicht ganz so dramatisch. In Gisselberg nach weiteren rund 5 km steht und sitzt vor der Unterführung eine Fangruppe, die jede Menge Alarm verbreitet, und das auch noch auf der letzten Runde. Ihr seid mir echt ans Herz gewachsen, danke! Das Südende ist an der Steinmühle (der Frühjahrsvolkslauf lässt grüßen!), erreicht. Hier, bei etwa km 16, müssen wir ein kleines Stück durch die Botanik, die im späteren Verlauf bei einsetzender Dämmerung durch ein Lichtband effektvoll erleuchtet sein wird.

Der folgende Planetenlehrpfad ist mir beim mittlerweile dritten Belaufen schon so vertraut, daß fast heimatliche Gefühle aufkommen. Eigentlich müsste man das Ganze mal in Ruhe anschauen, aber ich bin ja weniger zu Fortbildungs- als zu Fortkommenszwecken hier. Ganz besonders freue ich mich hier über notre cher ami Michel Descombes, der mit gewohnt viel Spökes unterhält und anfeuert.

Zur Halbzeit passiere ich das Stadion, in das um diese Zeit viele Halbmarathonis einlaufen. Entsprechend groß ist das Spektakel, das bei ihren Zieleinläufen veranstaltet wird. Für mich wird es schlagartig ruhiger, denn wir Marathonläufer sind doch deutlich in der Minderzahl und verteilen uns jetzt auf 10 km (der Südrunde), werden aber weiter von den Staffelläufern begleitet, die teilweise recht flott unterwegs sind und an uns vorbeihuschen.

Die zweite Runde wird dann schon deutlich einsamer und ich habe zu viel Zeit, über meinen Zustand nachzudenken und zu wenig Ablenkung. Die ersten km war ich inmitten der Staffelläufer und Halbmarathonis viel zu schnell angegangen (3 km in gut 15 Minuten) und bekomme dafür so langsam die Quittung. Richtig zäh wird es dann in der Dunkelheit der zuschauerlosen letzten Runde ab 22 Uhr. Halt! Die Gisselberger halten durch, dafür nochmals vielen Dank! Ganz gut ist, daß einige andere noch mehr als ich nachlassen und ich so noch einige davon einsammeln kann, das hilft ja immer.

Bei exakt km 41 höre ich Artur im Stadion, ganz in seinem Element, und weiß, daß ich es bald gepackt haben werde. Noch eine letzte Dreiviertelrunde Schaulaufen auf der tadellosen Tartanbahn und es ist nach 3:56 und ein paar Zerquetschten vollbracht. Uff, das war ein hartes Stück Arbeit. Cristiane und Inge knipsen mich auch beim Zieleinlauf und gratulieren mir zum 54. Marathon und länger. Jetzt bin ich drin und bilde mir ein, etwas geleistet zu haben. Ist natürlich auch so. Aber wenn ich gerade nochmals an die Zugspitze denke und mir Bernies und Daniels Berichte vergegenwärtige, ist das hier ja absolut läppisch gewesen. Riesenrespekt vor allen, die sich dieser Tortour ausgesetzt und sie auch überlebt haben!

Jochen hatte bei km 33 die Lust verlassen und steht schon frisch geduscht parat. Pech gehabt, so bekommt er die Kamera in die Hand gedrückt und ich kann duschen gehen, denn es ist empfindlich kühl geworden. Verhältnisse wie weiland im Advent in Arolsen, aber ein Schlauch spendet wenigstens ganz leicht temperiertes Wasser, so hält sich der Schüttelfrost in Grenzen. Wieder draußen werde ich noch vor Artur kassiert und darf ein paar nette, aber ernst gemeinte Dankesworte an den Ausrichter und ihn selbst loswerden. Und bevor ich flüchten kann, paßt mich noch der Chef, Eugen Leipner, ab und nach ein paar allerletzten warmen Worten düsen wir wieder heimwärts.

Fazit: Marburg ist immer eine Reise wert, die Orga und Verpflegung sind prima, die Strecke ist gut zu laufen und durchaus attraktiv. Man sollte sich jedoch auf die mentale Herausforderung, insbesondere in der letzten Runde bei Dunkelheit alleine zu laufen, einstellen.

 

Informationen: Lahntallauf
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