Du läufst doch nicht rund! So lautete der Kommentar meiner Frau, als ich ihr vor Monaten mitteilte, einen Hallenmarathon laufen zu wollen. Nun ist es so weit. Ich stehe in Senftenberg in der Niederlausitzhalle, schau mich um und denke mir so beim Anblick der Bahn: Meine Frau hat unrecht! Ich laufe rund – vielleicht sogar mehr als mir lieb ist…
Die Niederlausitzhalle ist ein alter Kohlenschuppen – das klingt wahrlich nicht gut. Der wurde jedoch umgebaut und 1959 nicht nur als Sporthalle, sondern auch als größte freitragende Halle Europas eröffnet – das klingt schon besser. Ulf Timmermann stieß in dieser Halle die Kugel 22,55 Meter, das war 1985 Europarekord. Die 7,04 Sekunden, die Marita Koch 1985 über 60 Meter lief, sind noch heute Deutscher Rekord – das klingt richtig gut.
Und nun starte ich. Was ist nur aus dieser Halle geworden…
Der Senftenberger Hallenmarathon mit seinen vielen kleinen und großen Läufen zieht sich über das gesamte Wochenende hin. Und was ich dabei besonders schön finde: Die Veranstalter bieten Übernachtungen in der Halle an. Also lasse ich mir erst einmal mein vorgebuchtes Zimmer zuteilen. Erster Eindruck: Gefängniszellen sind wohnlicher eingerichtet… Aber die Bewohner von Gefängniszellen bleiben normalerweise auch länger als eine Nacht.
Ich habe ein Zweibettzimmer, oder besser – Zweimatratzenzimmer. Die liegen auf dem Fußboden, sind aber bezogen wie im Hotel. Damit ich es nicht verwechsle, hat man dem Zimmer sogar einen Namen gegeben. Schiedsrichter – so steht es an der Tür. Aber mal ganz ehrlich: Für 5 Euro die Nacht ist die Unterkunft Spitze.
Das erste Bett ist schon vergeben. Der, der sich das geschnappt hat, erzählt mir, dass er aus Aachen kommt. Geflogen bis Berlin… Ein mächtiger Aufwand, den der Junge da betrieben hat… Denke ich so. Sage ich aber nicht. Ich will in die Halle – brauche schließlich Bilder für den Laufbericht.
18 Uhr ist Marathonzeit. 45 Männer und 9 Frauen gehen an den Start zum Nachtmarathon. Der heißt nicht umsonst so – es ist verdammt finster in der Halle. Und ich stehe an der Absperrung. So geht es denen, die sich zu spät anmelden. Aber so richtig traurig bin ich nicht – ich habe einen Startplatz für morgen – für den 50-Kilometer Ultralauf.
Es sind wenig Zuschauer in der Halle. Schade. Aber als ich mir dieses Rundenkarussell eine halbe Stunde angesehen habe, wächst mein Verständnis für alle, die nicht da sind. So schlecht kann das Fernsehprogramm gar nicht sein, dass man sich Samstags Abend in eine Halle setzt und im Kreis laufenden Männern und Frauen zuschaut. Es sei denn, es sind Bekannte.
Bei einem „normalen“ Marathon herrscht wenigstens noch Ordnung. Da läuft der Erste vor dem Zweiten – und so weiter. Hier läuft auch mal der Letzte vor dem Ersten – dazwischen der Siebzehnte - oder so. Muss man sich ohnehin nicht merken, ist in der nächsten Runde schon wieder ganz anders.
Ich merke, Lukas Küpper ist 7. Allerhand! Aber eigentlich kenne ich den gar nicht. Ist aber immerhin der, der mit mir im Schiedsrichterzimmer wohnt…
Dann geschieht etwas, womit man in meinem Alter gar nicht mehr rechnet. Eine Frau spricht mich an. Sie war für diesen Lauf angemeldet, konnte aber nicht antreten – Probleme mit der Hand. Braucht man die zum Laufen? - frage ich. Wer so dämliche Fragen stellt, sollte sich vielleicht nicht wundern, wenn ihn keine Frauen ansprechen.
Ihr Mann läuft mit. Frank Kochan, er ist 13. Noch. Dann 17, fällt immer weiter zurück – in Runde 100 steigt er aus. Mensch, sage ich zu ihm, du liegst so gut im Rennen, du kommst sogar noch im Zeitlimit an wenn du gehst. So doof können nur Zuschauer reden – denen tut ja auch nichts weh.
Lukas Küpper ist 4. Eh, ich wohne mit einem Spitzenläufer zusammen!
Auf einmal wird es so richtig interessant. Unmittelbar vor uns stürzt ein Läufer! Erst als ihn die Helfer wieder aufrichten, merke ich, den kennst du doch. Den kennen viele – Ekkehard Steuck. Er hat mir vor dem Lauf erzählt, dass es heute sein 508 Marathon ist. Wie es jetzt aussieht - gewesen wäre… Aber Ekki wimmelt die Helfer ab, läuft weiter, schafft noch das Zeitlimit. Echte Kerle sind so.
Lukas Küpper ist 2. Langsam bin ich mir sicher, dass ich etwas ganz besonderes bin. Der, der mit dem Sieger zusammen wohnt. Es fehlen vielleicht noch 20 Meter, dann hat Lukas den führenden Frank Tschapka! Doch der nimmt keine Rücksicht auf meine Gefühle, setzt zu einem gewaltigen Endspurt an und verweist Lukas Küpper auf Rang zwei.
Was aber immerhin noch dazu führt, dass unser Zimmer den Zellencharakter verliert. In keiner Gefängniszelle steht solch ein großer Marathon-Pokal! Na gut, Häftlinge können normalerweise auch nicht so weit laufen…
Am nächsten Morgen 8 Uhr wird es ernst für mich. Aufgeregt bin ich nicht. Mit den Tipps von Ekki, Frank und Lukas, stehe ich eigentlich schon auf dem Siegerpodest. Aber nein, das wird nichts. Ich habe mir vorgenommen, bei der Marathondistanz auszusteigen – die Urkunde dafür reicht mir.
So genügt es mir auch, dass ich die ersten Kilometer eine „Lahmsogge“ vor mir habe. Schneggi, den manche auch Hans Drexler nennen. Der hat eigentlich mein Tempo. Um ihn nicht zu verlieren, gehe ich immer eine Runde nach ihm an den Verpflegungsstand. „Lahmsoggen“ sind gar nicht so langsam…
Einige Gesichter im Läuferfeld kommen mir bekannt vor. Wie ich später beim Studium der Ergebnislisten feststelle, gibt es wirklich sieben Läufer, die nach dem gestrigen Marathon auch noch den Ultra angehen. Hans-Joachim Westphal, Crispin Porstner, Rene Wallesch, Olaf Baars, Dr. Thomas Porstner, Steffen Plewan und Markus Engel. Vor dieser Leistung kann ich nur den Hut ziehen – oder mangels dessen das Stirnband!
Nach und nach merke ich, dass es weitaus schlimmer ist, bei einem Hallenmarathon zuzuschauen, als ihn selbst zu laufen. Es ist wider Erwarten nicht langweilig. Ständig überholen mich irgendwelche Leute. Der Vorteil der Langsamkeit…
Zweiter Vorteil: In den schrägen Kurven muss ich nicht in den Bereich, wo man sich wünscht, ein Hanghuhn zu sein.
Mir fällt auch ein, wie ich bei manchem Marathon geflucht habe, weil die Verpflegungsstelle nicht auftaucht. Das kann hier nicht passieren - alle 250 Meter kommt eine…
Und gibt es da jemand wie mich, der sich bei einem Marathon schon mal verlaufen hat? Das kann hier nicht passieren – obwohl die Strecke überhaupt nicht ausgeschildert ist…
Es vergeht Runde um Runde. Bis dann Runde 123 kommt. Da überholt mich einer. Unglaublich! – sagt der zu mir. Was habe ich denn dem getan? Ach nein, der meint nicht mich, der meint die Siegerzeit, die gerade verkündet wird. Der Sieger hat soeben in dem Moment das Ziel erreicht – Runde 200 absolviert! 50 Kilometer in 3:24:03 Stunden. Mit dieser Zeit wäre er gestern beim Marathon zweiter geworden. Wirklich unglaublich!
Mir geht es noch gut, auch noch bei Kilometer 40, ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob die Sauerstoffversorgung des Gehirns noch funktioniert. In mir setzt sich ein Gedanke fest. So nach dem Motto: Jetzt bist du schon so weit gelaufen, da schaffst du die mickrigen 10 Kilometer bis zur 50 auch noch. Und als ich in 4.48 Stunden die Marathondistanz hinter mir habe, laufe ich einfach weiter.
Es kommt, was kommen muss, weil es bei mir immer so um die 40 Kilometer kommt: Wadenkrämpfe! Es ist einfach zum Verzweifeln, endet aber dann doch nach 5:49:06 Stunden. Obwohl ich es gar nicht wollte, wird mein 49. Marathon mein erster 50-Kilometer-Lauf!
Und, wie war`s? – fragt meine Frau, als ich freudestrahlend in der Haustür stehe. Ich bin 50 Kilometer gelaufen! Ja, antwortet sie, wie ich es schon gesagt habe: Du läufst nicht rund…
Dass sie da mal nicht wieder irrt! Senftenberg war so gut organisiert, war die Reise wert – da muss ich auch 2015 wieder rund laufen…
Sieger Marathon
Männer
1 Tschapka, Frank Uniblutbank Magdeburg 03:23:56
2 Küpper, Lukas LTB Aachen 03:24:19
3 Schwiebs, Bernd VL Hoyerswerda 03:24:59
Frauen
1 Mönch, Sabine Krauschwitz 03:33:27
2 Schmidt, Petra T-Rex Team Paitz 04:11:05
3 Schnapke, Ines T-Rex Team Cottbus 04:16:47
Sieger 50 km Ultra-Lauf
Männer
1 Laenger, Uwe 1. FC Union Berlin 03:24:03
2 König, Thomas LC Oelsnitz 03:36:12
3 Wittwer, Frank Dresden 03:39:07
Frauen
1 Wahl, Marita Blankenfelde 04:32:26
2 Timmermann, Madeleine SV Blau-Weiß Petershagen 04:48:38
3 Baars, Ulrike WKF Bergfried 91 Dresden 05:08:26
Laufberichte | ||||||
27.01.19 | Rekordverdächtige Verpflegung |
Carsten Koczor | ||||
28.01.17 | Manche mögen’s irre |
Wolfgang Bernath | ||||
20.01.13 | Hier läuft’s rund |
Markus Pitz |