Was soll das morgen nur werden? Regen ist schon blöd genug, aber auch noch kalt und windig? Zum ersten Mal ziehe ich in Betracht, bei solchen Bedingungen auch mal nur einen Halben zu laufen. Und Mainz hat ja noch den 2/3-Marathon.
Die Messe ist überschaubar, meist gibt es die üblichen Restposten. Nike zeigt seinen neuen „Barfuß-Schuh“ und Falke sein gesamtes Sortiment. Verkaufsschlager sind aber die gelb-orangenen "von 0 auf 42-Shirts". Am Reebok-Stand herrscht dichtes Gedränge und am nächsten Tag werden an die 2000 Läuferinnen und Läufer dieses T-Shirt tragen. Die Startunterlagen mit den Bons für eine Nudelportion und ein Getränk gibt es im Erdgeschoß. Die Essensausgabe ist dann im ersten Stock. Der Saal ist groß, jeder bekommt einen Platz und die vom Hilton bereitgestellten Spaghettis werden gerne genommen.
Der Wetterbericht sagt für Sonntag etwas besseres Wetter voraus, aber Regenschauer nicht ausgeschlossen. Am Morgen dann strahlender Sonnenschein bei leicht bewölktem Himmel. Es ist kühl, 7 Grad. Gut gelaunt strömen die Läuferinnen und Läufer mit ihren grünen Kleidersäcken in Richtung Rheingoldhalle. Dort ist in der Tiefgarage das Kleiderdepot. Ist es erstmal gefunden, geht es schnell. Das Gedränge am Rheinufer aber ist groß. Ganze Schulklassen sind unterwegs, dazu die Baustelle an der Halle, die Dusch- und Massage-Zelte und die der Hilfsorganisationen.
Und wie komme ich jetzt in den Startblock? Immer den anderen nach, bis nichts mehr geht. Straße gesperrt, Übergang nicht möglich, zurück geht auch nicht und keiner weiß Bescheid. Schimpfen, fluchen, drücken, bis dann die Barriere geöffnet wird und ich von vorne in meinen Block marschiere.
Schließlich sind alle 9698 Läuferinnen und Läufer vor dem Rathaus versammelt. Klaus Hafner, der Stadionsprecher des FSV 05 hat rechtzeitig die Feierlichkeiten anlässlich des Klassenerhaltes verlassen und unterhält jetzt hier die Aktiven und das Publikum.
Der Himmel hat sich zugezogen, ich warte regelrecht auf den ersten Regentropfen. Es bleibt aber trocken und pünktlich um 9.30 fällt der Startschuß. Fünf Minuten, dann bin auch ich über der Startlinie. Obwohl die Rheinstraße in voller Breite genutzt wird, ist es zunächst eng. Rechts der Rhein, links das Kurfürstliche Schloß, so geht nach Mainz-Neustadt und von der Rheinallee dann links über das Werksgelände der Glaswerke Schott. Hier gibt es die ersten Getränke. Ich verzichte, das Gedränge ist einfach zu groß. Viele Zuschauer stehen hier und sorgen gleich zu Beginn für Stimmung und ein gut gelaunter Sprecher kommentiert das Geschehen.
Für eine gute Idee halten es die Organisatoren, einen Staffellauf mit über 3000 Schülern in den Lauf zu integrieren. Was ich davon halten soll, weiß ich noch nicht. Jedenfalls haben die Kids ihren Spaß und rennen kreuz und quer durch das dichte Läuferfeld.
Auf einem kurzen Stück ist jetzt Gegenverkehr und ich sehe die Läuferspitze. Es geht durch das Mombacher Industriegebiet (Kilometer 5) und dann ins Zentrum. Die Mombacher sind bekannt dafür, dass sie feiern können. Und das tun sie auch heute. Mir scheint, der ganze Ort ist auf den Beinen. Alles was Krach macht wird genutzt und manche haben sogar ihr Fasnachts-Kostüm herausgekramt. Die Stimmung könnte besser nicht sein.
Ich laufe weiter auf dem Barbarossaring und rechts ab in die Goethestraße. Immer noch ist das Läuferfeld sehr dicht und ständiges Abbremsen, Ausweichen und Beschleunigen ist angesagt. Plötzlich, an einer Wechselstelle für Schüler entdeckt eine Mutti ihren Sprössling am Straßenrand und rennt quer rüber. Ich seh’ mich schon stürzten und lauf mit den Händen voraus auf die Läuferin auf. Das war ein Fehler. „Won’d mich noch ämol schtumpsch, bassiert ebbes“, droht sie mir in bestem pfälzisch (zu deutsch: „Wenn Du mich noch einmal schubst, passiert etwas“). Auf der Autobahn wäre das ein Totalschaden gewesen. Hier passiert nichts weiter, und ich sage an der Stelle auch schon einmal, dass ich die weitere Strecke unfallfrei gemeistert habe.
Über die Bopp- und Kaiserstraße geht es weiter. Hier stehen wieder viele Zuschauer und machen Stimmung. Dann wird die herrliche Christuskirche erreicht (Kilometer 11) und umrundet. Es geht vorbei am Landesmuseum und dann auf die Große Bleiche. Teilweise lassen die Zuschauer hier den Marathonis nur eine schmale Gasse. Abklatschen, Schulterklopfen, und flotte Sprüche. Gleich erreichen wir die Fußgängerzone und das Ganze wird noch getoppt. Das ist Mainz, wie es singt und lacht. Eine Wahnsinns-Stimmung herrscht hier in den engen Gassen der Innenstadt. An Musikkappelen, Tanz- und Trommelgruppen herrscht in der Fasnachts-Hochburg natürlich kein Mangel. Und ich glaube, alle machen sie mit.
Bei Kilometer 13 dann das Gutenberg-Denkmal und bei Kilometer 14 schaue ich auf die Uhr: 1:24 Stunden, das ist ok. Ich laufe, wie es geht und habe keine Ambitionen.
Dann geht es auf der Weisenauer Straße auf einer Pendelstrecke ungefähr 3 Kilometer Richtung Weisenau und wieder zurück. Auf der Gegenbahn sehe ich in zufriedene und entspannte Gesichter. Etliche sehen allerdings auch recht abgekämpft aus und ich wünsche ihnen im Stillen eine gute Zielankunft. Rechts ist der Stadtpark, links die Bahnanlage. Zunächst ist es ziemlich ruhig, aber sobald die ersten Wohnhäuser erreicht sind, stehen auch hier die Leute an der Straße und feuern die Läufer an. Immer wieder spielen Musikkapellen auf und wieder klingt es wie Fasenacht. Links dann das Zementwerk und dann der Wendepunkt (Kilometer 17).
Jetzt zurück und auf der Gegenbahn sehe nun die hinter mir Laufenden. Ich höre Kerstin rufen, sehe sie aber nicht. Am Ende der Pendelstrecke ist Kilometer 20 erreicht und ich glaube, ich habe den Schluss es langen Läuferfeldes gesehen. Manche machen Dehnübungen, sitzen am Straßenrand mit Krämpfen oder sind auch nur am Verschnaufen. Wieder andere sind zum Gehen übergegangen.
Jetzt geht es auf die Rheinstraße, vorbei am Holzturm, wo einst der Schinderhannes eingesperrt war. Gegenüber dem Rathaus laufen die meisten Teilnehmer jetzt rechts ins Ziel des Halbmarathons. Rechts und links stehen wohl ein paar tausend Menschen und fordern die Aktive auf, das Letzte zu geben. Der Lärm ist ohrenbetäubend. Ich bleibe links, laufe durch den Zielbogen und gleich darauf auf die Theodor-Heuss-Brücke in die Mainzer Stadtteile Kastel und Kostheim auf Hessischer Seite.
Genau 100,25 Meter ist der Scheitelpunkt der Brücke hoch. Ich hätte nicht gedacht, dass das so in die Beine geht. Gleich nach der Brücke rechts ab in die Eisenbahnstraße und auf den Philippsring und dann rechts in eine Wohnsiedlung, wo die Anwohner nahezu komplett auf den Beinen sind. Viele Häuser sind mit bunten Ballons oder Fahnen geschmückt und man feiert die Marathonis lautstark. Andreas spricht mich an. Ursprünglich wollte er nur den „Halben“ laufen, fühlte sich gut und stockte auf 2/3 auf, erzählt er mir. Er ist ganz gut drauf und ich frage ihn, warum er nicht den Marathon zu Ende laufen wolle. 2/3, das ist nicht Fisch und nicht Fleisch. Ja, warum nicht. Er will es wagen, es wäre sein Erster.
Ich mach ein paar Bilder und verliere ihn aus den Augen. Es geht wieder über die Theodor-Heuss- Brücke und dann rechts ab auf die schon bekannte Strecke Richtung Neustadt und Mombach. Gleich gegenüber dem Kurfürstlichen Schloss ist das Ziel für den 2/3 Marathon. Andreas ist wieder in Sichtweite, er dreht sich um, winkt mir zu und ist jetzt auf Marathonkurs. Er wird es schaffen in 4:23 Stunden.
Meine Zeit für das 2. Drittel: 1:22 Stunden, etwas schneller als das erste. Jetzt ist das Läuferfeld doch deutlich ausgedünnt und auch die Zuschauer stehen nur noch vereinzelt am Straßenrand. Wieder durchs Gelände der Firma Schott, der Speaker ist unermüdlich dabei, soviel Marathonis wie möglich namentlich zu begrüßen.
Der Lauf durchs Mombacher Industriegebiet ist nicht sehr prickelnd. Erst in der Innenstadt von Mombach geht es wieder rund. Die Sonne gewinnt am Himmel immer mehr die Oberhand und die Temperaturen sind mittlerweile bei angenehmen 14 Grad. Beim Hartenbergpark wird Kilometer 35 erreicht und es ist wieder ruhig geworden auf der Strecke.
Jetzt spüre ich doch deutlich meine Beine. Ich laufe zwar im gleichen Tempo weiter, halte mich aber an den Verpflegungsstellen jetzt etwas länger auf. Die Versorgung unterwegs ist bestens. Überall Wasser, Frubiase und Bananen, später auch Cola und Red Bull. Ich trinke das Zeug ja sonst überhaupt nicht. Aber auf den letzten Kilometern beim Marathon mache ich die besten Erfahrungen damit. Statt der Bananen nehme ich allerdings lieber einen Riegel oder die neuen Gel-Chips; beides habe ich immer bei mir.
Immer wieder machen Fangruppen unterwegs Stimmung. Wieder wird die Christuskirche umrundet und gleich geht es noch einmal in die Innenstadt. Immer noch eine Wahnsinnsstimmung. Der Lauf durch die engen Gassen ist für mich eindeutig der Höhepunkt beim Gutenberg-Marathon. Noch einmal vorbei am Holzturm und dann unter dem Applaus der vielen Zuschauer ins Ziel. 4:13 Stunden war ich unterwegs und bin unterm Strich sehr zufrieden.
Dann die Medaille und ab in die Tiefgarage zum Kleiderdepot. Unterwegs gibt’s noch einmal Red Bull. Sehr schön, dass die Verantwortlichen an Tisch und Bänke gedacht haben. Oft bleibt einem nämlich nur der kalte Boden zum Sitzen.
Noch einmal raus an den Rhein, ein Blick zum Strandbad und die imposante Theodor-Heuss-Brücke. Dann sage ich tschüss und danke, Mainz.