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Laufberichte

„Bitte wenden“

02.04.06
Autor: Klaus Duwe

Der etwas andere Laufbericht

  

Als ich am Donnerstag zum ersten Mal in dieser Woche Zeit für einen kleinen Lauf habe, erlebe ich eine böse Überraschung. Kaum bin ich losgetrabt, bleibe ich stehen und schüttele den Kopf. „Das gibt es nicht,“ sage ich mir. „Ich kann nicht laufen.“

 

Mir tut von oben bis unten alles weh, ich habe keine Kraft und ich glaube, mein Puls geht durch die Decke. Kurz: ich bin total platt. Die 500 Meter zurück zum Auto gehe ich. Frustriert fahre ich heim. Am Freitag ein neuer Versuch. Nach einem Kilometer das gleiche. Als Realist muss ich mir den Marathon Deutsche Weinstraße abschminken. Weil ich mich aber so darauf gefreut habe, schließlich findet er auch nur alle zwei Jahre statt, gebe ich mir noch eine letzte Chance am Samstag. Aber es geht nicht.

 

Ich habe die letzten Wochen den Bogen einfach überspannt. Marathon auf Malta, in Antalya und in Rom, dazwischen der im Bienwald, gravierende Temperaturunterschiede und permanente Temperaturwechsel, dazu die Arbeit, die durch die Abwesenheit an 3 statt an 5 Tagen erledigt werden muss, mögen die Ursache sein. Jetzt ist also Pause.

 

Kein Gedanke, der mir gefällt. Irgendwie habe ich für den kommenden Sonntag ohne Laufen keinen Plan. Wenn ich schon nicht laufen kann, auf  das Treffen mit Freunden und Bekannten will ich nicht auch noch verzichten. Und so entscheide ich mich dafür, nach Bockenheim zu fahren und mir das ganze Geschehen mal von außen zu betrachten. Meine Gefühle sind bei dem Gedanken durchaus gemischt. Damit ich auf keine dummen Ideen komme, lasse ich die Laufschuhe und die Klamotten zu hause.

 

Ich war erst einmal Zuschauer bei einem Rennen. Das war in Berlin, als das Skaten erstmals am Samstag stattfand. Das war zwar klasse, aber ich wusste auch, am nächsten Tag bin ich dabei. Das erhöhte die Spannung und die Vorfreude noch zusätzlich. Hier liegt der Fall anders. Ich kann nicht mit laufen und muss zuschauen.

 

Gleich werde ich im großen Zelt neben dem Deutschen Weintor angesichts meiner „Zivilklamotten“ und meines Foto-Rucksackes ungläubig beäugt und gefrotzelt. „Was ist mit Dir heute los, willst Du so auf die Strecke?“ „Ja, natürlich,“ sage ich wahrheitsgetreu. „Bist wohl gestern in ein Weinfass gefallen.“ Damit das Gespräch nicht noch mehr abgleitet, kläre ich den Sachverhalt auf und muss das in der nächsten Stunde unzählige Male tun. Dann glaube ich es auch endlich selber. Ich laufe nicht.

 

Ich will nach Grünstadt und nach Bad Dürkheim an die Strecke kommen, informiere mich über die Umleitungen und verstehe bald gar nichts mehr. Weil mein Vorhaben ja nicht von langer Hand geplant ist, habe ich mir über den Streckenverlauf bisher keine Gedanken gemacht. Wozu auch? Rein in den Block, Startschuss abwarten und losrennen. Das war’s. Der ganze organisatorische Aufwand im Zusammenhang mit Streckensicherung, Umleitungen, Verkehrs-Information usw. interessierte mich nicht.

 

Dann werden die Läuferinnen und Läufer von Jochen Heringhaus, der als Speaker einen Bomben-Job macht, in den Startblock gerufen. Er erklärt noch einmal die Zeitnahme, die per Scanner beim Zieleinlauf erfolgt. „Bitte knickt nicht den Barcode auf der Startnummer,“ warnt er. „Sonst seid Ihr am Ende zwar nicht kostenlos, aber umsonst gelaufen.“ Als die Politprominenz nebst Weinkönigin komplett ersammelt ist, kann gestartet werden. Ich lasse das Feld mit vielen Bekannten an mir vorbeiziehen, bekomme zuerst eine Gänshaut und dann ein Tränchen ins Auge. Mit stinkt es gewaltig.

 

Mein Auto ist zwar bequem in der Nähe des Startgelände geparkt, aber wie komme ich jetzt raus? Über die B 271 wäre es am Einfachsten. Die Straße ist frei, die Marathonis sind durch und der Halbmarathon startet eine halbe Stunde später. Die Leute von der Feuerwehr sind aber knüppelhart. Nichts geht. Freundlich sind sie aber auch. Sie erklären mir detailliert die Umleitung über die Weinberge nach Monsheim usw.. Nach einer Weile schalte ich ab, verstehen tut das, wenn überhaupt, sowieso nur ein Einheimischer.

 

Ich fahre los. Schließlich habe ich auch noch modernste Satellitentechnik an Bord. Monsheim, Hohen Sülzen, Obrigheim und jetzt noch 6 Kilometer bis Grünstadt. Mein Navi sagt „rechts“, ich fahre links, weil rechts gesperrt ist. „Bitte wenden,“ lautet der nächste Befehl. Grünstadt ist nah und doch so weit. Noch ein paar Umwege und ich frage, schon etwas genervt, einen Posten. „Am besten über die Autobahn,“ ist seine Empfehlung. So wird das nichts. Ich disponiere um und will jetzt gleich nach Bad Dürkheim.

 

Plötzlich in Asselheim wieder eine Straßensperrung. Vorne sehe ich aber Läufer. Ich parke rechts, steige aus und gehe zur Hauptstraße. An den Startnummern erkenne ich, dass sie auf dem Halbmarathon sind, am Tempo ist zu sehen, dass es das hintere Drittel des Feldes sein muss.

 

An die 20 Autos stehen auf meiner Seite an der Kreuzung, auf der anderen sind es nicht ganz soviele. Die Insassen sind ausgestiegen und schauen sich das Treiben an. Andere unterhalten sich über Sinn und Unsinn solcher Veranstaltungen im Allgemeinen und das Laufen im Besonderen. Von beidem haben sie keine Ahnung, schimpfen aber auch nicht, diskutieren halt. Die anderen gesellen sich an der Straße zu den  Zuschauern und klatschen eifrig mit.

 

Bei den Läuferinnen und Läufern kommt das gut an. Manche können noch einen Zahn zu- oder eine besonders lockere Gangart einlegen. Beim Anblick der Kamera geht auch ein entspanntes Lächeln. Viele danken für den Applaus und alle haben ihren Spaß. Besonders die drei kleinen Kinder, die einen Wettbewerb veranstalten, wer wohl am meisten abgeklatscht wird. 

 

Als das Läuferfeld die ersten Lücken aufweist, ruft der Polizist dem ersten Fahrzeug zu: „Motor starten!“ Der Fahrer gehorcht und darf bei der nächsten Lücke passieren. So geht das weiter, bis irgendwann die ganze Kreuzung geräumt ist. Später kommt dann auf dem Rückweg der ganze Lindwurm wieder hier durch, und das Prozedere beginnt von vorne.

 

Einer meiner guten Bekannten kommt aus der Pfalz, gar nicht weit weg von hier. Er ist so langsam, bis der sein Schnitzel nachgewürzt hat, habe ich meins gegessen. Ist er aber deshalb wirklich gleich ein Lahmarsch?  Oder sind die Pfälzer einfach nur ruhige, besonnene und gelassene Zeitgenossen?  Ich neige nach dem bisher Erlebten jetzt eher zu dieser These.

 

Als ich endlich nach einigen Irrfahrten den Ortsrand von Bad Dürkheim erreiche, hat mein Navi zwischenzeitlich genervt aufgegeben. Nie bin ich seiner Empfehlung gefolgt und dann hat die sonst freundliche Stimme gar nichts mehr gesagt. Als ich auf die Info-Taste drücke, ist sie plötzlich wieder da. „Von hier aus kann keine Fahrempfehlung gegeben werden.“ Aha, jetzt ist die Dame beleidigt. Später, ich hoppele gerade auf einem Wiesenweg durch etliche Schlaglöcher, meckert sie mich sogar an: „Sie befinden sich auf einer nicht digitalisierten Straße.“ Als ob das meine Schuld wäre.

 

Ich bin zwar noch immer nicht dort, wo ich hin wollte, freue mich aber wie nach einem gefinishten Marathon, als ich endlich bei den Weingärten von Bad Dürkheim an der Marathonstrecke bin. Ich weiss nicht, kommen die Läufer aus der Stadt, oder wollen sie dort hin. Es sind dem Tempo nach die 3 ½ Stunden-Läufer. Ich wage nicht, sie anzusprechen und mache statt dessen ein paar Bilder.

 

Dann will ich zum Stadtplatz. Auf dem Streckenplan sehe ich, dass hier km 22 oder 23 sein muss und auf dem Stadtplatz ist km 20. Erstaunlich schnell bin ich dort, musste dabei aber  kurz eine Einbahnstraße in Gegenrichtung befahren.

 

Auf dem Platz ist eine riesige Verpflegungsstelle aufgebaut. Die Läuferinnen und Läufer werden von einer Dame freundliche begrüßt und dem Publikum vorgestellt. Ich traue meinen Augen nicht. Kaum bin ich auf dem Platz, kommt Karlheinz Kobus, im Schlepp den Stefan Schlett und dann kommt auch noch Bernhard Sesterheim. Wäre das so ausgemacht gewesen, es hätte niemals geklappt. Die Drei sind super gelaunt und haben alle Zeit der Welt. Stefan hält mir seinen Becher unter die Nase. Ist das wirklich Wein? „Klar, deshalb sind wir doch hier,“ versichert er glaubhaft. Sie machen einen Wein-Straßenmarathon. Kaum sind sie 10 Meter gelaufen, werden sie interviewt. Hoffentlich fühlen sich die Menschen auf dem Stadtplatz nicht veräppelt, als sie von ihren „Schandtaten“ (Deutschlandlauf, Badwater, 10-fach Triathlon) hören.

 

Ich genieße noch etwas die Marathonatmosphäre hier und mache mich auf den Weg zurück nach Bockenheim. Ich komme noch einmal an die Strecke und hupe den Läufern zu und rufe laut: „Vorwärts, auf geht’s.“ Der Polizist ist ganz erschrocken, dreht sich um und kommt böse schauend auf mich zu. Jetzt erschrecke ich, winke ihm zu und signalisiere damit, dass es ein freundliches, kein Protest-Hupen und -Rufen war. Er lacht. Glück gehabt.

 

Einige Umleitungsstrecken kenne ich jetzt und komme relativ schnell nach Bockenheim. Auf dem kürzesten Weg sind es knapp 20 Kilometer. Ich war fast 100 Kilometer unterwegs. Dabei bin ich unzähligen Polizeibeamten und Feuerwehrleuten begegnet, viele waren in ihrer Freizeit im Einsatz und dabei freundlich und hilfsbereit. Fast kann ich es jetzt verstehen, dass man diesen immensen Aufwand sich nicht jedes Jahr antun will und deshalb den Marathon nur alle zwei Jahre organisiert.

 

Statt Läufer bin ich heute VIP. Als solcher mache ich es mir Brückenrestaurant gemütlich. Frau Landrätin macht sich mit Gefolge gerade auf den Heimweg. Ich nehme am Fenster Platz, habe freien Blick auf die Finisher, die jetzt nach ungefähr 3:30 ins Ziel laufen, und lasse mir Geschnetzeltes und Spätzle schmecken. Wer nicht läuft, soll wenigstens gut essen. 

 

Jetzt kommt die schlimmste Zeit vom ganzen Tag. Meine Kumpels trudeln ein. Marathon-Finish, Erfolgserlebnis, Glück und Stolz, Zufriedenheit und Bestätigung. Ich klatsche und gratuliere, bin aber außen vor. Ich gehöre heute nicht dazu. Es tut mir weh.

 

Informationen: Marathon Deutsche Weinstraße
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