Wie schnell doch ein Jahr vergeht. Denn als ich im Februar 2009 meine Qualifikationszeit für den Boston Marathon geschafft hatte, stand fest: dort muss ich einfach mal hin. Boston ist die Mutter aller Marathons und gilt für viele Läufe als DER Klassiker schlechthin. Am 20.04.2009 jährte sich dieser Lauf bereits zum 113. Mal. Nur zum Vergleich, New York gibt es heuer erst in der 40. Auflage.
Georg, Gerhard und Mario waren schnell überzeugt und so brachen wir am Freitag, den 18.4. nach Boston auf. Der Flug über den großen Teich dauerte mit Lufthansa 7,5 Stunden und als besonderes Zuckerl bekamen wir auch noch einen Upgrade auf die business class. Im Liegesitz erreichten wir entspannt die Hauptstadt des Bundesstaates Massachusetts an der Ostküste der USA und bezogen unser Quartier.
Bereits am Flughafen, auf den Straßen und in der U-Bahn wurde uns klar: Die Stadt ist im Marathon-Fieber.
Am Samstag dann sofort auf die Messe. Die Startnummernausgabe war perfekt organisiert und um es vorwegzunehmen, auch der Rest der Veranstaltung war, wie für die USA typisch, top gemanaged.
Einzig in der Finish-Area gab es ein paar kleine Schwächen, dazu aber später mehr.
Auf der Messe im Hynes Convention Center angekommen, packte uns der Kaufrausch. Schuhe für 50,- USD, das ist für einen Läufer der Himmel auf Erden. Endlich konnte ich auch verstehen was Frauen am Shoppen so toll finden. Gerhard prüfte akribisch das Angebot und musste bei umgerechnet 35,- EUR für ein Paar Asics Kayano klein beigeben. Unter 4 Paar Schuhen verließ keiner von uns die Messe. Aber auch Klamottentechnisch war das für uns Marathonis ein Einkaufs-Mekka. Schnell noch ein Team-Foto….aber wer passt inzwischen auf die 20 Tüten auf? Zum Glück sind Läufer ein hilfsbereites Volk und so kamen wir noch zu unserem Gruppenbild.
Auf dem Rückweg ins Zentrum kamen wir am Ziel vorbei. Ein Foto auf der Finish-Line war natürlich Pflicht.
Die ganze Stadt lebt diesen Marathon und das macht die besondere Atmosphäre aus. Ob an den Straßenlaternen, auf den Plakaten in der Metro, ja sogar an den Kirchtürmen, der Marathon war allgegenwärtig.
Die Stadt Boston hat auf Grund seiner Architektur, den Universitäten Harvard und dem Boston College ein sehr europäisches Flair und wir verbrachten den Sonntag mit Sightseeing. Während Gerhard und Mario den historischen Freedom-Trail abwanderten, machte ich mich zu einem kleinen warm-up Lauf am Charel River auf.
Am Abend dann noch zur Pasta Party in der City Hall von Boston.
Das Wetter am Wochenende war sonnig und mit ca. 20 Grad sehr mild und sommerlich warm. Leider war die Vorhersage für den Renntag am Montag nicht mehr so gut und als wir uns gegen 6 Uhr zu den Bussen, die uns zum Start bringen sollten, aufmachten, waren es gerade mal 5 Grad. Der befürchtete Wind, und der kommt leider immer um diese Jahreszeit vom Meer und ist recht frisch, blieb vorerst aus und wir hatten in Boston eine sonnige Abfahrt.
Der Montag, ist in Boston Feiertag und so standen für den Transport der Athleten die bekannten gelben Schulbusse zur Verfügung. Bei ca. 60 Personen pro Bus und 27.000 Läufern war das eine stolze Zahl von ca. 450 Bussen. Ein beeindruckendes Bild auf dem Highway, wo sich die Karawane nach Hopkinton zum Start aufmachte. Nach ein paar Meilen war das mit der Sonne dann auch vorbei und es wurde zunehmend nebeliger. Eine knappe Stunde und wir kamen im Athleten Dorf an.
Die Busse wurde nun als Kleiderbusse umfunktioniert und wir machten an die letzten Vorbereitungen für den Lauf. Georg und ich hatten uns speziell dafür als Hooters-Girls verkleidet und so wurden die 3 Stunden Wartezeit bis zum Start durch diverse Foto- und Pressetermine verkürzt. Auch im Athletendorf stimmte die Orga perfekt: ausreichend Toiletten, gute Beschilderung, PowerBar & Getorade.
Ohne uns besonders verabredet zu haben trafen wir auch Gerhard und Mario und wir machten uns gegen 9:00 Uhr auf zum Start, der ca. 1 km Fußmarsch vom Athletes-Village entfernt liegt. Gestartet wir in Hopkinton in zwei Wellen. Die erste Hälfte der Läufer geht um 10 Uhr ins Rennen, „Wave 2“ um 10.30 Uhr. Nur so ist ein solch großes Läuferfeld noch vernünftig durch die recht schmalen Straßen zu führen. Der Nebel am Star war nun verflogen und es waren angenehme 9 Grad. Noch schnell die obligatorische Nationalhymne und es ging los.
Wer auf einen speziellen Startbogen wartet, der hält vergeblich Ausschau. Nur eine Zeitmessmatte signalisierte uns den Beginn des Rennens. „Ob da wohl Zuschauer auf den ersten Meilen sind?“, diese Frage stellte sich uns schon am Sonntag beim Inspizieren des Streckenprofils. Boston ist ja nun mal kein Stadtkurs und bis auf die letzten 8 Kilometer geht alles über Land und nur vereinzelt durch ein paar Dörfer. Diese Befürchtung hatte sich aber schon nach den ersten Meilen als unbegründet herausgestellt. Es herrschte auf der gesamten Strecke ein atemberaubendes Gänsehautfeeling. Der Kurs in Boston ist nicht einfach zu laufen. Auch das Profil, das in den Startunterlagen liegt, sagt nur die halbe Wahrheit. Es geht ständig bergauf und bergab. Keine großen Steigungen, aber sehr unruhig und so ist es schwer seinen Rhythmus zu finden. Die erste Hälfte der Strecke ist meiner Meinung nach einfacher zu laufen. Nach dem Start geht es die erste Meile schön bergab und bereits bei km 2 kommt die erste Getränkestation. Das Publikum ist der Hammer und schreit sich bereits am Anfang die Seele aus dem Leib.
Da ich in den letzten Monaten starke Knieprobleme hatte und heuer noch keinen einzigen 30er im Training gelaufen bin, beschloss ich verhalten anzugehen, was mir bei diesem Publikum nur schwer gelang, dann man wird ständig gepushed. Bis zum Halbmarathon geht es überwiegend leicht bergab und so bei km 19 hörte ich aus der Ferne ein Rauschen. Was war das? Kreuzen wir evtl. einen Highway? Das Rauschen wurde lauter und bei km 19,5 stand auf einem Plaket, das über die gesamte Strecke gespannt war: „Belive in your ears“. Bernie hatte es mir zwar im Vorfeld angekündigt, aber so etwas habe ich noch nie erlebt.
Bei KM 20 erreichte ich den „Scream Tunnel“ am Wellesley’s College. Das Wellesley College ist eine Privatschule nur für Frauen. Und die Mädchen dort sehen wohl übers Jahr in dieser abgelegenen Einöde kaum Männer.
Mit Transparenten und Fahnen wurden die Läufer begrüßt und wenn ein Mädchen einen Kuss eines Läufers ergattern konnte, dann schrie sie noch lauter. Es war ein Schreien, wie ich es noch nicht mal auf einem Take That Konzert erlebt habe.
Dieser halbe Kilometer ist der wahre Grund, warum man unbedingt Boston laufen MUSS.
Wer es nicht glaubt: http://www.youtube.com/watch?v=u_gT42p6zs4 (bis zum Ende schauen, das hört einfach nicht auf). Mario, der bis dahin vor mir unterwegs war, küsste natürlich ALLE ab …immerhin war auch Hillary Clinton mal dort und vielleicht hatte er ja auch eine zukünftige First Lady geküsst …und so konnte ich wieder zu ihm aufschließen. Aber angetrieben von den Schreien der Mädchen war er auch gleich wieder weg. Gerhard lief mit mir bis knapp Kilometer 25 und Georg war bereits am Start auf und davon.
Ab km 25 (Meile 16) beginnt der schwerste Teil der Strecke. Bis km 32 geht es meist bergauf. Der finale Anstieg, der berühmte Heartbreak Hill läutet dann das Finale ein, wobei ich den Berg davor als schwerer empfand. Jetzt geht es fast nur noch abwärts. Wer jetzt noch Körner hat, der kann die letzten 10 Kilometer Gas geben …zumindest theoretisch. Denn nun war auf einmal der Wind da. Ein eisiger Gegenwind, der durch die nun beginnenden Häuserschluchten von Boston City noch kanalisiert und verstärkt wurde. Zu diesem Zeitpunkt war ich sogar froh, dass ich mit einer blonden Perücke unterwegs war. Sie gab mir Wärme und ich konnte wieder zulegen. Auf der Zielgeraden erreichte ich Mario und wir liefen gemeinsam durchs Ziel.
Jetzt merkte ich die Kälte besonders, es waren nur noch 6 Grad, die Sonne lag hinter den Wolken und, das war der einzige Fehler in der Organisation, die Wärmefolien kamen viel zu spät. Erst ca. 5 Minuten nach dem Zieleinlauf.
Am Montag Abend ging es dann zum After-race-dinner mit Hummeressen. Legal Seafood ist sehr zu empfehlen, hat günstige Preise und der Lobster in Boston ist einfach ein Muss.