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Laufberichte

Man sieht sich (mindestens) zweimal

09.03.08
Autor: Klaus Duwe

Man kann den Pfälzern vorwerfen, was man will – an Cleverness und Geschäftstüchtigkeit mangelt es ihnen nicht. Lange bevor es die heute überall üblichen Hofläden gab, verkauften die Pfälzer Bauern bereits in den 1950er und 60er Jahren an der Straße Kartoffeln, Obst und Gemüse. Weil die Einnahmen von den nur spärlich vorhandenen Touristen und Ausflüglern aber nicht ausreichten, packten sie ihre Ware auf klapprige kleine LKW’s und fuhren damit bis zu uns in’s Badische. Mit Gebimmel und lauter Stimme brachten sie ihre Sonderangebote unter die Leute: „Blumenkohl, 3 Stück, 1 Mark“, ich kann mich noch genau erinnern.

Nicht minder gerne gesehen waren die Schrotthändler aus der Pfalz, die auf dem Land  „Lumpen, Alteisen“ einsammelten und den Leuten, je nach Gewicht, noch ein paar Mark für einen ausrangierten Herd oder Ofen bezahlten. Seinerzeit hielt jeder auf dem Dorf in Ställen hinterm Haus Kaninchen. Die Felle der geschlachteten Tiere  („Hasepelz“) wurden an der Luft getrocknet und ebenfalls an die Händler aus der Pfalz verkauft. Industrie gab es wenig in der Pfalz und so entdeckten die Menschen dort eben schon früh das Dienstleistungsgewerbe als Alternative.

Die Pfälzer sind traditionsbewusst. Sie rennen nicht gleich jedem Trend und jeder Mode hinterher. Diesem Verhalten haben sie folgenden Witz zu verdanken: „Was machst du, wenn morgen die Welt untergeht?“ „Ich gehe in die Pfalz, die ist 20 Jahre zurück.“

Die Spötter übersehen eines: Wie bei den Dienstleistungen sind die Pfälzer auch in anderen Dingen keine Mitläufer, sondern Vorreiter. Statt von ihren Traditionen zu lassen, haben sie sie kultiviert. Saumagen,  „Fleeschknepp“ (Fleischklöße) und Pfälzer Bratwurst, einst „Armeleuteessen“,  sind längst über die Grenzen der Pfalz hinaus bekannte Spezialitäten, vom Wein gar nicht zu reden.


Und als man in Kandel 1975 den ersten Bienwald Marathon  (gerade noch mal die Kurve gekriegt) austrug, war es keinesfalls so, dass das Laufen boomte. Marathonläufer waren eher argwöhnisch beäugte Sonderlinge.

Das Beste aus dem machen, was man hat

Das könnte der Leitsatz der Marathonpioniere in Kandel gewesen sein. Als Laufstrecke bot sich der Bienwald an. Dort ist es flach, der Wald schützt vor Wind, und die Straßen sind lang und meist gerade. Nach einem Augenschmaus hört sich das nicht an, wohl aber nach guten Zeiten. Also warb man mit seinen „schnellen Strecken“. Mit Erfolg. 1984, als der Bienwald Schauplatz der nationalen Titelkämpfe war, gab Ralf Salzmann seine Visitenkarte in Kandel ab. Seine Zeit von 2:14:25 ist noch heute Rekord, und wenn man nicht irgendwann einem Kenianer eine fette Prämie zahlt, wird das auch so bleiben. Der mehrfache  Deutsche Marathonmeister (Bestzeit 2:10) qualifizierte sich damit übrigens für die Olympischen Sommerspiele in Los Angeles, wo er 18. wurde. Im gleichen Rennen stellte Susi Riermeier, die vom Skilanglauf zum Marathonlauf kam, mit 2:38,13 einen Streckenrekord auf, der ebenfalls noch heute Gültigkeit hat.

 


Die Zeit der Rekorde ist vorbei, der Ruf als High-Speed-Kurs ist geblieben. Die lokale Laufprominenz zieht es regelmäßig nach Kandel und viele Breitensportler empfehlen den Bienwald, wenn es um die Verbesserung persönlicher Bestzeiten geht. Sogar bis Liechtenstein hat sich das herumgesprochen. Nicole Klingler will ihren ersten Marathon laufen und dabei gleich die Olympianorm ihres Landes (2:48) schaffen. Michael Sailer ist da, um seine Form zu überprüfen. Für die Meisterschaften über 100 km in vier Wochen in Kienbaum fehlt ihm noch ein schnelles Rennen über 42 km. Er ist mit m4y-Autor Anton Lautner angereist, der weniger ambitioniert unterwegs sein will, dafür Fotos für einen separaten Bericht schießen wird. Natürlich fehlen auch nicht die Dehaut-Brüder, echte Pfälzer und immer gut für einen Platz auf dem Treppchen.

Wie sieht es bei mir aus? Ich brauche keine schnelle Strecke um meine Bestzeit zu verbessern. Ich muss nur weniger fotografieren und schwätzen. Insgesamt sind über 2000 Läuferinnen und Läufer für den Marathon und den „Halben“ angemeldet. Ein Beweis dafür, dass sich die Pfälzer noch immer gut verkaufen können.

 


In den letzten Jahren hat sich in Kandel viel geändert. Aus der engen alten Sporthalle ist man aus- und in die neue Mehrzweckhalle eingezogen. Dort ist jetzt  so viel Platz, dass man in einem separaten Raum sogar eine kleine Messe abhalten kann. Platz für weitere Werbe- und Verkaufsstände ist auch noch vorhanden.

Der Startplatz ist unverändert neben dem Bienwaldstadion. Der Landrat und der Bürgermeister sind da, wenn  Wahlkampf ist, lässt sich auch schon mal König Kurt (Beck) blicken. Momentan plagen ihn aber andere Sorgen. Noch nie habe ich 2000 Leute auf so einer schmalen Straße starten sehen. Trotzdem gibt es keine Probleme. Dank Championchip bekommt jeder seine Nettozeit. Das Wetter ist ideal. Die Temperaturen werden wohl noch knapp einstellig sein, aber die Sonne scheint.

 


Um 10.00 Uhr geht es los. Ein paar Zuschauer sind auch da, die meisten sind Angehörige der Aktiven. In Kandel lassen sich dann auch etliche Einheimische das Spektakel nicht entgehen. Vom Ortsrand von Kandel geht es auf der B 427 nach Minfeld (km 5) und von dort auf einer Nebenstraße zunächst über freies Gelände. Hier drückt ein kalter Wind die gefühlte Temperatur deutlich nach unten. Auf einem schmalen Teerweg erreichen wir schließlich das Naturfreundehaus. 

 


„Was ist denn hier los?“, fragt sich eine Läuferin, die der Lärm von zig Zuschauern plötzlich aus ihren Träumen reißt. Von hier führt die Strecke rechts und nach ungefähr zwei Kilometern wieder rechts auf die bereite, heute für den Verkehr gesperrte Straße (km 9) durch den schönen Bienwald. Der weitere Streckenverlauf ist schnell beschrieben, denn von dieser Straße gehen zwei Wendepunktstrecken ab, dann läuft man (fast) auf dem gleichen Weg wieder zurück nach Kandel ins Bienwaldstadion.

Noch bevor wir die Hauptstraße erreichen, kommt uns der erste Halbmarathonläufer entgegen. Es ist der Kenianer Hillary Kemboi.1:06:10 Stunden reichen, um die deutsche Konkurrenz zu deklassieren. Ich bin froh, dass ich mich nicht als Leistungssportler damit rumschlagen muss, dass man mir mittlerweile fast überall einen oder mehrere Kenianer vor die Nase setzt. Beim Marathon ist das anders, die eingangs schon erwähnten Favoriten sind unter sich.

 


Auf der breiten Verkehrsstraße ist jetzt mächtig was los. Immer mehr Halbmarathonläufer kommen uns entgegen. Dann kommt bei ungefähr km 12 die Wende und die „Halben“ sind verschwunden. Vorübergehend ist ruhiger. Zeit zum Genießen. Zwei Kilometer weiter kommen mir dann schon die Marathonis entgegen,  um gleich (in ihrer Laufrichtung) rechts im Wald zu verschwinden. Die Führenden habe ich verpasst. Mich würde schon interessieren, was Michael Sailer macht. Zum Glück kommt mir gleich der Anton entgegen: „Der Michi ist vorne mit dabei,“ lautet seine frohe Botschaft. Ich drücke die Daumen.

Vor dem Ortseingang von Schaidt spielt eine Guggemusik. Überall, wo diese Gute-Laune-Musiker auftreten, ist was los. Das ist in der Pfalz nicht anders. Die Marathonis profitieren davon und dürfen nach einer Wende die schräge Musik und den Applaus ein zweites Mal genießen. Gleichzeitig kann ich jetzt endlich mal sehen, wer noch so alles hinter mir ist. Es sind schon noch einige. Bei km 20 sehe ich die Letzten, sie haben km 15 geschafft.

 


Kurz danach kommt die 4. Verpflegungsstelle. Iso, Wasser und Tee stehen zur Auswahl, Bananen und Apfel gibt es ebenfalls. Fast immer stehen auch Wannen mit Wasser und Schwämmen bereit.

Wir verlassen jetzt die breite Verkehrsstraße und laufen rechts auf einen schmaleren, aber auch geteerten Weg. Ungefähr 5,5 km führt er uns in den Bienwald und wieder zurück. Was sich ziemlich langweilig anhört, ist genau das Gegenteil. Beim Lauf im Bienwald ist es nämlich wie im Leben: man sieht sich immer zweimal, mindestens. Und das ist gut. Denn jetzt kommt wieder der Anton angedüst und hat diesmal noch bessere Kunde: „Der Michi führt,“ ruft er mir entgegen und strahlt dabei über’s ganze Gesicht. Mittlerweile ist er bestimmt im Ziel. Hoffentlich hat er es gepackt.

Die schaue mir die Läuferinnen und Läufer an, sehe Kämpfer und Genießer, Verbissene und Fröhliche. Manche sind schon etwas angeschlagen und ich rechne mir Chancen aus, sie noch einzuholen. Dann wende auch ich und darf mir nun wieder ansehen, was sich im Feld hinter mir so getan hat. Ich meine schon, dass es weniger geworden sind. Nicht dass mich viele überholt hätten, nein, ich bin sicher, da sind etliche ausgestiegen. Auch der junge Mann, der jetzt die Rote Laterne trägt, wird es nicht bis ins Ziel schaffen.

Es kann ja sein, dass angesichts der Streckenbeschreibung jemand meint, er könne im Bienwald eine schnelle Zeit laufen, indem der die Strecke etwas verkürzt. Da kann man sich leicht täuschen. An den Wendepunkten stehen Posten und bannen jeden Läufer und jede Läuferin auf den Chip. Bei Protesten kann so ein Betrug leicht nachgewiesen werden. Aber wer schummeln will, wird andere Wege finden.

 


Kilometer 32, die Verkehrsstraße ist wieder erreicht. Jetzt wird es richtig hart. Es sind kaum noch Läufer unterwegs und die Strecke zieht sich. Zum körperlichen Training kommt das mentale. Ich krame meinen iPod raus und drehe voll auf, ich will meine schweren Schritte nicht mehr hören. Fünf Kilometer, dann endlich geht es links Richtung Naturfreundehaus. Dort sind jetzt keine Zuschauer mehr, nur die freundlichen Helfer an der Verpflegungsstelle versehen unverdrossen ihren Dienst.

Zum Glück müssen wir jetzt nicht die gleiche Strecke zurück, die wir vorhin gekommen sind. Wir nehmen den  kürzesten Weg und erreichen bald die ersten Häuser und einen kleinen Bach, dem wir folgen. Noch zwei Kilometer, ich ziehe mir die Stöpsel aus den Ohren, will jetzt Marathon pur.

Vor mir sehe ich im neuen m4y-Outfit den Anton und den Michael.
„Hi, Michi, wie war’s?“ will ich gleich wissen.
„Gut, ich bin Erster“.
Ich freue mich riesig für ihn und gratuliere, umarmen tu ich ihn nicht. Ich bin verschwitzt und er schon geduscht. Zu Dritt traben wir gemütlich Richtung Stadion. Ok, der Michi und der Anton traben, ich kämpfe. Gleichzeitig genieße ich aber den Luxus, vom Marathonsieger eskortiert zu werden.

 


Der Rest ist schnell erzählt: eine knappe Stadionrunde noch auf komfortabler Bahn, dann der Gruß vom Speaker, das Zielfoto und das Piepsen der Zeitmatte - der Bienwald Marathon ist im Kasten. Einerseits unspektakulär, andererseits aber auch ohne Fehl und Tadel.

Also vormerken: zweiter Sonntag im März, Bienwald Marathon, Kandel. Und die schnellen Schuhe nicht vergessen. Mir hat’s nicht geholfen, ich war dieses Jahr schon weniger lange unterwegs.


Marathon Männer
1  Sailer, Michael (GER)  M30  TSV 1862 NEUBURG 02:31:49
2  Dehaut, Helmut (GER)  M45  VT Zweibrücken 02:32:53
3  Gröschl, Anton (GER)  M45  PTSV Rosenheim 02:34:11


Marathon Frauen
1  Klingler, Nicole (LIE)  WHK  TV Eschen-Mauren 02:51:46
2  Brema, Susanne (GER)  W35  LSG Karlsruhe 02:53:46 
3  Hille, Claudia (GER)  W40  TSG Kleinostheim 02:59:09

Halbmarathon Männer
1  Kemboi, Hillary (KEN)  MHK   01:06:20
2  Juranek, Marcel (GER)  MHK   01:10:38
3  Hackl, Thomas (GER)  M40  FTSV Straubing 01:11:44

Halbmarathon Frauen
1  Nguria, Regina (KEN)  WHK   01:15:28
2  Maissenbacher, Simone (GER)  W30  LSG Karlsruhe 01:18:21
3  Rauschenberg, Eve (GER)  W30  TV Mussbach 01:24:54

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Finisher insgesamt:
Marathon 681
Halbmarathon 1272

Streckenbeschreibung:

Strecke ist 100% asphaltiert, flach und führt über Verkehrsstraßen, Wald- und Wirtschaftswege. Es geht aus Kandel raus, dann auf zwei Wendepunktstrecken und auf gleichem Weg wieder zurück ins Ziel. 

Zeitnahme:
Championchip

Auszeichnung:
Urkunde, Funktions-T-Shirt

Logistik:
Die Startnummern werden am Sonntag ab 8:00 Uhr in der Sporthalle ausgegeben. Parkplätze werden in unmittelbarer Nähe zugewiesen.

Zuschauer:

Beim Start, in den Orten und beim Naturfreundehaus

 

Informationen: Bienwald-Marathon
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