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Laufberichte

Grund zum Jubeln

19.05.12

Bad, Wald und See. Das tönt schon mal gut. Dazu kommt eine hübsche kleine Altstadt und der ländliche Charme der Ferienlandschaft Oberschwaben. 

Mit See ist nicht der Bodensee gemeint, der liegt in einigen Kilometern Entfernung. Bad Waldsee hat seine eigenen, zwischen denen es eingebettet ist: den Stadtsee und den Schloßsee. Dass der Name Bad zwar mit Bad zu tun hat, nicht aber mit Wald und See, darüber habe ich letztes Jahr berichtet. Dass ich aber trotzdem nicht auf einen Etikettenschwindel hereingefallen bin, lässt sich daran ablesen, dass ich in diesem Jahr wieder zum Bad Waldseer Lauffieber aufkreuze.

Das ist genau, was ich brauche. Eine Dosis Lauffieber. Similia similibus curentur. Gleiches mit Gleichem heilen, aber bitte nicht in homöopathischer Dosis. Nein, ich brauche die volle Packung. Endlich ist es wieder so weit. Ich will es mir volle Kanne und mit großer Kanüle verabreichen. Kids-und Bambiniläufe kämen aus anderen Gründen nicht in Frage, aber auch sie Stadtsee-Staffel mit 4x2000m, der 10000m-Lauf (5 mal um den Stadtsee), der Halbmarathon und der Paar-Marathon sind für mich heute keine Option. Nach erfolgreichen 10 Meilen und einem 2/3-Marathon bin ich froh, dass endlich wieder auf „meiner“ Distanz starten kann. Im Falle plötzlich auftretender Nebenwirkungen könnte ich die Behandlung nach einer Runde abbrechen. Willentlich kommt dieses Szenario erst in Plan G vor. Die leichte Zerrung, welche ich mir in Bern eingehandelt habe, könnte diese Einstufung durchaus ändern. Das Wollen und das Vollbringen sind halt nicht immer identisch.

Gut 1100 Teilnehmer sind zur Jubiläumsaustragung vorgemeldet, davon knapp die Hälfte für den Halben und gut 10% für den Marathon. Da besteht noch Luft nach oben, ist das Limit doch erst bei 300 Marathonis erreicht. In der Stadthalle bei der Ausgabe der Startnummern mit integriertem Transponder geht es zu wie in einem Bienenhaus. Endlich am Kopf der Warteschlange angelangt, geht es aber blitzschnell, bis ich im Besitz der notwendigen Insignien bin. Erstmals hinterlege ich bei einem Marathon Eigenverpflegung. Ich habe heute das Bedürfnis auf eine gesicherte Verpflegung mit Cola und muss nur eine große Flasche abgeben, denn am Verpflegungsposten „Möllenbronn“, wohin sie gebracht wird, werden wir viermal vorbeikommen.

Eine gewisse Angespanntheit kann ich nicht verleugnen. Wenn ich endlich wieder kann, dann soll es ein erfolgreiches Unterfangen werden. Die äußeren Bedingungen sind für mich in diesem Laufjahr erstmalig. Es scheint die Sonne und das Thermometer hat die 20°-Marke bereits überschritten. Es gilt also, mich so einzustellen, dass ich nicht Opfer dieser guten aber ungewohnten Wetterverhältnisse werde. Nochmals ausreichend trinken, genügend Sonnenschutz applizieren und – vom Wetter unabhängig - den linken Unterschenkel gut bandagieren.

Ein paar Minuten zu Fuß und ich bin auf dem kleinen, von schönen alten Gebäuden gesäumten Platz zwischen dem Rathaus und dem Kornhaus, wo an diesem Tag bei Start und Ziel ein Kommen und Gehen ist. Achim Linder am Mikrofon bringt noch mehr Schwung in die Zuschauer- und Läuferreihen. Alle Teilnehmer auf der 21,1km-Runde starten um 12.00 Uhr gemeinsam, egal, ob sie diese einmal oder zweimal absolvieren, alleine oder als Paar-Staffel mit ausgewählter Namensgebung wie „“Äffle und Pferdle“. Der Countdown läuft, High Noon in Bad Waldsee. Pünktlich geht es los und während die Läufer in Richtung Hochstatt ziehen, entschwinden die zuvor verteilten bunten Luftballons in den sonnigen Himmel. So leicht möchte ich auch gerne entschweben.

Die Schnellen der vorderen Reihen kommen gut weg, der Rest des Feldes setzt sich gemächlich in Trab, an den vielen Zuschauern und Gästen der Cafés vorbei durch die Fußgängerzone hinaus an den Stadtsee.

Ich muss zusehen, dass ich vor lauter Fotografieren am Schluss des Feldes den Anschluss nicht verpasse. Die Szenerie mit dem See, der Parkanlage mit Schwimmbad und dem Blick auf diese hübschen Kleinstatt mit den markanten Silhouetten von Wurzacher Tor und den barocken Doppeltürmen der Stiftskirche St. Peter ist einfach zu schön, um mit Tunnelblick über die Strecke zu pflügen. Auch wenn ich könnte…  Ich verspüre Ferienstimmung und Feierstimmung.

Wieder im Städtchen weckt der Gang über das Pflaster zwischen der Stiftskirche und dem Gut-Betha-Brunnen fast schon mediterrane Empfindungen. Gleich danach wird das Städtchen verlassen. In einem Bogen geht es um das Schloss Waldsee in den Wald, dessen Bäume den Blick auf den Schloßsee nicht freigeben. 

Aus dem Wald hinaus geht es ins Wohngebiet Steinach hinein. Nach dem Schatten der Bäume offenbart sich auf den Straßen, was sich heute den Läufern als zusätzliche Herausforderung bietet. Die Kraft der Sonne macht sich deutlich bemerkbar. Die Anfeuerungen der Anwohner lenken davon ab, bis es in die unverbaute Natur hinausgeht, wo immer wieder Bäume für Sonnenschutz sorgen.

Die ersten vier Kilometer mit den vielen Wechseln an Streckencharakteristik liegen so schnell hinter mir wie sie abwechslungsreich sind. Da macht es auch nichts, dass sich nach dem bald darauf folgenden Verpflegungsposten die Straße ziemlich lang zieht, zumal sie im Schutz von Bäumen liegt, die zum Wald des Steinacher Rieds gehören. Zudem gibt es vorne, hinten und nebendran genügend andere Teilnehmer, die für Abwechslung sorgen.

Beim Verlassen des Waldes gibt es eine erneute Kostprobe dessen, was auf den nächsten Kilometern unsere Begleitung sein wird. Sonne pur. Immerhin ist schon Möllenbronn und damit der nächste Verpflegungsposten in Sicht. Das Schild mit der Aufschrift „Auftanken nicht vergessen“ soll diejenigen daran erinnern, die vor lauter Bestzeitenjagd das Elementarste vergessen. Und das kommt öfters vor als man denkt.

Maibaum, Ziegen, Pferde, Esel – ländliche Idylle bei Untermöllenbronn, wo wir rechts abbiegen und für eine Weile den Asphalt gegen eine Naturstraße eintauschen. Mein Blick schweift über die Weite der Landschaft, hinüber nach Tannweiler, über das blühende Rapsfeld, welches mehr Augen- als Nasenweide ist, dorthin, wo Waldungen den Horizont bilden. Acht Kilometer liegen schon hinter mir und ich fühle mich gut. Obwohl, viel wärmer sollte es für mich nicht werden. „Gegenwind formt den Charakter“ steht auf einem weiteren Schild. Ob er das tut oder nicht, ist mir im Moment egal. Ich wünsche einfach, es gäbe welchen. Von mir aus kann der Wind von vorne kommen, Hauptsache ein Lüftchen verschafft mir den Eindruck von Abkühlung. Dass in Tannweiler bei der Dorfkapelle wieder eine Gruppe von Anwohnern uns einheizt, tut da aber nichts zur Sache, ganz im Gegenteil.

Nach einem kurzen Stück „über Land“ erreichen wir das westliche Ende von Untermöllenbronn und damit den nächsten Verpflegungsposten. Wie überall werden Wasser, Iso, Bananen und Schwämme gereicht, dann geht es weiter nach Reute. Ein Kappellenbildstock rechter Hand lädt ein zur Meditation, eine Einladung, der ich gerne folge, ohne stehen zu bleiben.

Ein Waldstück sorgt für Schatten und den Halbmarathonis wird Halbzeit angezeigt.  Dann zeigt sich Reute. Dominante Erscheinung ist die Klosteranlage des Franziskanerinnenklosters. Es wurde eigens für die Waldseerin Elisabeth Achler, „die selige Gute Beth“ genannt, und weitere Nonnen anfangs 15. Jahrhunderts erbaut. Bald nach dem frühen Tod der Mystikerin wurde die gute Beth als Wundertäterin verehrt und zweihundert Jahre später selig gesprochen.

Nicht nur bei Wallfahrern bekannt ist ein Ortsteil von Reute: Durlesbach. Richtig, der aus dem Lied "Auf der Schwäbischen Eisenbahn" bekannte Ort.  Der letzte Zug ist schon längst abgefahren und der Bahnhof beherbergt eine Galerie. Der erste Bahnhof musste dem Neubau von 1911 nicht für immer weichen, sondern wurde von privater Seite erworben und in Reute neu aufgebaut. Wo er steht, muss ich bei anderer Gelegenheit herausfinden. 

Auf einer Schlaufe geht es mit einer kurzen Begegnungsstrecke durch den Ort und an der Durlesbachschule vorbei über den Dorfplatz. Cheergirls und ein Radiomoderator sorgen für Stimmung für den nächsten Abschnitt.

Der kleine Anstieg zur Straße lässt Peter und Paul noch mächtiger erscheinen. Vor und über uns thront die Pfarr- und Wallfahrtskirche, welche das Grab der Seligen Elisabeth von Reute beherbergt.

Den Kräutergarten des Klosters zu jäten ist eine Herkulesaufgabe, da ist mein Marathon Kindergeburtstag dagegen. So manches Kräutlein dort drin kann uns bei den Vor- und Nachbereitungen unseres Laufvergnügens seinen guten Dienst tun. Die auf meinem linken Unterschenkel applizierten verrichten ihn weit besser als ich das nach einem Drittel der Strecke zu hoffen wagte. Auch die anderen Zutaten für einen erfolgreichen Lauf gibt es da: die vierte Verpflegungsstelle. Gut hydriert und abgekühlt kann ich mich auf den nächsten zwei Kilometern durch die friedliche Landschaft zwischen Wiesen, Weiden und Feldern der Sonne aussetzen.  Dann führt die Straße an der Dorfkapelle vorbei durch Obermöllenbronn. Den Ort verlasse ich nach kürzester Zeit wieder. Nicht weil ich schnell bin, weil der Ort so klein ist.

Der gleich folgende Verpflegungsposten ist vom Hinweg bekannt und der, bei welchem die Eigenverpflegung ist. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir warme Cola jemals so gut geschmeckt hat. Gut, dass es eine große Flasche ist und ich für die kommenden zwei Passagen  noch genügend Reserve haben werde.

Ich biege auf die Strecke ein, auf welcher wir durch das Steinacher Ried hergekommen sind. Ohne Uhr am Handgelenk habe ich keine Ahnung, wie lange ich schon unterwegs bin. Mein Gefühl sagt mir aber, dass ich jetzt dann der Spitze begegnen könnte. In der Tat kommt mir kurz nach dem Kilometerschild 17 der Führende entgegen. Mit dem beträchtlichen Abstand zum Zweiten kann er es sich leisten, der Kamera  mit beiden Händen das Victory-Zeichen zu zeigen. Neun Kilometer Vorsprung und so locker drauf – nicht übel. Die führende Dame begegnet mir mit gut sechs Kilometer Vorsprung. Die bewegen sich in einer anderen Liga und trotzdem habe ich ein gutes Gefühl.

Die Steinacher Bevölkerung ist mit zusätzlichen Wasserstellen und Gartenschlauch präsent, so läuft es sich gut. Kaum ist nach dem Bogen um das Schloss Waldsee die Kulisse der Stadt mit der Stiftskirche zu sehen, ist man auch schon mittendrin im Geschehen und auf dem Platz beim Rathaus. Vorbei an den vielen Zuschauern, den erfolgreichen Finishern des Halbmarathons mit einer kühlen Flasche Zielgetränk in der Hand und den Gästen der Restaurants geht es auf die zweite Runde.

Auf der Hochstatt ist Trubel. Auf der Bühne ist Bernhard Schultes vom Organisationsteam bei der Siegerehrung des Nachwuchses. Bald darauf hat mich die Einsamkeit des Langstreckenläufers im Griff. Die Umrundung des Stadtsees mit Halt am Verpflegungsposten ist mein persönliches Ding. Der Körper hat bis jetzt gut durchgehalten, jetzt wird es eine mentale Angelegenheit. Nachdem ich auf der ersten Runde begonnen habe, die Kilometerabschnitte fotografisch zu protokollieren, will ich das auf der zweiten konsequent weiterführen. Damit habe ich eine Aufgabe, welche mithilft, die einsamen Kilometer zu etappieren und kleine Pausen einzuschalten. Zum Beispiel  beim Schild „Du siehst noch gut aus“. „Das ist bloss eine Schmeichelei der Veranstalter“, denke ich und greife zur Kamera, damit ich den Gegenbeweis erbringen könnte, was mit der Bildausbeute nicht zu bewerkstelligen ist. Der Spiegel hat mir schon an vielen Morgen ein viel drastischeres Aussehen entgegengehalten.

In Tannweiler danke ich den Leuten bei der Kapelle fürs Ausharren, desgleichen beim nächsten Verpflegungsposten. Auf dem Weg nach Reute schließe ich zu Volker auf, der mit Krämpfen zu kämpfen hat und gehen muss. Um ihm und mir die Strecke dorthin mental zu verkürzen, bleibe ich bei ihm und leiste ihm Gesellschaft. Wenn bei mir alles weiter hält, kann ich immer noch auf den letzten Kilometern ein bisschen das Tempo anziehen.

In Reute kommt mir ein Trio in Aulendorfer Festtagstrachten entgegen. Dass ich diese als solche erkenne, ist nicht dem umfassenden Wissen eines Weitgereisten geschuldet. Ein paar Minuten mehr oder weniger unterwegs spielt wirklich keine Rolle und so nehme ich mir die Zeit zu fragen und zu fotografieren. Der Kleine hat seine Rolle als Modell voll im Griff.

Ausgangs Reute stelle ich beim Verpflegungsfrage die so genannte Antonsfrage. Wie die lautet? Leicht zu erraten, wenn ich erwähne, dass ich als Antwort darauf einen Becher Bier kredenzt bekomme.  Der letzte Schub Iso hilft Volker mehr als erhofft, so können wir gemeinsam im Laufschritt weiterziehen. Einen halben Kilometer Luftlinie von der Straße nach Möllenbronn entfernt liegt der Flugplatz von Reute und Bad Waldsee. Ganz so elegant wie der Segelflieger, der eben geschleppt wird, durch die Lüfte schweben kann, ist mein Laufstil nicht. Aber ich erlebe das gleiche Gefühl von Freiheit. Ich laufe draußen in der Landschaft, umgeben von saftigem Grün und olfaktorischen ländlichen Grüßen. Nur wenig mehr als fünf Kilometer bin ich von meinem heutigen Ziel entfernt. Nur noch die, dann bin ich wieder dort angekommen, wohin ich mich so lange gesehnt habe. Gemeinsam lässt sich das gut bewältigen.

Bei unserem Zieleinlauf ist der 10000er-Lauf im vollen Gange und ich mische mich bei der Zielverpflegung unter diese Sportler, die teilweise über verlorene Sekunden sinnieren oder sich über gewonnene freuen. Dass ich über eine Stunde länger unterwegs war als im vergangenen Jahr, tut für mich nichts zur Sache. Ich bin ein Finisher, erhalte die zum Jubiläum abgegebene Medaille und lasse mir vorerst den feinen Hefezopf der Zielverpflegung schmecken, danach eine der kühlen Flaschen mit dem alkoholfreien Apfel-Biergetränk. Isotonisch und lecker.

Die heiße Dusche im Maximiliansbad sorgt dafür, dass ich auf ein von A wie Anmeldung bis Z wie Ziel und darüber hinaus erfolgreiches Lauffieber zurückblicken kann. In Bad Waldsee hat der Marathonläufer nicht nur anlässlich des Jubiläums und nicht nur wegen des bescheidenen Startgelds Grund zum Jubeln.

 

 

Informationen: Bad Waldseer Lauffieber
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