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Laufberichte

Die Marathonluft brennt wieder

05.05.13
Autor: Joe Kelbel

Kurz vor dem 4 Std Pacemaker springe ich in die Startbahn, meine Laufzeit so geplant, dass ich Euch über Hannover umfangreich informieren kann , um dann beim  Zieleinlauf der Eskorte 2000 nach  5:30 dabei zu sein.

Gina, Vorstand im 100 MC GBR fragt mich, warum wir eine Waterloo-Säule haben. Sie weiß nicht, dass Großbritannien auf die Hilfe der Hannoveraner und Preußen angewiesen war, um Napoleon bei Waterloo zu schlagen. Seine  Kanonen wurden im Sockel eingemauert.  Im Wiener Kongress (1815) erhob der österreichische Außenminister Fürst von Metternich das Kurfürstentum Hannover (was Napoleon aus der Landkarte getilgt hatte) zum Königreich.

Auf der Säule ganz oben grüßt die Siegesgöttin Victoria, nicht zufällig Namensgeberin der englischen Königinnen. Unsere Laufstrecke führt in einem  rechteckigen Kurs um die Säule, es ist der Grundriss des ehemaligen Exerzier-und Paradeplatzes.

Auch wenn wir jetzt an der AWD Arena vorbeilaufen, der Maschsee ist nicht nach dem Gründer des AWD´s und Gatten von Veronika benannt.  Der  See entstand durch ein Arbeitsbeschaffungsprogramm (1934). Masch/Marsch bedeutet Sumpf und schlägt dann doch irgendwie namensmäßig einen Bogen ins 21.Jahrhundert.

Ganz im Süden, in den Schrebergärten von Döhren wird es lustig. Die Zäune sind mit Sektkorken einer Marke der Gebrüder Grimm  bespickt, das Bier ist selbstgebraut, der Grill noch kalt.

„Die Sonne scheint!“ Tatsächlich zählen die Läufe im Mai zu den härtesten, weil der Körper sich noch nicht an die Wärme gewöhnt hat. Aber noch härter sind die Läufe im Juni, Juli, August…..und erst der Januar!

Die Hildesheimer Straße ist ewig lang. Dann kommt km 11 und der Döhrener Turm (14.Jahr), Teil der ehemaligen Stadtbefestigung , Start und Ziel des Eilenrieder Marathons im Februar. Wer sich wundert, dass der Turm in Sommernächten nicht beleuchtet wird: Es liegt an der blöden Wasserfledermaus. Der Turm liegt genau in deren Fluglinie Eilenriede - Maschsee. Ansonsten fliegt hier nicht viel, es ist einsam geworden, das Backsteingebäude der Gilde Brauerei ist verriegelt. Dabei könnte ich mir jetzt eine Führung um die kühlen, goldenen Kupferkessel vorstellen.

Je näher wir wieder  zur Innenstadt kommen, desto mehr Zuschauernester gibt es. Kurz vor dem Opernhaus(1852) bei km 15 mache ich Frühstückspause. Obwohl die Verpflegungsstellen beim TUI Marathon in Hannover zu den Besten zählen, setze ich mich kurz hinter dem Aegidientorplatz ins Café, denn Rührei mit Speck , Kaffee, Toast und Marmelade  für 4,95 schmeckt besonders gut, wenn schwitzende, unterernährte Läufer vor deinem Teller leiden.

Irgendwann laufe ich weiter, vorbei an der  Börse Hannover. Da es sich längst rumgesprochen hat, dass ich vor 11 Jahren mein Börsianerleben beendet habe, kann ich nun auch erzählen, dass ich hier meine ersten D-Mark verdient habe. Nicht direkt, es gab noch diese Telefone mit Wählscheibe. Ich kann schnell wählen, jedenfalls schneller als die Nord LB, deren neues Gebäude wir gerade passiert haben.

Der Hauptbahnhof (1879) wird gerade renoviert. Erinnerungen tauchen auf, wie ich auf dem Weg zur Kaserne vor der Reiterstatue des König Ernst-August jedes Mal  meine Mettbrötchen und Biere verdrückt hatte.  Ein Börsianer beim Wehrdienst, die Story endete mit einem Handschlag vom Manfred W. und einer Degradierung zum Gefreiten.

Ganz unten, unterhalb des HBF´s und unterhalb  der jetzigen U-Bahnebene, gibt es den vergessenen Geisterbahnhof. Wer ihn besuchen will: Unmöglich! Tipp: Es gibt eine Stelle mit extrem kalten Luftzug, dort steht mit Edding ein „J.K.“ Viel Spaß! An den Rändern liegt viel Schutt, ansonsten ist der Geisterbahnhof marathongeeignet!

Km 17 die Eilenriede. Steffi hatte dort im Februar den ersten gleichnamigen Marathon veranstaltet

Steffi ist die erste Citymarathon-Organisatorin, die ein Herz für Vielläufer und Sammler hat. Endlich haben die ein Zuhause.

Bei km 18 kommen wir beim Zoo vorbei, ich hatte in o.g. Bericht ausführlich über die sehr interessante Eilenriede berichtet, und wundere mich jetzt, bekannte Stellen in unbekannter Reihenfolge wiederzufinden. Christian hatte damals den Altbundeskanzler (Kenner wissen, wer gemeint ist) getroffen, der hier in der angrenzenden Straße wohnt. Er wurde bei seinem Spaziergang von einem Kleinhund gezogen: „ Bring mir mal ne Flasche Bier, sonst streike ich hier!“

Ab jetzt begegnen wir öfters den Halbmarathonläufern. Nicht wirklich, nur annähernd.  Eine Streckenführung, die mich begeistert: Wir nutzen die Vielzahl der Kurzstreckler und deren Zuschauer und aufgeregte, proseccodurstige Verwandschaft. Wir haben aber eine eigene Gasse, in der wir Langstreckler die Ehrfurcht der wissenden, biertrinkenden  Hannoveraner exklusiv genießen können.

Km 32 Lutherkirche. Leute sitzen in der Sonne beim Brunch und versauen sich mit Sekt und Lachshäppchen den Sonntag. Nicht, dass ich etwas gegen diese Ernährungsweise hätte, aber sie endet regelmäßig in sonntäglicher  Apathie um 20:15 beim Tatort.

Km 34, das Welfenschloss. Natürlich kennen wir den Prinz August, der bei der Weltausstellung mal gegen den türkischen Pavillon pinkelte. Ich müsste auch, finde  aber leider hier in dem lichten Parkgelände weder eine geeignete Stelle, noch einen Pavillon.  Jetzt rauschen auch noch einige Notarztwagen staubaufwirbelnd vorbei, um die Wärmeopfer zu versorgen.

Der Schirmschläger Prinz August ist  ja wirklich arm dran. Er brauchte die  Genehmigung der  Queen, um Caroline heiraten zu können. Schon immer frage ich mich, wie vor der Erfindung der Pille ganze Familien aussterben konnten. Bei den Engländern, speziell den Stuarts, lief im 18.Jahrhundert unter der verlausten Perrücke jedenfalls nichts mehr, sodass irgendwie der Sohn oder Enkel, ist ja auch egal, jedenfalls der Gemahl der Pfälzerin  Sophie,  König von England wurde.

Jetzt ist im Welfenschloss die Uni untergebracht und der Hörsaal B 305 ist zum Trauzimmer geworden: „Heiraten, wo alles anfing“, so steht es in der Alumni-Seite der Uni Hannover. Dabei wünscht sich nun so mancher Marathonläufer, dass es bald aufhört, denn bis hoch zum Schloss Herrenhausen (km 36) geht es ewig weit durch die pralle Frühlingssonne, die aber auch so manches anderes Pralle auf der Liegewiese zum Blitzen bringt, weswegen ich mir am Schlosseingang Zeit für ein Eis nehme und die Aussicht auf herrliche Natur genieße.

Km 38. Das Wilhelm Busch-Museum ist in einem Gebäude der Herrenhausen Gärten, dem Georgenpalast, untergebracht, was mich nur beiläufig (ziemlich passend)  interessiert, denn Kairi bietet mit ein Herrenhäuser Bier an. Das Bier wird von der Familie Schulz-Hausbrandt hergestellt. Nomen est Omen und Kairi heißt mit Nachname Lee, was  Pflaume bedeutet. Na denn Prost!

Die letzten Kilometer sind ein Genuss. Es gibt reichlich Getränke und Gegrilltes von den wenigen Überlebenden, denn die meisten  liegen nach diesem aufregenden Vormittag auf der Matratze und schlafen ihren Rausch aus: „Doch die Käfer, kritze kratze! Kommen schnell aus der Matratze“ Ich lach mich schief, in der Erinnerung an das Bild von Wilhelm Busch mit den  Maikäfern, die in einer Reihe dem Onkel über die Nase laufen: „Schon fasst einer, der voran, Onkel Fritzens Nase an“

Km 40 - Die Skulpturengruppe „Nanas“ (1974) der französischen Künstlerin Niki de Saint Phalle. Während ihr Nachname eindeutig scheint, ist der französische Begriff vieldeutig und bezeichnet die erotische, hemmungslose Weiblichkeit. Die Figuren bestehen aus Polyester, dem Material, das man für den Bootsbau verwendet. Das jahrelange Einatmen der Dämpfe bei der Herstellung verätzten die  Atemwege der Künstlerin, sie starb 2002.

Es sind noch ewig weite zwei Kilometer, vorbei  am Leineschloss, dem Sitz des Niedersächsischen Landtages und dann hinein in die Fußgängerzone,  wo mir eine kleine Blonde vom Erdinger im Salto aus den gestreckten Armen ihres Kollegen vor die Füße springt und so sehr lacht, dass mir die Kamera aus der Hand fällt.

Es gibt Schlimmeres. Dann laufe ich grinsend vor dem neuen Gebäude der NordLB in die Zielgerade ein. Der Zieleinlauf in Hannover gehört zu den Schönsten, denn ewig lang stehen die Zuschauer in mehreren Reihen Spalier.

Ich habe mich seit dem  letzten Filetsteak vom Grill noch an Martin, den 5 Std-Pacer vorgearbeitet, merke aber, dass mich die Knoblauchsoße grüßt. Bei den 10 km-Läufern (1:04 Zielzeit) links von mir grüßen nicht nur die Zuschauer. Jedenfalls gibt es ein Dominoeffekt von Begrüßungen, was gerade hier auf der 42-km-Matte nicht sehr appetitlich ist, mich aber zum Lachen bringt.

Ich lache nicht über die Läufer, ich lache, weil ich mich an so manches  eigenes Geröhre erinnere. So schleppe ich heute lachend eine Ferse und  eine taumelnde Engländerin  über die Ziellinie. Am liebsten würde ich beide bei den Sanitätern abgegeben, doch alle wehren sich.

Die Party beginnt gleich hinter der Ziellinie. Wir warten auf Christian und seine Eskorte. Eine breite Gasse aus gelben artiva-shirts tut sich auf und Christian läuft unter dem Jubel der Zuschauer über die Ziellinie, durchbricht das 2000ter Zielbanner. Er hat es geschafft. Die 2000 ist Nebensache. Er hat es geschafft, all seine Freunde zu versammeln. Er hat es geschafft, eine einmalige Marathonparty zu veranstalten. Er hat es geschafft, dass man sich in den Armen liegt, Küsschen gibt und den Tränen freien Lauf lässt.

Du kannst Läufe in den endlegensten Gebieten der Erde absolvieren, Runnershighs haben, wo und wie du willst. Das Schönste aber im Läuferleben ist, wenn du mit deinen engsten Freunden gemeinsam über die Ziellinie läufst, wenn deine Freunde fünfeinhalb Stunden nur für dich da sind, nur Wasser und Cola trinken, nur Melonen und Bananen essen, nicht lästern, nicht meckern, sich für dich die Kimme und die Brustwarzen wundreiben, sich für dich auf die Fresse legen und blutend weiterlaufen, die Dixi-Klos verstopfen und den Wegesrand garnieren, gemeinsam leiden und Freude teilen!


„Christian, Kocham Cie“

 

So steht es auf einem sexy „Polska“-Röckchen. Es gehört Katarzyna Szlachetka, der Tochter von Christians großer Liebe, die 2005 verstorben ist.

Um jetzt wieder Stimmung zu machen, erwähne ich Mario, unseren langhaarigen, neuen Schreiberling, der im Zieleinlauf nicht nur eine Melone im Arm hält.

Ein lieber Gruß geht an Christian, der uns dieses Event ermöglicht hat, an die Swiss-life-select, einer der großen Sponsoren bei den Handbikern und Skatern, zweite in der Marathonstaffel (2:28), Gruß an  Christina, Andreas, Mario, Moni und Carsten, die Klasse 7 b der Mädchenschule und die geduldige Security und an alle anderen, die mich jetzt nicht mehr vergessen können.

Ausdrücklich danken möchte ich Steffi, die uns Vielläufern eine dringend benötigte Heimat gegeben hat. Wir bleiben Dir treu!

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Informationen: ADAC Marathon Hannover
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