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Rainer Eppelmann: „Nicht irgendwelche 100 Meilen!“

31.01.11
Quelle: Pressemitteilung

Der Schirmherr der 100MeilenBerlin, der ehemalige DDR-Bürgerrechtler Rainer Eppelmann, hat sich in einem Interview zu den Gründen seines Engagements für diese Veranstaltung auf dem Berliner Mauerweg geäußert.

„Das sind nicht irgendwelche x-beliebigen 100 Meilen. Die Laufstrecke befindet sich auf einem Gelände, das Geschichte gemacht hat“, erklärte Eppelmann, der selbst den Mauerbau vor 50 Jahren hautnah miterlebt hat. Eppelmann weiter: „Es wird gelaufen zur Erinnerung und zur Mahnung, dass dies nie wieder passieren kann. Und das ist ein Anliegen, dass ich massiv unterstütze!“

Wichtig sei ihm besonders die Erinnerung. Hier seien vor allem die Zeitzeugen aufgerufen, das Vergangene der jungen Generation zu vermitteln, so Eppelmann. „Wir, die wir Diktatur und Demokratie erlebt haben, wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern,  den danach Geborenen dabei behilflich sind, zu begreifen, dass Demokratie im Vergleich zur Diktatur etwas ungeheuer Kostbares ist und dass es gilt, das zu bewahren, zu verbessern, notfalls auch zu verteidigen“, sagte Eppelmann.

Zum Laufen selbst hat der Schirmherr der 100MeilenBerlin ein eher gespaltenes Verhältnis. Oder mit seinen eigenen Worten:
„Vor dem Hintergrund meiner eigenen Neigung finde ich das fast bescheuert. (...)  Aber ich bewundere diejenigen, die laufen!“


Das Interview mit dem Schirmherrn der 100MeilenBerlin, Herrn Rainer Eppelmann

 

Herr Epppelmann, wieso unterstützen Sie die Laufveranstaltung 100MeilenBerlin?

Weil das nicht irgendwelche x-beliebigen 100 Meilen sind. Die Laufstrecke befindet sich auf einem Gelände, das Geschichte gemacht hat und massiv eingegriffen hat in das Leben von Millionen von Deutschen. Das bedeutet, die Strecke ist dort, wo die Deutschen beziehungsweise die Berliner geteilt worden sind. Auf der einen Seite war Demokratie und auf der anderen Seite Diktatur, getrennt durch den so genannten antifaschistischen Schutzwall, die Mauer. Es wird gelaufen zur Erinnerung und zur  Mahnung, dass dies nie wieder passieren kann. Und das ist ein Anliegen, das ich  massiv unterstütze. Denn es gibt kein anderes traumatisches Erlebnis, keine andere ungeheuer prägende Erfahrung, die die Deutschen zwischen 1960 und 1990 gemacht haben, wie dieser Mauerbau und seine Folgen.

Sie waren zum Zeitpunkt des Mauerbaus 18 Jahre alt. Welche Erinnerungen verbinden Sie ganz konkret mit den Geschehnissen im August 1961?

Ich kann mich noch sehr genau daran erinnern: in den Tagen des 13. August 1961 befand ich mich auf einer Jugendrüste der Evangelischen Kirche im Harz und hörte von den Ereignissen frühmorgens im Radio. Ich begann aber erst in den darauffolgenden Stunden, vielleicht sogar erst in der darauffolgenden Woche nach der Rückkehr in Berlin zu begreifen, was das bedeutete! Wir lebten in Ost-Berlin als Familie, mein Vater aber arbeitete im Westen der Stadt. Er blieb nach dem 13. August im Westen, Mutter mit uns vier Kindern war im Osten. Ich selber ging mit einer meiner Schwestern in West-Berlin auf ein Gymnasium, das extra eingerichtet worden war für Ost-Berliner Schülerinnen und Schüler, die aus religiösen oder politischen Gründen oder weil ihre Eltern den falschen Beruf hatten, z.B. Akademiker waren, nicht im Osten das Abitur machen durften. Deshalb schickten uns unsere Eltern nach West-Berlin auf eine Schule. Eigentlich wollte ich später Architektur studieren, aber das war mit dem 13. August alles zu Ende! Der Vater war weg, Familie getrennt, der Schulbesuch war zu Ende, kein Abitur, Studium unmöglich, und ich saß da...! Ich wurde dann ein Jahr dazu verdonnert, Dachdecker-Hilfsarbeiter zu sein. Wenigstens war man so gnädig und ließ mich den Beruf des Maurers lernen. Es war also ein massiver Eingriff in mein ganz persönliches und familiäres Leben gewesen.

Der Mauerbau war mit dem 13. August nicht abgeschlossen, er zog sich einige Zeit hin. Gab es Ereignisse in der Zeit unmittelbar nach dem 13. August, an die  Sie besonders zurückdenken?

Ich weiss den Tag nicht mehr ganz genau, aber ich weiss, dass es knapp 14 Tage nach dem Bau der Mauer war, dass der erste Mensch bei dem Versuch erschossen wurde, diese Mauer zu überwinden. Jetzt war klar: die machen ernst, die schießen tatsächlich auf Menschen, die keinen anderen Wunsch haben, als in den anderen Teil Deutschlands zu kommen. Möglicherweise zu ihren Freunden oder zu ihren Familienangehörigen. Ich habe das getan, was andere auch getan haben: ich habe versucht, einen West-Berliner Ausweis zu bekommen, denn in den ersten Tagen nach dem 13. August konnten Berliner aus dem Westen noch nach Ost-Berlin reisen und wieder ausreisen. Und da ist so mancher DDR-Bürger, bei dem das geklappt hat, als scheinbar West-Berliner ausgereist und nicht mehr wiedergekommen. Wir begannen sehr schnell zu begreifen, dass dies, was da an der Grenze passierte, ernst gemeint war. (…)  Wir wissen heute, dass die, die an der Grenze standen am 13. August, keine scharf geladenen Schusswaffen gehabt haben. Da hätte man entweder festgehalten werden müssen oder man hätte die Chance gehabt, rüberzukommen. Und erst nachdem Ulbricht, Honecker und Chruschtschow merkten, dass der Westen nicht auf den Mauerbau reagiert, erst da bekamen die Männer an der Grenze Waffen mit scharfer Munition. 

Wie wichtig ist für Sie Erinnerung und wie sollte diese künftig aussehen?

Das ist für mich eine der zentralen Aufgaben der Zeitzeugen. Jüngste Untersuchungen und Befragungen bei 16- bis 19jährigen Gymnasiasten zeigen, dass mindestens ein Fünftel praktisch nur sehr ungenaue oder fast gar keine Vorstellungen von dem haben, was deutsche Nachkriegsgeschichte ausmacht. Was so weit geht, dass ein Drittel der jungen Leute auf die Frage, was der wichtigste Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie ist, keine Antwort haben. Das bedeutet: die Schicksalsfrage von uns Deutschen in den letzten hundert Jahren ist nach meiner tiefen Überzeugung die Frage gewesen, Diktatur oder Demokratie. Und es wäre fürchterlich, wenn wir heute – geachtet in Europa und in der Welt als Rechtsstaat und Demokratie – wieder in Zeiten zurückfallen würden, die wir hoffentlich für immer überstanden haben. Tatsache ist, dass die, die heute unter 20 Jahre alt sind, ausschließlich in einer Demokratie gelebt haben, die Demokratie dann natürlich nicht nur mit ihren Sonnen-, sondern auch mit ihren Schattenseiten sehen. Und dass da eben auch Fehler gemacht werden, dass es Ungerechtigkeiten gibt, dass es Dinge gibt, die einen ungeheuer ärgern neben all den Chancen und Möglichkeiten, die Demokratie im Unterschied zur Diktatur bietet. Und dass dies alltäglich ist, scheinbar völlig normal. Wir, die wir Diktatur und Demokratie erlebt haben, wir müssen unseren Kindern und Enkelkindern,  den danach Geborenen dabei behilflich sind, zu begreifen, dass Demokratie im Vergleich zur Diktatur etwas ungeheuer Kostbares ist und dass es gilt, das zu bewahren, zu verbessern, notfalls auch zu verteidigen.

Welche Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie über 20 Jahre nach dem Fall der Mauer, beispielsweise die Bernauer Straße überqueren?

Auch jetzt noch empfinde ich es als Glück, dass ich da jetzt rüber kann. Und dass da keiner mehr steht, der irgendwelche Personaldokumente von mir sehen will, dass ich kein Herzklopfen kriege, wenn ich von einer Seite der Bernauer Straße auf die andere Seite rübergehe, sondern das Gott sei dank als etwas völlig Normales ansehen kann. Und von daher ist all das, was im Herbst 1989 in der DDR passierte und dann auch noch auf eine friedliche Art und Weise, für mich ein unglaublicher Glücksfall. Und trotz der Probleme, die wir heute auch haben, bin ich sehr dankbar dafür, dass ich in der Demokratie leben kann. Lassen Sie mich das mit einem Bild sagen: als die DDR aufhörte zu existieren, bin ich 46 Jahre alt gewesen. Und darum wünsche ich mir für mich ganz persönlich, dass ich bei klarem Kopf wenigstens 93 Jahre alt werde. Wenn Sie fragen warum? Ich hätte dann ein Jahr länger in der Demokratie gelebt als in der Diktatur...

Zum Schluss noch eine Frage vor dem Hintergrund der 100MeilenBerlin: Welchen Bezug haben Sie zum Laufsport?

Lassen Sie mich das als Berliner sagen: vor dem Hintergrund meiner eigenen Neigung finde ich das fast bescheuert. Im Schulunterricht bin ich auch gerannt, nicht schnell, aber 100 oder 400 Meter – das hab´ ich mir noch gefallen lassen. Aber schon 1.000 Meter sind für mich etwas Quälendes gewesen. Ich bin lieber anderthalb oder zwei Stunden dem Ball hinterhergerannt, Handball oder Fußball – das hab´ ich gerne gemacht. Aber immer bloß rennen und dann merken, wie die Luft knapp wird, das fand ich schon immer schlecht, sodass ich auch heute nicht auf den Laufgedanken komme. Meine Frau läuft und ich fahre genussvoll mit dem Fahrrad hinterher. Und muss mir dann das Lächeln der Leute gefallen lassen, die sagen „na, meine Güte, wat iss´n dat für´n Typ?“. Aber ich bewundere diejenigen, die laufen. Das Laufen ist inzwischen zu einer Massenbewegung geworden und deshalb bin ich Ihnen ungeheuer dankbar dafür, dass Sie auf den Gedanken gekommen sind, gerade diesen Lauf zu veranstalten. Als ein Lauf der Erinnerung und als eine Chance, für Jugendliche, die sich nicht gleich für Geschichte interessieren, dafür aber vielleicht für eine sportliche Herausforderung. Und die sich dann fragen: warum laufen die denn gerade da auf dem Mauerweg? 

Die Fragen stellte Alexander von Uleniecki, Vorsitzender des ausrichtenden Vereins, der LG Mauerweg e.V. Berlin.

 

Informationen: 100 Meilen Berlin (Mauerweglauf)
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