Ich bin Läufer und kein Fußballer, aber als in Nürnberg eine Gruppe junger Club-Fans in unseren Zug einsteigt, beschäftige ich mich gezwungenermaßen mit der 2. Liga und vielen kleinen Flaschen Astra-Bier. Warum Astra? Das gehört doch nach St. Pauli? Egal, es wird schnell klar, dass wir diese Herren bis Düsseldorf aushalten müssen, wo ein wichtiges Spiel des 1. FCN gegen die dort ansässige Fortuna ansteht. 2013, bei unserer ersten Teilnahme am Düsseldorf Marathon, war nach einem Jahr „Erstklassigkeit“ der erneute Abstieg der Fortuna gerade besiegelt.
Auch in unserem Hotel warten schon viele auswärtige Fans. Ich bitte um ein ruhiges Zimmer, da das Spiel erst um 20:30 Uhr angepfiffen wird und wir ja am nächsten Tag früh raus müssen. Die Dame an der Rezeption ist auch Läuferin und gibt uns ein Upgrade für ein Zimmer ganz weit am Ende des Ganges. Vielen Dank.
Düsseldorf, Hauptstadt des bevölkerungsreichsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen, knapp 600.000 Einwohner, am Rhein gelegen. So als Info für alle Besucher, die fernab wohnen und noch nie da waren.
Wir machen uns auf an den Rhein, bei der U-Bahnstation Tonhalle liegen Kulturforum, Kunstpalast und auch die Rheinterrasse, eine Veranstaltungshalle aus den 1920er Jahren. Dort kommen wir schnell an unsere Startnummer, samt großem Kleidersack mit einigen Pröbchen, darunter auch Parfüm. Auf dass wir alle gut riechen. In der Halle dann eine Marathonmesse; auf der Tribüne wird gerade Erik Hille interviewt, der als Anwärter auf einen der vorderen Plätze gehandelt wird.
Wir suchen uns noch ein nettes Lokal in der Altstadt, ganz ohne Fußballer und JungesellInnenabschiedsgrüppchen, und gehen dann recht früh ins Hotel. Die Nacht bleibt bis auf einiges Geschrei im Flur ruhig, wenngleich es die Nürnberg-Fans geärgert haben dürfte, dass Düsseldorf im Verlauf der Partie den deutlichen 0:3-Rückstand gegenüber „ihrem“ Club noch ausgleichen konnte.
Der Start ist auf 9:30 Uhr festgelegt. Also gemütlich aufstehen, alles noch mal durchchecken und dann per U-Bahn ins Zentrum. Wir durchqueren die Party-Zone in der Düsseldorfer Altstadt. Da muss ja gestern was los gewesen sein, so, wie es hier aussieht. Die Herren im Dienste der Abfallwirschaft sind zu Dutzenden unterwegs.
Am Burgplatz am Rhein, im Nachzielbereich des Marathons, ist schon viel los, aber alles geht ohne Wartezeit voran. Viele freundliche Helferinnen nehmen unser Gepäck in Empfang. Die Sonne wärmt schon angenehm. Dann geht es einige hundert Meter rheinabwärts. Am Ende des Startkorridors gleich hinter der Oberkasseler Brücke treffen wir auf eine Gruppe Fußballfans. Wenigstens interpretiere ich die roten Rauchschwaden so.
Wir stellen uns erst mal bei den Toilettenhäuschen an. Viele WCs wurden entlang des Startbereichs postiert. Finde ich sehr gut für den Fall, dass man kurzfristig noch mal „muss“. Judith und ich sind im pinkfarbenen Bereich eingeteilt, also ganz hinten. Eine Kontrolle gibt es nicht, außerdem ist viel Platz, sodass wir noch einige Pacer weiter vorne besuchen können. Kurz vor dem Start um 9:30 Uhr dann wieder zurück nach hinten. Die Entscheidung für leichte Kleidung war auf jeden Fall richtig.
Der Sprecher stellt noch kurz die Favoriten vor, dann fällt pünktlich der Startschuss. Es gibt zwei Startbögen kurz hintereinander. Ich hatte den Sprecher so verstanden, dass einer für uns ist, weiß aber leider nicht welcher. Wie alle anderen starte ich beim ersten Bogen meine Uhr. Die breite Straße lässt sehr viel Raum, Gedränge spüren wir keines.
Die Strecke wird spannend und richtig super für einen Stadtmarathon. Im Jahr 1924 gab es in Düsseldorf bereits eine Marathonmeisterschaft. Der für längere Zeit letzte Marathon fand dann 1961statt. Anlässlich der geplanten Bewerbung mehrerer deutscher Städte für die Olympischen Spiele 2012 traf sich um die Jahrtausendwende der 2008 verstorbene Oberbürgermeister Joachim Erwin mit dem Langlauf-Enthusiasten Jan Winschermann, um die Möglichkeiten zu besprechen, den Düsseldorfer Marathon wieder aufleben zu lassen. Winschermann skizzierte einen Streckenverlauf am Rhein entlang Richtung Kaiserswerth. Worauf ihm Erwin laut Westdeutscher Zeitung einen Strich durch die Rechnung machte: „Wenn wir schon so etwas veranstalten, dann legen wir den Verkehr in Düsseldorf so richtig lahm. Sonst merkt keiner, dass in Düsseldorf ein Marathonlauf stattfindet.“
Der Oberbürgermeister holte einen Plan hervor und zeichnete den möglichen Streckenverlauf ein, der fast das gesamte Stadtgebiet umfasste. Gesagt, getan, sodass es ab 2003 wieder einen Marathon in Düsseldorf gab. Joachim Erwin war auch dabei, wir erst 2013. Nach einer sechsjährigen Pause erlebt das Event in diesem Jahr erneut ein Revival, auf ähnlichem Kurs.
Wir bleiben auf der Rheinparallele. Links sehen wir auf der anderen Rheinseite Hochhäuser, an denen wir nach fast 10 Kilometern vorbeilaufen werden. Rechts eine schöne Häuserzeile, aus der wir oft angefeuert werden. Sicher nett, hier zu wohnen. Bis mir einfällt, dass zwischen den Balkonen und dem Park am Rhein die normalerweise stark befahrene B1 verläuft. Heute ist wahrscheinlich der einzige Tag ohne Autoverkehr und die vielen Zuschauenden scheinen es zu genießen.
Wir werden auf die beiden linken Spuren geleitet. Hier geht es in einigen Kilometern zurück und kurz darauf kommen uns auch die Führenden entgegen. Bevor wir die erstplatzierte Frau sehen, trennen sich die Wege wieder.
Am Messegelände verlassen wir den Rhein und als ich einem Mann zurufe, er sei der erste Zuschauer seit mehreren Hundert Metern, kommt zurück: „Das wird sich bald ändern und bis zum Ziel so bleiben“. Wie recht er haben wird. Unsere Schleife führt uns auf die Kaiserwerther Straße. Interessanterweise mit mittelgroßem Kopfsteinpflaster, aber recht ordentlich in Schuss, sodass ich ohne Sturzgefahr nach den grünen Sittichen Ausschau halten kann, die mit lautem Gekreische auf sich aufmerksam machen.
Viel Anfeuerung hier in Stockum vor einem Kiosk mit großer Europa- und Deutschlandflagge. Das gefällt mir als erklärtem Europa-Fan, der heute allerdings mit bayerischer Fahne unterwegs ist.
Zurück auf der Cecilienallee am Rhein und dann bald links auf eine große Schleife durch Pempelfort und Derendorf . Das macht richtig Spaß mit den unzähligen Zuschauenden am Straßenrand. Viele meist kleine Hände, die abgeklatscht werden wollen, und unzählige „Tap here for power“- Schilder. Noch brauche ich die nicht, es läuft auch so.
Am Hofgarten halten wir auf das Dreischeiben-Hochhaus aus dem Jahr1960 zu, das mit dem Schauspielhaus ein schönes Ensemble bildet. Es wurde von ThyssenKrupp in Stahlskelettbauweise erstellt und gilt als ein Symbol für das Nachkriegs-Wirtschaftswunder in Deutschland. Wir sehen das Ratinger Tor, eines der Stadttore der ursprünglichen Stadt Düsseldorf, das heute allerdings nicht mehr in der mittelalterlichen Version existiert, sondern in Form zweier tempelartiger Bauten im klassizistischen Stil aus dem frühen 19. Jahrhundert.
Fotostopp, dann zügig auf die Oberkasseler Brücke. Die um 10:15 Uhr startenden Viererstaffeln werden ihre Wechselstellen immer in der Nähe des Start-/Zielbereichs haben. Hier überholt uns die Spitze des Felds. Bis ins Ziel werden uns die mit „Staffel“ markierten Laufenden überholen, dank der breiten Straßen ohne große Beeinträchtigung. Die Oberkasseler Brücke führt uns dann über den großen Strom. Der Blick auf die Läuferschar auf der Luegallee ist schon begeisternd und dank der Musikbeschallung noch eindrucksvoller. Die Straße bringt uns und den entgegenkommenden Läuferinnen und Läufern über einen Kilometer Partystimmung. Unglaublich.
Mich als Straßenbahnfan freuen die vielen Stadtbahnen, die hier trotz des Marathons verkehren können. Nagelneue Wagen sind zu sehen und die berühmten B-Wagen, die schon viele Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Warum gerade so ein „Urgestein“ für modernstes Glasfaser-Internet wirbt? Und jetzt fällt mir ein, welchen Slogan ich mir an mein Trikot hätte heften können: „Letzte Chance auf einen Marathon als 59jähriger“. 2013 fiel der Düsseldorf Marathon exakt auf meinen Geburtstag, diesmal sind wir einen Tag früher dran.
Etwa ruhiger dann in Richtung Hochhausgebiet. Wir sind nun in Niederkassel. Vor einem Pflegeheim beobachten Seniorinnen und Senioren das Geschehen. Da denke ich immer an meine Mutter, die so ähnlich in München immer auf mich gewartet hat.
Die Säulenreihe der aufgeständerten B7 fasziniert mich. Dann zur Abwechslung viele Bürohäuser, aufgelockert wieder mal mit einem großen Verpflegungspunkt, wie es ihn alle 5 km gibt. Wasser, Iso- und/oder Magnesiumgetränk, später Cola, Bananen, Energieriegel und gegen Ende auch mehrmals Tüten mit Gel stehen bereit und werden von unzähligen Händen angereicht. Dazwischen Wasserstellen. Die kann man bei den steigenden Temperaturen auch gut gebrauchen. Also alles perfekt. Bergab zum Rhein und unter der Theodor-Heuss-Brücke hindurch.
Am Rhein entlang. Rechts eine wohl sehr gute Wohngegend. Bei einigen Neubauten schützen hohe dunkle Mauern die Privatsphäre. Von anderen Anwesen werden wir angefeuert. Nach einer leichten Biegung haben die Bewohner einen schönen Blick auf die Altstadtkulisse. Wir sehen dort auch den Zielbereich, wo vermutlich gerade die Halbmarathonis gefeiert werden. Bei der Jugendherberge zurück in die Oberkasseler Partyzone. Halbmarathon-Marke. Hier gibt es Powerade-Flaschen. Der Inhalt ist wohl ein bisschen zu viel für einige, sodass halb gefüllte Flaschen mit farbenfrohem Inhalt den Straßenrand säumen. Zeitnahme gibt es alle 5 Kilometer.
Auf der Oberkasseler Brücke begegnet uns der Besen-Omnibus mit der fröhlichen Aufforderung „Wenn nichts mehr läuft: Besser fahren“. Bei uns läuft´s. Judith macht mich auf die Schafe auf den Rheinwiesen aufmerksam. Also kurz mal für ein Foto auf den Gehweg geklettert. Und dann verabschiede ich mich von Judith, um noch ein paar Minuten gut zu machen. Waren da nicht die 4:45- Pacer knapp vor uns?
Auf der rechten Rheinseite wird es vogelwild: Wir tauchen in die Stadtmitte ein, teilweise mit Gegenverkehr. Auf jeden Fall mit Party. Das Ratinger Tor, dann ein kurzer Kringel über die Königsallee mit viel Grün und vielen schönen und teuren Geschäften. Die majestätischen Gebäude von Banken und Kaufhäusern sind beeindruckend.
Und wieder auf eine Runde durch die Nachbarschaft. Waren wir hier schon mal? Eher nicht, nur an einigen Stellen berühren sich die Strecken. Dort sind auch Menschenmassen, um mehrmals anfeuern zu können. Auch ein recht lebhaftes Grüppchen aus vier jungen Damen feuert mich öfter begeistert an. Natürlich werden auch die Namen gerufen, die recht groß auf der Startnummer stehen. Ich kämpfe und genieße. An der Düssel entlang. Klar gibt es einen Fluss dieses Namens und ein Dorf drumherum. Die Düssel ist knapp 40 km lang und durchfließt auch das Neandertal, bevor sie vierarmig in den Rhein mündet. An einer Kirche sehe ich Graffiti mit blauen Wellen. Wobei die Kirchen sich irgendwie alle ähneln - oder ist es vielleicht immer dieselbe? Das Eisstadion verströmt auch nur Hitze.
Dann ein Stück an der Bahn entlang. Hier hat sich in den letzten 12 Jahren viel getan. An die Neubauten kann ich mich nicht erinnern. Dafür an die leichten Wellen bei den Eisenbahnbrücken.
Am letzten Staffelwechsel kommt mehr Hektik auf. Wobei die Wechselstellen gut getrennt neben der Laufstrecke liegen, was die Sache entzerrt.
„Little Tokyo“ gibt es hier auch, weil sich in Düsseldorf seit Jahrzehnten Vertretungen vieler japanischer Firmen befinden und viele JapanerInnen in dieser Gegend leben. Irgendwie hätte ich deshalb mehr fernöstliches Flair erwartet.
Auf der Zufahrt zur Rheinkniebrücke Stau auf der anderen Seite. Aber keiner hupt. Unter der Brückenauffahrt hindurch, samt lauter Discomusik aus den 1980ern und 1990ern, die es an vielen Stellen gibt. Der Slogan der Veranstaltung, „Run to the Beat“, passt also. Wir kommen nach Bilk, wo die Stimmung noch ausgelassener ist. Eine Dame hält mir ein Schild mit der Aufschrift „Helden“ entgegen. Anscheinend befinden wir uns in einem studentischen Kneipen-Hotspot.
An einer Bar unter vielen Palmen (kein Scherz) drehen wir um. Links hinter den Neubauten der Medienhafen, den wir gestern besucht haben. Dessen architektonisches Highlight, die „tanzenden Häuser“ von Frank O. Gehry aus dem Jahr 1999, entgehen mir leider, denn ich muss nun ziemlich kämpfen.
Den blauen Bogen des im Medienhafen ansässigen Titelsponsors Uniper mit der Aufschrift „Energy in every step“ kennen wir auch vom Oberföhringer Wehr in München, wo wir unsere Trainingsrunden drehen. Früher war dort der Schriftzug „Bayernwerke“ angebracht. Bei km 40 treffen wir auf den Gegenverkehr zwei Kilometer vor uns. Noch eine Schleife an der Kö. In der Mitte wieder der grüne Kö-Graben. Auf der Lichtbrücke ein letztes großes Anfeuern, dann zurück. Sehe ich irgendwo Judith?
Eine Bronzeplastik von Johannes Rau, dem verstorbenen Bundespräsidenten und früheren nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, steht vor der Villa Horion, von 1961 bis 1999 Sitz der Staatskanzlei. Das Kunstwerk wurde 2007 von der Britin Ann Weers-Lacey geschaffen.
Der Kosmetikhersteller L`Oréal sponsert eine mobile Fußgängerbrücke über unsere Laufstrecke. Dann unter dem Jubel vieler Menschen hinunter an den Rhein. Rechts ein Strand ohne Sand, aber mit vielen Leuten. Die letzten 200 Meter auf das Zieltor zu. Wunderbar. Glücklich komme ich an. Hier dann eine erfrischende Regendusche. Meine Uhr sagt mir, dass Judith auch schon im Zieleinlauf ist. Es gibt eine große Medaille in zwei Metallfarben.
Noch schnell ein paar Marathonis ablichten und die Stimmung am Rhein genießen, dann folgt ein vielleicht 200 Meter langer Weg zum Burgplatz. So kommen sich die Laufenden und die Besucher der vielen Restaurants am Rhein nicht in die Quere. Dort endlich ein kühles alkoholfreies Bier und ganz viel andere Verpflegung im großen Zelt. Wir unterhalten uns mit Läufern aus Waldniel, deren rot-schwarzes Hemd mir schon in Paphos auf Zypern aufgefallen war. F
Für uns etwas langsamere Läufer gibt es noch alles reichlich und ohne Warteschlange. Nur an dem Massagezelt muss man etwas Geduld mitbringen. Weiter zu den Duschen. Für die Halbmarathonis und Staffeln gibt es weiter hinten einen zweiten Nachzielbereich. Noch eine Zeitlang genießen wir den schönen Blick auf den Rhein.
Fazit:
Der Neustart der Veranstaltung nach sechs Jahren Pause hat sehr gut geklappt. Auf die Teilnehmenden wartet ein wunderbarer Parcours mit viel Stimmung. Ich bleibe bei meiner Meinung von 2013: Der Düsseldorf Marathon ist einer der ganz großen Marathons in Deutschland. Den sollte man sich nicht entgehen lassen.
Siegerinnen Marathon
1. CHERUTO Leah KEN 2:25:24
2. HOTTENROTT Laura GER 2:26:57
3. DATTKE Miriam GER 2:28:12
Sieger Marathon
1. MEIER Alex USA 2:08:34
2. MUTISO Benson Nzioki KEN 2:08:49
3. LYNCH Peter IRL 2:09:37
Finisher
Marathon 3.277
Staffelmarathon 1.156
Halbmarathon 5.223