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Laufberichte

Flucht nach Innsbruck

25.06.05
Autor: Klaus Duwe

Rollen lassen, Spaß haben, ankommen.

 

Nach gut 4 Stunden Autofahrt bin ich in Innsbruck. Gerade rechtzeitig, um noch einen kleinen Stadtbummel zu machen, der sich in der Tiroler Landeshautstadt immer lohnt. In der Maria-Theresien-Straße wird gerade das Zielgelände eingerichtet. Eine großartige Kulisse: in der einen Richtung die Annasäule und die Triumph-Pforte,  in der anderen das weltberühmte Goldene Dacherl. Dazwischen  kunstvoll restaurierte historische Gebäude mit prachtvollen Erkern gleich im Dutzend.

 

Die Annasäule wurde zum Gedenken an den Abzug der bayerischen Truppen (1703), der für die Innsbrucker das Ende des spanischen Erfolgkrieges bedeutete, errichtet. 1765  wurde die Triumph-Pforte am südlichen Ausgang der Stadt erbaut. Anlass war die Hochzeit zwischen Erzherzog Leopold und der spanischen Prinzessin Maria Ludovica. Ebenfalls einer Eheschließung verdanken die Innsbrucker ihr Wahrzeichen, das Goldene Dacherl. Kaiser Maximilian ließ den Prunkerker um 1500 errichten. 2738 vergoldete Kupferschindeln sollten gleichzeitig die Gerüchte um die kaiserliche Geldnot zerstreuen.

 

Es ist gerade 10.00 Uhr und  schon sehr warm. Die Straßencafès sind bereits gut besucht. Unter die Bevölkerung mischen sich jetzt immer mehr Läuferinnen und Läufer, deutlich zu erkennen an den Finisher-Shirts aus aller Welt und den geschulterten Kleiderbeuteln. In der Sparkassenhalle, nur ein paar Minuten zu Fuß entfernt, gibt es die Startunterlagen. Schnell sind die Formalitäten erledigt. Es gibt keine Marathonmesse, und so ist Zeit für einen weiteren Abstecher in die Stadt.

 

Eine Portion Pasta wäre jetzt recht. Ich habe Glück und lande bei einem Italiener, der hauptsächlich ein Delikatessengeschäft betreibt und in einer kleinen Gaststätte ein paar Spezialitäten zubereitet. Er muss sein Handwerk verstehen. Nur Italiener sitzen an den vier Tischen, die er in einem Laubengang aufgestellt hat. Er kann deutsch, spricht aber grundsätzlich nur italienisch. Ob ich auch „Spaghetti Pomodore“ will? Klar, ist genau das Richtige. Zuvor gibt’s ein paar Pizza-Schnittchen und Oliven. Die Pasta bringt er in einer großen Pfanne und verteilt sie dann vor den Augen seiner Gäste. Sie sind ein Genuss.

 

Um 14.10 Uhr fährt vom Bahnhof, der in fünf Minuten zu Fuß erreicht wird, der Sonderzug nach Matrei (Start Halbmarathon) und Brenner (Start Marathon).  Es ist noch wärmer geworden und im Zug wird es erst erträglich, als er los fährt und der Fahrtwind etwas Kühlung verschafft. Wir haben einen herrlichen Blick auf die Stiftskirche Wilten (erbaut 1665) und sehen dann die Brenner-Bundesstraße, auf der die Strecke des Speed-Marathon verläuft. Die erkennbaren Steigungen überraschen viele, schließlich versprechen sie sich von den durchschnittlich ca. 2 % Gefälle persönliche Bestzeiten. Deshalb sind sie hier. Von etwas Anderem ist nicht die Rede. Weder die herrschende Hitze, noch die vorhergesagten Gewitter sind ein Thema.

 

Kurz von 15.OO Uhr sind wir in Brenner (1370 m). Der ganze Ort wird sofort von den Speedys  bevölkert. Am Brunnen wird sich erfrischt und an den Obstständen noch einmal zur Banane gegriffen. Auf einer Bühne wird zu lauter Musik getanzt und zum Mitmachen animiert. Der Erfolg ist gleich Null. Es ist zu heiß, keiner braucht eine Gymnastik, um sich warm zu machen. Viele Ausländer sind am Start. Man hört fast nur italienisch. Aber auch Trikots aus Südafrika und England sind zu sehen und ein paar Oranjes.

 

Um 16.OO Uhr fällt der Startschuß. Im Gegensatz zum Vorjahr, wo ja am Schluss des Laufes in Innsbruck im Zickzack die Kilometer eingesammelt wurden, laufen wir zunächst eine Wendepunktstrecke 2 Kilometer nach Süden, dort über eine Zeitmatte und sind dann zurück am Startplatz. Jetzt geht es Richtung Innsbruck die Brenner-Bundesstraße hinunter. Bis dahin passiert aber schon Einiges. Die Strecke hat zunächst ein leichtes Gefälle, das heißt in Gegenrichtung eine leichte Steigung. Bei der Hitze ein zusätzlicher Schweißtreiber. Ich schminke mir jetzt schon etwaige Gedanken an eine Zeit unter 4 Stunden ab. Dazu schlägt mir ein Straßenpfosten aus eigener Unachtsamkeit gegen den Oberschenkel, beinahe falle ich hin und dann kriege ich auch noch Seitenstechen. Bis dahin wusste ich gar nicht, was das ist.

 

Also, so gut es geht rollen lassen, Spaß haben, ankommen.

 

Es geht über die Autobahn und dann kommt ungefähr bei Kilometer 6 nach meiner Einschätzung einer der steilsten Abschnitte der Strecke. Das vorgelegte Tempo ist enorm, die Ziele hoch gesteckt. Selten höre ich eine Unterhaltung, spreche ich jemanden an, ist die Antwort kurz und knapp. Die Luft wird gebraucht. Meine Beschwerden sind weg. Und die Hitze stört mich zwar, aber sie behindert mich nicht. Ich bin’s mittlerweile fast gewohnt (Stichworte: Heilbronn, Pisa, Mittelrhein).

 

Hin und wieder schaue ich zum Himmel auf und sehe gefährlich dunkel gefärbte Wolken. Gewitter verziehen sich hin und wieder mal. Vielleicht auch dieses. Wenn eine Wolke die Sonne  verdeckt, wird es gleich viel angenehmer. Die Leute aus den umliegenden Häusern lassen sich das Spektakel nicht entgehen, sie stehen an der Straße und klatschen.

 

Es kommt etwas Wind auf. Dummerweise  kommt er von vorn. Ich spreche einen Läufer darauf an. Es ist ein Einheimischer. Er meint nur: „Sei froh, dass er von vorne kommt. Dreh Dich mal um.“ Ich tu es und sehe jetzt rabenschwarze Wolken. Wenn es so bleibt, wird es in Südtirol bald ein Gewitter geben. 


Bei der Kirche in Gries (1164 m) erreichen wir Kilometer 10 und laufen weiter entlang herrlich grüner Wiesen durch die Steinacher Ortsteile Stafflach und Wolf. Dort nehme ich bei km 14 für das erste Drittel meine Zeit: 1:17:30 Stunden. Hätte ich nicht gedacht.

 

Zwischendrin habe ich ein paar Tropfen abgekommen. Zum Regnen kommt es aber nicht. Ich sehe vor mir Renate laufen. Letzte Woche war sie in Biel und finishte ihre ersten 100er. Heute will sie zum ersten Mal unter 4 Stunden laufen. Ich habe sie schon frischer gesehen und habe meine Zweifel.

 

Bei Kilometer 16 erreichen wir Steinach. Die Stimmung ist fabelhaft, fast wie bei einem City-Marathon. Kinder kreischen und wollen abgeklatscht werden. Unter den Jubel der Menschen mischen sich die ersten Donner. Aber das Gewitter liegt hinter uns, und der Wind kommt von vorn.

 

Trotzdem hält mich nichts. Als wäre ich auf der Flucht, treibt es mich weiter. „Was haben sie Dir ins Getränk getan?“, fragt mich einer.  Außer eins, zwei Staffelläufern überholt mich keiner. Wie lange ich das durchhalte, weiß ich nicht. Es beschäftigt mich auch nicht. Tempotraining hatte ich dieses Jahr so gut wie keines. Erst der viele Schnee im Winter und seit dem Frühjahr laufe ich ja fast jedes Wochenende einen Marathon. Dazwischen mach ich nur langsame Läufe, abwechselnd im Flachen oder in den heimischen Bergen.

 

Die Blitze häufen sich, des donnert und es wird immer dunkler. Ich bin mir immer noch sicher, das Gewitter liegt hinter uns, im schlimmsten Fall über uns, auf keinen Fall vor uns. Dort ist es nämlich noch am Hellsten. Mittlerweile komme ich mir mit meiner Sonnenbrille schon etwas lächerlich vor. Aber ich kann sie nicht abnehmen, weil ich sie als Sehhilfe brauche.

 

Bei Kilometer 20 sehe ich rechts schon den Bahnhof von Matrei (980 m). Wir kommen in den Ort und werden bei der Halbdistanz mit viel Beifall, Jubel und einem gut gelaunten Speaker begrüßt. Dann kommt eine lang gezogene Steigung - für manchen völlig unerwartet. Gleichzeitig beginnt es zu regnen und der Wind wird stärker. Zu allem Übel hat er auch noch gedreht und kommt jetzt von hinten. In Mühlbachl läuten die Kirchenglocken und ich bin mit  all den anderen Speedys mitten drin im schlimmsten Unwetter. Der Himmel hat alle Schleußen geöffnet. Nie würde ich zu Hause die Dusche so aufdrehen, wie es jetzt hier runter macht. Im Nu sind wir von Kopf bis Fuß durchnässt. Ich habe meinem Fotoapparat in eine Plastiktüte gepackt und hoffe, dass er überlebt. Bilder gibt es ab jetzt keine mehr.

 

Wieder laufe ich links entlang  einer Mauer. Diesmal nicht, um Schatten zu finden, sondern um etwas vor dem Wasser und Wind geschützt zu sein. Dummerweise ist dort aber auch die Straße am Tiefsten und damit das Wasser am Höchsten. Ich hab so etwas noch nie erlebt. Zumindest war ich bei solch einem Unwetter noch nie auf der Straße. Manchmal läuft eine dicke braune Brühe zentimeterhoch quer über die Straße. Keine Chance, ich muss durch. Ist doch längst alles egal.

 

Immer wieder Blitz und Donner. Einen Moment überlege ich, ob ich einem Heustadel unterstehen soll. Wozu und wie lange? Und was dann? Nichts da, weiter geht’s. An der nächsten Getränkestelle mitten auf der Straße drei Mädchen, sommerlich leicht bekleidet, ohne jeden Regenschutz. Sie kreischen und lachen und tun ihren „Job“.

 

An einem verlassenen Haus haben drei Radfahrer Unterstand gefunden. „Hopp, hopp, hopp“, rufen sie und klatschen. Es ist dunkel, als hätten  wir schon 22.00 Uhr. Dabei kommt erst Kilometer 28. Das zweite Drittel war ich eine Minute langsamer (der Anstieg bei Matrei) 1:18:30 Stunden. Der Regen lässt etwas nach. Aber noch immer würde man keinen Hund vor die Tür schicken. Links sehe ich schemenhaft die Europabrücke. Es wird etwas steiler und bei Kilometer 34 sind wir auf der Stefansbrücke (707 m). Hier gibt’s volle Verpflegung. Toll, wie die Mädchen und Jungs das bei bester Laune durchziehen.

 

3:56 Stunden ist meine Marathon-Bestmarke, aufgestellt 2003 in Padua. Ich erinnere mich genau: Mein Plan war, die 4 Stunden zu knacken. Aber dann lief alles schief. Auf dem Weg zum Bahnhof habe ich mich verlaufen, es fing an zu regnen und nach dem Start zwickte es mich an tausend Stellen. Erst als ich nicht mehr an Rekorde dachte, war ich locker und es rollte.

 

Heute könnte es wieder so kommen. Noch 8 Kilometer. Auch im letzten Drittel laufe ich immer die 5 ½ Minuten pro Kilometer. Aber die Beine schmerzen. Ich spüre Muskeln, wo ich nie welche vermutet habe. Der Regen lässt weiter nach. Sofort wird es schwül. Fast wünsche ich mir, es solle weiter regnen.

 

Samba-Trommeln sind zu hören. Erst kommt eine Getränkestelle, ich kippe mir 2 Becher Cola rein, dann sehe ich in einem Unterstand die drei Jungs mit den Trommeln. Ich feuere sie an. Gleich werden sie lauter und schneller. Ich auch. So hilft Einer dem Anderen.  Scharfe Rechtskurve, dann geht’s etwas steiler abwärts. Noch immer höre ich die Trommeln. Kilometer 40, wieder eine Getränkestelle und noch eine Cola. Wir sind in Innsbruck. Die Polizei hält den Verkehr an und klatscht uns Beifall. Ein paar Leute auf der Straße feuern uns an. Es tut gut. Und es hilft.

 

Ich bin auf Rekordkurs. Und ich lasse nicht nach. Ich weiß, dass mir alles weh tut, aber ich spüre es nicht. Schon sehe ich die Triumph-Pforte und weiß von meinem Stadtbummel, dass ich gleich im Ziel bin. Erst aber noch die Annasäule, dann auf das Goldene Dacherl zu.Hier stehen jetzt mehr Menschen. Applaus, Jubel und Anfeuerungsrufe schlagen mit entgegen. Der Weg ist doch länger, als ich dachte. Jetzt abbremsen, scharfe Linkskurve und zurück. Der Zielbogen liegt vor mir. Ich weiß. ich schaffe es. Ich breite meine Arme aus und genieße den Applaus. Ich schwebe ins Ziel und stoße einen Schrei aus. Ich hab es geschafft. 3:54:21 Stunden. Nie im Leben werde ich diesen Lauf vergessen.

 

Der Tirol Speed Marathon ist trotz seines Gefälles, oder gerade wegen seines Gefälles nicht leicht zu laufen. Ein Blick auf die Ergebnislisten bestätigt das. Verleiche ich nämlich die Zeiten der 1. Marathonhälfte mit der 2. Marathonhälfte sind da bei sehr vielen  Teilnehmerinnen und Teilnehmern Differenzen von bis zu 30 Minuten und mehr. Das hat nicht nur mit den Witterungsverhältnissen zu tun. Viele unterschätzen die Strecke und bezahlen mit einem Einbruch wie bei jedem anderen Marathon auch.

 

Ich feiere noch bis Mitternacht mit den Innsbruckern das Sonnwendfest. Es ist mächtig was los in der Stadt. Trommler- und Tanzgruppen, Artisten und Feuerschlucker zeigen ihre Kunst. An vielen Getränke- und Imbißständen gibt es Tiroler Spezialitäten. Obwohl es immer mal wieder leicht regnet, ist es nicht kalt. Nur das Feuerwerk muss auch in diesem Jahr leider wieder ausfallen. 

 

Streckenbeschreibung:

Punkt-zu-Punkt-Strecke mit insgesamt ca. 800 m Gefälle auf der Brenner-Bundesstraße von Brenner nach Innsbruck.

 

Rahmenprogramm:

Im Sparkassensaal in der Erlerstraße 16 mit Ausgabe der Startnummer und Gratis-T-Shirt.
Knödelparty am Freitag dieses Jahr im Hilton.


Innsbrucker Bergsonnwend mit großem Stadtfest. Riesenstimmung mit viel Musik. Alleine dieses Fest ist den Besuch von Innsbruck wert.

 

Weitere Veranstaltungen:

Halb-Marathon, Marathon-Staffel

 

Auszeichnung/Starterpaket:

Medaille, T-Shirt, Urkunde im Internet

 

Logistik:

Mit dem Zug von Innsbruck nach Brenner. Startnummer gilt als Fahrausweis.
Zu Fuß von der Stadtmitte bis zum Bahnhof 15 Minuten. In Brenner Gepäckabgabe.

 

Verpflegung:

alle 5 km Getränke (Wasser, Iso), Bananen, Riegel. Am Schluß auch Cola.

 

Zuschauer:

In den Gemeinden gute Stimmung und viele Zuschauer.

 

Informationen: Tirol Speed Marathon
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