Wenn man die Last auf viele Schultern verteilt, läuft es besser. Nach diesem Motto wird in Waldbreitbach im rheinischen Westerwald seit 2009 (einzige Ausnahme 2010) am Tag der Deutschen Einheit jährlich ein Staffelmarathon mit bis zu 7 Läufern pro Team durchgeführt. Der Begriff Einheit passt gleichermaßen für Ausrichter und Teilnehmer, denn die Mannschaftsleistung stärkt in jedem Fall das Zusammengehörigkeitsgefühl. Aber nicht nur Staffeln treten hier an, auch gern gesehene Einzeltäter dürfen die Marathonstrecke bewältigen. Deshalb trete ich zum wiederholten Male hier an, um die Königsdisziplin der Läufer gemeinsam einsam zu bezwingen.
Etwas Besonderes in diesem Jahr stellen die drei Jubiläen des ausrichtenden VfL Waldbreitbach dar. Gegründet im Juli 1969 besteht der Verein heuer seit 50 Jahren und ist damit nur wenige Monate älter als ich. Zudem werden die Hauptlaufveranstaltungen des Vereins, der Malberglauf zum 20. und der Staffelmarathon zum 10. Mal durchgeführt. Da trifft es sich gut, dass ich just am 03.10. auf 20 Marathonjahre zurückblicke, weshalb ich ein weiteres Jubiläum beisteuern kann und den Start auf keinen Fall missen möchte.
Trotz meiner mittlerweile langjährigen Erfahrung aufgeregt wie immer, reise ich bereits am Vortag an, obwohl der Start um 10.00 Uhr durchaus eine Anreise am Renntag ermöglicht hätte. Unser Lauf- und Schreibkollege Daniel Steiner hatte das sogar schon einmal von der Schweiz aus fertiggebracht. Doch durch Baustellen und die unsichere Verkehrslage hätte ich mindestens 3 Stunden gebraucht. Um ausgeschlafen an den Start zu kommen, nutze ich die Möglichkeit, bei meinen Freunden Elke und Wolfgang zu übernachten. So kann ich um 9.00 Uhr gemütlich die wenigen 100 Meter zum Start schlappen. Der Start- und Zielbogen leuchtet mir bereits rot entgegen.
Obwohl hier das Herz der Veranstaltung schlägt, ist es augenblicklich noch sehr ruhig. Das jedoch wird sich nachhaltig ändern. Die gemeldeten 82 Staffeln und damit fast so viele wie bei der Premiere, trudeln nach und nach ein. Viele haben Klappstühle und Pavillons im Gepäck und schaffen sich individuelle Mannschaftsquartiere. So können sich die Staffelläufer zwischendurch immer wieder erholen, da darf man es sich auch mal gemütlich machen. Und sollte Regen kommen, mit dem heute durchaus zu rechnen ist, hat man es wenigstens trocken. Meine Startunterlagen bekomme ich gleich und unverzüglich nebenan im Feuerwehrgerätehaus. Eine Verbesserung, vor allem für die Helferinnen und Helfer, denn im Gegensatz zur Startnummernausgabe früherer Jahre in der nahegelegenen Schule bekommen sie so mehr von der Stimmung des Laufes mit. Mittendrin, statt nur dabei, lautet die Devise.
In diesem Jahr gibt es bei den Einzelläufern einen ganz besonderen Teilnehmer, den ich noch vor dem Start kennenlerne. Vielläufer Nilson Paulo Lima aus Brasilien verleiht dem Lauf wieder einmal internationales Flair. Auf seiner Marathonrundreise durch Europa ist er neben England, Polen und dem Dreiländereck Deutschland/Österreich/Schweiz tatsächlich im beschaulichen Waldbreitbach hängengeblieben. Mir fällt er vor allem durch sein T-Shirt auf, das auf seine Teilnahme am Comrades hinweist. Beeindruckt und etwas neidisch vernehme ich, dass er diesen berühmten Ultramarathon über 89 km bereits siebenmal erfolgreich beendet hat. Keine Kleinigkeit, wenn man bedenkt, dass es dort knallhart zugeht, was Cutoffzeiten und Zeitlimit betrifft. Boston ist er neunmal gelaufen, in den USA hat er Marathons in allen 50 Staaten geschafft und auch schon 52 Marathons in 52 aufeinanderfolgenden Wochen. Da freue ich mich schon über das gemeinsame Foto mit Wolfgang, der bekanntermaßen den VfL Waldbreitbach führt und zu den Urgesteinen von M4Y zählt. Das meiste erfahre ich anschließend aus dem Interview des Moderators Jochen Baumhof. Auch er spricht wie ich kein Portugiesisch, aber der veranstaltende VfL Waldbreitbach stellt in Person seiner Lauftrefflerin Anabela Boosen, gebürtig aus Portugal, die perfekte Dolmetscherin.
So verfliegt die Zeit bis zum Start. Die Ablenkung tut mir gut, denn auch nach 20 Marathonjahren kann ich die Nervosität vor dem Start nicht vollständig ablegen. Kurz vor 10.00 Uhr versammelt sich die Läuferschar, um ihrem liebsten Hobby zu frönen. Pünktlich schicken uns Verbandsgemeindebürgermeister Hans Werner Breithausen und Ortsbürgermeister Martin Lerbs auf die Strecke. Diese ist in Form eines 1.985 m langen Ovals denkbar einfach gestaltet. Zur Vollendung der Marathonstrecke von 21 Runden absolvieren wir auf der ersten Runde eine kleine Zusatzschleife. Ansonsten laufen wir den ersten Kilometer auf einer für den Verkehr gesperrten Straße, um an deren Ende nach einer Kurve auf dem Wieduferweg zurückzulaufen. Nach Umrundung der Deutschherrenschule haben wir wieder das Ziel vor Augen.
Gleich nach dem Start finde ich mich mit der einheimischen Hanne - auch sie läuft hier zum wiederholten Male solo - am Ende des Feldes wieder. Vor mir im Feld leuchten im gelben Dress Wolfgang und sein Lauftreffler Michael. Auch wenn Wolfgang als Veranstalter nicht den kompletten Marathon absolvieren kann, lässt er es sich nicht nehmen, ein paar Runden mitzudrehen. Die ersten Runden führt er dabei Michael, der mittlerweile fast erblindet ist. Für beide ist es der erste Lauf als Guide bzw. Geführter, was sie sehr genießen. Ich bewundere diese Leute, die es trotz Handicap schaffen zu laufen. Auch hier geht es am besten gemeinsam. Während sich das gesamte Feld nach vorne absetzt, schlagen Hanne und ich ein eher gemütliches Tempo an. So gefällt mir das an diesem besonderen Tag, denn vergleichsweise schnell war ich kürzlich erst in Münster, das muss ich nicht immer haben.
Obwohl die erste Gerade noch nicht gemeistert ist, treiben uns schon heiße Sambarhythmen an. Also auch hier schlägt das brasilianische Herz, Nilson strahlt über alle vier Backen. Doch davon lassen wir uns nicht aus der Konzentration bringen, denn die brauchen wir für die zweite Straßenhälfte, die gerade generalsaniert wird. Erst gestern wurden die letzten Löcher verfüllt und ein halbwegs gut zu belaufender Weg geschaffen. Wir liegen mit 6 Minuten für den ersten Kilometer voll im Zeitplan und nach der Wende genießen wir den immer wieder schönen Weg zurück an der Wied. Trocken ist es auch, Läuferherz, was willst du mehr? Vielleicht etwas Einsamkeit, denn noch bevor wir an der Deutschherrenschule wieder drehen, überrunden uns bereits die ersten Staffeln. Denen macht wohl die bereits zweite von drei Trommelgruppen schnelle Beine.
Die kommenden Runden werden wir dann im Pulk untertauchen. Im Start- und Zielbereich geht es sehr wuselig zu. Die Taktiken, den Marathon möglichst schnell zu bewältigen, sind sehr unterschiedlich. Die einen wechseln nach jeder Runde, die anderen erst, nachdem sie ihren geplanten Streckenteil beigesteuert haben. Wer die Wahl hat, hat halt die Qual. Doch nicht nur die Staffeln überholen uns, auch die zwölf Einzelläufer bekommen wir bald und auch oft mehrfach zu Gesicht. Allen voran Eule Frings (der heißt wirklich so), dessen Tempo ich bei meinem schnellsten Marathon nicht hätte mitgehen können. Im zarten Alter von 60 Jahren wird er die Konkurrenz in 3:12 Stunden souverän gewinnen. Bewegung gibt es aber nicht nur in der Läuferschar, auch die Trommler wechseln vermehrt den Standort und sorgen so für weitere Abwechslung. Nur die Musiker unter dem Carport unterhalten uns unermüdlich am Ende der Straße.
Schon bald fallen Hanne und ich auf, wie wir so treu und brav nebeneinander unsere Runden ziehen. Nur auf dem Teilstück an der Wied laufen wir nicht immer nebeneinander, da wir auf diesem schmalen Abschnitt die schnelleren Staffeln nicht behindern wollen. Doch auch diese Anspannung nimmt von Runde zu Runde ab, da sich das Feld immer weiter auseinanderzieht. Dann überholt uns Nilson, Wolfgang im Schlepp, freundlich lächelnd. Es reicht für ein paar Worte, dann ziehen sie davon. Drei Tage vor dem Drei-Länder-Marathon wird Nilson diesen Lauf wirklich locker in wenig mehr als vier Stunden beenden. Am Sonntag wird der Fünfundschzigjährige lediglich 3:42 Std. benötigen, wirklich beeindruckend. Zwei Runden später begleitet Wolfgang auch uns dann noch einmal, wobei ihm unser Tempo deutlich angenehmer ist. Ideal halt für ein Pläuschchen. Überziehen will er auch nicht, steht bei ihm am Sonntag doch der schwere Trailmarathon in Heidelberg an.
Auch wenn wir uns natürlich nicht verlaufen können, sind an der Strecke einige Posten verteilt, welche die einmündenden Fußwege absichern. Auch die haben sichtbar ihre Freude, die meisten von ihnen schwingen Kuhglocken mit vollem Einsatz. Immer wieder werden wir gefragt, wie oft wir denn noch vorbeikommen werden. Leider viel zu viele haben wir auf der zweiten Hälfte das Gefühl. Auch bei langsamem Tempo bleiben die 42,195 km immer gleich lang. Da kommt uns Andre gerade recht, der als Letzter von Wolfgangs Staffel unterwegs ist und nicht abgeneigt scheint, uns die letzten Runden zu begleiten. Inzwischen hat Jochen die Verpflegungsstelle kurz nach dem Ziel übernommen. Als erfahrener Ultraläufer baut er uns immer wieder auf. Hanne will mich nach vorne schicken, aber ich bleibe bei ihr. Denn was hätte ich heute gewonnen, lediglich einige Minuten. Dafür wäre ich aber allein unterwegs und das möchte ich auf keinen Fall, denn mittlerweile beenden die Staffeln nach und nach ihren Marathon. Langsam wird es einsam auf der Strecke.
Die Trommlergruppen lassen es sich nicht nehmen, uns auch jetzt noch anzutreiben. Deren Kondition ist also auch nicht von schlechten Eltern. So können wie auch den Regen leichter ertragen, der uns zweimal den Schweiß abspült. Jetzt könnte Andre langsam mal zu uns stoßen, aber mit jeder Runde schwindet die Hoffnung. Dafür bekommen wir bei jedem Zieldurchlauf warmen Applaus von den verbliebenen Staffelläufern. Parallel läuft bereits die Siegerehrung. So werden wir auch auf unsere finale Runde entlassen. Passenderweise bricht doch tatsächlich die Sonne heraus und scheint nur für uns. Pech für die Schnelleren, denen dieses Vergnügen entgeht. Nur noch einmal um die Deutschherrenschule, dann sind wir sicher und gesund im Ziel, werden begrüßt und abgeklatscht.
Der Lauf zu meinem zwanzigsten Marathongeburtstag war genauso schön, wie ich ihn mir vorgestellt habe. Ausgestattet mit meiner Medaille und dem Jubiläumsglas mache ich mich auf den kurzen Weg zur Dusche. Vorteil meiner Laufzeit: Ich habe sie fast für mich alleine und kann so schnell zum Start-/Zielbereich zurückkehren. Dabei kann man davon kaum noch sprechen, denn mit der freundlichen Unterstützung der Feuerwehr und zahlreichen helfenden Händen ist bereits fast alles abgebaut. Alle halten es für selbstverständlich, mit anzupacken und das ist gut so. Viele Hände, schnelles Ende.
Ich freue mich, dass die Gemeinschaft hier intakt ist und das Zusammenspiel so gut klappt.
Gemeinsam sind wir stark! Das trifft gleichermaßen auf Veranstalter und Läufer zu, der Berichtstitel bringt es auf den Punkt. Und das nicht nur am Tag der deutschen Einheit, sondern heute sogar international. Es ist schade, dass dieser schöne Lauf nicht mehr Einzelläufer anlockt. Wo sonst bekommt man das volle Programm bei zeitgerechter Anmeldung für schlappe zehn Euro inkl. Medaille? Die diesjährige wird wohl nicht meine letzte bleiben.
Startgeld:
Je nach Anmeldezeitpunkt 10, 15 oder 20 €
Auszeichnungen:
Medaille, Urkunde zum Herunterladen
Logistik:
Alles fußläufig innerhalb von 200 m zu erreichen
Zuschauerinteresse
Leider immer noch ausbaufähig
Auszeichnung
Medaille im Ziel, Urkunde sofort oder im Netz, Jubiläumsglas.