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Laufberichte

Standard Chartered Nairobi Marathon

30.10.11

Der Streckenverlauf ist, wie soll ich sagen, nicht unbedingt der Brüller. Es geht zunächst auf einem Rundkurs sternförmig mit mehreren Begegnungsstrecken knapp 10 km nach Norden durch einige große Straßen der Innenstadt, dann auf dem ebenfalls für den Fahrzeugverkehr gesperrten Nairobi-Mombassa-Highway je zweimal 15 km (2 x 7,5 km) auf und ab in Richtung Südosten und zurück, bevor der Zieleinlauf ins Stadion erfolgt. Ich bin überrascht, daß doch einige Weiße mitlaufen, damit hatte ich nicht gerechnet. Die meisten sind junge Leute, offensichtlich Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Über dem Startbogen haben es sich in einem Baum aasfressende Marabus (große Vögel) gemütlich gemacht. Es wirkt so, als warteten sie quasi geierhaft bereits darauf, einige postmarathonale Leichen schnellstmöglich zu entsorgen. Ich freue mich, den Trainer „meiner“ Athleten zu sehen, einige von ihnen starten heute über diverse Distanzen, zwei im Marathon.

Unter einem Konfettiregen erfolgt pünktlich um 7 Uhr der Startschuß. Ich wundere mich immer wieder über mich selbst. Ich, der ich Morgenläufe hasse wie die Pest, nehme das im Rennen ganz locker und bin auch wach. Schon bald geht es eine ordentliche Steigung hinauf, geschätzte 150 Höhenmeter werden insgesamt wohl zusammengekommen sein. Wir streifen den Uhuru-(Freiheits-)Park, eine seltene grüne Oase in der für mich wenig attraktiven Stadt. Die erste Wasserstelle, die übrigens ca. alle 3 km stehen, kommt für mich schon nach einer guten Viertelstunde, man gibt es in geöffneten Drittelliterflaschen aus. Das ist es dann aber auch schon mit der Verpflegung, mehr gibt es nicht. Ich habe zur Sicherheit zwei Gels in meiner Gürteltasche dabei, man ist ja schließlich vorbereitet

Noch bevor ich zum ersten Mal trinken kann, rauscht erstmals der Keniaexpress vorbei, und zwar ortstypisch in Bataillonsstärke, einige Tricycles in halsbrecherischem Tempo dazwischen. Meine Fresse, haben die alle ein Tempo drauf! Nicht, daß Ihr meint, hier ginge es um nichts, weit gefehlt. In allen Kategorien gibt es Preisgelder zu gewinnen. Im Marathon z.B. erhält der Erste 150.000 KES, der Zehnte noch 10.000 KES, und dafür lohnt es sich, die Beine in die Hand zu nehmen. Das ist hier richtig gutes Geld. Nach der ersten Steigung scheint mein Puls in Ordnung zu sein, die Beine sind locker, die neuen 195 g-Schlappen ein Gedicht. Inwieweit sechs Tage ausreichend sind, mich an die ungewohnte Höhe von 1.600 m ü. NN zu gewöhnen, wird sich zeigen. Dazu später mehr.

Noch in der Innenstadt begegnet mir das zahlenmäßig große Feld der Führenden erneut. Ich versuche, mit einigen bedeutenden Gebäuden ein paar nette Fotos einzufangen, ansonsten ist das Bild aus der Sicht eines Germanen doch eher trist. Natürlich ist es für die Hiesigen ungewohnt, daß so ein weißer Depp zwischendurch knipst und dazu auch mal stehenbleibt, aber sie haben ihren Spaß daran und so locke ich den einen oder anderen doch aus der Reserve. Einige km laufe ich mit drei Weißen zusammen, einem Holländer und zwei Aussis. Ich bin froh, ein wenig Ablenkung zu haben und auch mal plaudern zu können. So komme ich sogar an ein Bild, auf dem ich selber zu sehen bin. Dem mitlaufenden Kenianer mache ich deutlich, daß ich heute unbedingt wenigstens einen Schwarzen hinter mir lassen muß und halte ihn kurzzeitig an der Schulter fest. Schön, daß er den Spaß versteht und mitmacht.

Einige durchaus bemerkenswerte Gebäude an den Straßenrändern, so z.B. der Regierungssitz als das höchste der Stadt machen deutlich, daß Stadt und Land zwar aufstrebend sind, sie zeigen aber auch gleichzeitig die extremen Gegensätze, die hier zu verzeichnen sind. Wir passieren eine Tankstelle, die Spritpreise sind für unser Verständnis mit umgerechnet 80 bis 90 Cent niedrig, gemessen an einem kenianischen Einkommen jedoch sehr hoch. Nach knapp 10 gelaufenen km kommen wir wieder am inzwischen etwas verwaist wirkenden Startbereich vorbei, der sich aber schon bald bei der Startaufstellung zum Halbmarathon wieder füllen wird. Bei der Unterquerung eines Fußgängerüberwegs über den Highway amüsieren sich die dort stehenden Schaulustigen über den sie knipsenden Verrückten. Die starken sozialen Gegensätze kann am Straßenrand beobachtet werden: Einerseits finden Umzüge mit von Menschen gezogenen Karren statt, andererseits werden direkt dahinter chromglänzende Karossen feilgeboten.

Wie überall freuen sich auch hier die Unterstützungskräfte an den Verpflegungsstationen, wenn der Läufer sich artig bei ihnen bedankt und ihr freundliches Lächeln für die Weltöffentlichkeit festhält. Der führende Tricyclist überholt mich mit atemberaubender Geschwindigkeit. Ich glaube Joseph gerne, der behauptet, wenn den Spitzenfahrern auch Spitzentechnik zur Verfügung gestellt würde, bestünde kenianische Dominanz auch in diesen Disziplinen. Nur sagenhafte 1:55 Std. benötigt der Erste für die Marathondistanz und gewinnt mit fünf Minuten Vorsprung. Ich merke übrigens schon, daß ich auffalle: Auch die Presse interessiert sich für mich und schießt einige Fotos. Hierzu später noch ein Kuriosum. Die mich in der Folge überholenden 10 km-Läufer kämpfen mit großem Herzen verbissen um die Preisgelder.

Nach etwa 12 km wechseln wir die Straßenseite und können im Folgenden den durch uns verursachten Stau beobachten; die Fahrzeuge müssen sich über irgendwelche Ausweichstrecken quälen. Ein Beweis dafür, wie ähnlich wir doch alle ticken, zeigen zunächst teilnahmslos wirkende Tagelöhner an der Strecke: Spricht man sie an, reagieren sie erfreut und freundlich, insbesondere, wenn der sie Mzungu knipst.

Erstmals erreiche ich den südlichen Wendepunkt und habe damit nach etwa 17 km das erste Viertel des südlichen Streckenabschnitts geschafft. Die Aussicht, das jetzt noch dreimal abspulen zu müssen, weckt allerdings spontan eher weniger Begeisterung bei mir. Aber ich versuche, mich an der Exotik dieses Laufs zu erfreuen, das hilft. Zumindest meistens, die mentale Herausforderung ist schon hoch und wird im weiteren Verlauf mit der wachsenden Erschöpfung noch deutlich zunehmen. Die Halbmarathonmarke nehme ich nach guten 1:53 Std., was bei der Streckenbeschaffenheit durchaus in Ordnung ist, nicht aber in Anbetracht des Laufs in für mich ungewohnter Höhe von 1.600 m. Und dieses deutlich zu hohe Tempo sollte sich im weiteren Verlauf rächen.

 
 

 
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