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Laufberichte

15. Nordseelauf: Ostfrieseninseln deluxe

18.06.16 Special Event
 


NSL 2: „Dornröschen-Lauf“ Baltrum  (10,6 km)

 

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen: Das „Dornröschen der Nordsee“ ist mit 6,5 Quadratkilometern so klein, dass – Achtung, Kalauer! – man „bald rum“ ist, wenn man einmal um die Insel wandert. Und dort sollen wir „nordseelaufen“? Keine Sorge, die 617 Einwohner, die heute von ebenso vielen Nordseeläufern einschließlich Begleitpersonen „überrannt“ werden, sind pfiffig und lassen die Läufer halt einfach zwei Runden à 5,3 Kilometer laufen. Und da die Runde durchaus ihren Reiz hat, stört die Wiederholung keineswegs. Wobei es vorweg an Warnungen nicht fehlt: Denn während es mit weniger als 100 Einwohnern pro Quadratkilometer gar nicht so viele Menschen auf der Insel gibt – deutlich dichter besiedelt sind Norderney, Borkum und Wangerooge –, ist Baltrum bekannt für seine Kaninchenplage. Auf der teilweise grasbewachsenen Laufstrecke ist also mit heimtückischen Kaninchenlöchern zu rechnen, die dann allerdings für den Lauf sehr gut mit roter Sprühkreide markiert sind.

 

 

Weniger erfreulich ist an diesem Tag das Wetter: Es regnet am Morgen ganz grauslich im Fährhafen, und auch aufs Oberdeck der Fähre trauen sich nur wettererprobte Nordseeläufer. Dabei ist die Überfahrt, unmittelbar vorbei an der Ostspitze Norderneys, durchaus interessant, wenngleich kurz. Übrigens könnte man nach Baltrum bei Ebbe auch durch das Watt laufen. Das hätte für uns sogar den Vorteil eines kürzeren Tages. Weil Baltrum nur sehr tideabhängig zu erreichen ist, dauert unser Aufenthalt ausgerechnet auf der kleinsten ostfriesischen Insel elfeinhalb Stunden, und das bei stets stark bewölktem Wetter mit immerhin einigen Regenpausen. Binnen weniger Minuten bin ich mit einer anderen Läuferin vom Fährhafen zum Start und Ziel auf dem Dorfplatz beim Rathaus gewandert, wo noch nichts los ist: Ein Problem der Inselläufe ist, dass das gesamte Equipment für den Lauf – Zeitmessung, Startbogen usw. – immer erst mit dem selben Schiff aufs Eiland gelangt wie die Läufer: Für die Organisation, die aber durchweg perfekt klappt, eine nicht gerade einfache Aufgabe. Mich reizt bei meiner frühen Ankunft am Startplatz eher die daneben liegende Gaststätte, in der es wegen des frühen Aufbruchs – bei mir in Bensersiel gab es so früh noch kein Frühstück – leckere Dinkelbrötchen geben soll. Und in der Tat, diese Brötchen sind köstlich – und für mich als heutigen Tagesersten bei der Frühstücksbestellung rasch serviert!

Danach folgt eine längere Wartezeit: Ich wandere auf den Hügel am Weststrand, wo es sich beim Seezeichen ganz gut aushalten lässt, zumal es nicht mehr regnet. Nur eine kurze Distanz liegt zwischen Baltrum und der Ostspitze von Norderney, doch eine Informationstafel erläutert, dass das Seegatt der „Wichter Ee“ ausgesprochen gefährlich ist: Ab- und auflaufendes Wasser durchströmen es zwischen Watt und Nordsee mit bis zu sieben Stundenkilometern und mit solcher Kraft, dass die Wassertiefe immerhin 17 Meter erreicht! So nah Norderney erscheint, so fern ist es auch, und so unscheinbar das Watt zwischen Festland und Inseln ist, so gefährlich kann es auch sein, wenn man sich nicht damit auskennt.

Der Start des Nordseelaufs bietet wie die spätere „Siegerverehrung“ (Moderator Dominik) ein hübsches Ritual: Vor dem Start schunkeln die Läufer mit erhobenen Händen zum Lied „An der Nordseeküste“ des Gesangsduos „Klaus und Klaus“, übrigens zur Melodie des irischen „The Wild Rover“. Der Refrain wird erst mit Begleitung, dann a capella gesungen: „An der Nordseeküste, klatsch, klatsch, klatsch, klatsch, am plattdeutschen Strand, sind die Fische im Wasser, und selten an Land.“ Mir fällt hierzu bei den Starts immer der Kommentar eines Läufers bei einem früheren Nordseelauf ein, obwohl ich ihn schon vor mindestens drei Jahren gehört habe: „Jetzt stehe ich hier und singe ein Lied, das ich mir sonst freiwillig niemals anhören würde!“ Tja, so ist das halt in der großen Familie der Nordseeläufer ...!

 

 

Auch wenn das Singen entspannen soll, geht es gleich darauf recht flott los: Der Nordseelauf kommt bei der zweiten Etappe auch im hinteren Läuferfeld flott in Gang. Oder liegt es am heute etwas unwirschen Wetter? Der Ort ist so klein, dass er schon kurz darauf bei einem Deichtor verlassen wird: Und dann gibt es selbst bei Regenwetter das schöne Bild eines Sees inmitten grüner Wiesen und dahinter dem Wattenmeer. Und mittendrin die bunte Läuferschlange! Das Bild ist tückisch und hält mich lange auf, denn die richtige Perspektive erfordert fotografisches Gespür. Und so lege ich den nächsten Kilometer – ereignisarm und doch auch wunderschön – flott zurück, um mich vom Ende des Läuferfeldes wieder nach vorne zu pirschen. „Stop & run“ wird zu meinem Nordseelauf-Motto. Meine Laufzeiten sind dadurch zwar miserabel, der Trainingseffekt wird am Ende aber sehr gut sein; schließlich folgt für mich zwei Wochen nach der letzten NSL-Etappe der „Brixen Dolomiten Marathon“ – nach den Horizontalen auf Meeresniveau sozusagen das alpin-vertikale Gegenprogramm.

Die Jugendbildungsstätte Baltrum ist, obwohl einsam an der Südostecke der Insel gelegen, ein toller Hotspot der Zuschauer: Hier ist immer Stimmung. Und die Zuschauer freuen sich schon auf die zweite Runde: „Jetzt sehen sie noch frisch aus – mal sehen, wie sie in der zweiten Runde aussehen!“ Auch wenn das nicht böse gemeint ist, bin ich zuversichtlich. Da es viele Marathonis unter uns gibt und ich zwar derzeit nicht schnell, aber ausdauernd bin, weiß ich: In der zweiten Runde sind wir gut warm und insofern viel fitter als jetzt!

Die Strecke wird gleich darauf noch interessanter, ja für die nächsten gut zwei Kilometer sogar ausgesprochen „trailig“: Der Sandweg ist zwar mit trockenem Gras besser laufbar gemacht, aber in seinen zwei Spuren gleichwohl nicht gerade eben. Und gibt’s außerhalb der Spuren womöglich schon die berüchtigten Kaninchenlöcher? Also Fußbruch bei Überholmanövern? Keine Sorge, Kaninchenlöcher sind hier noch nicht angesagt, stattdessen ein wunderschöner Dünenweg zwischen prachtvoll blühenden Holunderbüschen. Erst kurz vor der 4-Kilometer-Marke geht es auf einem guten Grasweg an einigen gut markierten Stolperfallen vorbei, ehe wir schnell wieder zum Dorfplatz gelangen. Der Start- und Zielbogen markiert die Halbzeitmarke unserer Strecke, die uns auf der zweiten Runde zwar keine neuen Einsichten, aber ein entspanntes Absolvieren der nächsten fünf Kilometer beschert. Mich reizt dabei das Motto des Heidelberger Trailmarathons auf dem Rücken der Läuferin vor mir: Ihr „Herrlich. Höher. Härter“ wandele ich ab in „Herrlich, tiefer, weicher“, was uns beiden gefällt und gut zum Nordseelauf passt – knapp über Null Meter Meereshöhe („tiefer“) und auf heute oft sandigen, „weichen“ Wegen.

Obwohl ich noch einige hübsche Fotos schieße, bin ich auf der zweiten Runde schneller als auf der ersten unterwegs; sicher liegt es auch daran, dass es heute bei leichtem Nieselregen doch recht frisch ist. Gleichwohl kann später die Siegerehrung im Freien stattfinden. Spannend ist das Ergebnis bei den Männern. Dirk Hohmann ist als Tourführender „eingebrochen“ und mit genau einer Minute Rückstand auf den 17-jährigen Sven Lorenz nur Dritter geworden, ganz knapp vor dem Vierten. Dazwischen gibt es noch einen Mitarbeiter des Sponsors EWE mit bezeichnendem Nachnamen, Bastian Düser. Weil Dirk am Vortag nur einen Vorsprung von 29 Sekunden auf Sven hatte, gibt es heute also einen beim Nordseelauf in den letzten Jahren nicht vorgekommenen Wechsel in der Tourführung. Dem Nordseelauf tut dieser sportliche Aspekt sichtlich gut. Wird es bei den folgenden Rennen auch spannend bleiben?

Zwischen Siegerehrung und Fährabfahrt ist noch Zeit für einen zweiten Besuch der Seebake auf dem Westhügel der Insel: Setzt man die Bilder vom Vor- und Nachmittag hintereinander, sieht man sehr schön erst Ebbe, dann Flut. Das Landschaftserlebnis ist wichtiger Bestandteil der Nordseelaufs – und hat selbst dem „nieseligen Lauf“ auf Baltrum seinen eigenen Reiz verliehen.

 

NSL 3: „Slooploop“ Langeoog (10,5 km)

 

Wer in Bensersiel wohnt, hat es heute gut: Denn ohne Busanfahrt kann man bequem zum Fähranleger gehen. Auch heute ist es bei der Überfahrt zur Insel regnerisch: 2012 und 2013, als ich ebenfalls am Nordseelauf teilgenommen hatte, war es auf Langeoog zwar bewölkt und beim zweiten Mal sogar nebelig, wenigstens aber trocken. Während ich mich einlaufen und der Tourführenden Martina Mischnick begegne – sie trägt sogar das gestern verliehene „gelbe Trikot“ -, wird das Wetter besser. Auf Langeoog gibt es einen wunderschönen Weg hoch oben auf dem Dünenkamm, den Dutzende blühender Hundsrosen begleiten – es ist hier oben so reizvoll, dass ich fast den Start verpasse. Beim Start stiehlt sich zum ersten Mal die Sonne durch das Gewölk: Soll es doch noch ein Schönwetterlauf werden?

 

 

Der Bürgermeister auf Langeoog ist zwar nett, neigt aber ein wenig zu längeren Begrüßungsworten. Weil die Sänger spontan die „Nordseeküste“ zu singen beginnen, kommt er dann doch rasch ans Ende seiner Rede. Der Startschuss fällt und ab geht’s durch Siedlungsstraßen, vorbei am Lale-Andersen-Haus und dem Eingang zum schönen Friedhof in den Dünen, auf dem sie begraben liegt. Die Bilder von Haus und Friedhof an dieser Stelle sind natürlich erst später aufgenommen – ich gestehe, ich habe beim Lauf beides verpasst. Denn etwas anderes ist deutlich spannender: Nach gut einem Kilometer geht es mit schönem Meerblick über den Dünenkamm zum Strand und erstmals für gut zwei Kilometer durch den Sand, der sich heute hier auf Langeoog aber vergleichsweise gut belaufen lässt.

Das Bild vom Strandabgang, das knapp fünf Stunden später aufgenommen ist, zeigt: Wir laufen bei Ebbe und – wie es der Laufcomputer später richtig auf der Karte anzeigt – quasi „im Meer“, das hier halt gerade seine „Auszeit“ genommen hat. Hunderte Läufer und Läuferinnen bevölkern den schönen Strand, während es zunehmend sonniger wird. Gut zwei Kilometer später ist es aber kurzzeitig mit dem entspannten Laufen vorbei, denn der Aufgang zu den Dünen und einem Brettersteg führt zunächst für etliche Dutzend Meter durch lockeren, nur schwer laufbaren Sand: Da müssen wir gut kämpfen, und so mancher fällt in den Gehschritt! Und Bernd von der „Schnaufgruppe“ – nomen est omen – ruht sich zur allgemeinen Belustigung erst einmal zwischen einigen Spaziergängern auf einer Bank aus.

Schade, dass während des jenseitigen Abstiegs von der Düne die meisten Läufer tatsächlich noch ihren Puls wieder herunter bringen müssen, denn so verpassen sie den tollen Blick auf die schier endlose Läuferkette, der sich nach links ergibt. Nach einer scharfen Kehre laufen wir ostwärts längs eines langgestreckten Dünenkamms weiter, und wie auf einer Perlenschnur aufgereiht sieht man hier Hunderte Läufer. In der Kehre kann ich Jeremy abklatschen, mit 13 Jahren jüngster Tourläufer. Nachdem er sich beim zweiten Lauf auf Baltrum zu sehr verausgabt hat, ist ihm wegen der Überanstrengung mit Muskelverhärtung eine Zwangspause verordnet worden, so dass er heute nur als zuschauender Radfahrer unterwegs ist. Auch Kinder und Jugendliche können durchaus gut an einem Etappenlauf teilnehmen, aber mehr noch als die Erwachsenen brauchen sie dabei einen Bremser, der sie vor Überlastungen schützt. Jeremy hat die Lektion übrigens gut beherzigt: Nachdem er bei Lauf 3 auf Langeoog pausiert hat, absolviert er die Läufe 4 bis 7 ohne weitere Probleme und wird schließlich unter allen Läufern, denen ein Lauf fehlt, mit stets guten Laufzeiten Zweiter – allerdings liegt er auch zwei Plätze hinter dem langsamsten Nordseeläufer, der alle sieben Etappen komplett meistert.

 

 

Mühsamere Wegabschnitte gibt es für die restlichen sechs Kilometer heute nicht mehr,  denn der „Slooploop“ führt nicht mehr durch die Dünen, was fast immer auf den Inseln ein permanent kupiertes Profil bedeutet, sondern nur noch längs der Dünen, später durch flaches, gegen das Wattenmeer offenes Land. Die Sonne meint es inzwischen gut und zeigt, wie schnell sich das Wetter an der Nordsee ändern kann. Manch einem Läufer wird sie schon bei Kilometer 7 und 8 fast zu viel. Ich genieße den Sonnenschein und die Wärme. Besonders schön ist schließlich das Lauffinale durch den Ort ohne parkende Autos am Weg. Je mehr wir uns der 10-Kilometer-Marke näher, desto besser wird die Stimmung an der Strecke. Den Wasserturm als Wahrzeichen von Langeoog kann ich gerade noch so eben fotografieren, denn ich will nicht auf weitere Läufer warten, weil auch ich schon dem letzten Schlussspurt durch die Hauptstraße von Langeoog entgegenfiebere. Ein toller Moment!

Wieder ist Gedränge beim Duschen angesagt: Wo 500 Läufer und Läuferinnen binnen einer Stunde ins Ziel kommen, geht es hektisch zu. In den Umkleiden der Erlebnisbäder oder Sportzentren geht es freizügig zu – Männer und Frauen kleiden sich gemeinsam um. Wen stört das?

Besonders erwähnenswert ist auf Langeoog die „Zeitansage“ von Pastor Schneider vor der Siegerehrung. Eigentlich sollten mehrere Flüchtlinge aus Marokko, Afghanistan, Syrien und dem Sudan aus der Notunterkunft Aurich mitlaufen. Doch sie waren nicht dabei, weil sie vor dem Lauftag plötzlich verschwunden waren: Hartmut Schneider weist auf die Ungewissheiten und mangelnde Perspektiven für die meisten Flüchtlinge hin – „mach nicht halt – lauf gegen Gewalt“. Eine gute Möglichkeit zur Begegnung, die immerhin gegenwärtig auch viele Laufvereine zu schaffen versuchen, hat damit leider nicht stattfinden können.

Umso stimmungsvoller ist der Abschied von der Insel Langeoog: Am Bahnhof spielt ein Insulaner auf dem Akkordeon und auf der Fähre gibt es prächtige Wolkenbilder. Ein Tag mit Regen und Sonne im fast aprilhaften Wechsel, vor allem aber mit viel Stimmung geht zu Ende.

 
 

 
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