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Laufberichte

15. Nordseelauf: Ostfrieseninseln deluxe

18.06.16 Special Event
 

NSL–Pausentag mit
Wattwanderung zur Minsener Oog

 

Nach den Läufen auf Norderney, Baltrum und Langeoog ist es fast Halbzeit beim Nordseelauf. Wer will, kann entspannen oder an einer Fahrt nach Helgoland teilnehmen. Ich entscheide mich mit knapp 30 anderen Nordseeläufern für die zwölf Kilometer lange Wattwanderung von Schillig zur Minsener Oog, einer künstlichen Insel, deren Geschichte vor gut 100 Jahren beginnt und in engem Zusammenhang mit der Sicherung des Jadefahrwassers und des Tiefseehafens Wilhelmshaven steht. Als Vogelschutzinsel darf nur ein kleiner Bereich am Südstrand betreten werden. Wir erleben mit Nationalparkführer Gerke-Enno Ennen eine kundige Wattführung. Das Wetter ist ähnlich wie am Vortag: Bewölktem Himmel folgt mitten im Watt ein heftiger Regenschauer, während wir dann im schönsten Sonnenschein auf der Insel Pause machen, nach den Vögeln schauen und mit dem Vogelwart sowie einem Studenten die durchaus bedrohliche Umweltsituation im niedersächsischen Wattenmeer diskutieren. Dann geht es zurück und wie beim Hinweg durch einen hüfttiefen Priel, während allmählich ein Gewitter aufzieht, bei dem die meisten Teilnehmer kurz vor dem Bus noch von einem heftigen Wolkenbruch durchnässt werden. Aber es war ein schöner, wenngleich im Watt auch etwas anstrengender Pausentag mit einer achten Insel.

 

 

Zeit für einen Blick auf die Altersstruktur der Teilnehmer beim NSL bleibt dennoch: Die ist leider ziemlich einseitig von 337 Läufern und Läuferinnen zwischen 45 und 64 Jahren dominiert; 71 Prozent gehören dieser Altersgruppe an. 45 Teilnehmer sind älter als 64 Jahre, 92 jünger als 45; nur vier Männer und neun Frauen laufen in der Hauptklasse zwischen 20 und 29 Jahren. Ist das ein Spiegelbild der Altersstruktur generell bei Laufwettbewerben? Warum nehmen nicht mehr junge Menschen an einem solch interessanten Etappenlauf teil – möglicherweise wegen der Kosten, bei pauschaler Buchung ganz grob rund 1000 Euro? Martina Mischnick als Tourführende läuft bereits in der Altersklasse W50 – sicher eine ganz tolle Leistung, aus sportlicher Sicht aber überraschend. So ist es eine tolle Überraschung, dass der erst 17-jährige Sven Lorenz auch den dritten Lauf auf Langeoog wieder gewonnen hat, wenn auch nur mit 13 Sekunden Vorsprung vor dem Tourzweiten Dirk Hohmann, der auch schon in der Altersklasse M45 startet. 42 Sekunden Vorsprung insgesamt für Sven: Da bleibt die Tourwertung weiterhin spannend.


NSL 4: „Töwerland-Lauf“ Juist (10,0 km)

 

Juist als vierter Lauf markiert die Halbzeit des NSL, und er wird für viele Teilnehmer zum Höhepunkt, denn heute sind Nordsee und Strand pur angesagt. Das beginnt mit der anderthalb Stunden langen Anfahrt auf der Sonderfähre, die mühsam durch das Watt manövriert; sonst transportiert sie Autos nach Norderney. Wieder ist es bewölkt, wenn auch trocken. Kaum auf der Insel angekommen, klart es aber auf. Die Laufstrecke ist schnell besichtigt: Vom „Kurplatz“ geht es die rotgepflasterte, teilweise von rotem Mohn gesäumte Straße hinauf auf die Düne und über sie hinweg hinunter zum Strand, der dann erst zwei Kilometer weit nach rechts, dann zwei Kilometer weit nach links belaufen wird. Mit der Rückkehr über die Düne zum Startplatz ergibt die Laufstrecke ein einfaches „T“. Von einem Aussichtspunkt nahe dem Dünenübergang kann man einen großen Teil der Laufstrecke überblicken.

 

 

Vor dem Lauf gibt es aber den diesjährigen Nordseeläufer-Fototermin. Alle Läufer finden sich in blauen Nordseelauf-Shirts zu einem Gruppenfoto zwischen Ort und Fähranleger zusammen, und Fotograf Ralf Graner, der den Etappenlauf seit vielen Jahren begleitet und anschließend recht günstig eine Foto-DVD mit Tausenden Fotos anbietet, ist zusammen mit Moderator Dominik gefordert. Die knapp 500 Läufer müssen sich so aufstellen, dass sie gut auf’s Foto mit dem schönen Hintergrund passen. Wie Dominik die Läuferschar dirigiert, ist sehenswert – und ich fotografiere mit großem Spaß mit.

Überhaupt ist der Aufenthalt auf „Töwerland“ – Zauberland – Juist wunderschön: Die Sonne strahlt inzwischen prächtig, und die Infrastruktur für die Läufer liegt auf den Dünen nicht nur über dem Ort, sondern auch über Wattenmeer und offener Nordsee. Juist ist zwar die drittkleinste der bewohnten ostfriesischen Inseln, aber mit 17 Kilometern die längste. Nordseestrand und Wattenmeer liegen so auf der gesamten Insel nah beieinander. Im Ort gibt es überraschend viel „Güterverkehr“. Aber nicht Elektromobile surren fast lautlos wie auf den anderen Inseln herum, sondern der Transport wird von Pferdekutschen mit laut klappernden Hufen erledigt. Die Ausscheidungsprodukte der „Hafermotoren“ liegen unübersehbar auf dem Straßenpflaster.

Töwerland – Zauberland: Das passt. Ich erfreue mich beim Einlaufen auf dem schönen Dünenweg, laufe dann vorbei an der Inselschule in einem Dünental, die perfekt in eine Astrid-Lindgren-Szenerie passen würde, und durch den Ort am Wattenmeerdeich vorbei hinunter zum Kurplatz, wo kurz darauf gestartet wird.

Vorweg gibt es „An der Nordseeküste“ mit Schunkeln und Singen im vollen Sonnenlicht. In die Läuferschar hat sich auch die Inselpastorin eingereiht. Der Startschuss fällt und rasch geht es hinauf auf den Dünenkamm, hinter dem sich mit fast schon karibischen Farben die Nordsee ausbreitet. Ein prachtvoller Anblick, den es auch schon bei früheren Nordseeläufen gab und der das diesjährige Jubiläumsshirt schmückt. Nur kurz ist der Abschnitt mit losem Sand, dann geht es rechts auf dem Strand Richtung Norderney bis zu einem Wendepunkt bei 2,8 Kilometern.

Das führt dazu, dass fast alle Teilnehmer bei diesem Lauf den führenden Läufern begegnen. Mit Dirk Hohmann, dem Tourzweiten, habe ich vor dem Lauf gesprochen: Er hofft darauf, dass sich seine Erfahrung gegen die Ungestümheit seines jungen Konkurrenten durchsetzt, weiß aber auch – und hat es in seinem Tourbericht für 2015 beschrieben -, wie ein anderer Spitzenläufer 2012 bei seinem „Angriff“ auf Juist in der strahlenden Sonne auf dem Strand so übel „eingegangen“ ist, dass er zum Schluss kaum noch über die Düne in Richtung Ziel kam. Hat Dirk heute den Mut, seinerseits zu versuchen, die Tourführung zurück zu erobern?

Tatsächlich: Im roten Trikot kommt mir Dirk als Führender entgegen, knapp vor Sven – ein spannendes Rennen. Auch die führende Frau begegnet mir: Es ist aber nicht die Tourführende Martina, sondern Sonja Vogt, mit Startnummer 739 eine Tagesläuferin; 2013 hatte sie den Nordseelauf in der Frauenwertung unangefochten vor Martina gewonnen.

 

 

Für mich geht es mit der Masse der Läufer erst einmal zum Wendepunkt, bei dem ich – in Richtung Norderney gibt es keine Zuschauer – einen „Boxenstopp“ einlegen muss. Mit Schrecken stelle ich fest, dass ich fast am Ende der Läuferschlange bin – hinter mir kommen schon die Walker! Trotzdem genieße ich den Lauf in prächtiger Sonne – und registriere überrascht, wie es aus dunklen Wolken donnert. Hoffentlich kommt das Gewitter nicht zu schnell!

Ich passiere den Punkt, wo wir den Strand erreicht haben, sozusagen den Mittelpunkt des „T“, und bin zum Glück rechtzeitig dran: Denn kurz darauf kommt mir Dirk entgegen. Er führt, und zwar mit weitem Abstand vor Sven! Auch Sonja und Martina lassen sich im Bild einfangen; Martina hat sogar Zeit zum Lächeln und einem kurzen Winken, denn dass sie heute nur Zweite wird, gefährdet ihre Tourführung nicht. Jeremy als jüngster Tourteilnehmer (487) kommt mir noch vor dem Wendepunkt entgegen. Als Fotograf ohne Tempotraining bin ich doch ganz schön langsam unterwegs – auch wenn es mir hier beim Nordseelauf schon wieder viel besser geht als noch vor zweieinhalb Wochen beim Rheinsteig-Extremlauf. Nachdem ich genügend entgegenkommende Läufer fotografiert habe, kann ich den Lauf prächtig genießen; noch scheint die Sonne, auch wenn weitere Gewitterwolken aufziehen und ich kurz vor dem Ende des neunten Kilometers einen Blitz in Richtung Norderney herunterzucken sehe. Der Strand endet, es geht über die Düne, die Straße in den Ort hinunter. Ein Bild mit rotem Mohn unterbricht noch einmal meinen Endspurt, aber dann bin auch ich im Ziel.

Beim Auslaufen stehen dunkle Gewitterwolken über dem Strand, der sich noch im vollen Sonnenlicht befindet; kurz darauf aber rauscht der Regen herunter, was beim Duschen und bei der rasch ins „Haus des Kurgastes“ verlegten Siegerehrung natürlich nicht stört. Zumal danach wieder die Sonne durchs Gewölk bricht: Plötzlich sieht man so klar die städtische Silhouette der Nachbarinsel Norderney über dem Strand von Juist, als würde die längste ostfriesische Insel Juist bis Norderney reichen. Vorbei an einer künstlerisch gestalteten Aussichtsbake verlassen die Nordseeläufer auf der Fähre Juist – sicher einen der Höhepunkte des diesjährigen Nordseelaufs.

 

NSL 5: „Westturmlauf“ Wangerooge (9,42 km)

 

Die fünfte Etappe des NSL steht auf Wangerooge an, der Insel, die mit nicht ganz acht Quadratkilometern kaum größer, aber deutlich städtischer als Baltrum ist und mehr als doppelt so viele Einwohner (1320) hat. Wangerooge hat auch eine zum DB-Konzern gehörende Schmalspureisenbahn vom Fähranleger zum Ort mit einer Stichstrecke in Richtung Westen: Schon die Fahrt mit der Bahn durch das wattenmeernahe Deichvorland in den Ort ist eine Attraktion. Streng genommen ist Wangerooge aber nur naturräumlich eine ostfriesische Insel: Kulturell gehört sie nicht zu Ostfriesland, sondern zum friesischen Jeverland und zum Verwaltungsbezirk Oldenburg.

Wichtig, aber auch verhängnisvoll war die militärische Bedeutung Wangerooges für Wilhelmshaven: Denn sie führte am 25. April 1945 zu einem schweren alliierten Luftangriff mit Hunderten Toten und der Zerstörung von über der Hälfte der Wohnhäuser. Gleichwohl entwickelte sich später ein zu einem Café umgebauter  Bunker zum touristischen Mittelpunkt der Insel: Der „Pudding“ am Ende der Hauptstraße hoch über dem Strand der offenen Nordsee. Auch die Strandpromenade liegt noch deutlich über dem sehr schönen Strand und bietet gute Blicke auf die in die Deutsche Bucht einfahrenden Schiffe, die zeitweise wie in einem Stau am Horizont aufgereiht erscheinen. Nur Spiekeroog als westliche Nachbarinsel und Borkum an der allerdings weit weniger befahrenen Emsmündung bieten ähnliche Ausblicke auf den Schiffsverkehr.

 

 

Ein wenig merkwürdig ist die Ankündigung des Laufs als „Watt’n Strand-Lauf“, denn es gibt auf Wangerooge gleich zwei Laufstrecken: 2012 wurde eine Strecke gelaufen, die mehr nach Osten und Süden führte, während in diesem Jahr die Strecke des „Westturmlaufs“ in den Westteil der Insel zum weithin sichtbaren, gewaltigen Westturm führt. Weil derzeit südlich des Ortes am Deich eine Großbaustelle ist, gibt es eine etwas andere, verkürzte Routenführung: Der Lauf auf Wangerooge ist deshalb mit nicht ganz neuneinhalb Kilometern der kürzeste der diesjährigen Etappen.

Das Wetter ist heute nach einem kurzen, ganz leichten Regenschauer – den ich im „Pudding“ beim Sanddorntee mit Jan-Niklas, dem späteren Toursieger in der Männerhauptklasse, gar nicht recht mitbekomme – ungemein prächtig: Auf einem Aussichtspunkt westlich des Ortes befinde ich mich hoch über dem Strand und der heute in fast schon karibischen Farben, in blau-grün-türkis, leuchtenden Nordsee. Ungewöhnlich und unerwartet sind für mich diese Farben, denn an der Nordsee hätte ich sie nicht vermutet. Hinter einem Schullandheim sieht man aber von der Aussichtsdüne aus auch das Wattenmeer. Und beim weiteren Einlaufen Richtung Westen, der späteren Laufstrecke entgegen, begeistert mich eine wunderschöne Dünenlandschaft mit Heideflächen. Am Startort gibt es bereits wieder das Aufwärmprogramm, an dem viele Läufer teilnehmen; ich habe dagegen das ruhige Einlaufen genossen. Man kann den Nordseelauf also sowohl in der Gruppe erleben als sich auch einmal vorübergehend in die Ruhe der Inseln verziehen.

Der Start auf der Strandpromenade mit dem prächtigen Meerblick ist sicher wieder einer der Höhepunkte der gesamten Tour. Nach zweieinhalb Kilometern wird dann der Ort verlassen, und es geht durch eine wunderschöne Landschaft mit Blick zum Wattenmeer und auf einen ankommenden Zug in Richtung Westturm. Dieser „Neue Westturm“ wurde 1932 nach dem Vorbild eines Vorgängerturms als Ziegelsteinbau errichtet und ist stattliche 56 Meter hoch –im Grunde genommen angesichts seines quadratischen Grundrisses von 12 mal 12 Metern eigentlich ein Hochhaus. Heute ist der imposante Turm Teil der Jugendherberge – und für uns Nordseeläufer der markante Wendepunkt der fünften Tagesetappe.

 

 

Hat man den Turm hinter sich gelassen, geht es – heute immer bei tollstem Wetter – zurück in Richtung Wangerooge. Beeindruckend ist die Waldfreiheit des Inselwestens: Große Weite ist hier angesagt. „Wangerooge“ heißt übersetzt „Wieseninsel“: Das passt hier sehr gut. Erst kurz vor dem Ort kommt man wieder in eine Wald-, Heide- und Dünenlandschaft. Hat man den Ort erreicht, geht es kurz zur Promenade oberhalb des Strandes hinauf und durch den Zielbogen, hinter dem die Nordsee glänzt.

Der Platz der Siegerehrung ist die prächtigste Kulisse aller Etappenorte. Nicht Hartmut Schneider macht dieses Mal die „Zeitansage“, sondern „Laufpastor“ Stefan Bürger aus Fulda. Bei der Siegerehrung gibt es dann von Moderator Dominik eine überraschende Erklärung vom Tourzweiten Sven Lorenz: Nachdem er auf Wangerooge fast zwei Minuten auf den Tourführenden Dirk Hohmann verloren hat und inzwischen mit 2:18 Minuten zurückliegt, sei „bei ihm die Luft raus“; er wolle die Tour nur noch in deutlich langsamerem Tempo beenden. Eine solche Ansage habe ich bisher noch nie gehört, ist aber sicher sehr fair für die Konkurrenten; tatsächlich wird Sven die sechste Etappe mit über 13 Minuten Rückstand auf Dirk und die siebente Etappe mit weiteren vier Minuten Rückstand finishen, so dass er schließlich die Tour als Gesamtfünfter beendet – für einen 17-Jährigen gleichwohl eine tolle Leistung und sicher eine prägende Erfahrung. Martina Mischnick finisht hingegen auch Wangerooge wieder als unangefochten Tourführende.

Nach dem Lauf reicht die Zeit noch für einen kurzen Bummel durch den Ort und für eine Besteigung des „Neuen Leuchtturms“, ehe es mit prächtigen Wolkenstimmungen auf der Fähre zurück zum Festland geht.

 
 

 
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