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Laufberichte

14. Etappe Transeuropalauf

01.09.12

Ingo, der Sklaventreiber (ich merke schnell, hier muß tatsächlich straff geführt werden) mit einem frisch selbstermittelten BMI von 23,98, jagt uns nach draußen, nachdem das Gepäck abgegeben bzw. auf Fahrzeuge verladen worden ist. Ich werde gemeinsam mit Robert Wimmer starten und ihn die ersten km begleiten. Robert ist für mich als Sieger des ersten TEFR und Vierter des zweiten besonders interessant, auch hatte der Herr Augenoptikermeister mich kürzlich sehr nett per E-Mail beraten. 2003 lief er im Schnitt knappe 5:45 min. auf den km (!), sechs Jahre später nur noch gute 5:30 min. und hatte damit keine Chance auf den Sieg: Rainer Koch schaffte den mit einem Schnitt von 5:03 min. 64 Tage lang über 4.488 km. Der nackte Wahnsinn. Robert ist übrigens neben einem Japaner der einzige Teilnehmer, der bei allen drei Ausrichtungen dabei war.

Gem. dem Monatsspruch vom Januar 2012: „Weise mir, Herr, deinen Weg; ich will ihn gehen in Treue zu Dir“ (Ps 86,11 [E]) starten wir pünktlich. Wenn mit dem „Herrn“ der Koblenzer Joachim Barthelmann gemeint ist, der wieder einmal die Strecke erkundet, vermessen und ausgeschildert hat, brauchen wir uns keine Gedanken zu machen. Den da oben werden wir zu Orientierungszwecken wahrscheinlich gar nicht notwendig haben, aber es gibt ja auch immer Deppen, die sich einen Spaß daraus machen, Streckenmarkierungen zu entfernen. Sicherheitshalber haben wir uns vorher einen Streckenplan ausgedruckt und den auch dabei. Welch wahnwitziger Aufwand auch von den Betreuern zu leisten ist, kann man nur nachvollziehen, wenn man mal in Ruhe darüber nachgedacht und den im besten Fall persönlich erlebt hat. Morgens sind sie die Ersten und abends die Letzten, die Athleten sollen sich ja aufs Laufen, Essen, Trinken und Schlafen konzentrieren können. Und aufs Pupsen, hätte Ingo an dieser Stelle ergänzt.

Letzte Bemerkungen zur Leistung von Joachim: Er fährt abends mit dem Fahrrad die ersten rund 20 morgigen km ab und markiert sie. Morgens um 5.30 Uhr kontrolliert er seine Markierungen noch einmal auf evtl. Vandalismus mit dem Auto und fährt anschließend die restlichen morgigen zwei Drittel mit dem Rad ab. So kommt er täglich auf über 100 Radkilometer. Jetzt verstehe ich auch sein entgeistertes Gesicht auf meine unschuldige Frage, ob er auch mal selber zum Laufen käme. Jetzt fangen wir aber wirklich endlich mal selber mit dem Laufen an.

Nach dem Frühstück um kurz nach 5 Uhr mit frischen Brötchen (!) starten die hinteren gut zwei Drittel um 6 Uhr bei noch völliger Dunkelheit. Eine Stunde später wird es auch für die ersten sechs zzgl. des Rollerfahrers (wirklich) und uns ernst. Verabredungsgemäß stürme ich mit Robert los, nachdem ich ihm am Vorabend habe versprechen müssen, ihn nicht vollzutexten. Er ist aber maximal entspannt und sucht zu meiner Freude immer wieder das Gespräch. Wir laufen vermutlich um einen Fünfer Schnitt, trotzdem zieht Trond sofort vorbei und ist auf und davon. Mich fasziniert neben dem Fan, der uns einige Meter mit einem Strandbuggy begleitet, Roberts Trinkflasche, die er auf dem Rücken in einer Art Holster mit sich führt. Super praktisch und scheuert nicht, wie er mir versichert. Stephane, der sympathische stark tätowierte Franzose, Erster der Gesamtwertung, zieht an uns vorbei. Vorbei ist auch mein Stichwort, denn vorbei ist nach zwanzig Minuten meine Begleitung für Robert, ich würde sein Tempo nie und nimmer durchhalten und lasse mich daher langsam zurückfallen. Bevor ich es zu erwähnen vergesse: 7.000 km ist er im Vorfeld des TEFR gelaufen, fünf Wochen mit mehr als 300 km. Neben Beruf und Familie. Anderen wird es ähnlich gegangen sein.

Im übernächsten Ort Gehau überholt mich der Viertplazierte Henry Wehder, der gestern seinen dritten Tagessieg eingefahren hat. Henry ist bereits seit dem 24. Juli auf Achse. Er startete am Nordkap und hat sich in den Kopf gesetzt, die Strecke vom Nordkap nach Gibraltar in 90 Tagen zu schaffen,  ausgerechnet hat er sich dabei 6.466 km. Heißt: Er hat sich bereits VOR dem Start des TEFR über 26 Tagesetappen und 2.290 km (Tagesdurchschnitt 88 km!) warmgelaufen. Distanz ist, was der Kopf draus macht. Der erste VP (Hinweis für Herbert: LS!) nach 10,5 km bietet vorerst nur Getränke, obwohl die Werbebanner hinter seinem Stand Flammkuchen und Schnitzel anpreisen, die ich auch verlange. Wenigstens kann er darüber herzlich lachen und mich umgehend weiterjagen. Wenig später auf einer sehr langen Bergabpassage kassiert mich erneut Trond, der wohl einen Boxenstop eingelegt hatte. Wohl dem, der wie ich noch rechtzeitig jeden überflüssigen Ballast hat abwerfen können.

Völlig geplättet bin ich, als ich bereits nach 1:07 Std. den ersten 6 Uhr-Läufer einhole. Frau Werwolf, heute mal ohne rostigen Ketten, begleitet ihn über ein gewisse Strecke, um ihn aufzubauen. Sie ist für neun Tage, teilweise laufend, dabei. In Dankerode sehen wir, weshalb uns praktisch kein Auto begegnet und wir fast unbehelligt die gesamte Straßenbreite in Anspruch nehmen können: Die Fahrbahn wird komplett erneuert inkl. Kanalarbeiten. Eine Grube muss ich im Weitsprung überwinden. Wie hier wohl die müden hinteren Läufer hinübergekommen sein mögen? Heike Pawzik leidet. Die siebenfache Finisherin des Spartathlons über 246 km sieht trotzdem besser aus als gestern. Ihr Hauptproblem sind allerdings die etwas geschwollenen Augen, die sich auf meinem Foto nicht so gut machen. Wer solche Probleme hat, ist noch längst nicht am Ende! Frèdèric trägt die gleiche Flasche mit sich, die ich mir extra zugelegt habe. Ein tolles Teil, das man sich wie einen Maßkrug um die Hand festschnallt und die eine Tasche daran befestigt hat, in der ich die Kamera oder etwas anderes unterbringen kann. Ein Radioreporter läuft zwanzig km mit, hat Interesse an der Meinung des Etappenläufers. Also, mein Lieber, ich werde definitiv nie so etwas mitmachen, bin froh, heute zu überleben! Schwer atmend lasse ich ihn zurück. Hat Spaß gemacht.

Dann beginne ich, die Japaner zu überholen. Selbstverständlich wechsele ich mit jedem ein paar Worte und freue mich über die Freundlichkeit eines jeden von ihnen. Wirklich nette Burschen und Mädels. Ich wundere mich über den Mut einiger von ihnen, die in Europa laufen und nicht einmal einen einfachsten englischen Satz nach ihrem Befinden verstehen. Manchmal klingelt es erst bei „OK?“. Oh ja, OK, OK. Strahlen. Tolle Fachwerkhäuser und herrliche Bauerngärten erfreuen unsere Augen und bieten reizvolle Fotomotive. Die Japsen bedienen tatsächlich sämtliche Klischees, sogar eine halbgeräuberte Wurstplatte beim Frühstück war vor Nikon, Canon & Co. nicht sicher. Ich habe viel Abwechslung dadurch, daß ich immer wieder Läufer, (teilweise) Walker und auch mal unseren Rollerfahrer vor uns habe. Ja, Jung, bergauf ist anstrengend!

In Lispenhausen erwartet uns bei km 21,7 nicht nur ein hochluxuriöser VP (Herbert: LS), sondern auch tatsächlich mal ein Fanblock, der sogar um ein Autogramm auf einem T-Shirt bittet. Da lasse ich mich doch nicht zweimal bitten, sonne mich ein wenig im Glanz der Stars und weise nicht darauf hin, daß ich nur heute dabei bin. Über einen langen Radweg erreichen wir zum ersten Mal die Fulda, die in Hann. Münden mit der Werra zusammenfließt und ab da die Weser bildet. Es soll sich keiner darüber beklagen, bei uns gäbe es nichts zu lernen! Freundliche Gesichter, an wem man auch vorbei kommt. Erstaunte Gesichter, zumindest bei mir, als mich Jochen ein- und überholt. Der Junge hat einen Affenzahn drauf, das kenne ich so gar nicht von ihm. Ich lasse ihn ziehen, das ist mir heute zu flott. Hinter Blankenheim der dritte VP, auch bei ihm gibt es alles, was das Herz begehrt. Ich habe ja schon viel erlebt, aber das ist einsame Spitze.

Wieder an der Fulda einem Radweg folgend, wähne ich mich plötzlich in Marburg: Wir folgen einem Planetenlehrpfad, von den Marburger Läufen her wohl vertraut. Leider haben irgendwelche Idioten die meisten der Planeten abgerissen, sehr schade. Eine kleine Allee erinnert an die Konfirmandenjahrgänge. Bei uns hat man das für die Hochzeitspaare gemacht und jedem eine Birke gepflanzt. Hat bei meinem ersten Versuch trotzdem nichts genützt. Dem hessischen Radfernweg weiter folgend, gibt es beim vierten VP an km 39,5 ein echtes Glanzlicht. Mit großem Appetit verspeise ich eine salzige Nudelsuppe. Selten hat etwas so gut geschmeckt! Weiter über Bad Hersfeld kommt dann der Eichhof. Dieses Landwirtschaftszentrum betreibt u. a. eine Versuchstätigkeit im Acker- und Pflanzenbau, der Grünlandwirtschaft, dem Futterbau und der Landschaftspflege sowie der Biomasseproduktion.

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