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Laufberichte

40. Syltlauf: Sylt für Hartgesottene

19.03.23 Special Event
 

Voller Vorfreude erwarten wir unseren langersehnten Sylturlaub, als uns aus heiterem Himmel die abermalige Absage des Syltlaufs ereilt. So ein Mist aber auch! Vier Tage haben wir noch Zeit, unsere Unterkunft kostenfrei zu stornieren, was wir dann schweren Herzens tun. Ersatz? Weißes Rössl vielleicht? Vier Wochen geschlossen wegen Renovierung. Wenn's schon mal gegen einen läuft... So landen wir letztlich im Laufcamp auf Mallorca inkl. Halbmarathon in Palma und sind wieder halb versöhnt. Doch das „Loch“ Sylt bleibt.

Ihr werdet es Euch denken können, ich spreche von letztem Jahr. Dreimal hintereinander war nix mit den berühmten 33,333 km von Hörnum nach List, lange Gesichter überall in der Republik, in Waldbreitbach ganz besonders lange. Doch dieses Jahr läuft alles anders. Wie anders, darauf werden wir gleich zu sprechen kommen. Es beginnt mit der Anmeldeprozedur: Per RaceResult. Was soll daran ungewöhnlich sein? Was Heinrich Kuhaupt für Bad Arolsen war, war Franz Beilmann für den Syltlauf. Urgestein, langjähriger Leiter mit hoffnungslos veralteten und vielleicht gerade deshalb liebenswerten Methoden. Man druckte sich das Anmeldeformular aus und schickte dieses ausgefüllt per Brief (!) in den hohen Norden. Von dort kam dann im Erfolgsfall eine Postkarte mit Stempel und handschriftlich eingetragener Startnummer zurück.

Nun ist der Franz leider nicht mehr körperlich unter uns, sondern überwacht das Fortbestehen seines Lebenswerks von Wolke Sieben aus, was seine Nachfolger zu dieser geradezu revolutionären Änderung nutzen. Doch das ist nicht alles. Sylt = 33,333 km von Süd nach Nord, und das ist wie in Stein gemeißelt. Doch nicht 2023, da muss sich so mancher verdutzt die Augen gerieben haben. Nicht nur, dass aufgrund unzureichenden Platzes infolge von Baumaßnahmen am ursprünglichen Ort im Hörnum nicht gestartet werden konnte und man den Kurs schlicht umgedreht hat. Nein, er ist dadurch auch noch gute 500 m länger geworden, wird kolportiert. Hohe Anforderungen also an die Vielfachtäter, was mir als Syltnovize völlig schnuppe ist. Et es, bi et es, sagt der Rheinländer, und nimmt es eben hin.

Am Samstagmittag vor dem Lauf treffen wir nach einer Übernachtung in Hamburg samt Wiedersehen mit lieben Freunden und Zwischenstop in Ockholm zu einem weiteren Kurzbesuch mit dem Autozug in Westerland ein und haben unterwegs schon ein weiteres  Wiedersehen gefeiert. Wie das? Und mit wem? Vor rund hundert Jahren baute man eine Landverbindung zwischen der Insel und dem Festland, wofür man eine stabile Unterlage benötigte. Und was ist dafür besser geeignet als solider Basalt? Ganz besonders guter kam vom Hausen/Waldbreitbacher Hausberg, dem Malberg. Dem hatte man die Kuppe genommen, tief ausgehöhlt und die ganzen Brocken nach Norden transportiert, wo sie  noch heute brav ihren Dienst verrichten. Solide und zuverlässig, wie wir Rheinländer nun mal sind.

Vor dem Westerländer Congress Centrum trifft uns erst einmal der Schlag in Form einer langen Warteschlange, die sich auf der Friedrichstraße gebildet hat. Erfreulicherweise geht’s aber dann doch recht zügig voran, sodass ich meine Startunterlagen mit ein paar netten Beigaben schneller als befürchtet in der Hand halte. Ganz besonders gespannt bin ich auf das afrikanische Nudelgericht, das man uns versprochen hat. Da hätte ich wohl etwas missverstanden, signalisiert man mir. Es gäbe keine Pasta Togo, sondern Pasta to go, also zum Mitnehmen. Ah ja. Die allerdings gibt es nicht in verzehrbereiter Form, sondern trocken zum Kochen bzw. eine Soße zum Wärmen. Na gut, dann wird das eben daheim nachgeholt. Ein Gedicht sind die übriggebliebenen Medaillen der vergangenen Jahre, die man gegen eine Spende an den Mann bzw. die Frau zu bringen versucht. Tolle Stücke sind darunter, die an den einen oder anderen Liebhaber gegen klingende Münze wohl auch über den Tresen wandern.

 

 

 

Wir haben uns mit Absicht in Hörnum, also ganz im Süden, wo das Ziel sein wird, einquartiert. Kurze Wege nach dem Lauf sind Trumpf, denken wir in unserer Einfalt. Um  8:15 Uhr bin ich am Hafen, von wo aus ein Bus den kompletten Weg nach Norden nimmt, viele weitere Busse stehen in Westerland bereit. „Moin!“ „Moin, moin!“, kommt es zurück. Oh, ist das für ein Nordlicht nicht schon gesabbelt, weil zu viel gesagt? „Na ja“, meint Heiko, unser launiger Fahrer, „das kann ja auch Stottern sein“.

Neben mich setzt sich Marike, wir wechseln ein paar Worte und ahnen nicht im mindesten, dass wir uns wenige Stunden später glücklich in den Armen liegen werden. In einer guten Stunde haben wir List, genauer gesagt, deren Jugendherberge erreicht. Während Alfred Quecksilber – wie passend! - „Who wants to live forever?“ schmettert, meint Heiko: „Jou, raus mit Euch, zurück wird gelaufen! Ich darf fahren“ und entlässt uns in die morgendlich-feuchte Kühle. Doch die Jugendherberge ist klasse, warm, es gibt in ausreichendem Maße Toiletten und überhaupt ist alles prima. Sogar seine Startnummer konnte man hier noch empfangen.

Was hat es hier nicht schon alles an Wetter gegeben! Selten mild, häufig stürmisch und nass bis hin zu richtigem Schietwetter. Eine Inselbesichtigung der ganz besonderen Art ist dies also in aller Regel, nur etwas für Hartgesottene, nicht für Weicheier. Heute ist uns Trockenheit bei etwa acht Grad versprochen, weshalb ich mich als alter Hase mit je einem Langarmshirt und Windbreaker begnüge. Unter den Startern sind auch Iris und Jürgen aus meinem Laufumfeld, die mit einer Gruppe angereist sind, und über deren Anwesenheit ich mich sehr freue. Um zehn Uhr hat es sich dann ausgefreut, denn et jäht loss, die Schnellsten im Achselshirt, uaaaah...

 

 

Auf der breiten, asphaltierten Straße können die Läufer aus allen Ecken der Republik  schon bald im individuell gewünschten Tempo ausschreiten, die Laune ist allseits prächtig. Von den Feuerwehrkameraden angefeuert, wechseln wir auf den parallel zur  zwischen Nord und Süd verlaufenden Insel-Hauptstraße gelegenen Radweg. Da sich das Feld bereits ordentlich verteilt hat, gibt es, zumindest um mich herum, kein Platzproblem. Leider ist die Optik etwas traurig, da das Frühjahr noch auf sich warten lässt und sich daher alles im braun-grauen Einheitslook präsentiert.

Kaum drei km sind vorbei, als eine junge Dame auf mich aufläuft. „Sieh zu, dass Du Land gewinnst!“ meine ich zu Marike, denn um keine andere handelt es sich. Wer den Halbmarathon in weniger als anderthalb Stunden schafft, hat bei mir langsamem Zausel nichts verloren. Nein, Strecken oberhalb 21 km seien für sie eine Wundertüte, daher täte ihr ein erfahrener Bremser gut. Derart umgarnt erklärt sich der ältere Herr gerne bereit, sie unter seine Fittiche zu nehmen und selbstlos vor allen Widrigkeiten zu beschützen.

 

 

Die ersten Fans tauchen auf, mit dem Rad ist man hier ja besonders mobil und benötigt keinen Parkplatz. Ein Edelfan wird immer wieder auftauchen und uns mit flotten Sprüchen auf selbstgemachten Schildern erfreuen. Wir passieren das berühmte Strandbistro Buhne 16, allerdings ohne es sehen zu können. Aus der Entfernung grüßt bereits der Kampener Leuchtturm. Auf leicht kurvigem Kurs kommen wir kurzweilig voran, die km fliegen nur so vorbei. Das ist zu nicht geringem Teil Marike geschuldet, die sich als äußerst nette Begleiterin entpuppt und viel zu erzählen hat. Beide Elternteile sind ehemalige Marathonläufer, mit dem Zwillingsbruder möchte sie in absehbarer Zeit ihr Debut auf der Königsstrecke geben. Welch ein Unglück für sie, mit jemandem zusammenzulaufen, der zu diesem Thema nichts beizutragen hat. Ich hoffe, der Gymnasiallehrerin kein Ohr abgekaut zu haben.

In Kampen sehe ich nicht nur erstmals die Mädels vom Junggesellinnenabschied in ihren rosa Tütüs, sondern aus der Ferne auch die bekannte Uwe Düne. Benannt ist sie nach dem Juristen Uwe Jens Lornsen (1793–1838), einem Vorkämpfer für die Vereinigung der damals noch bestehenden Herzogtümer Schleswig und Holstein zu einem von Dänemark unabhängigen schleswig-holsteinischen Staat. Mit ihren stolzen 52,5 m Höhe stellt die Düne hier alles andere in den Schatten. Am nächsten Tag werden wir sie besteigen und der dünnen Luft zum Trotz die phänomenale Aussicht genießen.

 

 

Schon seit einigen km straft die Wirklichkeit alle Wetterapps Lügen, die einen kompletten Tag in Grau angekündigt hatten. Welch ein Glück für uns, bei fast Windstille und eitel Sonnenschein genießen wir einen begnadeten Tag. Nach 12,7 km erscheint der erste VP mit Wasser (warm!), Iso, Bananen, Nüssen, Haribo und Mohrenköpfen (Schaumküsse für die politisch Korrekten). Vorbei am Leuchtturm erkenne ich, nun schon in Wenningstedt, die Friesenkapelle. Auch diese werden wir am Folgetag besuchen und über die hübsche Ausstattung, vor allem die Deckenbemalung, staunen. An tollen Friesenhäusern geht es vorbei, an denen auf der Insel der Schönen, Reichen und ganz schön Reichen wahrlich kein Mangel herrscht. Willst Du etwas halbwegs Vernünftiges haben, brauchst Du Dir unter einer Million Euro nicht die Spur eines Gedankens machen.

Wir verlassen Wenningstedt und nehmen Kurs auf die Inselhauptstadt Westerland. „Ich will zurück nach Westerland!“ sangen Die Ärzte, wer erinnert sich nicht. Nicht ganz überraschend nimmt die Fandichte zu. Ein kurzer, knackiger Anstieg führt uns auf die breite Seepromenade, die bei dem phantastischen Wetter trotz der frühen Jahreszeit und Vorsaison gut besucht ist und uns daher viel Aufmerksamkeit beschert. An der dicht bevölkerten Konzertmuschel haben wir bereits 18,4 km hinter uns gebracht. Bombenstimmung herrscht auch am Sylt-Aquarium. Die Unterwasserwelt erstreckt sich auf 28 individuell gestalteten Schaubecken mit rund einer Million Litern Wasser und steht natürlich auch auf unserer To-do-Liste. Wie auf einem ehemaligen Bahndamm – halt, wahrscheinlich ist das sogar die alte Trasse der einstigen Inselbahn, fällt mir gerade ein – geht der Kurs schnurgerade südwärts.

Eine dänische Kolonie macht einen Riesenradau, direkt dahinter entdecke ich eine Ansammlung geparkter Tetrapoden. Mit denen hofft(e) man, der alljährlichen Erosion durch Winterstürme Einhalt zu gebieten und den gigantischen Sandverlust zu reduzieren. Zumindest an einer Stelle war das wohl ein Griff ins Klo gewesen, die jeweils sechs Tonnen schweren Ungetüme versanken mir nichts dir nichts im Meer. Zweieinhalbtausend von denen hat man mit Mühe später wieder an Land geholt.

 

 

 

Dann haben wir wohl so etwa 25 km hinter uns gebracht, als es heimatlich zu werden beginnt, also zumindest naht unser temporäres Zuhause. Rantum liegt etwa neun km oberhalb von Hörnum. An der Einfahrt zum Hafen kommen wir vorbei, wo das Rantumer Becken den Schauplatz eines eigenen Volkslaufs bildet. Es versteht sich von selber, dass wir den in unserer Urlaubswoche einmal abzulaufen gedenken.

Lange zieht sich die Ortschaft hin und lang ist auch der Fahrzeugstau, der einen Seitenwechsel unserer Laufrichtung ankündigt. Genauso ist es, wir überqueren die Inselstraße und verlassen diese, um einem schönen Kiesweg zu folgen, der uns ans Meer führt und wunderschöne Aussichten bei ebensolchem Wetter beschert. Es ist wirklich eine Gnade, so viel Glück zu haben.

Das bisher muntere Gespräch zwischen Marike und mir erstirbt so langsam. Als erfahrener Hase weiß ich, was das bedeutet und halte ab sofort weitestgehend die Klappe. Bald beschränke ich mich darauf, nur noch die Restkilometer anzusagen. Km 33,333 ist nach 3:17:30 Std. erreicht, es folgt die der Streckenumkehrung und diesjährigen Besonderheiten geschuldete Zugabe. Fünfhundert Meter mehr seien es, hatte man im Vorfeld verlautbart. Für einen erfahrenen Langstreckler kein Problem, wenn man auf Kante genäht ist, jedoch schon.

 

 

Bald darauf Tour-de-France-Gefühl: Dicht an dicht stehen die Zuschauer, kaum kann man den Weg noch erkennen, sehr schön. Unser Freund mit dem Schild steht schon parat. „Umkehren wäre jetzt auch blöd!“. Wie recht er damit doch hat. Elke schießt das ultimative Fast-zuhause-Foto, dann sehen wir das Wort Ziel und bleiben stehen. Fehler, nach links müssen wir noch abbiegen und sind wenige Meter später nach 3:24 Std. Hand in Hand im Ziel. „Danke, dass Du mich die letzten km gezogen hast!“, meint Marike in meinen Armen. „Danke, dass Du mich die vielen km davor gezogen hast“, entgegne ich, denn ohne sie (Mann will sich ja keine Blöße geben...) wäre ich sicherlich um einiges langsamer gewesen. Zur Belohnung gibt es für jeden von uns eine Sylter Royal, also eine einheimische Auster. Allerdings nicht zum Sofortverzehr, sondern zum Umhängen und Mitnehmen. Klasse, solch ein Teil habe ich noch nicht. Wieder einmal hat man sich etwas Tolles für uns einfallen lassen.

Die Zielverpflegung ist wunderbar, insbesondere von der heißen Brühe verschwinden einige Becher in meinem Schlund. Tatsächlich war der heutige Lauf 34,5 km lang und hatte damit 1,2 km Überlänge. Das kann, wie schon angedeutet, zum Problem werden, wenn man genau auf die angegebene Länge (33,333 km plus 500 m) geeicht ist, wie z.B. Marikes Freund. Der hatte, weil mit erheblichem Trainingsrückstand, eigentlich unterwegs aussteigen wollen und sich dann doch tapfer durchgebissen. Schade, wenn Du das Zeitziel um 20 Sekunden reißt, aber Regeln sind nun mal dazu da, eingehalten zu werden. So erscheint er zwar nicht in der Ergebnisliste, denn die schließt exakt nach 4:15 Std., aber wenigstens eine Medaille hat man ihm gegönnt. Leider endet hiermit Marikes und meine kurze, heftige und schweißtreibende Beziehung, zumindest ich  habe sie sehr genossen. Selten habe ich einen derart kurzweiligen langen Lauf hinter mich gebracht.

Wie war das noch eingangs mit der Einfalt gewesen? Hörnum ist nicht gleich Hörnum, wie ich lernen durfte, und der ganz kurze Weg zur Dusche ein Wunschtraum. Gute zwei km sind's noch bis zu unserer Unterkunft vom Ortsrand in die Dorfmitte, allerdings kein wirkliches Problem und schon gar nicht in strahlendem Sonnenschein.

 

 
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Noch ein letztes Wort zur Beteiligung: Fast 800 Teilnehmer waren vorangemeldet, man hatte sich in diesem Jahr sogar nachmelden können. Warum dann lediglich 467 im Ziel gewertet werden konnten, ist mit völlig schleierhaft und sehr bedauerlich. Ich hoffe doch, dass dieser tolle Lauf im nächsten Jahr wieder die gewohnte Zahl der Erfolgreichen haben wird, egal wie das Wetter dann mitspielt.

So oder so: Neben dem Genuss der Sylter Annehmlichkeiten, nicht zuletzt der kulinarischen, ist der Syltlauf bei normal heftigen Verhältnissen, also anders als heute, wirklich etwas für Hartgesottene. Genossen werden darf trotzdem.

 

Streckenbeschreibung:
Diesmal 34,5 km flacher (85 HM) Punkt-zu-Punkt-Kurs, Zeitlimit diesmal 4:15 Std.

Startgebühr:
50 €.

Streckenversorgung:
Wasser, Iso, Bananen, Haribo, Nüsse, Mohrenköpfe.

Auszeichnung:
Medaille

Leistungen/Logistik:
Bustransfer zum Start und zurück, zwei Kleiderbusse (unbewacht), großes Platzangebot an Start und Ziel.

Zuschauer:
Erstaunlich viele Fans an der Strecke.

 


 
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