Es ist ein herrlicher Sonntagmorgen. Die Sonne strahlt vom weissblauen Himmel. Im Wasser des Großen Brombachsees spiegeln sich die Boote, die im kleinen Hafen vertäut sind. Ich setze mich ans Ufer und genieße. Warum fliegen die Menschen um die halbe Welt, um eine paar Tage Urlaub zu machen? Hier ist es wunderschön.
Jetzt bin ich froh, dass ich gestern nicht einem inneren Drängen nachgegeben habe, das mir von einem Doppeldecker dieses Wochenende abgeraten hat, nachdem mich der Marathon gestern im Erzgebirge doch ziemlich geschlaucht hat. Heute geht es mir schon wesentlich besser. Trotzdem habe ich mich mit dem Busshuttle von der Brombachhalle hier her bringen lassen und bin nicht gegangen. Ich freue mich aber richtig auf den Lauf.
Derweil werden auf dem Damm die letzten Vorbereitungen getroffen, der Startbogen ist schon prall mit Luft gefüllt, die Zeitmatten werden langsam „scharf“ gemacht und der Verpflegungsstand eröffnet. Der bekannte Fachjournalist, Trainer und Laufsport-Referent Peter Maisenbacher beginnt mit seiner Moderation.
Der Marathon-Streckendienst dreht auf seinem pinkfarbenen Rad schon mal ein paar Übungsrunden. Auf dem Gepäckträger ist eine große Autobatterie verstaut, vorne am Lenker sind zwei Lautsprecher angebracht, die aus den 60er Jahren stammen könnten. Dahinter baumelt ein Transistorradio aus der gleichen Epoche.
Insgesamt nehmen an dem Läufer- und Walker-Fest über 2.000 Aktive teil. Der größte Teil entfällt auf den Halbmarathon mit 1.150, dann kommen 310 Marathonis, 282 Schüler und 237 Nordic-Walker (Finisher-Zahlen).
Die Rolling Stones machen uns mit „Start me up“ startklar und um 9.30 Uhr geht es los. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Halbmarathon und Walking sind später an der Reihe. Jetzt bilden die schon Anwesenden eine ganz ansehnliche und stimmungsvolle Kulisse. Ich habe bewusst auf jegliches Warm- oder Einlaufen verzichtet und mache meine ersten Laufschritte heute. Das sieht bestimmt nicht gut aus und fühlt sich auch nicht so an. Ich entscheide mich zunächst für kurze Intervalle: laufen, knipsen, laufen, knipsen ….
Nach ungefähr einem Kilometer auf dem Damm laufen wir links Richtung Allmannsdorf dem Seeufer entlang, die hohen Kiefern sorgen für reichlich Schatten. Für Badefreunde gibt es schöne Sandstrände und Liegewiesen, Spaziergänger und Ausflügler finden herrliche gelegene Cafés mit großen, sonnigen Terrassen.
Nach 5 Kilometern erreichen wir bei der kleinen Feriensiedlung und dem Yachthafen von Enderndorf bereits die zweite Getränkestelle. Die Organisatoren gehen kein Risiko ein, denn meist ist es heiß, wenn am Brombachsee Marathon gelaufen wird. Am Schlimmsten muss es bei der Premiere gewesen sein. Damals wurde am Samstag am frühen Nachmittag bei über 30 Grad gestartet.
Wir laufen jetzt rechts in einen zunächst schattigen, schmalen Weg zum Igelsbachsee, dessen Ufer meist sumpfig und mit Schilf bewachsen ist. Sonnige Wiesen und kühle Wäldchen wechseln sich ab. Am Ende des Sees laufen wir kurz parallel zur Verkehrsstraße und dann rechts zur nächsten Verpflegungsstele bei km 10. Gleich darauf kommt ein kurzer, giftiger Anstieg und mir fällt die Streckenbeschreibung des Veranstalters ein. Von „überwiegend eben“ ist da die Rede. Na, ja, wenn ich es mir genau überlege, stimmt es ja.
Zwischenzeitlich habe ich mich auch eingelaufen und fühle mich sauwohl hier. Als wir beim Zweiseenplatz wieder am Brombachsee sind, ist gerade das erste Drittel der „Halben“ unterwegs und sorgt für Leben auf dem Damm. Kurz vor km 15 trennen sich dann unsere Wege, Halbmarathon links, Marathon rechts, weist ein Schild die Läuferinnen und Läufer ein.
Die zweifache Umrundung des Kleinen Brombachsee steht jetzt auf dem Programm. Es ist so schön hier, dass ich hier am liebsten mein erstes Stunden-Rennen machen würde. Campingplätze, Ausflugslokale, Strandbäder und wilde, unzugängliche Uferabschnitte wechseln sich ab. Zwischenzeitlich sind auch etliche Ausflügler, meist mit Rädern, unterwegs. Solche Begegnungen sind auch auf schmalen Passagen unproblematisch, weil man gegenseitig Rücksicht nimmt.
Zuschauer sind eher selten, was keinen stört. Man ist der Landschaft wegen hier unterwegs.
Ein kurzes Stück laufen wir jetzt wieder parallel zu einer Verkehrsstraße, kommen zu einem schönen Strandbad mit herrlicher Liegewiese unter hohen Kiefern und erreichen nach einem weiteren Kilometer die Zeitnahme bei der Halbdistanz.
Als ich zur zweiten Seeumrundung starte, werde ich auf ein Wildgehege links aufmerksam, das ich vorhin übersehen habe. Ich sehe es auch jetzt nicht gleich, ich höre es. Ein ganzes Rudel Wildscheine ist nämlich am Wühlen und Grunzen.
„Alles klar?“ frage ich eine Läuferin beim Überholen. „Ja, war aber schon besser,“ gibt mir Kerstin, so heißt die junge Dame, zur Antwort. Sie macht zum 6. Mal einen Marathon, aber den ersten „rauchfrei“. Bis vor drei Wochen war sie nämlich noch eifrig am Paffen. Trotz des Trainings hat sie seither ein paar Kilo zugenommen und meint, dass die sie ganz schön bremsen.
„Nicht mehr, als auf Dauer der Nikotin,“ weiß ich aus eigener Erfahrung. Ich erinnere mich nämlich noch genau, auf was ich alles meine Sucht verlagert habe: Kaffee, Schokolade und was sonst noch. „Nichts davon ist so schlimm wie das Rauchen,“ rede ich weiter auf sie ein und weiß, dass sich die „neuen Süchte“ tatsächlich später viel leichter kontrollieren lassen. Bis auf das Laufen vielleicht …
Ich habe meine stärkste Phase im ganzen Rennen. Es macht einen Riesenspaß und ich freue mich, dass ich mir den Lauf wieder gut eingeteilt habe und jetzt viele Läuferinnen und Läufer überholen kann. Als ich zum dritten Mal zum Zweiseenplatz komme, sind noch 10 Kilometer zu laufen.
Zwei junge Frauen fallen mir jetzt auf. Eine, es ist Andrea, macht einen ganz fitten Eindruck und läuft recht locker. Die andere, Heike, hat da schon mehr zu kämpfen. Kein Wunder, sie macht heute ihren ersten Marathon und Andrea begleitet sie. Ständig lobt sie den Trainingsfleiß und die Vorzüge ihrer Freundin und redet sie stark. Wir quatschen eine ganze Weile, bis Heike signalisiert: „Andrea, mir ist das zu schnell.“ Sofort tritt die auf die Bremse, ist neben ihrer Freundin und lässt mich ziehen.
Inzwischen sind wir am Großen Brombachsee und laufen auf der anderen Seeseite in Richtung des Damms, wo wir heute früh gestartet sind. Hier finde ich mein nächstes „Opfer“. Mirko macht einen ziemlich schlappen Eindruck. Mit seinem Shirt vom München-Marathon und Klaus, seinem Fahrrad-Begleiter, ist er mir schon am Morgen aufgefallen. Da war die Welt noch in Ordnung. Wir kommen ins Gespräch und es scheint, dass ihm der Rote Bulle an der letzten Verpflegungsstelle tatsächlich Flügel verleiht.
Jedenfalls nimmt er mein Tempo auf und sein Begleiter meint dazu: „Wenn Du gleich dieses Tempo gelaufen wärst, wären wir schon im Ziel.“ Auch als es rechts in den Wald und ziemlich steil nach oben geht, bleibt er dran und wir laufen alles durch. Nach einem mehr oder weniger flachen Stück geht es dann abwärts nach Pleinfeld. Jetzt hängt er mich sogar ab, das hat man davon.
Durch das Spalter Tor kommen wir zum Marktplatz. Überraschend viele Zuschauer sind hier versammelt. „Wann bist Du im Ziel?“, hatte mich Peter Maisenbacher am Start gefragt. „4:30,“ war meine Prognose. Jetzt begrüßt er mich mit: „Auf die Minute pünktlich“. Na ja, seine Uhr geht nach. 4:32 sind es geworden.